Die Konsenstheorie der Wahrheit

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » So 25. Nov 2012, 16:59

Vollbreit hat geschrieben:Die Konsenstheorie macht das Angebot, Wahrheit als das zu sehen, was die Gemeinschaft der Wissenden als wahr erachtet.


Das Zirkularitätsproblem dieser Definition besteht darin, dass das zu Definierende ("wahr"/"Wahrheit") im Definierenden vorkommt ("als wahr erachtet").
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 15:02

ujmp hat geschrieben:Das ist trivial, aber für eine Definition von "Wahrheit" irrelevant. Versteh es mal so: Es geht um zwei voneinander unabhängige Behauptungen: 1) "Schee ist rot, das ist wahr" und 2) "Die Aussage 'Schnee ist rot, das ist wahr" ist falsch". Es mag ja sein, dass "Schee ist rot, das ist wahr" und "Schnee ist rot" dasselbe meinen. Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass sich Aussagen in zwei Klassen teilen lassen, nämlich in die Klasse der wahren und die der falschen Aussagen.


Du vermischst hier zwei Dinge.
Zum einen handelt es sich bei der Aussage: „Schnee ist weiß“ um eine Behauptung, die von einem Sprecher aufgestellt wurde. Dieses Szenario ist bereits eine Behauptung und enthält damit implizit den Anspruch wahr zu sein, sonst würde man es schlicht nicht behaupten.
Alle Zusätze der Form: „Ich bin überzeugt, dass x und glaube fest daran, dass es wahr ist, was ich sagen“ fügen der Aussage vielleicht einen emotional verstärkenden Aspekt zu, aber an der logischen Form, dass x ändert es nichts.

Nun kann man auch Behauptungen aufstellen die falsch sind. Stellt man sie auf, ist man ja dennoch überzeugt, dass sie richtig sind, sonst würde man sie nicht aufstellen oder einschränken durch ein, „Ich glaube, dass…“ „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber…“ „Vermutlich…“.

Zweitens: Dass die Aussage „Schnee ist rot“ falsch ist, wäre die Überzeugung dessen, der auf die Aussagen „Schnee ist rot“ reagiert oder antwortet. Der würde sagen, dass dieser Satz falsch ist.
Und natürlich können Aussagen wahr oder falsch sein, das Stand ja nie zur Diskussion, sondern nur, was diese Wahrheit bedeutet.

Was macht eine Aussage wahr, oder zu einer wahrne Aussage?
Was bedeutet es für einen Satz, wahr zu sein oder was muss dazu gegeben sein?

ujmp hat geschrieben:Oder anders gesagt, in falsche und nicht falsche Aussagen. Der Wahrheitswert ist ein binäres Atrribut, welches ich jeder Aussage zuweisen kann. Auch Aussagen über Aussagen. z.B. "Der Satz 'Der Satz {Schnee ist rot, das ist falsch} ist wahr' ist falsch" usw. - ohne das irgendwo Redundanz entsteht. Es geht hier nicht darum, dass Aussagen nicht implizit Wahrheitsbehauptungen sind, da hast du natürlich recht, sondern darum, dass diese Behauptungen falsch sein können.


Ja, können sie, keine Frage.
Hat aber auch keiner bestritten.
Auch die Konsenstheorie behauptet an keiner Stelle, dass jede beleibige Aussage wahr sei.

ujmp hat geschrieben:Dass Aussagen wahr sein können stellt ja kein Problem dar. Das Problem ist, dass sie nicht wahr sein müssen. Dass Aussagen falsch sein, können - das ist das Problem, wofür eine Lösung gesucht wird. Es ist ein Anpassungsproblem.


Ich sehe da eigentlich auch kein Problem, so ist es nun mal mit Aussagen, die können wahr oder falsch sein, die Frage ist lediglich an welchem Kriterium wir die Wahrheit oder Falschheit von Aussagen fest machen.

Da sagt die Korrespondenztheorie: an den Fakten.
Und die Konsenstheorie: an der Meinung der jeweiligen Experten.
(Und Experten in Alltagsfragen, sind wir alle und wir korrigieren uns auch ständig. „Die Veranstaltung beginnt um 15:00 Uhr.“ „Nein, die wurden verschoben, weil mehr Leute kommen, als man ursprünglcih plante, darum beginnt sie um 16:30.“)


ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist auch gar nicht, dass ich das nicht glaube, sondern, dass es schwer bis unmöglich ist, beoachterunabhängige Fakten oder Tatsachen überhaupt zu formulieren.

Dass dies nicht so einfach ist, ist klar. Deborah Mayo hat die Ansätze von Popper und Kuhn einem Review unterzogen. Wenn ich sie richtig verstehe, sind beide Ansätze zwei Seiten derselben Medaille. Übrig bleibt, dass wir aus Fehlern lernen (in der popperschen Terminologie "Falsifizierungen"). Sprich, wir verbessern unsere Meinung über die Fakten, in dem wir auf Fehler stoßen, d.h. auf Daten, die unseren Meinungen (Theorien) widersprechen oder durch sie nicht erklärt werden können.


Das wäre m.E. erst mal ein funktionalistischer Ansatz, für den die schon beschriebenen Schwierigkeiten gelten.
Generell gilt: Woher wissen wir denn, dass es die Wahrheit ist, der wir näher kommen?
Die Wahrheit als Gesamtheit von Fakten kennen wir ja gerade nicht und auch die Sparversion: die Gesamtheit der Gegenstände dieser Welt und ihrer Beziehungen (der Einfluss naturwissenschaftlich formulierbarer Kräfte) untereinander, kennen wir nicht.
Wenn Wahrheit diese Gesamtheit der Tatsachen ist, woher wissen, wir, dass und ob wir ihr näher kommen.

Schau Dir doch mal die Religionskritik an: Man ist heute der Auffassung, dass es keinen Schöpfergott gibt, bis vor einigen 100 Jahren waren auch die Spitzenforscher ihrer Zeit davon überzeugt. Aber hat es in den 1000en Jahren in denen man auf diese oder jene Weise von Göttern ausging, überhaupt keine Fortschritte, keine Erkenntnissel, keine erfolgreiche Kulturtechniken oder sonst etwas gegeben? Nein, man hat durchaus Fortschritte gemacht, auf allen Ebenen, obwohl man nach heutiger Überzeugung von vollkommen falschen Prämissen ausgegangen ist.
Man konnte also funktionierende Staaten bilden, Schiffen bauen, die gegen den Wind segelten, machte Fortschritte in Medizin, Philosophie und Mathematik und das eben auf dem Boden vollkommen falscher Prämissen. Damit will ich keine Religionsdiskussion entfachen, sondern nur sagen: Es klappte oder funktionierte, obwohl die Prämissen fehlerhaft waren.

Dass man heute überzeugt ist, ein paar Details seien noch zu ändern, ansonsten sei unser Weltbild aber mehr oder minder richtig, niemand erwartet ja ernsthaft einen Umsturz, sollte uns nicht zu sehr überzeugen, auch wenn unsere Handys beeindruckende Leistungen vollbringen.
Es ist nun alles andere als eine Besonderheit von der Kultur in der man aufwächst, anzunehmen, sie sei die einzig vermünftige. Wer sagt uns denn, dass 2600 noch alles ganz genauso ist wie heute, bezogen auf das Weltbild?

ujmp hat geschrieben:Es ist m.E. gar nicht das Problem "Fakten oder Tatsachen überhaupt zu formulieren". Es ist das - lösbare - Problem, a) Erwartungen (Predictions) zu formulieren und b) zu formulieren, welche Daten diesen Erwartungen entsprechen würden. Die "Tatsache" kann dabei als Black Box betrachtet werden. Die Wissenschaft geht einfach davon aus, dass diese als Tatsache konstant bleibt.


Der Ansatz umgeht das eigentliche Problem, nämlich die Frage, was Wahrheit ist. Black Box, heißt im allgemeinen Sprachgebrauch, dass da irgendwas passiert, von dem wir nicht wissen, wie und warum, aber am Ende wird aus einem Euro eine Dose Cola. Das ist alles auf dem Niveau von Funktionalismus oder Behaviorismus angesiedelt und beide sind selbst nur bedingt wahr.

Selbst an den virtuosen analytischen Ansätzen eines Robert Brandom kann man berechtigte Kritik üben, Habermas hat das getan – nicht ohne Brandoms Werk als einen Meilenstein der theoretischen Philosophie explizit zu würdigen – in dem er verkürzt sagt, auch bei Brandom hätte man es letztlich mit Ich-Du Relationen zu tun, bei denen sich Akteure wechselseitig die Richtigkeit oder Falschheit ihrer Aussagen zuschreiben und einander beurteilen, wobei dieser Ansatz den Sprung in eine gemeinsame Wir-Welt verfehlt.
Diese Kritik gilt für seichtere Ansätze natürliche in noch viel stärkerem Maße und die Frage, was Wahrheit denn ist, die bei einer Wahrheitstheorie ja im Zentrum steht, wird unterlaufen.

