Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 25. Jan 2012, 10:57

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ja, bestrafen sollte man nur den, der auch anders gekonnt hätte. Wäre der Mensch tatsächlich unfrei, wäre ich auch gegen Strafe, alles weitere wäre unfair.


Anders gesagt, wenn Menschen frei sein sollten, dann plädierst Du dafür, dass man ihnen die Freiheit per Gewalt(androhung) nimmt. :up:


Nein, damit Menschen frei sind und es bleiben können und möglichst einer großen Zahl an Menschen größere Freiheit wenigstens potentiell ermöglich ist, glaube ich, dass es Regeln des Zusammenlebens braucht. Die Freiheit den anderen aufgrund schlechter Laune, eines spontanen Impulses oder sonstwie unbegründet oder aus niederen Beweggründen totzuschlagen, sehe ich als eine an, die zum Wohle aller, beschränkt werden muss. Andere, minderschwere Vergehen, sehe ich auch gerechtfertigt eingeschränkt.

Die Idee, dass Menschen ganz ohne irgendwelche Regeln von sich aus edel, hilfreich und gut sind, halte ich für naiv.
(Aber ich glaube, diese Diskussion führt hier vom Thema weg.)
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 25. Jan 2012, 11:13

Vollbreit hat geschrieben:Nein, damit Menschen frei sind und es bleiben können und möglichst einer großen Zahl an Menschen größere Freiheit wenigstens potentiell ermöglich ist, glaube ich, dass es Regeln des Zusammenlebens braucht.


Bleib bei Deinen Worten! Es ging um Strafe, nicht um irgendwelche diffusen Regeln für das Zusammenleben (denn das sagt überhaupt nichts aus). Regeln kann man auch ohne Strafe haben, also vermisch hier nicht einfach Sachen, um Dich meinem Angriff einfach zu entziehen. Du bist für Strafe, also bist Du dafür angreifbar, also greife ich Dich auch dafür an, so einfach ist das. Ich warte ja immer noch darauf, dass von Dir mal irgendwas inhaltliches kommt anstatt Angriffe gegen Strohmänner und Ausweichen von den eigentlichen Aussagen.
Es reicht nicht einfach „nein“ zu schreiben, dann aber was anderes anzugehen, wenn die kritisierte Aussage dann trotzdem stehen bleibt. Entweder Du sagst mir konkret, wenn das „nein“ stimmen sollte, warum meine Feststellung falsch sein sollte oder Du kannst es gar nicht, weil meine Feststellung eben tatsächlich Deiner Ansicht entspricht und wir deswegen Feinde sind.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 25. Jan 2012, 11:33

Teh Asphyx hat geschrieben:Bleib bei Deinen Worten! Es ging um Strafe, nicht um irgendwelche diffusen Regeln für das Zusammenleben (denn das sagt überhaupt nichts aus). Regeln kann man auch ohne Strafe haben, also vermisch hier nicht einfach Sachen, um Dich meinem Angriff einfach zu entziehen. Du bist für Strafe, also bist Du dafür angreifbar, also greife ich Dich auch dafür an, so einfach ist das. Ich warte ja immer noch darauf, dass von Dir mal irgendwas inhaltliches kommt anstatt Angriffe gegen Strohmänner und Ausweichen von den eigentlichen Aussagen.
Es reicht nicht einfach „nein“ zu schreiben, dann aber was anderes anzugehen, wenn die kritisierte Aussage dann trotzdem stehen bleibt. Entweder Du sagst mir konkret, wenn das „nein“ stimmen sollte, warum meine Feststellung falsch sein sollte oder Du kannst es gar nicht, weil meine Feststellung eben tatsächlich Deiner Ansicht entspricht und wir deswegen Feinde sind.


Ja, ich bin für Strafe, ich dachte das sei hinreichend klar geworden, aber ich kann mich auch gerne noch mal dazu bekennen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 25. Jan 2012, 21:06

ujmp hat geschrieben:Wenn ein Schwerverbrecher nichts dafür kann, dass er Verbrechen begeht, kann ich auch nichts dafür, dass ich ihn deswegen verfolge und ins Gefängnis stecke. Wenn schon Schuldfreiheit, dann für alle!

Richtig. Ich meinte durchaus nicht, dass wir Schuldfreiheit nur ganz bestimmten Menschen gewähren sollten. Ich wollte das ebenso wie du allgemein verstanden wissen. Alle Menschen - ich, du und der Schwerverbrecher - können in jeder beliebigen Situation nur so handeln wie wir handeln und sind deshalb schuldfrei.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du stellst also tatsächlich ernsthaft die Frage: "angenommen, zwei Situationen seien völlig identisch, (S1 == S1), können sie dann nicht identisch sein, (kann S1 != S2 sein)?"

Ich verstehe deinen Einwand nicht so recht. Ich soll das behauptet haben, dass (S1 == S1) => (S1 == S1)? Ich finde, das habe ich nicht. Deine Übersetzung meines Satzes ist daneben gegangen. ujmp war näher dran:
ujmp hat geschrieben:A->B OR A->C

Oder um in deinem Wortlaut zu bleiben: Wenn aus S1->H1 folgt und die Welt deterministisch ist, dann kann aus S1 nichts anderes folgen. Aus jeder Situation folgt immer nur genau eine Handlung. Willst du jemandem die Schuld an der handlung H1 geben, dann unterstellst du dabei vermutlich, dass aus S1 auch H2 hätte folgen können, wenn der Schuldige nur ... irgendwas ... wäre oder gemacht hätte, oder um mit Vollbreit zu sprechen, wenn man das Kind nur vorher über die Falschheit von H1 informiert hätte, dann hätte es die bessere Variante H2 tun können. Aber wenn man das gemacht hätte, dann wäre es nicht mehr S1 gewesen.
Oder umgekehrt argumentiert: Wenn das Kind H1 (Kirschen klauen) aufgeführt hat, muss man sich doch erstmal fragen: wieso hat es das gemacht? Wenn man gründlich genug beobachtet hat, wird man feststellen, dass die Situation S1 war und in der Folge dem Kind keine andere Möglichkeit blieb, es also nicht anders hätte handeln können. Eben weil man dem Tip von Vollbreit nicht folgte und das Kind vorher aufklärte, ja noch nicht einmal fragte, ob es das verstanden hätte. Erkläre mir also mal jemand, wie man dem Kind die Schuld am Kirschen klauen geben können soll.

