Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]
Verfasst: So 18. Dez 2011, 19:20
Aufgrund einer im Thema Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus aufgekommenen Diskussion, die den dortigen Rahmen sprengte, setze ich das Thema in einem separaten Thread fort. Es geht um die Ursachen von Gewalt und anderem kriminellen Verhalten sowie um das Justizsystem im Allgemeinen.
Zur Einleitung möchte ich zwei Texte vom bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken empfehlen, die ziemlich gut den Stand der Dinge analysieren:
http://www.fhuisken.de/gewalt.htm
http://www.fhuisken.de/Jugendgewalt.htm
Ansonsten werde ich hier einfach die Diskussion fortsetzen und es kann sich gerne einklinken wer möchte (zumindest das vorherige Lesen des Ursprungsthreads sei hier aber empfohlen).
Da braucht er mir nichts zu erklären, er sieht das aus der Brille der Politikwissenschaft, ich weiß wie diese Sicht aussieht, teile sie aber aus guten Gründen nicht, deswegen will ich gar nicht erklärt bekommen, was ich schon weiß.
Der Staat als Herrschaft legitimiert sich nunmal durch Gewalt, daran ändert auch eine Demokratie nichts (nicht solange der Begriff so unpräzise bleibt, weil es eben Formen gibt, die das verhindern, de facto aber nicht existieren und welche, die es nicht verhindern und davon haben wir einige), ebenso ändert auch die Gewaltenteilung nicht viel, da sich doch alle Parteien der Gewaltenteilung in einigen grundlegenden Dingen einig sind und dazu gehört auch, dass es Formen von Gewalt gibt, die in Ordnung sind.
Eine wirklich demokratische Gesellschaft müsste komplett auf Gewalt verzichten (was nicht heißt, dass keine Gewalt auftreten kann, aber sie würde sich in minimalem Rahmen halten und vor allem wäre sie immer abzulehnen!).
Doch, im Prinzip muss in dieser Gesellschaft, um bestehen zu können, jeder ein Boxer werden. Vielleicht nicht auf die direkte Art, aber auf gewisse Art schon. Und gleichzeitig wird einem gepredigt, dass solches Verhalten aber nicht in Ordnung sei (aber das nur dann, wenn es nicht mehr in dem vorgesehenen Rahmen bleibt).
Es geht außerdem nicht darum, ob man tatsächlich den Kampfsport Boxen ausüben muss, sondern es geht um die Idealisierung der dort getätigten Handlungen, die überall stattfindet. Ich muss diese Idealisierung sogar mit Zwangsgeldern unterstützen (GEZ). Also komm mir bitte nicht mit so was.
Das ist eine Illusion. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass Leute, die Kampfsportarten (und auch andere Sportarten, die damit verbundenen „Werte“ sind prinzipiell die gleichen, dabei sein ist eben nicht alles, sondern gewinnen um jeden Preis) ausführen eine viel niedrigere Hemmschwelle haben, auch außerhalb des für sie vorgesehenen Wettkampfes zuzuschlagen.
Dass es die immer noch vielfach gepriesene Katharsis gäbe ist längst widerlegt, nur kommt es bei den wenigsten an (weil es vielleicht auch gar nicht ankommen soll).
Wieso „inszenierte“ Gewalt? Es ist einfach Gewalt. Die Bewusstlosigkeit, in die jemand beim Boxen geprügelt wird, ist nicht inszeniert, die ist echt.
Ich sehe sie ja auch nicht als aussichtslos an, aber Du musst zu der Quelle hochgehen und Du wirst so oder so nicht alle retten können.
Dass der ganz durchtrennt ist, ist noch nicht gesagt, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, die Bedingungen, die ihn dazu gemacht haben, was er wurde, zu verändern (wenn auch nur für sich, selbst das geht nicht einfach ohne weiteres). Aber natürlich ist dieser Schritt deswegen nicht wertlos, aber er reicht alleine nicht.