Ich bin natürlich überzeugt davon, dass wie die Frage nach der Wahrheit, überhaupt nicht stellen müssen,wenn wir z.B. Airbags, Handys und Bohrmaschinen verbessern wollen und oft reicht die Frage nach dem praktischen Problem aus, aber eben nicht, wenn es um die Frage nach der Wahrheit als solcher geht.

ujmp hat geschrieben:Du missverstehst, was diese Aussagen meinen. "Pluto ist ein Planet" meint eigentlich "Pluto ist der Defintion nach ein Planet".


Das habe ich nicht missverstanden.

ujmp hat geschrieben:Eine Defintion ist auch ein Fakt, aber, wie in diesem Fall ein veränderlicher. Der Satz "Heute ist Sonntag" ist morgen natürlich nicht mehr wahr.


Ja, Wahrheit ist kontextabhängig. Wenn die Tatsachen sich aber auf Defitnionen, Konventionen, Absprachen und andere Formen der Festlegungen und des Konsensus beziehen, habe ich, wie schon erwähnt keine Einwände, nur sehe ich dann auch die große Differenz zwischen Konsens und Korrespondenztheorie der Wahrheit niicht mehr.

So wie ich es gehört habe, greift man „im richtigen Leben“ auf beide zurück, die sich immer wieder überlappen, es könnte aber auch sein, dass die Korrespondenztheorie in der Konsenstheorie enthalten ist, m.E. spricht mehr dafür als dagegen.

Indizien: Die Konsenstheorie leugnet nicht, dass es Fakten oder Tatsachen gibt, sie würde nur, wie Du auch, die Absprachen zu dem Tatsachen oder Fakten über die Welt rechnen. Und sie würde bestreiten, dass wir aus einer Quelle primärer Fakten oder Tatsachen, die wir einfach so, unvermittelt vorfinden überhaupt schöpfen können. Der Naturalist Sellars bezeichnet diese Vorstellung (Welt liege als solche uninterpretiert vor und sei als solche auch von uns erkennbar) als den Mythos des Gegebenen.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:dann sind Fakten bereits Sprachspiele und Konventionen

Diesen m.E. falschen Standpunkt solltest du -- wenigstens vorübergehend -- aufgeben, um die Korrespondenztheorie zu verstehen. Begriffe wie "Bäume, Atome" sind Meinungen über angenommene Fakten und nicht selbst Fakten.


Was ist denn dann ein reines Faktum und keine Meinung.
Der Wahrheit geht eine Wahrheitsbehauptung voran, die sich dann als wahr oder falsch erweisen kann. Aber was sind die Fakten selbst? Hier würdest Du dann doch wieder teilen, in eine Welt vor jeder Interpretation (die Welt der Fakten) und eine Welt nach der Intepretation (die Welt der Meinungen). Wie willst Du denn, zu jener vorsprachlichen und vorlogeische Welt überhaupt Zugang haben und wie kommen dann auf einmal doch Definitionen ist Spiel, die Du ja oben als Tatsachen verstanden wissen wolltest?
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 15:21

Myron hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Konsenstheorie macht das Angebot, Wahrheit als das zu sehen, was die Gemeinschaft der Wissenden als wahr erachtet.


Das Zirkularitätsproblem dieser Definition besteht darin, dass das zu Definierende ("wahr"/"Wahrheit") im Definierenden vorkommt ("als wahr erachtet").


Das stimmt.
Ich habe mal bei wiki nachgeschaut, dort habe ich folgende Definition gefunden:

Wikipedia hat geschrieben:Als Konsenstheorie der Wahrheit (auch Konsensustheorie oder Diskurstheorie) bezeichnet man die erkenntnistheoretische Auffassung, dass die Wahrheit einer Behauptung davon abhängt, ob sich über diese Behauptung allein durch Argumente ein zwangfreier allgemeiner Konsens herstellen lässt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Konsenstheorie


Was mir an der Formulierung nicht gefällt, ist, dass der Verdacht aufkommen könnte, der zwanglose Zwang der besseren Argumente, sei ein faktenfreier Zwang.
Fakten sind wahrmachende Teile im Spiel der Gründe, die ihre Rolle vor allem darin haben, Theorien zu verifizieren, insofern sehe ich Fakten (als empirische Sachverhalte verstanden) als Teil des größeren Spiel der Gründe an und nicht umgekehrt.

Denn anders herum ist noch niemals dargestellt worden, wie man aus den reinen Fakten (hier verstanden als sprachunabhängige Gegenstände in Beziehung zueinander) überhaußt in die Welt der Sprache oder Theorien schaffen soll.
Diese wird auch von den härtesten Empiristen immer schon vorausgesetzt.

Man vergleicht dann eben die/seine Fakten und die Sache ist klar. Nur, dass Vergleichen ein kognitiver Akt ist, der damit stillschweigend vorausgesetzt wird und dass gar nicht klar ist, welche Sache dann klar sein soll, wenn die Sache nicht vorher als Theorie über beschrieben ist, wird dabei gerne ausgeblendet.

Und die unbestrittene empirische Tatsache, dass der Stock mit dem Affe nach den Bananen angelt lang genung sein muss, um an sie zu gelangen, sagt über Wahrheit oder den unerklärten Sprung aus einem reinen Empirismus in die Welt der Theorien dun Konzepte nun auch nichts aus.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 26. Nov 2012, 15:58

Vollbreit hat geschrieben:Aber: Inwiefern hätte uns die Korrespondenztheorie denn bei der Entscheidung weitergeholfen, dass der Forscher, nicht im Rückblick, sondern in dem Moment, in dem er seine Theorie aufstellte, bereits richtig lag?

Die Korrenspondenztheorie behandelt die Frage: "was meinen wir, wenn wir sagen, Aussage X sei wahr und Aussage Y sei unwahr?"

Sie behandelt aber nicht die Frage: "wie können wir das unterscheiden?"

Also hätte sie dafür überhaupt nicht weitergeholfen. Aber das ist ja eben auch nicht ihr Sinn und Zweck.

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Konsenstheorie mag ja sinnvoll sein, wenn man betrachten will, welche Aussagen man unter welchen Bedingungen als "wahr" bezeichnen möchte, welche Kriterien man dafür anlegen will. Alllerdings wäre es mE besser, wenn man den Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie beibehält und dann diese so geprüften Aussagen als "zeitkernig gültig" oder "gemeinhin anerkannt" oder so bezeichnet, aber nicht als "wahr".

Das hieße aber den Wahrheitsbegriff zu kippen, was letztlich auch in Schwierigkeiten führt.
Vermutlich schreibe ich gerade diesen Beitrag, aber wirklich sicher bin ich mir nicht, ich könnte auch eine Radtour machen? Bringt diese ungesunde Skepsis Erkenntnisfortschritte oder eher Verwirrung und alberne Diskussionen?

Aber es ist genau umgekehrt: die Konsenstheorie kippt den Wahrheitsbegriff. Und wie Du jetzt auf "ungesunde Skepsis" kommst, ist mir auch nicht klar. Aus "gemeinhin anerkannt" folgt nun mal nicht "zweifellos wahr".

Irgendwie mischst Du hier zu viele Dinge mit rein, die mit der Korrespondenztheorie nichts zu tun haben.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 17:11

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber: Inwiefern hätte uns die Korrespondenztheorie denn bei der Entscheidung weitergeholfen, dass der Forscher, nicht im Rückblick, sondern in dem Moment, in dem er seine Theorie aufstellte, bereits richtig lag?

Die Korrenspondenztheorie behandelt die Frage: "was meinen wir, wenn wir sagen, Aussage X sei wahr und Aussage Y sei unwahr?"


Ist das nicht die Konsenstheorie?
http://de.wikipedia.org/wiki/Konsensthe ... _Grundlage

Die Korreepodenztheorie „meint“ natürlich auch etwas, nämlich, dass wahre Ausagen mit den Fakten übereinstimmen müssen. Damit kommt man m.E. gut in Alltagsfragen hinein.
Es regnet. Merkel ist Kanzelerin. Wir tauschen uns über Wahrheitstheorien aus.
Dennoch gründet die Möglichkeit sich auf diese kaum zu bestreitenden Tatsachen zu beziehen ja auf etwas. Aus Sicht der Korrespondenztheorie besteht das Faktum, dass wir uns über Wahrheitstheorein austauschen doch darin, dass wir uns über die austauschen und nicht über Kuchenrezepte oder uns nicht antworten. So tautologisch wahr das, es macht nicht viel her.

AgentProvocateur hat geschrieben:Sie behandelt aber nicht die Frage: "wie können wir das unterscheiden?"

Also hätte sie dafür überhaupt nicht weitergeholfen. Aber das ist ja eben auch nicht ihr Sinn und Zweck.