AgentProvocateur hat geschrieben:Können wir uns denn entscheiden, nicht von Schuld zu sprechen? Haben wir eine Chance, das zu unterlassen? Oder müssen wir von Schuld sprechen? Welche Möglichkeiten haben wir da?

Wir können uns pro Situation (vereinfacht gerechnet) nur für eine Sache entscheiden. Wenn wir uns dafür entscheiden, nicht von Schuld zu sprechen, dann hatten wir keine andere Wahl. Es sei denn, wie wären in einer anderen Situation S2 gewesen. Um also zu beantworten, welche Chance wir hatten, die Entscheidung zu unterlassen, müsste man nur prüfen, welche Chance wir hatten, nicht in S1 zu landen.

Ich finde es fast ein wenig albern, mir nun einen angeblichen logischen Widerspruch unterjubeln zu wollen. Dass nämlich, wenn ich recht hätte, du und ujmp das Recht hätten, nicht meiner Meinung zu sein. Ihr vergesst bei diesen Spielchen, dass durch meine Annahme (aus S1 folgt immer H1) nicht mehr oder weniger festgelegt ist als ohne diese Annahme. Denn, und das ist der springende Punkt, wir können nicht vorhersagen, ob S1 eintritt oder vielleicht doch S2 oder eine andere Situation. Es gibt nur einen einzigen möglichen Pfad für meine Zukunft, aber den kenne ich nicht, kann ihn allein aufgrund der Weltkomplexität niemals kennen und er kann aus vielen vielen Kurven und Änderungen bestehen. (Ihr könnte auf eurem Pfad also jederzeit eure Meinung ändern, endlich vernünftig werden und mir zustimmen). Wenn mir in den nächsten 5 Minuten jemand erklärt, dass Kirschen klauen falsch ist, dann wird er damit verhindern, dass ich morgen früh in S1 gerate. Aber wenn es nicht S1 ist, dann wird es morgen früh S17 sein, und ich werde wieder keine echte Wahl haben, und die einzige Handlung ausführen, die zu S17 passt, nämlich (sagen wir mal) H17.
Und wer mir dann anschließend die Schuld für H17 gibt, begeht einen logisch-moralischen Fehler, ist aber natürlich selber nicht schuld daran.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 25. Jan 2012, 21:54

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wenn ein Schwerverbrecher nichts dafür kann, dass er Verbrechen begeht, kann ich auch nichts dafür, dass ich ihn deswegen verfolge und ins Gefängnis stecke. Wenn schon Schuldfreiheit, dann für alle!

Richtig. Ich meinte durchaus nicht, dass wir Schuldfreiheit nur ganz bestimmten Menschen gewähren sollten. Ich wollte das ebenso wie du allgemein verstanden wissen. Alle Menschen - ich, du und der Schwerverbrecher - können in jeder beliebigen Situation nur so handeln wie wir handeln und sind deshalb schuldfrei.


ganimed hat geschrieben:Ich finde es fast ein wenig albern, mir nun einen angeblichen logischen Widerspruch unterjubeln zu wollen.


Nein, es ist nicht albern, sondern richtig.
Was Du nicht siehst, ist Folgendes: Was willst Du denn mit Deinem Argument eigentlich erreichen?
Dein Argument ist: Leute, wir sind alle irgendwie determiniert, darum können wir auf Gründe, Ermahnungen, Drohungen, Strafen, Appelle wie gut oder schlecht gemeint sie auch seien, gar nicht reagieren. Darum hört auf mit den Strafen, sie bringen nichts.

Das ist irgendwie sympathisch, aber in der Tat widersprüchlich. Warum?
Weil Du damit appellierst. Du sagst: Denkt doch mal nach, was ihr macht ist Blödsinn, Strafen bringen es nicht, wir können nicht anders.
Gleichzeitig sagt genau diese Botschaft aber auch: Ändert euer Verhalten. Schafft die Strafen ab. Denkt nach und handelt entsprechend.

Damit tust Du genau das, nämlich an die Einsicht Deiner Gesprächspartner zu appellieren, was Du andererseits leugnest, nämlich, dass es irgendeinen Sinn hätte, an die Einsicht seiner Gesprächspartner zu appellieren. Das ist ein performativer Selbstwiderspruch.

Du setzt auf die Kraft des Arguments, dass Argumente keinerlei Kraft haben.
Du sagst, ändert euch und seht endlich ein, dass der Mensch sich nicht ändern kann.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 25. Jan 2012, 22:17

Vollbreit hat geschrieben:Nein, es ist nicht albern, sondern richtig.

:) Also ich gebe zu, das Wort "albern" ist ein wenig zu abwertend. Ihr meint es sicher gut und ich ziehe das Wort zurück. Aber recht habe ich natürlich trotzdem.

Vollbreit hat geschrieben:Dein Argument ist: Leute, wir sind alle irgendwie determiniert, darum können wir auf Gründe, Ermahnungen, Drohungen, Strafen, Appelle wie gut oder schlecht gemeint sie auch seien, gar nicht reagieren. Darum hört auf mit den Strafen, sie bringen nichts.

Du hast meinen Punkt noch nicht ganz erfasst, scheint mir. Das Kind kann sehr wohl auf Appelle reagieren. Aber wenn du es beim Kirschen klauen erwischt, dann ist das Kind doch bereits in den Brunnen gefallen. Tja, wenn du eine Zeitmaschine hättest, in die Vergangenheit führest und an das Kind appelierst BEVOR es die Kirschen klaut, dann gebe ich dir recht, dass wenn es dann trotzdem genau wieder diese Kirschen klaute (also beim zweiten Durchlauf, obwohl du doch an es appeliert hast), dann wäre es selber Schuld und verdiente eine Strafe. Aber, jetzt mal ehrlich, hast du eine Zeitmaschine? Ich nicht.
Also bleibt es dabei, deine Appelle, Gründe, Ermahnungen, Drohungen und Strafen haben entweder gar nicht stattgefunden VOR der Situation S1, oder S1 hat niemals stattgefunden. Wir wissen nicht, wieso das Kind genau H1 ausführte. Wir wissen nur, dass es in der Situation nicht anders handeln konnte. Und dass es deshalb nicht schuld ist.

