Lumen hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:@ Lumen:
Ah, siehst Du Dich wieder genötigt in Deine albernen paranoiden Phantasien zu flüchten? Was genau verlangst Du denn von mir? Wie kann ich Dir etwas zeigen, was Du nicht sehen willst oder kannst? Andere sehen es. Frag nach.
Welche "paranoiden Phantasien" willst du denn entdeckt haben, in meinem ach so wackelnden Weltbild? Nichts von dem, was du von Dawkins zitierst, stellt irgendeine Überraschung dar. Bei aller Polemik: Verfolgungswahn sehe ich in meiner Antwort nicht.
Um darauf mal eine ernsthafte und nicht polemische Antwort zu geben:
Paranoia bedeutet zwar auf der einen Seite Verfolgungswahn, das stimmt schon, aber nur bei einer paranoiden Schizophrenie, denkt man der Nachrichtensprecher gäbe einem Zeichen und der CIA würde Giftgas durch die Steckdosen leiten.
Ansonsten hat Paranoia ein stark moralisierendes Element, man fühlt sich (und meistens ein Clübchen Gleichgesinnter) als zu den letzten Auserwählten gehörend, die noch Anstand haben und die Welt vor der Dummheit, Verbohrtheit und Feigheit retten wollen. Das hast Du schon drauf.
Der andere Punkt, der mich immer wieder stutzig macht, ist die Beschreibung dessen, was die religiösen Weltverschwörer Deiner Meinung nach motiviert. Das schwappt bei Dir schnell in einen sehr emotionalen Bereich, in dem Du die Emotionslage der anderen antizipierst.
Leider ist genau das typisch für die projektive Identifikation, das ist die Vorform einer Projektion.
Bei einer Projektion hat man das Gefühl mit einem Thema wirklich nichts mehr zu tun zu haben.
Man ist zwar davon genervt oder irritiert, dass die Welt immer so aggressiv oder sexbesessen oder sonst etwas ist, aber sieht sich im Grunde als leuchtendes Beispiel, dass es doch auch anders geht, man kann wirklich die Motive des anderen nicht verstehen – sie sind verdrängt. (Mit dem Thema habe ich nichts zu tun.)
Bei der projektiven Identifikation gelingt dieser Schritt nur halb. Der kognitive Anteil wird projiziert, der affektive nicht. Anders als bei der Verdrängung ist der Inhalt bei projektiven Identifikation so gut wie immer Aggression (und nicht Sexualität). D.h. im Erleben meint man zu wissen, was der andere im Schilde führt, man weiß, dass der nur trickst und taktiert, man weiß, könnte der nur, wie der wollte, dann würde er… , man weiß, was ihn insgeheim motiviert. Dass man es dabei selbst ist, den man betrachtet, die eigenen Aggressionen, wird nicht erkannt - es ist verleugnet. (Die Gefühle sind da, aber es sind die der anderen, das weiß ich, nicht meine.)
So kommen dann einige Elemente zusammen, ein leicht grandioses Wissen über die tatsächlichen Zusammenhänge, eine Weltverbesserungsattitüde (wenn keiner warnt, ist alles verloren), eine wahlweise Überhöhung oder Verächtlichmachung des Feindes, der irgendwie dumm, aber gerissen ist (oder übermächtig, aber man stellt sich) und der wichtigste Punkt ist Misstrauen: tiefes umfassendes Misstrauen, manchmal nur projiziert auf den Feind, oft auch gegen andere, aus der eigenen Familie, den Chef und so weiter. Naja, müsste als gröbste Skizze reichen. Nun weiß ich natürlich nicht, was wirklich mit Dir los ist, aber vielleicht kannst Du es selbst ganz gut (nichtöffentlich) einschätzen.
Lumen hat geschrieben:Offenbar stellt es für die Herrn Theologen-Philosophen eine unüberwindbare konzeptionelle Anstrengung dar, sich vorzustellen, dass Beine eine notwendige Voraussetzung zum Laufen sind, das Vorhandensein von Beinen aber noch kein Laufen-Sollen impliziert, und es den Genen vollkommen egal ist, ob mit den Beinen gelaufen wird, oder nicht.
Und Du meinst wirklich, dass das hier jemanden intellektuell überfordert, zu erkennen, dass man zum Laufen Beine braucht?
Ein Sollen ist ohnehin immer nur eine moralische Forderung, die aus einem intersubjektiven Diskurs erwächst, ansonsten erkennen die meisten hier einen naturalistischen Fehlschluss.
Lumen hat geschrieben:Es werden auch beim Nachwuchs Beine wachsen, auch wenn die Art mittlerweile lieber schwimmt. Ein denkendes Wesen wie der Mensch, kann seinen Fortsätzen den Namen "Bein" geben und darüber sinnieren, ob man lieber laufen sollte, oder lieber gehen. Es ist sowohl dem Bein, als auch den Genen egal, ob Laie in einer anderen Kultur geboren wurde und "Beine" gar nicht kennt, sondern die Glieder in "Oberstummel" (für beide Oberschenkel mit Knie) und "Unterstummel" (für alles unterhalb Knie) unterscheidet und das Singular "halber Oberstummel Rechts" lautet. Es können spezialisierte Pedologie-Philosophen darüber sinneren, unter welchen Umständen gelaufen werden soll, und wann gehen oder gar krabbeln besser wären.