Vielleicht werden mit ihr ja auch nur Wahrheiten in einem bestimmten Umfang abgebildet.
Dann müsste man ein Wahrheitsideal als Gesamtheit der Tatsachen streichen, könnte sich aber auf pragmatische Wahrheiten einigen. M.E. fallen diese zwar weitgehend zusammen mit der Konsenstheorie, aber ich will da weder penetrant nerven, noch bin ich da irgendwie ideologisch für oder gegen die eine oder andere der Theoerien, ich halte beide in Grenzen für brauchbar.

Vielleicht ist es noch wichtiger zu diskutieren, dass Wahrheit nicht etwas ist, was einfach existiert, sondern Wahrheiten sich aus bestimmten Arten der Betrachtung ergeben?

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber es ist genau umgekehrt: die Konsenstheorie kippt den Wahrheitsbegriff. Und wie Du jetzt auf "ungesunde Skepsis" kommst, ist mir auch nicht klar. Aus "gemeinhin anerkannt" folgt nun mal nicht "zweifellos wahr".

Irgendwie mischst Du hier zu viele Dinge mit rein, die mit der Korrespondenztheorie nichts zu tun haben.


Kann sein, darum will ich es ja klären.
Aber dann doch noch mal: Etwas was gemeinhin als wahr anerkannt wird, besagt dieses gemeinhin nicht genau, dass es nach Ansicht der meisten (vernünftigen) Diskursteilnehmer so ist.
Bist Du denn der Auffassung, dass sich rein auf Argumente zu beziehen heißt, auf Fakten zu verzichten?

Wenn ich behaupte: „Dort steht ein Baum“, wird mir das zunächst von anderen Teilnehmern der Sprachgemeinschaft bestätigt werden. Bestimmte Techniken, die behaupten, dass dort wirklich – also in irgendeiner logisch abgeleiteten Weise – ein Baum steht, sehe ich als nachgeordnet an.

Man kann durchaus formulieren, dass die intersubjektiv mögliche Einigung (bei der jeder ‚Experte‘ oder kompetent ist, der Sehen und Sprechen kann und bei klarem Verstand ist) es logisch erzwingt – ich bin zumindest der Meinung, dass das so ist), dass da wirklich etwas steht, was wir „Baum“ nennen, aber dies haben wir als rohes Faktum nicht direkt zur Verfügung.

Oder vielleicht grundlegender: Was ist ein Faktum oder eine Tatsache und was (schon) nicht mehr?
Scheint mir einer der Knackpunkte zu sein.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 26. Nov 2012, 17:56

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir die ganze Zeit aneinander vorbei reden, aber mir ist nicht klar, wieso und inwiefern.

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Korrenspondenztheorie behandelt die Frage: "was meinen wir, wenn wir sagen, Aussage X sei wahr und Aussage Y sei unwahr?"

Ist das nicht die Konsenstheorie?
http://de.wikipedia.org/wiki/Konsensthe ... _Grundlage

Konsenstheoretiker wie Jürgen Habermas, Karl-Otto Apel oder Paul Lorenzen setzen bei dem Begriff der Wahrheit an. Sie fragen: Was meinen wir eigentlich mit dem Wort „wahr“? Was tun wir, wenn wir sagen, dass eine Theorie oder ein Satz wahr ist? Welche Regeln müssen wir immer schon als gültig voraussetzen, wenn wir uns argumentierend und diskutierend um Wahrheit bemühen? Sie versuchen eine Neubegründung des Wahrheitsbegriffs aus der Reflexion dessen, was argumentative Wahrheitssuche beinhaltet.

Ihre Antwort auf diese Fragen lautet zugespitzt: Wenn wir einen Satz als „wahr“ bezeichnen, dann bekräftigen wir diesen Satz nicht nur (Redundanztheorie der Wahrheit), dann sagen wir nicht nur, dass es so ist, wie dieser Satz besagt (Semantische Theorie der Wahrheit), sondern dann erheben wir für diesen Satz auch einen intersubjektiven Geltungsanspruch („Dieser Satz gilt für jedermann.“) und einen intertemporalen Geltungsanspruch („Dieser Satz gilt dauerhaft.“): Wer einen Satz als wahr behauptet, erhebt für diese Behauptung einen Anspruch auf dauerhafte allgemeine Geltung.

All dem kann ich zustimmen. Die Wahrheit einer Aussage ist intersubjektiv gültig und sie gilt dauerhaft. Weil sie ja, um wahr zu sein, mit den Tatsachen übereinstimmen muss und sich nicht lediglich aus einem begründeten Konsens ergibt. Bloß: das ist ja nun wieder der Wahrheitsbegriff der Korrespondentheorie.

Vollbreit hat geschrieben:Dann müsste man ein Wahrheitsideal als Gesamtheit der Tatsachen streichen, könnte sich aber auf pragmatische Wahrheiten einigen. M.E. fallen diese zwar weitgehend zusammen mit der Konsenstheorie,

Wie kommst Du jetzt auf ein "Wahrheitsideal als Gesamtheit aller Tatsachen"? Tatsachen können nicht wahr oder falsch sein, Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen, nicht eine von Tatsachen.

Und die Frage: "wann können wir gerechtfertigt etwas als wahr ansehen?" ist, wie gesagt, eine andere als die Frage: "was bedeutet 'wahr' "?

Es wäre vielleicht gut, wenn Du nicht von "Wahrheiten" und "der Wahrheit" reden würdest, so als ob das eigenständige Dinge seien, die einfach existierten oder so.

Vollbreit hat geschrieben:Aber dann doch noch mal: Etwas was gemeinhin als wahr anerkannt wird, besagt dieses gemeinhin nicht genau, dass es nach Ansicht der meisten (vernünftigen) Diskursteilnehmer so ist.

Ja, na klar. Aber es besagt eben nicht, dass es tatsächlich so ist.

Vollbreit hat geschrieben:Oder vielleicht grundlegender: Was ist ein Faktum oder eine Tatsache und was (schon) nicht mehr?
Scheint mir einer der Knackpunkte zu sein.

Nein, der Knackpunkt ist einfach der, dass, wenn alle etwas für wahr halten, mit noch so guten Gründen und Begründungen, es dennoch unwahr sein kann. Sie sind trotzdem berechtigt, es für wahr zu halten, es wäre sogar irrational, es nicht für wahr zu halten. Du scheinst da irgendwie einen Widerspruch zu sehen, aber da ist keiner oder Du möchtest irgend eine absolute Sicherheit haben, aber die gibt es nicht.

Nochmal in ganz kurz: "alle halten mit guten Gründen X für wahr" ist nicht dasselbe wie, bzw. daraus folgt nicht: "X ist wahr". Daraus folgt jedoch dieses: "X kann gerechtfertigt für wahr gehalten werden."
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 26. Nov 2012, 19:31

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Das ist trivial, aber für eine Definition von "Wahrheit" irrelevant. Versteh es mal so: Es geht um zwei voneinander unabhängige Behauptungen: 1) "Schee ist rot, das ist wahr" und 2) "Die Aussage 'Schnee ist rot, das ist wahr" ist falsch". Es mag ja sein, dass "Schee ist rot, das ist wahr" und "Schnee ist rot" dasselbe meinen. Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass sich Aussagen in zwei Klassen teilen lassen, nämlich in die Klasse der wahren und die der falschen Aussagen.


Du vermischst hier zwei Dinge.


Ich hab es nicht vermischt, sondern im Gegenteil, auseinandergenommen. Dies...

Vollbreit hat geschrieben:Und mit der Korrespondenztheorie kommst Du zur Aussage, dass die Wahrheit von "Schnee ist weiß, ist wahr" darin liegt, dass man die Farbe des Schnees eben "weiß" nennt.


...ist nämlich keineswegs so. Die Falschheit des Satzes "Der Satz 'Schnee ist schwarz' ist wahr" kommt in der Korrespondenztheorie dadurch zum Ausdruck dass die Farbe des Schnees nicht mit der Farbe Schwarz korrespondiert. Das ist kein "Sprachspiel" sondern eine Beobachtung, die nebenbei gesagt auch ohne Sprache zum Ausdruck kommen kann. Einen Scheeweißen Hasen im Schnee wir ein Raubvogel nämlich nicht so schnell sehen, wie einen Schwarzen Hasen im Schnee. Fakten benötigen keine Sprache.
Zuletzt geändert von ujmp am Mo 26. Nov 2012, 19:43, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 26. Nov 2012, 19:38

Vollbreit hat geschrieben:Ja, Wahrheit ist kontextabhängig. Wenn die Tatsachen sich aber auf Defitnionen, Konventionen, Absprachen und andere Formen der Festlegungen und des Konsensus beziehen, habe ich, wie schon erwähnt keine Einwände, nur sehe ich dann auch die große Differenz zwischen Konsens und Korrespondenztheorie der Wahrheit niicht mehr.


Du begehst einen Fehlschluss:

"Wir bestimmen über die Bedeutung von Begriffen und Aussagen, und folglich bestimmen wir über die Wahrheit/Falschheit von Aussagen."