Vollbreit hat geschrieben:Du sagst: Denkt doch mal nach, was ihr macht ist Blödsinn, Strafen bringen es nicht, wir können nicht anders.
Gleichzeitig sagt genau diese Botschaft aber auch: Ändert euer Verhalten. Schafft die Strafen ab. Denkt nach und handelt entsprechend.

Du vernachlässigst hier das Fortschreiten der Zeit. Wenn ich sage "denkt doch mal nach", dann könntet ihr das doch endlich auch mal tun. Und genau dadurch gelangt ihr in 3 Minuten nicht in die Situation S1 (in der ihr eure falsche Meinung hättet und nichts dafür könntet), sondern ihr landet in der Situation S2 (in der sogar ihr einseht, dass ich recht habe, aber auch hier nicht schuld seid). Wenn ich also rufe "In S1 können wir nicht anders als H1 zu tun", dann ist es kein logischer Widerspruch, wenn ich von euch erwarte, in S2 (jetzt nur noch 2 Minuten) das wesentlich günstigere H2 zu tun.

Vollbreit hat geschrieben:Du sagst, ändert euch und seht endlich ein, dass der Mensch sich nicht ändern kann.

Ich sage, aus S1 folgt H1 und daher hat man keine Schuld an H1. Und du verstehst daraus, dass ich angeblich behauptet hätte, dass der Mensch sich nicht ändern kann? Ich bin ein wenig bestürzt über so viel Missverständnis. Stell dir dein Leben als eine Abfolge von Situationen vor. S1, dann S2 und schwupps, S3. Und schon siehst du, wie sehr du dich ändern kannst. In S1 kannst du NUR H1 tun. Ok. Aber bereits in S2 wäre genau H2 zu tun. H2 ist anders als H1. Je nachdem, was H1 und H2 ist, könnte das bereits eine Riesenänderung sein. H1 ist "Wulff gut finden". H2 sei "Wulff zum Teufel jagen". Du hättest dann deine Meinung um 180 Grad geändert. Ich meine nämlich nicht, dass H1 aus jeder Situation folgt, also sowohl aus S1 als auch S2 und allen nachfolgenden. Das wäre ja Unsinn. Meine Unfreiheit ist sehr punktuell und bezieht sich wirklich nur auf S1. In genau S1 ist nur H1 möglich. In jeder anderen Situation vielleicht schon wieder anderes, aber eben auch dort nur genau ein bestimmtes H (ich weiß nur nicht welches H).
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 25. Jan 2012, 22:51

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nein, es ist nicht albern, sondern richtig.

:) Also ich gebe zu, das Wort "albern" ist ein wenig zu abwertend. Ihr meint es sicher gut und ich ziehe das Wort zurück. Aber recht habe ich natürlich trotzdem.


Das Wort hat mich nicht gestört, sondern, dass Du in der Tat nicht recht hast.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dein Argument ist: Leute, wir sind alle irgendwie determiniert, darum können wir auf Gründe, Ermahnungen, Drohungen, Strafen, Appelle wie gut oder schlecht gemeint sie auch seien, gar nicht reagieren. Darum hört auf mit den Strafen, sie bringen nichts.


Du hast meinen Punkt noch nicht ganz erfasst, scheint mir. Das Kind kann sehr wohl auf Appelle reagieren.


Ah okay, wodurch? Es kann begreifen, kapieren, schlussfolgern und reagieren?
Warum sollten Du oder ich das dann nicht auch können?

ganimed hat geschrieben:Aber wenn du es beim Kirschen klauen erwischt, dann ist das Kind doch bereits in den Brunnen gefallen. Tja, wenn du eine Zeitmaschine hättest, in die Vergangenheit führest und an das Kind appelierst BEVOR es die Kirschen klaut, dann gebe ich dir recht, dass wenn es dann trotzdem genau wieder diese Kirschen klaute (also beim zweiten Durchlauf, obwohl du doch an es appeliert hast), dann wäre es selber Schuld und verdiente eine Strafe. Aber, jetzt mal ehrlich, hast du eine Zeitmaschine? Ich nicht.


Was Du hier und jetzt kritisierst, ist, dass es unsinnig wäre, jemanden zu bestrafen, der (noch) ghar nicht weiß, dass man keine Kirschen klauen sollte. Das mag gut sein und ist natürlich die Voraussetzung für eine gerechtfertigte Strafe, dass man die Regeln kennt, versteht und einsieht oder einsehen könnte.

Das ist aber nicht der Punkt um den es in der Diskussion um das Thema Willensfreiheit und Strafe geht, da geht es darum, dass behauptet wird, niemand könne anders, als er tut, da er von seinem Gehirn – was irgendwie auf nichts und niemanden, schon gar nicht auf Ansprache und Argumente zu reagieren scheint – ferngesteuert ist.

ganimed hat geschrieben:Also bleibt es dabei, deine Appelle, Gründe, Ermahnungen, Drohungen und Strafen haben entweder gar nicht stattgefunden VOR der Situation S1, oder S1 hat niemals stattgefunden. Wir wissen nicht, wieso das Kind genau H1 ausführte. Wir wissen nur, dass es in der Situation nicht anders handeln konnte. Und dass es deshalb nicht schuld ist.


Klar ist es ein Sonderthema, ob jemand zu bestrafen ist, der nicht wusste, das er x nicht tun darf.
Aber wie gesagt, darum geht es in der Diskussion nicht.


ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du sagst: Denkt doch mal nach, was ihr macht ist Blödsinn, Strafen bringen es nicht, wir können nicht anders.
Gleichzeitig sagt genau diese Botschaft aber auch: Ändert euer Verhalten. Schafft die Strafen ab. Denkt nach und handelt entsprechend.

Du vernachlässigst hier das Fortschreiten der Zeit. Wenn ich sage "denkt doch mal nach", dann könntet ihr das doch endlich auch mal tun. Und genau dadurch gelangt ihr in 3 Minuten nicht in die Situation S1 (in der ihr eure falsche Meinung hättet und nichts dafür könntet), sondern ihr landet in der Situation S2 (in der sogar ihr einseht, dass ich recht habe, aber auch hier nicht schuld seid).
Wenn ich also rufe "In S1 können wir nicht anders als H1 zu tun", dann ist es kein logischer Widerspruch, wenn ich von euch erwarte, in S2 (jetzt nur noch 2 Minuten) das wesentlich günstigere H2 zu tun.