Zurück zur Natur ist erstens Quatsch und zweitens unnötig, ebenso kommt Eigentum nicht von ungefähr, aber um zu bestimmen, was eigentlich Eigentum ist fehlen in sämtlichen politischen Diskussion bisher die Kriterien (Eigentum erklärt sich nämlich eigentlich aus der Beziehung, die jemand zu einer Sache hat, Eigentum eines einzelnen an Produktionsmitteln sind somit ziemlicher Quatsch, da jeder Arbeiter dazu auch eine Beziehung hat), Eigentum an sich zu verteufeln bringt aber auch nichts. Man muss auch nicht lieb zueinander sein, aber man sollte natürlich schon eine Wertschätzung dem anderen gegenüber haben, das geht aber auch nur, wenn man selbst wertgeschätzt wird.
Ich weiß wie die Welt vor fünf Jahren aussah und wie sie jetzt aussieht. Daraus kann ich schon ein paar Schlüsse ziehen. Ansonsten könnte man aus der Geschichte ja gar nichts lernen.
Stimmt schon, aber das trifft auf eine ganz schön große Menge von Menschen zu. Nur führt das nicht immer zu kriminellen Verhalten (das heißt Verstöße gegen aktuell geltende Gesetze). Das Problem lässt sich aber nicht lösen, wenn man es nur bei kriminellen angeht und dann auch nur, damit die ihre Neurosen anschließend gesetzestreu pflegen (ja, ich übertreibe hier ein wenig).
Das Problem geht tiefer. Dazu gleich mehr.
Das ist für die Therapeuten natürlich die einfachere Variante damit umzugehen. Es ist immer einfach etwas nicht zu können, weil es so schwer ist, dass es niemand können kann.
Allerdings frage ich mich dann, wozu ein Psychologe ein Studium braucht, wenn ein Jugendlicher, der wohl allem Anschein nach nichtmal besonders schlau ist, mal eben einfach sämtliche seiner Methoden durchschauen und umgehen kann. Dann kann ich da auch irgendwen hinsetzen.
Das schmerzt mich eigentlich weniger.
Das ist nur der falsche Grund für das Versagen der Therapeuten in dem geschilderten Fall.
Gut, die Definition akzeptiere ich, aber da muss ich wieder darauf pochen, dass fast alle Menschen unter Zwang handeln, es nur bei vielen einfach deswegen nicht stört, weil dadurch kein geltendes Recht übertreten wird oder sie sich sonst irgendwie trotzdem passend in die Gesellschaft einfügen können. Ist nicht sogar das Einfügen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung, obwohl man dem eigentlich kritisch gegenübersteht nicht selbst schon ein Zwang? Das trifft nämlich auf fast alle Menschen zu, die mir je begegnet sind (das sind eben die, die wir in einem anderen Thread hatten, die dauernd am Nörgeln sind, aber trotzem jeden Tag um 8:00 Uhr zur Arbeit fahren und sich den ganzen Tag bis zur Erschöpfung anstrengen, dafür zu sorgen, dass alles ja so bleibt, wie es ist).
Siehe oben.
Sollte er ja, aber hier gehst Du von einem Ideal aus. Es ist aber eben oft so, dass Menschen sich ihrer Lage bewusst sind und sich trotzdem keine Hilfe suchen (auch da kenne ich mehr als genug) und dann sollte man lieber fragen, warum sie das nicht tun, anstatt es damit abzutun, dass man ihnen dann halt nicht glaubt, dass sie von ihrer Situation wissen. Den Fehler machen aber die meisten (oder man sagt dann „Na ja, anscheinend will er es dann doch nicht wirklich, sonst würde er es ja tun.“).
Was aber, wenn der Punkt genau der ist, dass er (ohne es zu wissen) es gerade tut, weil es ihn entsetzt? Weil das Teil des „Spiels“ mit dem Verbot und dem dadurch ausgelösten Begehren ist?
Das Wissen darum, dass Gesetze/Verbote ein Begehren nach dem Brechen dieses Gesetzes produzieren, gibt es schon seit mindestens fast 2000 Jahren (siehe die Paulus-Briefe, wo es um die Sünde geht, die erst dadurch ermöglicht wird, dass es ein Verbot gibt). Aber trotzdem hat noch keine Gesellschaft die daraus resultierenden Konsequenzen gezogen. Auch das Christentum hat es nicht geschafft, ebenso wenig hat die sekuläre Version von Marx funktioniert (es ist bei einer Negation geblieben, die Negation der Negation ist ausgeblieben).
Nein. Sonst hätte ich andere Gründe genannt. Ich meine immer genau das, was ich sage. Es kann höchstens zu Missverständnissen kommen.