Nehmen wir den Begriff <Planet> als Beispiel: Die Physiker haben vor einigen Jahren beschlossen, diesem Begriff eine neue, von der alten abweichende Bedeutung zu verleihen, sodass dadurch die Aussage "Pluto ist ein Planet" falsch wurde. Streng genommen, haben wir es mit zwei Begriffen zu tun: <Planet_ab> ("ab" = "alte Bedeutung") und <Planet_nb> ("nb" = "neue Bedeutung"). Das heißt, die Aussage "Pluto ist ein Planet_ab" ist nach wie vor wahr, und die Aussage "Pluto ist ein Planet_nb" ist falsch. Aber seit der Bedeutungsänderung gilt allgemein: "Pluto ist ein Planet" = "Pluto ist ein Planet_nb" – und diese Aussage ist falsch.
Wir können einem Begriff wie <Planet> eine beliebige Bedeutung geben; doch wenn dessen Bedeutung einmal feststeht, dann bestimmen nicht mehr wir, sondern die Wirklichkeit darüber, ob es Gegenstände gibt, die darunter fallen, wenn ja, wie viele, und ob Pluto zu jenen Gegenständen gehört. Dass Pluto unter den alten Begriff <Planet_ab> fällt, ist eine objektive Tatsache, genauso wie dass er nicht unter den neuen Begriff <Planet_nb> fällt.
Das heißt, dass wir, wenn die Begriffs- und Aussagenbedeutungen einmal gegeben sind, Wahrheiten/Falschheiten nicht einfach nach Belieben erzeugen oder vernichten können. Wir können sprachliche Bedeutungen ändern, aber wir können nichts daran ändern, dass die Aussage "Pluto ist ein Planet_ab" wahr und die Aussage "Pluto ist ein Planet_nb" falsch ist.

"Die Idee der Begriffsrelativität ist alt und, wie ich glaube, korrekt. Jedes Klassifikations- oder Individuationssystem von Objekten, jedes Kategoriensystem zur Beschreibung der Welt, ja, jedes Repräsentationssystem überhaupt ist konventionell und insofern willkürlich. Die Welt teilt sich so auf, wie wir sie aufteilen, und wenn wir jemals geneigt sind zu glauben, dass unsere gegenwärtige Methode, sie einzuteilen, die richtige oder irgendwie unvermeidliche ist, können wir uns immer alternative Klassifikationssysteme ausdenken. (...) Weil jede wahre Beschreibung der Welt immer innerhalb irgendeines Vokabulars, in irgendeinem System von Begriffen gegeben werden wird, hat Begriffsrelativität die Konsequenz, dass jede wahre Beschreibung immer relativ auf ein System von Begriffen gegeben wird, das wir mehr oder weniger willkürlich für die Beschreibung der Welt ausgewählt haben. So charakterisiert scheint der Begriffsrelativismus vollständig wahr zu sein, ja geradezu platt."
(S. 170f.)

"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)
Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus."

(S. 174)

"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachverhalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kategorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich. Aber wenn wir die Bedeutung solcher Ausdrücke in unserem Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache. Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann."
(S. 176)

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997.)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 26. Nov 2012, 19:54

@Myron: Das geht auch ohne Definition, nämlich:

"Kohle sieht genau so aus wie Schnee - wahr oder falsch?" Da braucht man nicht mal Konsens was man mit "genau so" meint, das muss man halt für sich selbst wissen!
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 26. Nov 2012, 20:01

Myron hat geschrieben:Wir können einem Begriff wie <Planet> eine beliebige Bedeutung geben; doch wenn dessen Bedeutung einmal feststeht, dann bestimmen nicht mehr wir, sondern die Wirklichkeit darüber, ob es Gegenstände gibt, die darunter fallen, wenn ja, wie viele, und ob Pluto zu jenen Gegenständen gehört. Dass Pluto unter den alten Begriff <Planet_ab> fällt, ist eine objektive Tatsache, genauso wie dass er nicht unter den neuen Begriff <Planet_nb> fällt.
Das heißt, dass wir, wenn die Begriffs- und Aussagenbedeutungen einmal gegeben sind, Wahrheiten/Falschheiten nicht einfach nach Belieben erzeugen oder vernichten können. Wir können sprachliche Bedeutungen ändern, aber wir können nichts daran ändern, dass die Aussage "Pluto ist ein Planet_ab" wahr und die Aussage "Pluto ist ein Planet_nb" falsch ist.


Wir müssen allerdings zwischen natürlichen Tatsachen (unter einer Tatsache verstehe ich keine wahre Aussage, sondern einen wirklichen Sachverhalt) und kultürlichen (kulturellen/sozialen) Tatsachen unterscheiden. An einer natürlichen Tatsache wie der Tatsache, dass Wasser aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom besteht, können wir nichts ändern, aber an einer kultürlichen Tatsache wie der Tatsache, dass die Fußballbundesliga achtzehn Mannschaften umfasst, sehr wohl. Denn hier genügt ein Mehrheitsbeschluss beim DFB, um eine neue kultürliche Tatsache zu schaffen, z.B. dass die Fußballbundesliga zwanzig Mannschaften umfasst. Das bedeutet, dass kultürliche Tatsachen als institutionelle Tatsachen im Gegensatz zu natürlichen Tatsachen selbst konventioneller Natur sind.
Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung: Das Ausmaß der Erdoberfläche ist eine natürliche, unkonventionelle Tatsache, wohingegen das geographische Ausmaß der Bundesrepublik Deutschland eine kultürliche, konventionelle Tatsache ist. Denn die Politiker könnten einfach beschließen, das deutsche Staatsgebiet zu verkleinern oder zu vergrößern, und dadurch eine neue geopolitische Tatsache schaffen.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 26. Nov 2012, 20:05

Zunächst einmal ist folgende Unterscheidung wichtig:

"Wahrheitsdefinition und Wahrheitskriterium:
Eine Wahrheitsdefinition beantwortet die Frage, was es bedeutet, dass eine Aussage wahr ist. Sie gibt also dem Wahrheitsbegriff einen Inhalt. Ein Wahrheitskriterium beantwortet die Frage, wie man wissen kann, dass eine Aussage wahr ist. Sie gibt eine Methode an, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob eine Aussage wahr ist. Die Frage nach der Wahrheitsdefinition ist eine semantische Frage. Die Frage nach einem Wahrheitskriterium ist eine erkenntnistheoretische Frage. Eine vollständige Wahrheitstheorie sollte beide Typen von Fragen behandeln. Dabei sind auch negative Antworten möglich, die verneinen, dass eine allgemeine Wahrheitsdefinition oder ein allgemeines Wahrheitskriterium aufgestellt werden kann."


("Wahr und falsch; Wahrheit." In Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky, 369-375. München: dtv, 1992. S. 370)

"Die Konsenstheorie:
Ähnlich wie die Kohärenztheorie ist die Konsenstheorie aus einer Kritik an der Korrespondenztheorie entstanden. Wahrheit wird hier nun aber nicht mit Übereinstimmung von Aussagen – wie in der Kohärenztheorie –, sondern mit Übereinstimmung von Meinungen definiert. Der Unterschied zwischen den beiden Theorien ist also nicht besonders groß.

Gemäß der Konsenstheorie ist eine Aussage wahr, wenn sie allgemein akzeptiert wird. So ist z.B. die Aussage, dass Kolumbus Amerika 1492 entdeckte, wahr, weil sie allgemein von den Wissenschaftlern akzeptiert wird. Wie in der Kohärenztheorie wird kein problematischer Vergleich mit der Wirklichkeit benutzt, um Wahrheit zu definieren oder festzustellen. Ähnlich wie in der Kohärenztheorie werden zusätzliche Bedingungen aufgestellt. So wird z.B. oft behauptet, dass Konsens hier und jetzt nicht ausreicht, sondern dass erst langfristiger Konsens zeigen kann, dass eine Aussage wahr ist. Damit verliert der Konsens etwas von seiner Bedeutung als Wahrheitskriterium, denn der langfristige Konsens ist ja nicht jetzt bekannt. Um Konsens doch als Wahrheitskriterium benutzen zu können, wird dann und wann angenommen, dass der Konsens heute eine Approximation des langfristigen Konsenses ist, dass mit der Entwicklung der Diskussion eine immer genauere Annäherung an den langfristigen Konsens (= die absolute Wahrheit) vor sich geht.