Du setzt also auf Zeit und Zufall, statt auf Argumente.
Du meinst, wenn Du mir etwas erklärst, was ich nicht verstehe, dann ist es nicht die Kraft Deiner Argumente, die mich dazu bringen könnte zu verstehen, sondern durch Zeit und Zufall könnte es sein, dass sich meine Synapsen irgendwann so verschalten, dass ich unweigerlich erkennen muss, dass Dein Argument stimmt. Glaubst Du das?
Glaubst Du, dass Du selbst nur die Meinung x vertritt, weil Zeit und Zufall Dich dahin gebracht haben und dass man niemanden überzeugen kann? Warum kann das Kind dann auf Appelle reagieren? Und Was schützt uns davor, das wir das zufällig eben Eingesehene nicht bei der nächsten Zufallsverdrahtung wieder vergessen oder eine ganz anderen Einstellung haben? Wie erklärst Du Dir Lernprozesse unter diesen Bedingungen?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du sagst, ändert euch und seht endlich ein, dass der Mensch sich nicht ändern kann.

Ich sage, aus S1 folgt H1 und daher hat man keine Schuld an H1. Und du verstehst daraus, dass ich angeblich behauptet hätte, dass der Mensch sich nicht ändern kann?


Dass der Mensch sich nicht ändern kann, ist gemeinhin das Argument, gegen Strafen.
Wenn Du meinst, jemand hätte durchaus, auch anders gekonnt, warum sollte man ihn dann nicht bestrafen, wenn es gravierend genug ist?

ganimed hat geschrieben:Ich bin ein wenig bestürzt über so viel Missverständnis. Stell dir dein Leben als eine Abfolge von Situationen vor. S1, dann S2 und schwupps, S3. Und schon siehst du, wie sehr du dich ändern kannst. In S1 kannst du NUR H1 tun. Ok. Aber bereits in S2 wäre genau H2 zu tun. H2 ist anders als H1. Je nachdem, was H1 und H2 ist, könnte das bereits eine Riesenänderung sein. H1 ist "Wulff gut finden". H2 sei "Wulff zum Teufel jagen". Du hättest dann deine Meinung um 180 Grad geändert. Ich meine nämlich nicht, dass H1 aus jeder Situation folgt, also sowohl aus S1 als auch S2 und allen nachfolgenden. Das wäre ja Unsinn. Meine Unfreiheit ist sehr punktuell und bezieht sich wirklich nur auf S1. In genau S1 ist nur H1 möglich. In jeder anderen Situation vielleicht schon wieder anderes, aber eben auch dort nur genau ein bestimmtes H (ich weiß nur nicht welches H).



Ich bin überzeugt, dass ich mich ändern kann, aber was in Deiner Darstellung fehlt, ist der Grund, warum man sich ändern sollte. (Du fragtest im anderen Thread Nanna, warum Deskritption nicht als Vorbild einer Ethik dient und dienen kann. Weil genau die Begründung fehlt, warum etwas, was der Fall ist, auch der Fall sein sollte. Schimpansen ziehen mordend über ihre Artgenossen her. Wir stammen vom Schimpansen ab. Also sollten wir mordend über unsere Artgenossen heerziehen?)
Du scheinst wirklich zu glauben, man ändert sich einfach nur so. Den Beruf, die Frau, die Hobbies, eines Morgens wacht man auf, stellt fest, die Synapsen sind anders und das und nur das ist der Grund? Das kennt man bei Hirnverletzungen oder –tumoren, aber so im Alltag…?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 25. Jan 2012, 23:21

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du meinst, jemand hätte durchaus, auch anders gekonnt, warum sollte man ihn dann nicht bestrafen, wenn es gravierend genug ist?

Jemand hätte durchaus anders gekonnt in einer anderen Situation, aber nicht in S1. In S1 hätte niemand anders gekonnt. Deshalb sollte man ihn nicht bestrafen. Niemand ist schuld, dass er H1 in S1 getan hat. Oder siehst du das anders?

Vollbreit hat geschrieben:Du meinst, wenn Du mir etwas erklärst, was ich nicht verstehe, dann ist es nicht die Kraft Deiner Argumente, die mich dazu bringen könnte zu verstehen, sondern durch Zeit und Zufall könnte es sein, dass sich meine Synapsen irgendwann so verschalten, dass ich unweigerlich erkennen muss, dass Dein Argument stimmt. Glaubst Du das?

Ich musste ein wenig nachdenken, wie du auf den Begriff "Zufall" gekommen sein könntest. Ich habe ihn, glaube ich, nicht erwähnt und ganz sicher nicht gemeint. Vielleicht ist es das Misverständnis, dass etwas unberechenbares mit Zufall gleichgesetzt wird. Das tue ich nicht. Wenn ich nicht vorhersagen kann was gleich geschieht, könnte es theoretisch zwar auch daran liegen, dass gleich ein Zufall geschieht (aber das glaube ich nicht) oder es könnte daran liegen, dass ich einfach nicht genug weiß über die jetzige Situation, um auch nur annähernd die folgenden Situation berechnen zu können. Ich glaube als harter Determinist nicht, dass es echten Zufall gibt. Ich glaube, es ist wirklich nur meine Unwissenheit, die die Unberechenbarkeit verursacht.
Mit einem Wort: ich glaube natürlich nicht, dass eine Meinungsänderung bei dir durch Zufall erfolgt, sondern ich hoffe auf die Überzeugungskraft meiner Argumente.

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin überzeugt, dass ich mich ändern kann, aber was in Deiner Darstellung fehlt, ist der Grund, warum man sich ändern sollte.

Wieso fehlt der Grund? In meiner Darstellung ging es doch nur darum, dass sich der Mensch ändern kann. Weil du (und ujmp und AgentProvocateur) einen logischen Widerspruch bei mir nur deshalb sahen, weil ich angeblich den Menschen für unveränderbar hielte. Es ging mir also darum, zu zeigen, dass er aus meiner Sicht nicht unveränderbar ist (aus welchem Grund ist dabei egal) und dass meine andere Annahme trotzdem stimmt, nämlich dass man in S1 immer H1 macht, und dass sich beide Aussagen nicht widersprechen. Ich hoffe, wenigstens dieser "alberne" Vorwurf (wenn ich das Wort jetzt wieder benutzen darf) wäre damit vom Tisch.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 25. Jan 2012, 23:51

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Du stellst also tatsächlich ernsthaft die Frage: "angenommen, zwei Situationen seien völlig identisch, (S1 == S1), können sie dann nicht identisch sein, (kann S1 != S2 sein)?"