Ich weiß ja nicht, wann Du zur Schule gegangen bist, aber bei meinen älteren Freunden sah es nicht so viel anders aus als jetzt.
Der Stress ist nicht nur deswegen umsonst. Die Menschen brauchen ja nicht mal Arbeitsplätze, so wie sie jetzt definiert sind. Es sei denn jemand hat das Interesse, dass die Menschen (kontrolliert) beschäftigt sind, selbst wenn dieser Jemand nichts weiter als eine „Allgemeinheit“ ist (also einfach nur die Idee in vielen Köpfen rumspukt, es müsse so sein, ohne dass es jemanden gibt, der aktiv diese Idee vorantreibt).
Nein, nicht genügend. Es geht mir auch nicht nur darum, es theoretisch in Frage zu stellen, sondern auch in der Praxis. Und spätestens da hört es auf (es besteht oft nichtmal die Bereitschaft dazu, oder jemand müsste für die erst alles so weit organisiert haben, dass eine Verweigerung ganz angenehm möglich ist, ohne dass auf irgendwelche Bequemlichkeiten verzichtet werden müsste und darauf kann man warten bis zum Sanktnimmerleinstag).
Vor allem ist es wichtig, das wirklich eindringlich zu tun. Wenn wir die Handlung eines Kriminellen moralisch verurteilen, dann müssen wir explizit und nicht nur implizit alle anderen mit verurteilen, die ebenso handeln, dies aber im Rahmen des Gesetzes tun. Das wird eben kaum gemacht.
Ich habe nichts gegen die Welt. Meine Kritik betrifft ganz klar bestimmte Institutionen und Ideologien. Mit der Welt als solcher bin ich eigentlich zufrieden.
Ich habe es schon gefühlte 10 Milliarden mal hier erklärt, werde es aber gerne noch mal tun. Es geht mir nicht darum, eine Utopie zu verbreiten oder irgendeine Revolution anzustacheln. Das habe ich auch nirgends in einem einzigen Satz erwähnt, dass ich das vorhätte. Man kann auch einfach unzufrieden mit etwas sein, ohne die Welt gleich retten zu wollen.
Andererseits muss es klar sein, dass heutzutage die einzige Utopie eigentlich die ist, zu wollen, dass es so weitergeht wie bisher.
Es gibt aber auch noch vieles zwischen Revolution und alles so erhalten, wie es ist. Es gibt ja die Möglichkeit der schrittweisen Veränderung, das haben ja sogar einige Marxisten inzwischen begriffen (jedenfalls seit Althusser). Die kann aber nicht stattfinden, wenn man nicht nach Ursachen guckt, sondern nur Symptome behandelt.
Zur Einleitung möchte ich zwei Texte vom bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken empfehlen, die ziemlich gut den Stand der Dinge analysieren:
http://www.fhuisken.de/gewalt.htm
http://www.fhuisken.de/Jugendgewalt.htm
Ansonsten werde ich hier einfach die Diskussion fortsetzen und es kann sich gerne einklinken wer möchte (zumindest das vorherige Lesen des Ursprungsthreads sei hier aber empfohlen).
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Na ja, Polizisten, Soldaten etc. üben Gewalt im Namen des Staates aus, weswegen das in Ordnung ist. In der Gewaltausübung selbst ist aber kein Unterschied, auch in der „Gewaltbereitschaft“ nicht. Hier wird also nur durch das Recht des Stärkeren die Gewalt legitimiert (weil der Staat am Ende immer der Stärkere ist).
Nö, aber das ist ein anderes Thema, was Dir Nanna vermutlich besser erklären kann.
Da braucht er mir nichts zu erklären, er sieht das aus der Brille der Politikwissenschaft, ich weiß wie diese Sicht aussieht, teile sie aber aus guten Gründen nicht, deswegen will ich gar nicht erklärt bekommen, was ich schon weiß.
Der Staat als Herrschaft legitimiert sich nunmal durch Gewalt, daran ändert auch eine Demokratie nichts (nicht solange der Begriff so unpräzise bleibt, weil es eben Formen gibt, die das verhindern, de facto aber nicht existieren und welche, die es nicht verhindern und davon haben wir einige), ebenso ändert auch die Gewaltenteilung nicht viel, da sich doch alle Parteien der Gewaltenteilung in einigen grundlegenden Dingen einig sind und dazu gehört auch, dass es Formen von Gewalt gibt, die in Ordnung sind.