Andere Zusatzannahmen, die oft gemacht werden, hängen damit zusammen, dass erst der Konsens von qualifizierten Personen als relevant betrachtet wird. Solche Qualifikationen sind z.B.: (1) Gutwilligkeit: Die Sprechenden dürfen nicht die Absicht haben, einander zu täuschen oder zu betrügen; (2) Vernünftigkeit: Die Sprechenden dürfen nicht von bloßen Emotionen, Traditionen oder Gewohnheiten bestimmt sein, sondern müssen den besprochenen Gegenständen aufgeschlossen sein; (3) Sprachkundigkeit: Die Sprechenden müssen dieselbe Sprache sprechen; (4) Normalsinnigkeit: Die Sprechenden müssen ihre 'fünf Sinne beisammen' haben, müssen imstande sein, eine geeignete Nachprüfung der diskutierten Aussagen durchzuführen; (5) Sachkundigkeit: Die Sprechenden müssen sich über den Gesprächsgegenstand auskennen. Diese Bedingung ist besonders wichtig in hochentwickelten Wissenschaften. Um z.B. beurteilen zu können, ob eine physikalische Aussage wahr ist, kommen nur sachkundige Physiker in Betracht. 'In summa: Wenn auch jeder andere, der mit mir dieselbe Sprache spricht, der sachkundig und vernünftig ist, einem Gegenstand nach geeigneter Nachprüfung den Prädikator 'P' […] zusprechen würde, dann darf […] darf ich […] sagen: 'Die Aussage 'dies ist P' ist wahr.'' (Kamlah/Lorenzen)

Dieses Wahrheitskriterium darf nicht als ein Appell an eine fremde und autoritäre Instanz missverstanden werden. Es hat nichts mit der Inszenierung einer Abstimmung, deren Ergebnis blind akzeptiert werden muss, zu tun. Eine Aussage kann wahr sein, auch wenn niemand (oder noch niemand) ihr zustimmt. Die Bedingung, dass jeder Sprach- und Sachkundige bei geeigneter Nachprüfung 'zustimmen würde', schließt ja nicht aus, dass die geeignete Nachprüfung noch nicht ausgeführt worden ist."


("Wahr und falsch; Wahrheit." In Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky, 369-375. München: dtv, 1992. S. 374)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 26. Nov 2012, 20:10

Myron hat geschrieben:"…Ähnlich wie in der Kohärenztheorie werden zusätzliche Bedingungen aufgestellt. So wird z.B. oft behauptet, dass Konsens hier und jetzt nicht ausreicht, sondern dass erst langfristiger Konsens zeigen kann, dass eine Aussage wahr ist.…"
("Wahr und falsch; Wahrheit." In Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky, 369-375. München: dtv, 1992. S. 374)


Charles Peirce vertritt eine solche konsenstheoretische Auffassung der Wahrheit als "endgültiger wissenschaftlicher Meinung": http://www.helsinki.fi/science/commens/terms/truth.html

"The opinion which is fated to be ultimately agreed to by all who investigate, is what we mean by the truth, and the object represented in this opinion is the real."
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 26. Nov 2012, 20:18

Vollbreit hat geschrieben:Was macht eine Aussage wahr, oder zu einer wahrne Aussage?
Was bedeutet es für einen Satz, wahr zu sein oder was muss dazu gegeben sein?


Das ist die Frage, was eine Aussage falsch macht. Wenn du es von der Seite betrachtest, ist die Anwort sehr einfach. Wenn dir jemand sagt, "draußen ist alles weiß" und das, was du dann wirklich siehst nicht deinen Erwartungen entspricht, die sich mit deinem persönlichen Begriff von weiß verbinden, dann ist diese Aussage für dich falsch. Es ist dabei völlig gleichgültig, auf welche Weise du zu deinem Begriff "weiß" und den damit verbundenen Erwartungen gekommen bist. Du solltest natürlich selbst verstehen, was du mit weiß meinst!

Das Interessante sind die Falschmacher, die uns zwingen, uns anzupassen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 21:23

AgentProvocateur hat geschrieben:Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir die ganze Zeit aneinander vorbei reden, aber mir ist nicht klar, wieso und inwiefern.


Schaun mer mal.
Wenn ich’s auf meine Kappe nehme, liegt es meistens daran, dass ich die Tendenz habe, Ergebnisse anderer Diskussionen mit reinzurühren, also bleibe ich mal streng bei Deinen Aussagen, bzw. versuche das kenntlich zu machen, was mir an Phantasien durch den Kopf geht. Wohlan…

AgentProvocateur hat geschrieben:All dem kann ich zustimmen. Die Wahrheit einer Aussage ist intersubjektiv gültig und sie gilt dauerhaft. Weil sie ja, um wahr zu sein, mit den Tatsachen übereinstimmen muss und sich nicht lediglich aus einem begründeten Konsens ergibt. Bloß: das ist ja nun wieder der Wahrheitsbegriff der Korrespondentheorie.


Ja, das ist meiner Meinung nach immer so. Man kommt ständig von der Korrepondenztheoire in die Konsenstheorie und umgekehrt. Selbst bei den logischen Systemen mit endlichen Schlüssen, die ein sehr guter Kandidat für ewie Wahrheiten sind braucht es ja jemanden, der diese Systeme ersinnt.
Schon ist man wieder im Konsens.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie kommst Du jetzt auf ein "Wahrheitsideal als Gesamtheit aller Tatsachen"? Tatsachen können nicht wahr oder falsch sein, Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen, nicht eine von Tatsachen.


Gut, das ist eine der Fragen, in die ich andere Erfahrungen importiert habe.
In dem Abschnitt über die Korrespondenztheorie (bei wiki: Wahrheit) steht, dass es unklar ist was denn nun als Tatsache gilt.

Ich bin ein klarer Verfechter – wie Du offensichtlich auch – der Ansicht, dass Wahrheitswerte nur Aussagen zukommen. Es ist jetzt die Frage, inwieweit das allgemeiner Konsens ist. Ich habe jedenfalls schon Diskussionen geführt, in denen die Existenz von etwas als Faktum der Wahrheit angesehen wurde. Also nicht die Aussage darüber, dass etwas existiert, sondern die schiere Existenz.
Wie ein Bratpfanne wahr sein kann, ist mir aber bis heute nicht klar.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und die Frage: "wann können wir gerechtfertigt etwas als wahr ansehen?" ist, wie gesagt, eine andere als die Frage: "was bedeutet 'wahr' "?


Inwiefern? Für mich ist das eine leicht andere Formulierung mit nahezu identischem Inhalt.
Wo siehst Du den entscheidenden Unterschied?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es wäre vielleicht gut, wenn Du nicht von "Wahrheiten" und "der Wahrheit" reden würdest, so als ob das eigenständige Dinge seien, die einfach existierten oder so.


Meine ich auch nicht, ich halte Wahrheit für eine Zuschreibung die sich aus Aussagen ergibt.
Der Existenz von Bratpfannen kommt nach meinem Verständnis keine Wahrheit zu, wenngleich natürlich die Aussage: „Es gibt Bratpfannen“ einen Wahrheitsansoruch hat und wahr ist.


AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber dann doch noch mal: Etwas was gemeinhin als wahr anerkannt wird, besagt dieses gemeinhin nicht genau, dass es nach Ansicht der meisten (vernünftigen) Diskursteilnehmer so ist.

Ja, na klar. Aber es besagt eben nicht, dass es tatsächlich so ist.


Gut, das hatten wir ja schon in ähnlicher Variante.
Wir wissen heute, dass das Atommodell das sich Elektronen wie Planeten die um eine Kern (Sonne) kreisen vorstellten nicht stimmt. Es hat sich eben als nicht wahr erwiesen, nachträglich. Heute geht man von irgendwelchen Wolken aus, deren Position nicht zu bestimmen ist ohne in das „an sich“ einzugreifen. Vielleicht stimmt das, vielleicht ist es in 50 Jahren so überholt, wie das Planetenmodell der Elektronen. Aber was ist dann heute die Wahrheit über Elektronen, wenn man sich nicht sicher sein kann? Wenn es das ist, was die führenden Forscher meinen, wäre das wieder Konsens.
Warteten wir bis die endgültige Wahrheit über Elektronen verbrieft ist… woher sollen wir wissen, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist?
Also wäre eine Strategie den Umfang von Wahrheit oder wahren Aussagen zu reduzieren, auf logische Systeme und auf Alltagswahrheiten, wie die dass Frau Merkel Kanzlerin ist und es hier gerade regnet und dass wir uns austauschen. Jede weitere Aussage über die Wahrheit hätte es sehr schwer.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, der Knackpunkt ist einfach der, dass, wenn alle etwas für wahr halten, mit noch so guten Gründen und Begründungen, es dennoch unwahr sein kann. Sie sind trotzdem berechtigt, es für wahr zu halten, es wäre sogar irrational, es nicht für wahr zu halten. Du scheinst da irgendwie einen Widerspruch zu sehen, aber da ist keiner oder Du möchtest irgend eine absolute Sicherheit haben, aber die gibt es nicht.


Wenn alle etwas für wahr halten, muss es nicht wahr sein. Stimmt.
Es wäre irrational es nicht für wahr zu halten. Stimmt auch, denn von irgend etwas muss man ausgehen.
Aber was ist ein Wahrheitsbegriff wert, der eine Wahrheit fordert, auf die man im konkreten Fall nicht zurückgreifen kann? Ist diese Wahrheit nicht für alle Zeiten an einen Ort verlegt, der nie
erreichbar ist. Und können wir überhaupt fordern, dass es so eine Wahrheit gibt? Man kann sagen, die Dinge, die Tatsachen müssten ja irgendwie sein. Und die Übereinstimmung unserer Ideen/Vorstellungen/Aussagen mit dem, wie sind sind, ist Wahrheit. Ist aber auch nicht unproblematisch, weil dualistisch.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nochmal in ganz kurz: "alle halten mit guten Gründen X für wahr" ist nicht dasselbe wie, bzw. daraus folgt nicht: "X ist wahr". Daraus folgt jedoch dieses: "X kann gerechtfertigt für wahr gehalten werden."