Ich verstehe deinen Einwand nicht so recht. Ich soll das behauptet haben, dass (S1 == S1) => (S1 == S1)? Ich finde, das habe ich nicht. Deine Übersetzung meines Satzes ist daneben gegangen.

Mein Einwand beruhte auf dieser Aussage:
ganimed hat geschrieben:Wenn also in zwei Situationen alles identisch ist, die inneren und äußeren Bedingungen, dann wird sich der Mensch auch gleich verhalten. Das würde also insbesondere gelten, wenn die Quanten sich gleich verhalten, und das tun sie ja, per Definition.

Aber, nun gut, das ist hier nicht so wichtig.

Kommen wir mal zur Bestrafung. Erst mal wäre es schön, wenn Du Dein Beispiel mit dem Kind durch ein anderes ersetzen würdest. Kinder werden nicht als voll verantwortlich angesehen, außerdem wäre es besser, wenn wir kein emotionales Beispiel verwenden.

Nehmen wir also einen Steuerhinterzieher. Er überlegt sich, die Steuer zu hinterziehen, er meint, er würde dabei nicht erwischt werden und tut es.

Nun nehmen wir einen Zeitpunkt t0, sagen wir einen Tag vor der Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt t1. Und spulen die Zeit 1.000 mal zurück zu t0 und lassen sie wieder ablaufen. Nehmen wir einmal an, er würde jedesmal an t1 die Steuer hinterziehen, nehmen wir versuchshalber auch mal an, er würde sie 999 mal hinterziehen und einmal nicht.

Im ersten Falle wäre er also unschuldig Deiner Ansicht nach, aber im zweiten Falle schuldig? Falls ja: wieso? Falls nein: wieso nicht, was müsste noch hinzukommen?

Übrigens bezog sich mein anderer Einwand nicht darauf, dass ich meinte, Du würdest meinen, Menschen könnten sich nicht ändern. Mein Einwand bezieht sich darauf, dass, wenn man Menschen zugesteht, einsichtig sein zu können, ihre Handlungen kontrollieren zu können, nach Gründen handeln zu können, man sie auch für verantwortlich und folglich auch für schuldig halten kann. Und wenn Du an andere appellierst, sie sollten aus bestimmten Gründen dies und jenes tun, dann gestehst Du offensichtlich Teil 1 ebenfalls zu. Nur scheint Dir jetzt noch etwas zu fehlen, daher ziehst Du die Schlussfolgerung nicht und die schlichte Frage ist nun: was ist das, was Dir fehlt? Welche Fähigkeiten müsste ein Mensch haben, damit man ihm in Deinem Sinne berechtigt Verantwortung und Schuld zuweisen kann?

Und noch 'ne Frage: würdest Du einen wesentlichen Unterschied in Bezug auf Verantwortung und Schuld sehen zwischen Handlungen, die absichtlich / vorsätzlich erfolgten und Handlungen / Bewegungen, die ungute Folgen haben, die aber nicht beabsichtigt waren und nicht vorhergesehen werden konnten?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 00:26

Warum Bestrafung, wie können Strafen legitimiert werden?

Dazu aus dem SEP-Artikel Punishment mal eine sehr kurze Zusammenfassung auf deutsch:

- bestimmte beabsichtigte Handlungen sind schädlich für Dritte und es wäre unangemessen, von diesen Dritten zu verlangen, den Schaden still zu erleiden
- Selbstjustiz sollte ausgeschaltet werden, indem die Gesellschaft die Rechte des Einzelnen sichert und gewährleistet
- in einer gerechten Gesellschaft wird unverdiente Schikane so verstanden, dass sie individuelle Rechte verletzt und ist daher verboten und mit Strafe belegt
- damit man überhaupt von individuellen Rechten reden kann, damit diese vorhanden sind, müssen sie geschützt werden
- es ist besser, wenn das jeder individuell einsieht, als dass er bestraft / eingesperrt werden muss
- aber diese Einsicht ist nicht so wertvoll, dass sie um jeden Preis (den Preis des Verlustes der persönlichen Freiheit) durchgesetzt werden muss / dürfte
- wenn diese Einsicht nicht vorhanden ist, muss die Gesellschaft daher auf die zweitbeste Lösung (die beste Lösung wäre Einsicht aller) zurückgreifen - Verbot bestimmter Handlungen durch Gesetze - und dazu benötigt man Sanktionen durch das Strafrecht
- auch in einer gerechten Gesellschaft akzeptiert nicht jeder die Rechte der anderen - und solche Leute müssen mit Kosten belegt werden, da sonst die Unschuldigen / die Opfer die Last ihrer Taten tragen müssten. Was bedeutete, dass individuelle Rechte nicht vorhanden wären.
- daher würde jeder hinter einem Schleier des Unwissens über seine Rolle in der Gesellschaft solchen strafrechtlichen Sanktionen (aka Strafen) zustimmen
- d.h. auch: das Strafrecht muss nachvollziehbar / zustimmbar sein. Diese Zustimmung basiert hauptsächlich auf seiner Funktion, die individuellen Rechte zu schützen.

Das alles bezieht sich nun nur auf solche Strafen, die durch die Gesellschaft / den Staat verhängt werden, nicht auf sonstige Strafen wie z.B. gegenüber dem obigen Kind, das Kirschen geklaut hat, (ich denke nicht, dass in dem Falle eine Strafe gerechtfertigt wäre).

Und außerdem liegt dem nun zugegebenermaßen eine liberale Weltanschauung zugrunde, die man nicht unbedingt teilen muss. (Wiewohl ich sie teile.) Aber wenn man sie nicht teilt, dann fragt sich, welche Prämissen oben man nicht teilt und was man als bessere Alternative anzubieten hätte. (Ein simples "alles wird gut, wenn die Gesellschaft / der Staat keine Strafen mehr verhängt" erscheint mir regelmäßig jedenfalls nicht besonders überzeugend.)