Eine wirklich demokratische Gesellschaft müsste komplett auf Gewalt verzichten (was nicht heißt, dass keine Gewalt auftreten kann, aber sie würde sich in minimalem Rahmen halten und vor allem wäre sie immer abzulehnen!).
Vollbreit hat geschrieben:Locker bleiben, niemand muss Boxer werden.
Doch, im Prinzip muss in dieser Gesellschaft, um bestehen zu können, jeder ein Boxer werden. Vielleicht nicht auf die direkte Art, aber auf gewisse Art schon. Und gleichzeitig wird einem gepredigt, dass solches Verhalten aber nicht in Ordnung sei (aber das nur dann, wenn es nicht mehr in dem vorgesehenen Rahmen bleibt).
Es geht außerdem nicht darum, ob man tatsächlich den Kampfsport Boxen ausüben muss, sondern es geht um die Idealisierung der dort getätigten Handlungen, die überall stattfindet. Ich muss diese Idealisierung sogar mit Zwangsgeldern unterstützen (GEZ). Also komm mir bitte nicht mit so was.
Vollbreit hat geschrieben:Gewalt fasziniert und Boxen und Co. sind ritualisierte und reglementierte Formen von inszenierter Gewalt, ausgeübt von Menschen die das freiwillig machen. Das wird ja nicht verherrlicht, sondern ritualisiert und im Grunde ist das kein schlechter Weg mal mit den „niederen“ Trieben in sich selbst in Kontakt zu kommen und sich einzugestehen, dass einen Gewalt auch fasziniert. Wenn man das weiß, kann man vielleicht sogar bewusster damit umgehen.
Das ist eine Illusion. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass Leute, die Kampfsportarten (und auch andere Sportarten, die damit verbundenen „Werte“ sind prinzipiell die gleichen, dabei sein ist eben nicht alles, sondern gewinnen um jeden Preis) ausführen eine viel niedrigere Hemmschwelle haben, auch außerhalb des für sie vorgesehenen Wettkampfes zuzuschlagen.
Dass es die immer noch vielfach gepriesene Katharsis gäbe ist längst widerlegt, nur kommt es bei den wenigsten an (weil es vielleicht auch gar nicht ankommen soll).
Wieso „inszenierte“ Gewalt? Es ist einfach Gewalt. Die Bewusstlosigkeit, in die jemand beim Boxen geprügelt wird, ist nicht inszeniert, die ist echt.
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du das ernst? Symptome mit Symptomen bekämpfen? Au weia …
Es gibt da so eine schöne Analogie mit einem Fluss in dem ein Baby rumtreibt, das wohl jemand da ausgesetzt hat. Wenn Du das siehst, wirst Du wahrscheinlich beschließen, es retten zu wollen. Nur blöderweise kommen, sobald Du es gerettet hast, zwei weitere Babys angeschwommen. Und so geht es immer weiter und es werden immer mehr, sodass Du schon bald nicht mehr in der Lage sein wirst alle zu retten. Wirst Du weiter versuchen, so viele Babys wie möglich aufzufangen oder wäre es vielleicht besser, da die Situation so ohnehin aussichtslos ist, den Fluss weiter hoch zu laufen und festzustellen, was die Ursache dafür ist und die Sache dort zu stoppen (also dafür zu sorgen, dass keine Babys mehr in den Fluss geworfen werden)?
Ich sehe die Lage nicht (aus diesen Gründen) als aussichtslos an.
Ich sehe sie ja auch nicht als aussichtslos an, aber Du musst zu der Quelle hochgehen und Du wirst so oder so nicht alle retten können.
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Du einen Menschen therapiert hast, verhindert das aber nicht, dass der nächste wieder zu einem solchen „Monster“ wird und auch wieder eine Therapie braucht.
Doch, der Millersche Knoten ist an einer Stelle durchtrennt.
Der Rest wäre ein politischer Ansatz, der der Idee folgt, Gewalt wäre vollkommen einzudämmen, wenn man lieb zu einander ist, es kein Eigentum mehr gibt, wir alle wieder zurück zur Natur kommen und was sonst noch so auf der Agenda steht.