Die Differenz die Du da aufzeigst kann ich sehen und akzeptieren.
Nicht sehen kann ich den metaphyischen Sog einer Wahrheit, auf die man sukzessive zusteuert, ohne das man wüsste, in welche Richtung es überhaupt geht, weil das Ziel so definiert ist, dass es existiert, aber im Nebel liegt, mit einer Schlucht dazwischen und man selbst hat nur ein Segelboot.
Selbst wenn ich zufällig am Ziel wäre, woran sollte ich es erkennen? Selbst am Ziel bliebe doch die Spaltung bestehen, oder nicht?
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 21:25

ujmp hat geschrieben:Die Falschheit des Satzes "Der Satz 'Schnee ist schwarz' ist wahr" kommt in der Korrespondenztheorie dadurch zum Ausdruck dass die Farbe des Schnees nicht mit der Farbe Schwarz korrespondiert. Das ist kein "Sprachspiel" sondern eine Beobachtung, die nebenbei gesagt auch ohne Sprache zum Ausdruck kommen kann. Einen Scheeweißen Hasen im Schnee wir ein Raubvogel nämlich nicht so schnell sehen, wie einen Schwarzen Hasen im Schnee. Fakten benötigen keine Sprache.


Aber wodurch kommt denn die Wahrheit von „Schnee ist weiß“ zustande?
Du bist der Auffassung, dass dem Begriff „weiß“ eine bestimmte physikalische Eigenschaft entspricht, nämlich Gegenständen, oder Phänomenen oder Lichtquellen zukommt, die alle Teile des sichtbaren elektromagnetischen Wellenspektrums gleichmaßen reflektieren/emittieren.
Das grundlegende physikalische Faktum, ist die Emission/Refektion.
Ist das Deine Sichtweise?

Daraus würde folgen: Weiß-Sagen, heißt ein bestimmtes physikalisches Phänomen meinen.
Sagt man „weiß“ und das Phänomen verschluckt alle Anteile des sichbaren Lichts, ist die Zuschreibung falsch.

Ich würde sagen, dass die Wahrheit dieser Aussagen in einer möglichen Substituion liegt.
Wenn Schnee „weiß“ genannt wird, zeichnen sich alle weißen Phänomene dadurch aus, dass man zu ihnen statt „(ist) weiß“ auch „(hat) die Farbe des Schnees“ sagen könnte.

Der Satz: „Die Schale meines Frühstückseis [war weiß]“ könnte ich substituieren in
„Die Schale meines Frühstückseis [hatte die Farbe des Schnees]“.
Selbes könnte man nun mit einem Blatt Papier oder Schönwetterwolken oder Milch machen, man kann sie alle wechselseitg substituieren.
Ist nun das physikalische Faktum, dass Weiß die alle sichtbaren elektromagnetischen Wellen gleichermaßen reflektiert/emittiert nicht auch nur ein weiteres substituierbars Glied?

„Die Schale meines Frühstückseis [war weiß]“
„Die Schale meines Frühstückseis [hatte die Farbe des Schnees]“.
„Die Schale meines Frühstückseis [reflektierte alle sichtbaren elektromagnetischen Wellen gleichermaßen.]“

Dann wären diese Aussagen alle wechselseitig substituierbar und m.E. erst mal sprachlich gleichberechtigt und dadurch legitimiert, dass sie Beobachtern weiß erscheinen.
Wenn die physikalische Aussage nun eine Vorrangstellung innehaben soll, müsste meiner Meinung nach begründet werden, warum das so sein soll, ein Selbstläufer ist das aus meiner Sicht nicht.
Was wäre Deine Begründung?
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 22:31

Myron hat geschrieben:Nehmen wir den Begriff <Planet> als Beispiel: Die Physiker haben vor einigen Jahren beschlossen, diesem Begriff eine neue, von der alten abweichende Bedeutung zu verleihen, sodass dadurch die Aussage "Pluto ist ein Planet" falsch wurde. Streng genommen, haben wir es mit zwei Begriffen zu tun: <Planet_ab> ("ab" = "alte Bedeutung") und <Planet_nb> ("nb" = "neue Bedeutung").


Was heißt „streng genommen“, dass ist eine offene Diskussion ob und inwieweit Begriffe inkommensurabel sind (sein können) oder nicht.

Myron hat geschrieben:Das heißt, die Aussage "Pluto ist ein Planet_ab" ist nach wie vor wahr, und die Aussage "Pluto ist ein Planet_nb" ist falsch. Aber seit der Bedeutungsänderung gilt allgemein: "Pluto ist ein Planet" = "Pluto ist ein Planet_nb" – und diese Aussage ist falsch.


Gut, nun haben sich bestimmte „Fakten“ geändert, andere aber nicht, wie die Entfernung von der Sonne, die Bahn, der Durchmesser. Können wir wirklich sagen, wir reden von einem anderen Pluto.

Ist der aktuelle Goldpreis entscheidend dafür, wann ich berechtigt, den Begriff „Gold“ benutzen darf?
Denn der Goldpreis ist ja auch eine Eigenschaft, die dem Gold und nicht dem Silber zukommt und die variabel ist. Wo verläuft die Grenze, bei der wir sagen dürfen, dass wir noch von ein und demselben Phänomen reden und warum verläuft sie da?

Myron hat geschrieben:Wir können einem Begriff wie <Planet> eine beliebige Bedeutung geben; doch wenn dessen Bedeutung einmal feststeht, dann bestimmen nicht mehr wir, sondern die Wirklichkeit darüber, ob es Gegenstände gibt, die darunter fallen, wenn ja, wie viele, und ob Pluto zu jenen Gegenständen gehört.


So verständlich das ist, so grenzwertig ist es auch.
Wenn der Grenzwert für bestimmte Stoffe angepasst wird, ist es denn wahr, dass das was gestenr gefährlich war, heute ungefährlich sein kann, weil es nach der neuen Verordnung als ungefährlich gilt? Man könnte sagen, die Verordnung macht, dass die Ungefährlichkeit ein Faktum ist, man könnte ebenso sagen, die Verordnung sei geändert worden, aber die Fakten sprächen eine andere Sprache.

Myron hat geschrieben:Dass Pluto unter den alten Begriff <Planet_ab> fällt, ist eine objektive Tatsache, genauso wie dass er nicht unter den neuen Begriff <Planet_nb> fällt.
Das heißt, dass wir, wenn die Begriffs- und Aussagenbedeutungen einmal gegeben sind, Wahrheiten/Falschheiten nicht einfach nach Belieben erzeugen oder vernichten können. Wir können sprachliche Bedeutungen ändern, aber wir können nichts daran ändern, dass die Aussage "Pluto ist ein Planet_ab" wahr und die Aussage "Pluto ist ein Planet_nb" falsch ist.


Klar, wenn x=1 ist, ist es natürlich auch wahr, dass x=1 ist.
Nur, dann hätte wir einen Vorrang der Definitionen gegenüber den empirischen Fakten und da Sprachspiele eben nicht beliebig sind, sondern mit emprischen Fakten wie auch pragtischen Festlegungen Hand in Hand gehen, kann man das Spiel der Willkür auch nicht exzessiv betreiben, ohne sich Fragen gefallen lassen zu müssen.

John Searle hat geschrieben: "Die Idee der Begriffsrelativität ist alt und, wie ich glaube, korrekt. Jedes Klassifikations- oder Individuationssystem von Objekten, jedes Kategoriensystem zur Beschreibung der Welt, ja, jedes Repräsentationssystem überhaupt ist konventionell und insofern willkürlich.


Nein, nur in einem gewissen Umfang. Begriffe, oder genauer gesagt, Sätze, die kleinsten Züge in Sprachspielen, sind inferentiell logisch, mit andere Sätzen (weiteren Festlegungen) verflochten. Beliebig mögen sie am Anfang sein, man hätte den Affen auch Pferd nennen können, aber einmal festgeschrieben, ist es eben nicht wahr, dass Pferde sich von Ast zu Ast hangeln und das gehört zum Begriff des Affen dazu.

John Searle hat geschrieben:Die Welt teilt sich so auf, wie wir sie aufteilen, und wenn wir jemals geneigt sind zu glauben, dass unsere gegenwärtige Methode, sie einzuteilen, die richtige oder irgendwie unvermeidliche ist, können wir uns immer alternative Klassifikationssysteme ausdenken. (...) Weil jede wahre Beschreibung der Welt immer innerhalb irgendeines Vokabulars, in irgendeinem System von Begriffen gegeben werden wird, hat Begriffsrelativität die Konsequenz, dass jede wahre Beschreibung immer relativ auf ein System von Begriffen gegeben wird, das wir mehr oder weniger willkürlich für die Beschreibung der Welt ausgewählt haben. So charakterisiert scheint der Begriffsrelativismus vollständig wahr zu sein, ja geradezu platt."
(S. 170f.)