Nun können wir noch fragen, was notwendige Voraussetzungen sind, um jemanden für verantwortlich / schuldig zu halten. (Keine Strafe ohne Schuld.)

Vorschlag:

Verantwortlich: der Akteur war fähig dazu, die Folgen seiner Handlung einzuschätzen und er handelte nicht unter Zwang
Schuldig: der Akteur war verantwortlich für seine Handlung im obigen Sinne und er verstieß damit gegen eine sanktionsbesetzte Norm, die er kannte oder hätte kennen müssen
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 26. Jan 2012, 01:14

AgentProvocateur hat geschrieben:- bestimmte beabsichtigte Handlungen sind schädlich für Dritte und es wäre unangemessen, von diesen Dritten zu verlangen, den Schaden still zu erleiden

Daraus folgt aber keine Strafe. Man kann auch den Schaden einfach beheben und es ist sogar egal wer dies macht, dann muss der Schaden schon nicht mehr still erlitten werden.

AgentProvocateur hat geschrieben:- Selbstjustiz sollte ausgeschaltet werden, indem die Gesellschaft die Rechte des Einzelnen sichert und gewährleistet

Warum?

AgentProvocateur hat geschrieben:- in einer gerechten Gesellschaft wird unverdiente Schikane so verstanden, dass sie individuelle Rechte verletzt und ist daher verboten und mit Strafe belegt

Auch hier wieder eine völlig unzulässige Schlussfolgerung. Gerechtigkeit ist sowieso immer nur die Selbstgerechtigkeit der Herrschenden und die üben in der Regel Strafe aus.

AgentProvocateur hat geschrieben:- damit man überhaupt von individuellen Rechten reden kann, damit diese vorhanden sind, müssen sie geschützt werden

Unsinn!

AgentProvocateur hat geschrieben:- es ist besser, wenn das jeder individuell einsieht, als dass er bestraft / eingesperrt werden muss

Was einsieht?

AgentProvocateur hat geschrieben:- aber diese Einsicht ist nicht so wertvoll, dass sie um jeden Preis (den Preis des Verlustes der persönlichen Freiheit) durchgesetzt werden muss / dürfte

Auch hier verstehe ich den Zusammenhang nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:- wenn diese Einsicht nicht vorhanden ist, muss die Gesellschaft daher auf die zweitbeste Lösung (die beste Lösung wäre Einsicht aller) zurückgreifen - Verbot bestimmter Handlungen durch Gesetze - und dazu benötigt man Sanktionen durch das Strafrecht

Also wird Strafe nur durch Herrschaft begründet. Und zwar deswegen, damit die Herrschaft erhalten bleiben kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:- auch in einer gerechten Gesellschaft akzeptiert nicht jeder die Rechte der anderen - und solche Leute müssen mit Kosten belegt werden, da sonst die Unschuldigen / die Opfer die Last ihrer Taten tragen müssten. Was bedeutete, dass individuelle Rechte nicht vorhanden wären.

Wieder dieses Wort „gerecht“. Und ein völlig unreflektierter Täter-Opfer-Dualismus.

AgentProvocateur hat geschrieben:- daher würde jeder hinter einem Schleier des Unwissens über seine Rolle in der Gesellschaft solchen strafrechtlichen Sanktionen (aka Strafen) zustimmen

Nein!

AgentProvocateur hat geschrieben:- d.h. auch: das Strafrecht muss nachvollziehbar / zustimmbar sein. Diese Zustimmung basiert hauptsächlich auf seiner Funktion, die individuellen Rechte zu schützen.

Als hätte man die Wahl, zuzustimmen oder abzulehnen, sicher doch.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und außerdem liegt dem nun zugegebenermaßen eine liberale Weltanschauung zugrunde, die man nicht unbedingt teilen muss. (Wiewohl ich sie teile.)

Widerlich!


AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wenn man sie nicht teilt, dann fragt sich, welche Prämissen oben man nicht teilt und was man als bessere Alternative anzubieten hätte. (Ein simples "alles wird gut, wenn die Gesellschaft / der Staat keine Strafen mehr verhängt" erscheint mir regelmäßig jedenfalls nicht besonders überzeugend.)

Fundierte Kritiken zum Liberalismus gibt es mehr als genug. Um „alles wird gut“ geht es schon mal gar nicht und das (Nicht-)Vorhandensein einer Alternative ändert nichts an dem Sachverhalt und an der Berechtigung der Kritik. Manche Dinge brauchen eben keine Alternative, zum Beispiel dann, wenn ihr Vorhandensein überhaupt auf falschen Prämissen beruht.
Anders gesagt: Wenn ich das komplette Staatssystem und die Strafe als Teil von ihm kritisiere, brauche ich keine brauchbare Alternative zur Strafe im Staatssystem anzubieten, weil ich dann ja die Prämissen eben doch akzeptieren würde, die ich aber ebenfalls kritisiere. Da Strafe sich nur über die Herrschaft selbst begründen lässt, ist auch jede Begründung darüber hinaus ein vergeblicher Versuch.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 01:39

Vorschlag an die Moderation: vielleicht könnten die beiden Beiträge oben, also der von Teh Asphyx und mir abgetrennt werden in einen neuen Thread?

Titel: "Legitimation von Strafen" oder "Sind Strafen legitim?" oder so.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 02:29

Also, meine Prämissen, (die da oben auch drin stecken), kann ich mal auflisten:

- wer absichtlich / vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden verursacht, muss diesen wieder gut machen, es wäre nicht einsichtig, wenn andere dafür einspringen müssten, also die Kosten auf andere abgewälzt würden
- ein friedliches Zusammenleben ist wünschenswert
- gewisse Rechte sind die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben
- es wäre gut, wenn diese Rechte nachvollziehbar und verbindlich festgelegt wären
- Selbstjustiz ohne Beachtung der festgelegten Regeln verletzt die vereinbarten Rechte
- ein Recht, das zwar niedergeschrieben, aber nicht geschützt und durchgesetzt wird, existiert de fakto nicht
- ein totaler Überwachungsstaat, der die vereinbarten Rechte absolut durchsetzt und per se keine Abweichung dazu zuließe, ist deswegen schlecht, weil dann zu viele schützenswerte Rechte flöten gingen

Teh Asphyx hat geschrieben:Fundierte Kritiken zum Liberalismus gibt es mehr als genug. Um „alles wird gut“ geht es schon mal gar nicht und das (Nicht-)Vorhandensein einer Alternative ändert nichts an dem Sachverhalt und an der Berechtigung der Kritik. Manche Dinge brauchen eben keine Alternative, zum Beispiel dann, wenn ihr Vorhandensein überhaupt auf falschen Prämissen beruht.