Zeigt, dass Du von der Tätigkeit der Philosophen wenig verstehst, scheint hier irgendwie ein durchgehendes Minderwertigkeitsgefühl zu sein, dass dann durch aggressiv verzerrte Darstellung kompensiert wird.
Dass Biologen sich ausgerechnet dadurch als die besseren Philosophen (und Staatsrechtler, Psychologen usw. gleich mit) ausweisen, wird wohl niemand ernsthaft glauben.
Lumen hat geschrieben:Den Genen wird es egal sein. Vom Biologie-Standpunk ist es egal, was ein Pedologe durch scharfes Nachdenken herausgefunden hat. Denn vom Laufen-Sollen wird Nichts hinzugefügt, oder abgezogen, was auch immer die Gene egoistischerweise davon halten. Oder umgekehrt, auch jede Philosophie wird nicht umhin kommen, und festellen, dass es Beine gibt und damit oft gelaufen wird.
Ich habe nichts gegen die Sichtweise der Biologen, im Gegenteil finde ich sie sogar ausgesprochen interessant. Ich habe nur etwas gegen den Trend zur biologisierenden Ausdeutung von allem und jedem in der Welt. Jenseits von Binsenweisheiten und Reduktionismen erklärt uns die Biologie nämlich nicht wirklich viel über unser Sosein. Was heißt es denn nun wirklich, wenn schon der Putzerfisch kooperiert? Dass Kooperation angeboren ist? Na prima, lassen wir doch die Erziehung fallen, wenn alles, was wir zum Leben brauchen uns durch die schrittweise Optimierung der Evolution bereits gegeben ist, toll. Oder stellt sich da vielleicht noch die eine oder andere Frage, etwa die, ob man in allen Fällen und mit allen kooperieren sollte.
Wenn Mutter Natur uns auch da die letzte Weisheit in Gehirn geschrieben hat und die lautet, dass man nur dann kooperiert, wenn man Vorteile davon hat, durch Verwandtschaft, Gegenleistungen, Selbstdarstellung, ansonsten regiert der Egoismus, was machen Banker denn dann eigentlich falsch?
Wir sind nicht auf Arterhalt programmiert, sondern auf Egoismus, welche Gene sich am Ende durchsetzen, ist der Natur egal, wie Du weißt.
Nur uns, Lumen, kann es nicht egal sein und da stellt sich die Frage nach dem Sollen überhaupt erst. Und, allein die Tatsache, dass sie sich stellt, zeigt bereits, dass der Mensch mindestens mal die grobe Idee hat, dass er auch anders kann, oder in Zukunft könnte. Wir stellen uns nicht die Frage, wie wir unsere natürlichen Flugtechniken verbessern, da wir keine haben. Wir stellen uns aber ethische Fragen.
Und es stellt sich noch eine andere Frage, nämlich die, nach dem Verhältnis von unserem Wollen zu unseren Genen oder allgemein biologischen Vorgaben. Das ist ja auch genau die Frage die Dawkins beschäftigt und die Intuition mag ja noch honorig sein, die Durchführung ist technisch völlig misslungen. Das sind einfach dicke Widersprüche und jeder der geübt ist, solche zu sehen, der kann und wird sie sehen.
Lumen hat geschrieben:Dabei haben Pedologen ja durchaus ihre Berechtigung. Aber sie arbeiten mit der Vorausetzung, dass es Beine gibt. Ohne Beine keine Pedologen, ohne Auge kein Optiker, ohne moralisches Empfinden keine Moral-Philosophen. Irgendwer hat also die Aufgabe, festzustellen, warum es Beine, Augen, Moralempfinden/Empathie gibt.
Es ist nicht das Problem die Wurzeln des Moralempfindens zu ergründen, das ist sogar interessant. Das Problem ist, so zu tun, als hätten die 10.000de Jahre danach, als wir nicht mehr in der Affenhorde zusammenhockten uns Blätter ins Maul stopften und von den Bäumen kackten, gar nicht stattgefunden. Warum meint Dawkins, sollte man hier einen direkten Kurzschluss von der Moral der Primatenhorden zu un ziehen, während Du Dich ein ums andere Mal über die moralische Unangemssenheit der bronzezeitlichen Einstellung erregst. Wenn das so ein schlechtes Spiel ist, warm sollte es besser werden, wenn man noch mal 50.000 Jahre zurück geht?
Inzwischen haben sich alle möglichen Leute sehr viele Gedanken über Recht, Moral und so weiter gemacht, ehrlich gesagt um einiges gehaltvollere, als die sehr dünne Suppe, die Dawkins da abliefert und die einzige Begründung die er anbietet, ist die Frage, warum das Programm des Putzerfisches heute nicht mehr in uns aktiv sein sollte.