Das ist doch eine Argumentation, die eher die Konsenstheorie befürwortet und der Korrespondenz eine lange Nase zeigt. Ich bin da aber nicht so skepitsch wie Searle, denn m.E. koppelt auch er hier die Sprache, von der Welt ab. Dass wir uns natürlich anderer Worte bedienen können, stimmt schon, nur über die oben erwähnte inferentielle Verschränkung sind Begriffe eben nicht völlig losgelöst.

John Searle hat geschrieben:"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)


Ja ich. Damit wären Tatsachen nämlich schnell mal eben, im Widerspruch zu oben, nur noch eine Eigenschaft die den emprischen Dingen und ihren Verhältnissen zukommt und gerade keine Definition mehr.
Ist nun der 1980 Planet Pluto und der 2010 nicht Planet Pluto eine Tatsache (oder nur eine wahre Aussage, die dann aber mit welcher Tatsache korrespondiert?) oder müssen wir uns nicht dann auch, analog zu Searle, fragen, was sich denn eigentlich am Pluto ändert, wenn alle Menschen und ihre Bezeichnungen weg sind?

Meines Erachtens ist die Frage, wenn nicht die nach den Tatsachen, dann die nach dem Verhältnis von Tatsachen zu wahren Aussagen.

John Searle hat geschrieben:Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus."
(S. 174)


Grober Unsinn.
Welchen Satz könnte denn aus der Wahrheit des Realismus formuliert werden?
Kommt ist das dann eine sprachunabhängige Wahrheit? Dann wäre Wahrheit nichts, was nur Aussagen beanspruchen könnten. Wie das gehen soll, habe ich noch nie kapiert.

John Searle hat geschrieben:"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachverhalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kategorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich.


Von unserer Entscheidung im Sinne der Neogenese oder eines Neologismus, aber ansonsten hängt das von der Sprachgemeinschaft ab und selbst da gibt es wieder die logischen Verknüpfung der Begriffe, die eben alles andere als willkürlich ist.

John Searle hat geschrieben:[i]Aber wenn wir die Bedeutung solcher Ausdrücke in unserem Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache.


Na da kriegt er doch noch die Kurve.
Ja, Sprache ist ein Mittel für uns erkennende Wesen uns Welt zu erschließen, wer denkt denn was anderes, heutzutage? Das ist doch nicht der Punkt. Aber da gleich in eine Abbildtheorie zu verfallen, ist dann auch des Guten zuviel. Sprache verweist auch auf bestimmte Arten des Hinschauens und hat selbstverständlich auch weltverändernden und –konstituierenden Charakter.
Wenn ich Quanten nachmesse verändere ich Welt, wenn ich bestimmte soziale Situationen beobachte ebenfalls, die Experimente dazu sind Legion. Das ist ein dynamischer Prozess der selbstverständlich auch die Fakten verändert.
Die ganze Idee wir stünden als Beobachter mit oder ohne Sprache einer Welt gegenüber ist im Kern dualistisch und daher ziemlich problematisch.
Das ist aber kein ganz oder gar nicht. Wenn wir denn Tisch ab morgen „Stuhl“ nennen verändert dsas nicht viel, wenn ich meine Freundlin „dumme Gans“ nenne wohl schon eher.
Wie gesagt es scheint um die begriffliche Reichweite von „Fakten“ zu gehen.

John Searle hat geschrieben:Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann."
(S. 176)

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997.)


Danke erst mal fürs Zitieren.
Beide Sichtweisen haben was für sich, aber beide darf man eben nicht verabsolutieren.
Ich kann die Temperatur eines Patienten 30 Mal messen, sie wird sich dadurhc nicht ändern, die Position eines Elektrons lege ich dadurch erst fest. Manche Umbennung ändert gar nichts, an den weitgehend sprachunabhängigen Fakten, andere aber sehr wohl, wie z.B. eine Krankheitsdiagnose.
Eben fühlte man sich noch ganz gesund, jetzt heißt es „Sie haben Krebs“. An den Fakten hat sich doch seit dem Telefonat eigentlich gar nichts geändert… Auch ist Sprache ein Art des Hinguckens, wenn bestimmte Begriffe gar nicht exisiteren, wie z.B. Konditionale, werden gedankliche Ausflüge in die Zukunft sehr kurz und meistens ganz ausfallen. Kurz und gut, ich frinde Searle da eher wirr.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 26. Nov 2012, 22:36

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Falschheit des Satzes "Der Satz 'Schnee ist schwarz' ist wahr" kommt in der Korrespondenztheorie dadurch zum Ausdruck dass die Farbe des Schnees nicht mit der Farbe Schwarz korrespondiert. Das ist kein "Sprachspiel" sondern eine Beobachtung, die nebenbei gesagt auch ohne Sprache zum Ausdruck kommen kann. Einen Scheeweißen Hasen im Schnee wir ein Raubvogel nämlich nicht so schnell sehen, wie einen Schwarzen Hasen im Schnee. Fakten benötigen keine Sprache.


Aber wodurch kommt denn die Wahrheit von „Schnee ist weiß“ zustande?
Du bist der Auffassung, dass dem Begriff „weiß“ eine bestimmte physikalische Eigenschaft entspricht, nämlich Gegenständen, oder Phänomenen oder Lichtquellen zukommt, die alle Teile des sichtbaren elektromagnetischen Wellenspektrums gleichmaßen reflektieren/emittieren.
Das grundlegende physikalische Faktum, ist die Emission/Refektion.
Ist das Deine Sichtweise?

Nein, nicht so richtig.

Nochmal: Das Entscheidende ist nicht, wie die Wahrheit von „Schnee ist weiß“ zustande kommt, sondern wie die Falschheit von "Schnee ist schwarz" zustande kommt. Es ist eigentlich gleichgültig, wie der Sinneseindruck "Weiß" entsteht. Es kommt aber darauf an, dass er sich von anderen Sinneseindrücken unterscheidet, sprich, dass es Sinneseindrücke gibt, die nicht "Weiß" sind, z.B. "Schwarz". Eine Eigenschaft ist eine Einschränkung von dem was man meint, der Ausdruck "ist weiß" grenzt die Menge des gemeinten ein, Dinge die schwarz sind, sind eben nicht gemeint. Wenn ich noch nie Schnee gesehen hätte und der Überzeugung wäre, dass Schnee schwarz ist und dann das erste Mal Schnee sehen würde, würde ich feststellen, dass meine Überzeugung nicht mit der Erfahrung korrespondiert. Daran sehe ich zunächst, dass meine Überzugung falsch sein kann. Ich hoffe aber, dass ich prinzipiell zu einer richtigen gelangen kann. Ich versuche daher meine Überzeugungen so anzupassen, dass sie möglichst stark mit meinen Erfahrungen korrespondieren.

Die Vorstellung von "physikalischen Fakten" beruht auf der Erfahrung, das dich Gegenstände auf ganz viele Weisen nicht verhalten. Das Phänomen ist, dass sich normalerweise keine Erfahrung machen lässt, die von F=ma abweicht. Deswegen bezeichnen wir F=ma als einen Fakt. Allerspätestens seit Popper wissen wir aber, dass es kein Wahrheitskriterium gibt. Wir können nicht sicher sein, ob dies ein Fakt ist, wir nehmen aber an, dass wir der Realität sehr nahe sind, solange uns diese Formel das liefert, was wir von ihr erwarten.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Nov 2012, 23:00

ujmp hat geschrieben: Nochmal: Das Entscheidende ist nicht, wie die Wahrheit von „Schnee ist weiß“ zustande kommt, sondern wie die Falschheit von "Schnee ist schwarz" zustande kommt.


Aber es geht um die Frage, was Wahrheit ist.

ujmp hat geschrieben: Es ist eigentlich gleichgültig, wie der Sinneseindruck "Weiß" entsteht. Es kommt aber darauf an, dass er sich von anderen Sinneseindrücken unterscheidet, sprich, dass es Sinneseindrücke gibt, die nicht "Weiß" sind, z.B. "Schwarz".


Da sind wie einer Meinung.

ujmp hat geschrieben: Eine Eigenschaft ist eine Einschränkung von dem was man meint, der Ausdruck "ist weiß" grenzt die Menge des gemeinten ein, Dinge die schwarz sind, sind eben nicht gemeint.


Ja.

ujmp hat geschrieben: Wenn ich noch nie Schnee gesehen hätte und der Überzeugung wäre, dass Schnee schwarz ist und dann das erste Mal Schnee sehen würde, würde ich feststellen, dass meine Überzeugung nicht mit der Erfahrung korrespondiert.