Dass der ganz durchtrennt ist, ist noch nicht gesagt, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, die Bedingungen, die ihn dazu gemacht haben, was er wurde, zu verändern (wenn auch nur für sich, selbst das geht nicht einfach ohne weiteres). Aber natürlich ist dieser Schritt deswegen nicht wertlos, aber er reicht alleine nicht.
Zurück zur Natur ist erstens Quatsch und zweitens unnötig, ebenso kommt Eigentum nicht von ungefähr, aber um zu bestimmen, was eigentlich Eigentum ist fehlen in sämtlichen politischen Diskussion bisher die Kriterien (Eigentum erklärt sich nämlich eigentlich aus der Beziehung, die jemand zu einer Sache hat, Eigentum eines einzelnen an Produktionsmitteln sind somit ziemlicher Quatsch, da jeder Arbeiter dazu auch eine Beziehung hat), Eigentum an sich zu verteufeln bringt aber auch nichts. Man muss auch nicht lieb zueinander sein, aber man sollte natürlich schon eine Wertschätzung dem anderen gegenüber haben, das geht aber auch nur, wenn man selbst wertgeschätzt wird.
Vollbreit hat geschrieben:Denn wie die Welt in 5 Jahren aussieht, weißt Du’s?
Ich weiß wie die Welt vor fünf Jahren aussah und wie sie jetzt aussieht. Daraus kann ich schon ein paar Schlüsse ziehen. Ansonsten könnte man aus der Geschichte ja gar nichts lernen.
Vollbreit hat geschrieben:Das beschreibt einen Menschen, der ziemlich von seinen momentanen Affekten gesteuert ist und damit nach der Definition der Kompatibilisten unfrei ist. Der kann nicht innehalten und überlegen.
Die Psychotherapeuten würden das ähnlich deuten.
Stimmt schon, aber das trifft auf eine ganz schön große Menge von Menschen zu. Nur führt das nicht immer zu kriminellen Verhalten (das heißt Verstöße gegen aktuell geltende Gesetze). Das Problem lässt sich aber nicht lösen, wenn man es nur bei kriminellen angeht und dann auch nur, damit die ihre Neurosen anschließend gesetzestreu pflegen (ja, ich übertreibe hier ein wenig).
Vollbreit hat geschrieben:Die Ursache wäre hier die Fähigkeit eine Affektkontrolle zu etablieren, psychologisch ausgedrückt ein stabiles Ich auszubilden.
Das Problem geht tiefer. Dazu gleich mehr.
Vollbreit hat geschrieben:Das ist eine mögliche Deutung, eine andere ist, dass es Menschen gibt, die ungeheuer geschickt täuschen können, so geschickt, dass auch viele Therapeuten und Gutachter nicht dahinter kommen.
Das ist für die Therapeuten natürlich die einfachere Variante damit umzugehen. Es ist immer einfach etwas nicht zu können, weil es so schwer ist, dass es niemand können kann.
Allerdings frage ich mich dann, wozu ein Psychologe ein Studium braucht, wenn ein Jugendlicher, der wohl allem Anschein nach nichtmal besonders schlau ist, mal eben einfach sämtliche seiner Methoden durchschauen und umgehen kann. Dann kann ich da auch irgendwen hinsetzen.
Vollbreit hat geschrieben:Zu wissen, dass es Menschen gibt, die so ticken, heißt nicht, dass man sie im Zweifel auch erkennt.
(Auch wenn es ganz gute Kriterien gibt und Menschen, die diese besser und schlechter erkennen.)
Das heißt aber nur, dass man die Welt nicht in allen Belangen im Griff hat und das ist wohl auch so, auch wenn es schmerzlich ist, sich das einzugestehen.
Das schmerzt mich eigentlich weniger.
Das ist nur der falsche Grund für das Versagen der Therapeuten in dem geschilderten Fall.
Vollbreit hat geschrieben:Das ist ziemlich genau die Definition für Zwang.
„Zwang“ heißt, ich weiß, dass es Unsinn (oder schlecht) ist, muss es aber tun.
Es bei Gelegenheit zu erkennen, dass es Unsinn ist und in anderen Situationen dann doch zu glauben, es sei rational die 50 mal am Tag die Hände zu waschen, schließlich sind überall Bakterien, nennt man „überwertige Idee“.
