Darth Nefarius hat geschrieben:Wie bereits bei stine angemerkt, BIST du jetzt ja nicht in diesem Zustand, fürchtest ihn aber trotzdem. Du bist NICHT blind, fürchtest es aber zu sein. Ich bin NICHT tot, fürchte es aber zu sein. Man fürchtet den Verlust von etwas, das einem wichtig ist: Die Fähigkeit etwas wahrzunehmen, etwas tun zu können oder einfach das Leben selbst. Mich wundert die aufrichtige Gleichgültigkeit hier gegenüber dem wertvollsten, das wir haben: das Leben.
Ah, ein Missverständnis: Meine Akzeptanz meiner eigenen Endlichkeit hat nichts mit Gering-, sondern im Gegenteil mit Wertschätzung des Lebens zu tun. Ich habe nur erkannt, dass es ein wichtiges Unterfangen ist, sich von der Angst um den Tod zu lösen, weil sie, und da sind wir uns ja auf verquere Weise einig, das eigentliche ist, was uns dabei im Weg steht, zu leben. Ich habe auf dieser Welt wenn es so richtig gut läuft vielleicht 80, 90 Jahre zu leben und zwar unabhängig davon, ob ich jetzt Angst vor dem Tod habe oder nicht. Die Angst vor dem Tod wird mich, jedenfalls auf lange Sicht betrachtet, nicht retten. Also verschwende ich nicht die wertvolle Zeit, die ich habe, mit dem Betrauern meines eigenen Todes. Das sollen Andere machen. Ich weine lieber um die, die ich selbst verloren habe und bemühe mich, möglichst nicht durch Unverantwortlichkeit meinen eigenen Tod herbei zu führen, auch und gerade, weil ich ja auch für Andere verantwortlich bin.
Darth Nefarius hat geschrieben:Selbst eure Moral basiert doch letztlich auf der wichtigsten Sorge: Dem Tod. Die goldene Regel, das Strafgesetz - alles hat das Leben des Menschen als Fokus. Es soll erhalten werden, geachtet und was auch immer. Es wird als verwerflich betrachtet, ein Leben auszulöschen, es wird als notwendig erachtet, sich zu schützen. Diese vielleicht intersubjektivsten Prämissen leiten sich aus der Angst vor dem Tod ab. Was wenn jeder das Leben als nicht erhaltenswert betrachtet, wenn der Tod nicht zu fürchten ist? Impliziert es nicht, dass nicht nur das eigene, sondern auch jedes andere Leben als wertlos betrachtet wird?
Ich behaupte, dass du hier zwei Sachen vermischt: Die Akzeptanz des Todes als natürlichem Bestandteil des Lebens und die Akzeptanz eines gewaltsamen Todes durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Das erste ist unvermeidlich, und ein Großteil der Lebensweisheiten der Menschheit dreht sich um die Frage, wie man damit umgehen sollte. Moralvorstellungen haben damit nichts zu tun, denn der Mensch hat darüber keine Gewalt und damit auch keine Regelungskompetenz. Das zweite ist vermeidbar und jemand anderem Lebenszeit zu nehmen, ist genauso ein Verbrechen, wie jemand anderem sonstiges (legitimes) Eigentum wegzunehmen, nur dass Mord nochmal eine ganz andere Qualität besitzt. Hier hat der Mensch Regelungskompetenz, denn es geht dann darum, dass jemandem verfügbare Lebenszeit vermiest oder genommen wurde. Alles, was nach einem natürlichen Tod kommt, ist aber grundsätzlich unverfügbar, und deshalb hilft auch alles Jammern und Moralisieren hier nicht weiter. Akzeptanz und seinen Frieden mit der eigenen Sterblichkeit zu machen ist das einzige, was ich als echte Lösung sehen kann, um sein Leben wirklich genießen zu können.