Unter "Liberalismus" möchte ich hier die oben genannten Prämissen verstanden wissen.

Kritik ist dann berechtigt, wenn sie begründet werden kann. Und wenn man falsche Prämissen sieht, dann sollte man zumindest explizit sagen, welche der Prämissen man als falsch ansieht und auch, welche Prämissen man selber als richtig ansieht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Anders gesagt: Wenn ich das komplette Staatssystem und die Strafe als Teil von ihm kritisiere, brauche ich keine brauchbare Alternative zur Strafe im Staatssystem anzubieten, weil ich dann ja die Prämissen eben doch akzeptieren würde, die ich aber ebenfalls kritisiere. Da Strafe sich nur über die Herrschaft selbst begründen lässt, ist auch jede Begründung darüber hinaus ein vergeblicher Versuch.

Deine Prämisse: "Strafe [könne] sich nur über die Herrschaft selbst begründen" halte ich nun für falsch. Ich habe oben versucht, zu begründen, wie Strafe legitimiert werden kann - und das basiert ja wohl mitnichten auf Herrschaft selbst. Ein fundiertes Gegenargument von Dir habe ich bislang nicht gesehen.

Es ist zwar richtig, dass Du keinen ausgearbeiteten Gegenentwurf vorlegen musst, um kritisieren zu dürfen, jedoch wäre es gut, wenn Du gleichfalls Deine Prämissen nennen würdest und sagen würdest, welche Prämissen von mir Du ablehnst. Oder vielleicht kannst Du ja Deine Kritik auch irgendwie anders begründen, aber begründen musst Du sie nun mal. Z.B. ein "Unsinn" und ein "widerlich" erscheinen mir nicht als besonders gute Argumente. Du darfst zwar auch gerne einfach nur sagen: "finde ich scheiße", aber das ist nun mal ohne weitere Begründung nicht besonders überzeugend für Leute, die das das nicht einfach so scheiße finden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 26. Jan 2012, 12:32

ganimed hat geschrieben:Jemand hätte durchaus anders gekonnt in einer anderen Situation, aber nicht in S1. In S1 hätte niemand anders gekonnt. Deshalb sollte man ihn nicht bestrafen. Niemand ist schuld, dass er H1 in S1 getan hat. Oder siehst du das anders?


Na selbstverständlich sehe ich das anders.
Was um alles in der Welt ist denn der Grund dafür, dass jemand zum Zeitpunkt S1 nicht anders kann?
Das ist doch nur eine Behauptung wie: Brillenträger essen gerne Hühnersuppe. Kann ja sein, aber warum?
Ich nehme an, Dein Argument ist: Hätte er anders gekonnt, dann hätte er auch anders gehandelt.
Ist das Dein Argument?
Falls nein, erklär mir bitte, was Dein Argument ist.
Falls es Dein Argument ist, ist das eine petitio principii.

ganimed hat geschrieben:Mit einem Wort: ich glaube natürlich nicht, dass eine Meinungsänderung bei dir durch Zufall erfolgt, sondern ich hoffe auf die Überzeugungskraft meiner Argumente.


Prima.
Wenn mich Deine Argumente zu irgendeinem Thema überzeugen sollen, was müssten sie leisten? Andersrum gefragt: Wenn ich Dir sage: „Lies dieses Buch, trink jenen Wein, kauf Dir diese Schuhe, würdest Du das tun?“ Ich nicht, ich würde sagen, dass wir vielleicht doch einen anderen Geschmack haben könnten, bezüglich Büchern, Wein und Schuhen und das erst mal klären sollten und ich denke, es würde Dir ähnlich gehen, oder?
Wenn wir uns nun aber austauschen würden und drauf kommen, dass wir beide Krimifans sind, beide auf nordische Krimis stehen und beide Mankell und Olsson (oder wie der heißt) mögen und ich dann sagen würde, „Also, wenn Du die magst, dann habe ich einen ganz heißen Tipp für Dich“, dann würde Dich das viel mehr überzeugen. Mich zumindest.

Kurz und gut: Es sind die Argumente, die guten Gründe die Dich überzeugen, nicht die unbegründete Verkündung, das Buch ist gut, musst Du lesen. Du würdest, bei guten Argumenten, sogar Dein Verhalten ändern, denn im ersten Fall kämst Du kaum auf die Idee das Buch zu lesen, wenn wir uns aber eine Stunde nett über Krimis unterhalten haben, dann zieht so ein Argument, aber nicht, weil jetzt S2 ist und eben S1 war, sondern, weil Du denkst: Er hat fast den gleichen Geschmack wie ich, wenn ihm das gefällt, ist es hoch wahrscheinlich dass das kein völliger Reinfall ist.

Noch kürzer: Du machst Deine Entscheidungen von rationalen Gründen abhängig.
Das war das, was Du immer geleugnet hast.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich bin überzeugt, dass ich mich ändern kann, aber was in Deiner Darstellung fehlt, ist der Grund, warum man sich ändern sollte.

Wieso fehlt der Grund?


Weil, wie Du oben sagst, es die Argumente sind, die mich überzeugen sollen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 26. Jan 2012, 12:59

AgentProvocateur hat geschrieben:Deine Prämisse: "Strafe [könne] sich nur über die Herrschaft selbst begründen" halte ich nun für falsch. Ich habe oben versucht, zu begründen, wie Strafe legitimiert werden kann - und das basiert ja wohl mitnichten auf Herrschaft selbst. Ein fundiertes Gegenargument von Dir habe ich bislang nicht gesehen.

Wie soll denn Strafe sonst begründet sein, außer darüber, dass sich einer über den anderen stellt und somit eine Herrschaft ausübt? Das Konzept „Strafe“ beinhaltet das doch schon. Strafe ist ja nur dann vonnöten, wenn es eine übergeordnete normative Instanz gibt (ob Du die jetzt demokratisch, monarchistisch oder sonst wie nennst ist da auch ganz egal), die Konsequenzen für den Verstoß gegen ihre Regeln fordert. Und damit ist die Notwendigkeit der Strafe begründet. Aus der Herrschaft heraus, woraus sonst?