Philosophen würden das nicht zurückweisen, sondern sagen: Okay, lasst uns doch mal schauen, was es bedeuten würden, wenn der Putzerfisch oder der Steinzeitprimat noch in uns steckt. Was folgt daraus und was nicht? Und dass unser Denken
einzig und allein von unserer Biologie abhängig wäre läuft auf einen Determinismus raus, den Dawkins leugnet. Was also soll uns das alles sagen?
Wenn Du eine Antwort weißt, schreib sie hin.
Lumen hat geschrieben:Ein Mensch mit Empathie und Spiegelneuronen usw. hat zudem kein Wissen von "zahlt sich aus", wir kalkulieren auch nicht "werde Dopmin als Belohnung erhalten" wenn wir wem helfen. Wenn diese Tatsachen aber aus eurer Sicht den Altruismus-Begriff zerstört, dann sei es eben so.
Wieso sollten Spiegelneuronen den Altruismus-Begriff zerstören, wie kommst Du immer auf solche absurden Ableitungen? Du hast weniger Ahnung von den Geisteswissenschaften als Du selbst meinst. Niemand in der Philosophie hat ein ernsthaftes Problem damit, man ist doch ja in jede Hinsicht ungeheuer pragmatisch geworden, hast Du mal Metzinger gehört oder überhaupt mal irgendwelche philosophischen Debatten der letzten Zeit verfolgt?
Lumen hat geschrieben:Davon abgesehen hat es sich bestimmt auch Philosophen-Theologen-Turm herumgesprochen, dass Tiere andere Tiere jagen und töten, um selbst zu überleben. Ich weiß, ist schlimm. Egoistische Biester aber auch!
Was phantasierst Du da wieder? Es hatte eigentlich kaum je ein Philosoph ernste Zweifel daran, dass der Mensch nicht seiner „Natur“ nachgehen und nachgeben sollte, nicht mal Rousseau. Das Thema liegt schon seit den alten Griechen bei den Akten.
Was Du nicht erkennst, ist der neue Zug, der durch die Biologisierung in die Diskussion gekommen ist. Nicht die Aggression oder Gier oder der Egoismus des Menschen stand ja in Frage – wofür sonst hat man denn Ver- und Gebote und dergleichen aufgestellt? – sondern die Biologie hat die Ansicht frontal attackiert, dass der Mensch irgendwas daran ändern könne.
Denn unisono haben einige Evolutionsbiologen und Neurologen den Menschen mit ihren Mitteln der Biologie untersucht und offenbar erstaunt festgestellt, dass der Mensch, mit dieser Brille betrachtet, von Anfang bis Ende ein biologisches Wesen ist, eine reines Naturprodukt. Und weil die Natur eben nicht auf Gründe und Argumente hört, sondern nur Ursachen kennt, ist man zu dem Schluss gekommen, dass auch das Naturprodukt Mensch, einzig und allein mit und durch Ursachen funktionieren kann. Elektrochemische Entladungen im Hirn und alles was dahin führte erklärt die Evolutionsbiologie. Ein optimiertes Programm, vom Einzeller über den Putzerfisch zum Menschen.
Gründe tauchen da nicht auf. Freier Willen, taucht da auch nicht auf. Ein Ich? Wir sehen nur Hirnzellen, keinen Homunkulus. Unser Antrieb: Egoismus, durch die Gene motiviert. Eine Seele? Lächerlich. Würde? Konnte man auch nicht finden.
Die Frage ist schlicht und einfach, ob es legitim ist, die gesamte Kultur in biologische Funktionsabläufe zu pressen und ob dabei am Ende irgendetwas Gehaltvolles rauskommt.
Nachdem man wohl anfangs verdutzt war, dass studierte Menschen im 21. Jahrhundert diesen primitiven Mist wirklich ernst meinen können, haben sich dann die Reihen geschlossen und man hat die Argumente der Biologenschar untersucht und dort wo es angemessen war, nach allen Regeln der Kunst zerpflückt, so das heute im Grunde niemand mehr die lautsprechenden Neurobiologen ernst nimmt, Herr Roth, ist inzwischen Kompatibilist, Herr Singer ist stiller geworden, über Dawkins schrieb Sloterdijk:
Peter Sloterdijk hat geschrieben:… - sofern man die Sommerlochoffensive der Gottlosen von 2007 außer Betracht lässt, der wir zwei der oberflächlichsten Pamphlete der jüngeren Geistesgeschichte verdanken; gezeichnet Christopher Hitchens und Richard Dawklins.
(P.Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern!, Suhrkamp, 2009, S.9)
Du kannst es ja halten wie Du willst und niemand ist verpflichtet sich für Philosophie oder Religion zu interessieren, nur wenn man es tut und ernsthaft glaubt, sich der Philosophie oder der Religion am besten über den Weg der Biologie nähern zu können, ist man verraten und verkauft und heraus kommt nichts als reduktionistischer Mist.