Vollkommen überzeugt zu sein, dass man das einzig Richtige tut ohne Möglichkeit, dass jemand zu einem durchdringt, so dass man noch mal kritisch prüfen und zeigen kann, dass man die Gegenargumente verstanden hat (man muss sie nicht teilen, nur verstehen), wird als „Wahn“ bezeichnet
Gut, die Definition akzeptiere ich, aber da muss ich wieder darauf pochen, dass fast alle Menschen unter Zwang handeln, es nur bei vielen einfach deswegen nicht stört, weil dadurch kein geltendes Recht übertreten wird oder sie sich sonst irgendwie trotzdem passend in die Gesellschaft einfügen können. Ist nicht sogar das Einfügen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung, obwohl man dem eigentlich kritisch gegenübersteht nicht selbst schon ein Zwang? Das trifft nämlich auf fast alle Menschen zu, die mir je begegnet sind (das sind eben die, die wir in einem anderen Thread hatten, die dauernd am Nörgeln sind, aber trotzem jeden Tag um 8:00 Uhr zur Arbeit fahren und sich den ganzen Tag bis zur Erschöpfung anstrengen, dafür zu sorgen, dass alles ja so bleibt, wie es ist).
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Er kennt auch die Folgen, aber tut es trotzdem. Und die Triebe sind ihm, wenn er darüber nachdenkt, nicht wichtiger, weil er genau weiß, dass es nur ein kurzer Moment einer Befriedigung ist, und was er dafür aufs Spiel setzt. Mag sein, dass das eine Zwangshandlung ist, aber dann sind fast alle Handlungen, die die Menschen jeden Tag so machen solche Zwangshandlungen.
Wieso denn das?
Siehe oben.
Vollbreit hat geschrieben:Damit entwertet er ja vollkommen seine Frau. Ein echtes Entsetzen darüber würde ich einem spätestens nach dem zweiten Mal nicht mehr abnehmen. Wer entsetz über sich ist, sollte sich helfen lassen und nicht erneut zuschlagen.
Sollte er ja, aber hier gehst Du von einem Ideal aus. Es ist aber eben oft so, dass Menschen sich ihrer Lage bewusst sind und sich trotzdem keine Hilfe suchen (auch da kenne ich mehr als genug) und dann sollte man lieber fragen, warum sie das nicht tun, anstatt es damit abzutun, dass man ihnen dann halt nicht glaubt, dass sie von ihrer Situation wissen. Den Fehler machen aber die meisten (oder man sagt dann „Na ja, anscheinend will er es dann doch nicht wirklich, sonst würde er es ja tun.“).
Was aber, wenn der Punkt genau der ist, dass er (ohne es zu wissen) es gerade tut, weil es ihn entsetzt? Weil das Teil des „Spiels“ mit dem Verbot und dem dadurch ausgelösten Begehren ist?
Das Wissen darum, dass Gesetze/Verbote ein Begehren nach dem Brechen dieses Gesetzes produzieren, gibt es schon seit mindestens fast 2000 Jahren (siehe die Paulus-Briefe, wo es um die Sünde geht, die erst dadurch ermöglicht wird, dass es ein Verbot gibt). Aber trotzdem hat noch keine Gesellschaft die daraus resultierenden Konsequenzen gezogen. Auch das Christentum hat es nicht geschafft, ebenso wenig hat die sekuläre Version von Marx funktioniert (es ist bei einer Negation geblieben, die Negation der Negation ist ausgeblieben).
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, die Alternative wäre mal über die Prämissen der Therapie grundsätzlich nachzudenken und nicht der Wirklichkeit dafür die Schuld zu geben, dass die Theorie sich mit ihr nicht ganz verträgt.
Ich glaube Deine deutlich spürbare Empörung hat hier andere Gründe.
Nein. Sonst hätte ich andere Gründe genannt. Ich meine immer genau das, was ich sage. Es kann höchstens zu Missverständnissen kommen.
Vollbreit hat geschrieben:Zu meiner Zeit war die Stimmung eine andere.
Ich weiß ja nicht, wann Du zur Schule gegangen bist, aber bei meinen älteren Freunden sah es nicht so viel anders aus als jetzt.
Vollbreit hat geschrieben:Tendenziell geht es heute in die Richtung, das sehe ich auch so.
Unberechtigterweise übrigens Arbeitsplätze gibt es genung (und bald immer mehr) der Stress ist umsonst, aber leider real.