Darth Nefarius hat geschrieben:Auch wenn ihr es jetzt nicht zugeben wollt, um euch der Angst nicht zu stellen, so ist die Angst vor dem Tod das, was unser Leben am stärksten bestimmt. Plausibel, dass die größte Angst einfach geleugnet wird, um sie nicht erleben zu müssen. Ein Verlust ist nicht nur dann fürchtenswert, wenn man ihn mitbekommt. Was doch viele antreibt, ist den morgigen Tag zu erleben, vielleicht den Durchbruch in der eigenen Forschung, eine Beförderung, das Begegnen der großen Liebe, das Kennenlernen der eigenen Kinder und Kindeskinder. Fürchtet ihr etwa nicht, dies alles NICHT erleben zu können? Nicht nur wahrnehmbares Leid ist fürchtenswert, sondern auch die Situation, dass man manches nie wird erleben können! Ich erwarte, dass dieses bisschen Antizipation von euch geleistet werden kann.
Wird es ja. Aber es ändert ja nichts an der simplen Feststellung, dass die Angst das ist, was einen beeinträchtigt, nicht der Tod an sich. Und damit kann man ja bewusst umgehen. Todesangst zu haben und das auch zu wissen muss nicht heißen, dass man sich ihr nicht stellen kann. Auch ein Soldat oder Feuerwehrmann geht ja unter Umständen dem sehr wahrscheinlichen Tod entgegen, und tut es trotz der Todesangst, weil er der Ansicht ist, dass es wichtigeres gibt als das individuelle Überleben.
Darth Nefarius hat geschrieben:Tod bedeutet kein Glück mehr wahrnehmen zu können - da ist es für mich kein Trost, dass ich auch nicht mehr leiden würde. Leid kann ich ertragen, aber nicht die Abwesenheit von Glück und die Hoffnung darauf.
Im Augenblick des Todes verstummt auch dein Verlangen nach Glück. Mir persönlich wäre es viel wichtiger, glücklich zu sterben, als ewig in Angst vor dem Tod zu leben.
Darth Nefarius hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Wie viele schwerstkranke Leute wollen lieber sterben als ein Leben angefüllt mit qualvollen Schmerzen zu leben?
Zu viele, die sich eigentlich nicht bewusst sind, was sie noch alles genießen könnten.
Wenn selbst Morphium am Dosierungslimit keine Linderung von Schmerzen mehr bringt, die keinen anderen Gedanken mehr zulassen, habe ich Verständnis dafür, dass es Menschen gibt, die den Tod ein paar Monate vorziehen möchten.
Darth Nefarius hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Töten wir Tiere nicht eher "um sie von ihrem Leiden zu erlösen", als dass wir sie zwingen, nichts mehr erleben zu können außer Ohnmacht und Schmerz?
Nein, wir töten kranke und verwundete Tiere, damit sie uns nicht zur Last fallen. Wäre nämlich das die korrekte Argumentation, wäre Sterbehilfe für Menschen hier nicht illegal und andernorts so kontrovers.
Ich stehe der Sterbehilfe selbst mit einer gemischten, nicht ganz geklärten Meinung gegenüber, wobei das recht weit in philosophische Gegenden hineinreicht, wo ich mir recht sicher bin, dass du schon die Prämissen häufig nicht akzeptieren würdest. Von daher klammere ich diesen Teil für den Moment lieber mal aus, das ist mir für jetzt gerade ein zu großes Fass.
Was die Motivation von Leuten angeht, die ihre Tiere einschläfern lassen, gehe ich weiterhin fest davon aus, dass Tötungen auch aus Mitgefühl geschehen.
Darth Nefarius hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Der Verlust der Lebensqualität ist in diesen Stadien ja gerade deshalb schlimm, weil man ihn erkennen kann.
Es ist alles eine Frage der Einstellung und Perspektive, ob es einem gut oder schlecht geht.