Alle Deine Prämissen haben schon ein normatives Urteil drin, das Du durch eine übergeordnete Instanz gesichert sehen willst. Der Wille, alle in ein bestimmtes normatives System, das irgendwer für wünschenswert erachtet, zu integrieren und dies durch Zwang zu ermöglichen ist die Begründung für Strafe. Das ist in Deinen Prämissen ja auch drin. Ich bin gegen solch einen Zwang. Von irgendeiner Hobbes’schen Begründung des Staates/der Herrschaft aus der Natur des Menschen halte ich aus gegebenen Gründen nichts (es muss ja nicht in den Absolutismus ausarten, aber auch jede liberalere Begründung basiert auf die gleiche falsche Argumentation), weil dieses Argument immer nur aus der (mindestens ideell) schon vorhandenen Herrschaft heraus abgeleitet werden kann und eben einen völlig falschen Schluss auf die Natur des Menschen zieht.
Wenn Du das so für wünschenswert hältst, dann ist das erstmal Deine Sache, aber eine Begründung dafür wirst Du nicht schlüssig liefern können, außer darin, dass Du anderen Deinen Willen aufzwingen willst (ob aus guter oder schlechter Absicht ist dabei auch recht egal und ich unterstelle Dir tatsächlich auch die besten Absichten).
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 14:10

Ach so, für Dich bedeutet jeder Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsame Regeln vereinbaren und diese auch durchsetzen, schon Herrschaft.

Falls so und falls Du jegliche Art von Herrschaft in dem Sinne ablehnst, dann kann es wohl auch keine Legitimation für irgendwas geben.

Meiner Ansicht nach ist die einzige Alternative zu einer rechtlichen Regulierung von Gewalt unregulierte Gewalt.

Und eine rechtliche Regulierung kann nun auf 2 Arten zustandekommen: demokratisch oder nicht demokratisch, wobei ich das Erstere bevorzuge.

Noch ein Link dazu.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 26. Jan 2012, 15:10

AgentProvocateur hat geschrieben:Ach so, für Dich bedeutet jeder Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsame Regeln vereinbaren und diese auch durchsetzen, schon Herrschaft.


Was soll das denn anderes sein? Bei Max Weber, den ich eigentlich gar nicht leiden kann, findet sich folgende Definition: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“ Ersetze Befehl durch Regel (da jede Regel ein Befehl ist, sich an ihren Inhalt zu halten) und schon ist es genau das. Es gibt natürlich noch weitergehende Herrschaftsbegriffe in der Philosophie, aber das wird Dir dann wohl noch weniger gefallen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Falls so und falls Du jegliche Art von Herrschaft in dem Sinne ablehnst, dann kann es wohl auch keine Legitimation für irgendwas geben.


:applaus: für diese Erkenntnis. Jede Herrschaftsform ist selbstlegitimiert durch ihr Gewaltmonopol.

AgentProvocateur hat geschrieben:Meiner Ansicht nach ist die einzige Alternative zu einer rechtlichen Regulierung von Gewalt unregulierte Gewalt.


Das ist aus mehreren Gründen nicht richtig. Zum Einen gibt es auch die Alternative keine Gewalt (wie wahrscheinlich es ist, dass sich ein solcher Zustand einstellt, sei jetzt mal dahingestellt, als Möglichkeit besteht es auch). Wenn Gewalt aber grundsätzlich durch ein Gewaltmonopol reguliert (also auch ausgeführt) wird, dann wird sich der Zustand keiner Gewalt niemals einstellen. Regulierte Gewalt ist also eine Gewaltgarantie.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und eine rechtliche Regulierung kann nun auf 2 Arten zustandekommen: demokratisch oder nicht demokratisch, wobei ich das Erstere bevorzuge.


Es gibt äußerst viele Arten, nicht nur Demokratie und nicht Demokratie, es gibt sogar unzählige verschiedene Varianten von Demokratie.

AgentProvocateur hat geschrieben:Noch ein Link dazu.


Da schalte ich nach zwei Sätzen ab. Wer dogmatisch Politik auf einen reinen Verwaltungsakt reduziert, dem ist 1. nicht mehr zu helfen und 2. weiß ich dann schon genau, dass mich der Rest nicht zu interessieren braucht. Habe zwar trotzdem noch ein bisschen weiter gelesen, aber ich muss nicht jede Dummheit kommentieren.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 15:37

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Falls so und falls Du jegliche Art von Herrschaft in dem Sinne ablehnst, dann kann es wohl auch keine Legitimation für irgendwas geben.

:applaus: für diese Erkenntnis. Jede Herrschaftsform ist selbstlegitimiert durch ihr Gewaltmonopol.

Ich fasse zusammen: Du lehnst jegliche vereinbarte Regel ab, da sich Deiner Ansicht nach daraus automatisch Herrschaft ergibt und Herrschaft ist für Dich per se schlecht.

Damit erübrigt sich dann natürlich die Frage nach der Legitimation von Regeln und Rechten, denn die sind ja Deiner Ansicht nach immer abzulehnen.

Was folgt nun daraus? Eine regel- und somit rechtlose Gesellschaft, das Recht des Stärkeren.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 26. Jan 2012, 15:47

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich fasse zusammen: Du lehnst jegliche vereinbarte Regel ab, da sich Deiner Ansicht nach daraus automatisch Herrschaft ergibt und Herrschaft ist für Dich per se schlecht.


Falsch, ich lehne Regeln ab, die erstens starr sind und zweitens mit Gewalt durchgesetzt werden bzw. die nur aus Gründen des Gehormsams eingehalten werden. Dann ist es Herrschaft.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was folgt nun daraus? Eine regel- und somit rechtlose Gesellschaft, das Recht des Stärkeren.


Die Folgerung ist schon mal falsch, da das Recht des Stärkeren wieder ein spezielles Recht ist und eben auch wieder Regeln einführt, nämlich die des Stärkeren. Somit kann das auch nicht der Zustand sein, den ich mir wünsche.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 26. Jan 2012, 15:53

Welchen Zustand wünschst Du Dir denn?
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