Der Stress ist nicht nur deswegen umsonst. Die Menschen brauchen ja nicht mal Arbeitsplätze, so wie sie jetzt definiert sind. Es sei denn jemand hat das Interesse, dass die Menschen (kontrolliert) beschäftigt sind, selbst wenn dieser Jemand nichts weiter als eine „Allgemeinheit“ ist (also einfach nur die Idee in vielen Köpfen rumspukt, es müsse so sein, ohne dass es jemanden gibt, der aktiv diese Idee vorantreibt).
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:[…] Aber das Ideal des Konkurrenzkampfes, zu dem alle Menschen hinerzogen werden sollen, wird nicht in Frage gestellt und das ist das eigentliche Problem.
Doch, Du tust es ja, mit Dir genügend andere, dieser Teil der Diskussion ist für mich wie ein déjà vu.
Nein, nicht genügend. Es geht mir auch nicht nur darum, es theoretisch in Frage zu stellen, sondern auch in der Praxis. Und spätestens da hört es auf (es besteht oft nichtmal die Bereitschaft dazu, oder jemand müsste für die erst alles so weit organisiert haben, dass eine Verweigerung ganz angenehm möglich ist, ohne dass auf irgendwelche Bequemlichkeiten verzichtet werden müsste und darauf kann man warten bis zum Sanktnimmerleinstag).
Vollbreit hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Man muss aber weitergehen und es auch auf der Ebene moralisch ächten, wo es als Legitim gilt. Wir müssen den kapitalistischen Arbeitsmarkt ächten, wir müssen Gewaltmonopole ächten usw.
Aber nicht im Affekt und aus der Hüfte, ansonsten, durchaus.
Vor allem ist es wichtig, das wirklich eindringlich zu tun. Wenn wir die Handlung eines Kriminellen moralisch verurteilen, dann müssen wir explizit und nicht nur implizit alle anderen mit verurteilen, die ebenso handeln, dies aber im Rahmen des Gesetzes tun. Das wird eben kaum gemacht.
Teh Asphyx hat geschrieben:Ach, Mist, das hatte ich jetzt vergessen, dass Du das vorgeschlagen hattest und habe jetzt schon auf das Zeug geantwortet. Wir können das aber gerne ab jetzt woanders fortsetzen, ich habe nur gerade keine Idee, wie ich so ein Thema nennen soll.
Vollbreit hat geschrieben:„Was mir an der Welt nicht passt“? ;)
Ich habe nichts gegen die Welt. Meine Kritik betrifft ganz klar bestimmte Institutionen und Ideologien. Mit der Welt als solcher bin ich eigentlich zufrieden.
Vollbreit hat geschrieben:Ich bin ab morgen ohnehin erst mal wieder offline, aber für die ganz ganz großen Räder, kann man sich ja Zeit lassen. Wenn wir den Weltrettungsplan dann haben, müssen wir nur noch die restlichen 7 Milliarden überzeugen. Da aber vielleicht schon wir schwer auch einen Nenner kommen, haben politischen Utopisten die unangenehme Neigung auf den Prozess der demokratischen Willensbildung großzügig – im Dienste der guten Sache – zu verzichten und totalitär den anderen – zu ihrem „Besten“ – das was „richtig ist“ überzustülpen.
Du müsstest eigentlich sehr große Empathie für Religionen haben.
Ich habe es schon gefühlte 10 Milliarden mal hier erklärt, werde es aber gerne noch mal tun. Es geht mir nicht darum, eine Utopie zu verbreiten oder irgendeine Revolution anzustacheln. Das habe ich auch nirgends in einem einzigen Satz erwähnt, dass ich das vorhätte. Man kann auch einfach unzufrieden mit etwas sein, ohne die Welt gleich retten zu wollen.
Andererseits muss es klar sein, dass heutzutage die einzige Utopie eigentlich die ist, zu wollen, dass es so weitergeht wie bisher.
Es gibt aber auch noch vieles zwischen Revolution und alles so erhalten, wie es ist. Es gibt ja die Möglichkeit der schrittweisen Veränderung, das haben ja sogar einige Marxisten inzwischen begriffen (jedenfalls seit Althusser). Die kann aber nicht stattfinden, wenn man nicht nach Ursachen guckt, sondern nur Symptome behandelt.