Wenn du heute jung und gesund bist und das Leben voller Möglichkeiten zu sein scheint, und du schließlich alt, schwach und gebrechlich wirst, vieles, was du gerne gemacht hast, nicht mehr tun kannst, geliebte Freunde längst tot sind und du vielleicht durch Hör- und Sehschwäche selbst im nächsten Umfeld schleichend isoliert wirst, dann kannst du selbstverständlich der Einstellung sein, dass das Leben immer noch grundsätzlich etwas Schönes ist. Aber auf die Frage "War es vor zehn Jahren einfacher und konnten Sie mehr machen?" würdest du wohl trotzdem ehrlich mit "ja" antworten.
Darth Nefarius hat geschrieben:Ihr seid so verzogen und unberührt von Leid, dass ihr gar nicht wisst, was wirkliches Leid bedeutet und wie man dennoch das Beste aus seiner Situation macht!
Wirklich? Das Mein-Haus-mein-Auto-meine-Yacht-Spiel? Du wärst vielleicht erstaunter, als du denkst.
Darth Nefarius hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:
Der Witz ist doch nun, dass man Todesangst nur im Zustand der Abwesenheit des Todes empfinden kann.
Richtig, ich erkenne aber nicht den Witz daran.
Warum etwas fürchten, was einen eh nicht berührt? Der Tod Anderer sollte einem viel mehr Angst machen als der eigene, wenn man logisch überlegt.
Darth Nefarius hat geschrieben:Blödsinn, diese Angst ermöglicht mir den morgigen Tag zu erleben, auf etwas Besseres zu hoffen und mein momentanes Glück wahrzunehmen, das Leben zu schätzen. Auch Angst bedeutet nicht zwangsläufig, dass man Leid empfindet - Angst kann ein Rausch sein, einen Schub der Motivation verursachen, dich schneller und stärker machen. Schmerzen bedeuten auch nicht unbedingt Leid, sie können auch Wut und Angst verursachen. Letztlich gibt es nichts, was wirklich zwangsläufig Leid verursacht, wenn man es nicht zulässt. Leid ist emotional manifestierte Resignation. In den beschissensten Situationen habe ich nie Leid zugelassen, sondern nur Wut und Angst.
Diese Einstellung kann einem sicher über vieles hinweghelfen. Aber der Tod ist ein anderes Kaliber, den wirst du nicht besiegen, ihm höchstens schwere Rückzugsgefechte liefern.
Natürlich ist Lebenswille etwas Gutes und ich habe nirgendwo die blanke Todesverachtung gelobt. Aber ich denke, dass man einen gesunden Realismus pflegen sollte, wenn es um die eigene Sterblichkeit geht.
Jounk33 hat geschrieben:Zunächst aber was zur Statistik, ja, aus menschlichem Verhalten kann man Statistiken anfertigen und zwar für alles mögliche. Aber umgekehrt können alle Statistiken keinen einzigen Menschen erklären und keine noch so genaue Statistik kann menschliches Verhalten vorhersagen.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Mir ist das bewusst.
Jounk33 hat geschrieben:Die eigentliche Sache die ich erwähnen wollte ist die. Was man als Unzufriedenheit meint bei ältere Menschen zu verzeichen ist eventuell gar nicht die Art von Unzufriedenheit die wir im jungen und mittleren Alter kennen. Bzw. könnte diese Art von Unzufriedenheit auch gar nichts mit Krankheit und Tod ansich zu tun haben sondern auf der Tatsache beruhen, dass die westliche Kultur vorwiegend auf Jugend ausgerichtet ist und ältere Leute quasi immer mehr sozial unsichtbar werden, also für das gemeinsame Leben nicht mehr so wichtig sind wie junge und gesunde Menschen.
Dass es an diesem Phänomen einen starken kulturellen Anteil geben könnte, halte ich durchaus für plausibel. Sollte das zutreffen, wäre das natürlich eine Chance für uns, uns von der Miesepetrigkeit gegen Lebensende ein Stück weit zu emanzipieren.