Wenn Du inzwischen gelernt hättest, den Begriff „weiß“ korrekt zu verweden.

ujmp hat geschrieben: Daran sehe ich zunächst, dass meine Überzugung falsch sein kann.


Aber nicht im Alleingang.
Wenn Du zum ersten Mal die Erde betrittst und fälschlich annehmen würdest, Schnee sei schwarz, aber Schnee anhand anderer Faktoren erkennen könntest würdest Du einfach denken (so Du unsere Sprache sprichst) wie herrlich schwarz der Schnee doch ist und Deine Sinneserfahrung könnte Dich nur von dem Irrtum abbringen wenn Du den Begriff weiß in anderen Fällen korrekt zuordnen könntest. Hast Du die Begriffe „schwarz“ und „weiß“ einfach vertauscht, würdest Du denken: „Wie herrlich schwarz der Schnee ist, so schwarz wie meine Milch heue morgen.“ Und erst der Kontakt it anderen Sprechern könnte Dir die Chance geben Dich zu korrigieren. Aber nicht weil Schnee weiß ist (das ist er) , sondern, weil er von anderen so genannt wird und bestimmte Substitutionen möglich sind.

ujmp hat geschrieben: Ich hoffe aber, dass ich prinzipiell zu einer richtigen gelangen kann. Ich versuche daher meine Überzeugungen so anzupassen, dass sie möglichst stark mit meinen Erfahrungen korrespondieren.


Löblich, aber ohne den Kontakt mit anderen gar nicht möglich, zumindest nicht in dem Fall.
Bestimmte Korrekturen kann man auch allein Vornehmen, aber da muss man schon über einiges Vorwissen verfügen.

ujmp hat geschrieben:Die Vorstellung von "physikalischen Fakten" beruht auf der Erfahrung, das dich Gegenstände auf ganz viele Weisen nicht verhalten. Das Phänomen ist, dass sich normalerweise keine Erfahrung machen lässt, die von F=ma abweicht. Deswegen bezeichnen wir F=ma als einen Fakt.


Was bedeutet denn F=ma?
Und was heißt, dass physikalische Fakten bedeutet, dass sich Gegenstände auf ganz viele Arten nicht verhalten?

ujmp hat geschrieben: Allerspätestens seit Popper wissen wir aber, dass es kein Wahrheitskriterium gibt.


Da stimmt ja nicht. Es gibt kein letztgültiges für die emprische Welt, aber 5+7=12 und das war, ist und bleibt wahr, wenn wir von normaler Mathemathik reden.

ujmp hat geschrieben:Wir können nicht sicher sein, ob dies ein Fakt ist, wir nehmen aber an, dass wir der Realität sehr nahe sind, solange uns diese Formel das liefert, was wir von ihr erwarten.


Nö. Kennst Du Skinners Experiment, in dem er Tauben konditioniert?
http://www.michael-michaelis.de/htdocs/ ... 222311_leb
Die Tauben kriegten was sie erwarteten und allesamt „irrten“ sie sich.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 26. Nov 2012, 23:56

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und die Frage: "wann können wir gerechtfertigt etwas als wahr ansehen?" ist, wie gesagt, eine andere als die Frage: "was bedeutet 'wahr' "?

Inwiefern? Für mich ist das eine leicht andere Formulierung mit nahezu identischem Inhalt.
Wo siehst Du den entscheidenden Unterschied?


Der Unterschied besteht darin, dass die eine eine epistemische Frage ist und die andere eine semantische Frage:

1. Woran erkennt man die Wahrheit einer Aussage?
2. Worin besteht die Wahrheit einer Aussage?

Wenn ich weiß, dass die Wahrheit einer Aussage in der Übereinstimmung mit einer entsprechenden Tatsache besteht, dann weiß ich noch nicht, woran ich erkenne, ob eine solche Übereinstimmung besteht. Das heißt, eine Wahrheitsdefinition ist eine Sache und ein Wahrheitskriterium eine andere.

"Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Wahrheit von Propositionen zu explizieren. Die eine ist der definitorische Weg: der Versuch, eine Definition des Begriffs 'ist wahr' als eines Charakteristikums von Propositionen zu geben. Die andere ist der Weg über die Kriterien: der Versuch, die Überprüfungsbedingungen anzugeben, von denen abhängt, ob es berechtigt ist, die Bezeichnung 'ist wahr' auf eine bestimmte Proposition anzuwenden. Über die Wahrheitstheorie lässt sich erst verbindlich diskutieren, wenn Klarheit darüber besteht, welche dieser Fragen die Theorie beantworten soll. Soll sie die Bedeutung von 'Wahrheit' erklären und auf diese Weise eine Definition des Begriffs geben? Oder soll sie die Bedingungen für die korrekte Anwendung des Begriffes geben und damit ein Wahrheitskriterium liefern?
Die beiden Probleme sind...offensichtlich verschieden. Mit Hilfe von Lackmuspapier können wir feststellen, ob eine bestimmte Flüssigkeit eine Säure ist oder nicht, aber der Test mit dem Lackmuspapier sagt uns nichts darüber, was es bedeutet, eine Säure zu sein. ...Der Besitz eines Kriteriums zur Feststellung des Vorliegens oder Fehlens einer bestimmten Eigenschaft (sei es nun die, eine Säure zu sein, Intelligenz oder Wahrheit) ist eine Sache, der Besitz einer Definition oder Spezifikation ihrer Bedeutung eine andere."


(Rescher, Nicholas. "Die Kriterien der Wahrheit." 1973. In Wahrheitstheorien, hrsg. v. Gunnar Skirbekk, 337-390. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989. S. 337f.)

Die Konsenstheorie bietet nur ein erkenntnistheoretisches Wahrheitskriterium. Denn wenn "A ist wahr" definiert wird als "A wird von allen (Wissenschaftlern) als wahr anerkannt", dann kommt "wahr" zirkulärerweise im Definiens vor, sodass wir es nicht mit einer tauglichen Wahrheitsdefinition zu tun haben.
Meinungsübereinstimmung als Wahrheitskriterium kann übrigens auch von einem Korrespondenztheoretiker akzeptiert werden: Woran erkenne ich, dass eine Aussage der Wirklichkeit entspricht? Daran, dass alle (Wissenschaftler) glauben, dass sie der Wirklichkeit entspricht. Und ob alle (Wissenschaftler) glauben, dass sie der Wirklichkeit entspricht, lässt sich mittels Umfragen feststellen.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Di 27. Nov 2012, 00:34

Vollbreit hat geschrieben:In dem Abschnitt über die Korrespondenztheorie (bei wiki: Wahrheit) steht, dass es unklar ist was denn nun als Tatsache gilt.
Ich bin ein klarer Verfechter – wie Du offensichtlich auch – der Ansicht, dass Wahrheitswerte nur Aussagen zukommen. Es ist jetzt die Frage, inwieweit das allgemeiner Konsens ist. Ich habe jedenfalls schon Diskussionen geführt, in denen die Existenz von etwas als Faktum der Wahrheit angesehen wurde. Also nicht die Aussage darüber, dass etwas existiert, sondern die schiere Existenz.
Wie ein Bratpfanne wahr sein kann, ist mir aber bis heute nicht klar.


Weder Sachen noch Tatsachen (als wirkliche Sachverhalte, nicht als wahre Aussagen) sind mögliche Wahrheitsträger.
Was Aussagen als Wahrheitsträger anbelangt, so stellt sich die Frage, was genau unter einer Aussage zu verstehen ist:

i. eine nichtsprachliche, sprach- und geistunabhängige abstrakte Entität, von Frege "Gedanke" und im Englischen "proposition" genannt?
ii. eine abstrakte sprachliche Entität, ein Aussagesatztyp?
iii. eine konkrete sprachliche Entität, ein Aussagesatzexemplar?

Abstrakte Frege'sche Gedanken, die keine Gedanken im psychologischen Sinn, d.h. keine konkreten Denkvorgänge sind, sind nicht nur von bestimmten Sprachen unabhängig, sondern von Sprache (sowie Geist) überhaupt, wohingegen sowohl abstrakte Aussagesatztypen als auch konkrete Aussagesatzexemplare von einer bestimmten Sprache abhängig sind. Für einen (materialistischen) Naturalisten wie mich sind abstrakte Entitäten generell "entia non grata", sodass ich wohl nicht umhinkomme, unter einer Aussage einen konkreten gedachten oder mündlich oder schriftlich geäußerten Aussagesatz zu verstehen. Was genau Frege'sche Gedanken sein sollen (sind sie z.B. in sich strukturiert oder nicht?) und inwieweit sie sich ontologisch sinnvoll von Sachverhalten/Tatsachen einerseits und Aussagesätzen andererseits abgrenzen lassen, ist mir nicht klar.

Propositions: http://plato.stanford.edu/entries/propositions/

Structured Propositions: http://plato.stanford.edu/entries/propo ... tructured/

Singular Propositions: http://plato.stanford.edu/entries/propo ... -singular/
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 26 Gäste