Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 11. Jan 2014, 19:49

ice hat geschrieben:Aber unter einem reinen, puren, blinden, perfekten, absoluten Zufall kann ich mir nichts vorstellen. Ich verstehe ihn nicht und weigere mich irgendwie, ihn einfach nur als Naturphänomen zu akzeptieren. Er untergräbt meine intuitive Vorstellung von einer einheitlichen ganzheitlichen Welt, in der konsistente physikalische (Natur)-Gesetzmäßigkeiten herrschen.

Diese intuitive Vorstellung fehlt mir dann wohl. Als Arbeitshypothese: kein Problem und insofern sinnvoll. Als ontologische Aussage: wäre mir zu weit aus dem Fenster gelehnt.

ice hat geschrieben:Meine Selbstbezeichnung "Inkompatibilist" beruht auf der von dir beschriebenen Ansicht, dass Determinismus und Freiheit sich ausschließende Gegensätze sind.

Ja, eben so ist Inkompatibilismus definiert.

ice hat geschrieben:Aber von mir aus bin ich auch Kompatibilist, weil ich ja das (vielleicht illusorische) "Gefühl" von Freiheit verstehe und zulasse.

Nein, ein Kompatibilist behauptet - im Gegensatz zum Inkompatibilisten - dass Determinismus und Freiheit nicht sich ausschließende Gegensätze sind, sondern vereinbar, eben kompatibel. Außerdem behaupten sie, dass Freiheit nicht nur ein Gefühl und nicht nur illusorisch ist.

ice hat geschrieben:Mir geht es in diesem Thread hauptsächlich um den harten atheistischen oder physikalischen Determinismus. Der schließt Freiheit definitionsgemäß aus, wenn wir uns auf obige Definition einigen: "Eine Welt ist dann determiniert, wenn alle Ereignisse in ihr (hypothetisch) eindeutig auf einen vorherigen Weltzustand und auf (Natur)-Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden können." Der Weltzustand schließt alle Subjekte mit Bewusstsein mit ein. Daher sind auch diese Subjekte mit Bewusstsein determiniert.

Determinismus schließt Freiheit nicht definitionsgemäß aus. Hier fehlt daher die Definition von Freiheit, um eine Aussage über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Determinismus und Freiheit machen zu können.
Zuletzt geändert von AgentProvocateur am Sa 11. Jan 2014, 20:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 20:00

AgentProvocateur hat geschrieben:Das war eigentlich nur mein Punkt hier: es ist möglich, dass sich jemand irrt bezüglich seiner Annahme, seine Entscheidung sei wesentlich auf ihn selber zurückführbar, auf seinem Mist gewachsen, auch dann, wenn er selber das nicht einsehen will.
Ist fraglos möglich.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie will man so etwas entscheiden, besonders in Grenzfällen? Naja, so wie man andere Fragen auch entscheidet, dabei kommt es aber nicht (nur) auf eine Mehrheitsmeinung, sondern auf Argumente an. Und Grenzfälle sind oft schwierig, viele unserer Begriffe sind unscharf, decken ein Kontinuum zwischen dem einen und dem anderen Extrempol ab.
Ein feines Geflecht bestehend aus aktuellen Meinungsführern, Autoritäten, der Art und Güte ihrer Begründungen und ihren Gegnern. Um simple Mehrheiten geht es da nie.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 11. Jan 2014, 20:05

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, bloß ist mein Einwand hier immer noch, dass PAP entweder ein leeres Konzept ist, oder aber, wenn man es ausbuchstabiert, nicht plausibel wird, wieso PAP eine notwendige Vorsaussetzung für Freiheit sein soll.

Aber es ist doch nicht Aufgabe des Deterministen, den unplausiblen Freiheitsbegriff Frht_a (PAP) auszubuchstabieren und plausibel zu machen, wenn er ihn für unplausibel hält.

Aber Du vertrittst doch diesen Freiheitsbegriff, kompatibilistische Freiheit ist doch nach Deiner Ansicht nach nicht hinreichend für einen gehaltvollen Begriff von Freiheit, weil darin PAP fehlt, oder etwa nicht? Also musst Du Deinen Begriff von Freiheit auch plausibel machen, zeigen, wie PAP verstanden werden kann und wieso PAP notwendige Voraussetzung für echte Freiheit sei.

fopa hat geschrieben:Diese Aufgabe obliegt denjenigen, die diese Willensfreiheit behaupten. Der Determinist kann nur feststellen, dass der unplausible Freiheitsbegriff Frht_a (PAP) landläufig etabliert ist und versuchen, sich davon abzugrenzen, indem er behauptet, dieser Freiheitsbegriff sei mit dem Determinismus unvereinbar.

Um überhaupt erst behaupten (und das ggf. z.B. durch Umfragen testen) zu können, dass PAP landläufig etabliert sei, muss man doch wohl PAP hinreichend ausbuchstabieren. Eine Behauptung derart: "ich weiß nicht, was PAP ist, aber erstens ist PAP notwendige Bedingung für Freiheit und zweitens ist PAP landläufig etabliert" hört sich mehr als merkwürdig an.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber ein Gegenbeispiel (gegen (B=>A) ) habe ich doch aber oben bereits gebracht, das Beispiel mit dem Hypnotiseur?
Ist das so? Waren irgendwelche inneren oder äußeren Umstände zum Zeitpunkt der Handlung des Hypnotisierten gegen dessen (momentane!) Wünsche oder Bedürfnisse gerichtet? Das lässt sich leider nicht objektiv nachprüfen.

Man kann sie doch einfach fragen. Wenn auch nur einer dann sagte: "oh, wusste nicht, dass der Hypotiseur mir das befahl, dann ist das wohl nicht auf meinem Mist gewachsen", dann ist Deine These wohl widerlegt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jan 2014, 21:36

ice hat geschrieben:Warum haben wir dann das "Gefühl" von Freiheit? Warum ist diese Freiheit so wichtig für uns? Lässt sich das vielleicht evolutionstheoretisch irgendwie erklären? Wann ist dieses "Gefühl" entstanden? Welchen Zweck verfolgt die Natur/das Gehirn mit diesem "Gefühl"?

Was du da erlebst ist dein "narrative Network" - tippe ich. Mal von vorne: Der Selektionsvorteil der Sprache besteht u.a. darin, dass du von Erfahrungen profitieren kannst, ohne sie selbst gemacht haben zu müssen. Deine Eltern stellen sie dir aus Gründen der Reproduktionsoptimierung zur Verfügung, indem sie sie dir erzählen. Es gibt noch andere Vorteile, aber der eine reicht schon. Diese mitgeteilten Erfahrungen sind in deinem Gehirn letztlich im selben Format abgespeichert, wie deine eigenen Erfahrungen. Sie können daher auch den selben Einfluss auf das Verhalten deines Organismus ausüben. Denken besteht zu großen Anteilen aus innerem Sprechen. Wenn du über etwas bewusst nachdenkst und dann eine Entscheidung triffst, sprichst du dir Gründe vor - oder besser gesagt, du erlebst den Begründungsprozess mit (anders ausgedrückt: du erlebst den Determinationsprozess mit). Das kann man mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen. Wenn ein Mensch mit sich redet flackern bestimmte Bereiche im Gehirn auf, die "narrative Network" genannt werden (heißt wohl "erzählendes Netzwerk", das ist z.B. nicht aktiv, wenn du einfach nur wahrnimmst). Das ist - vermute ich - das Ding, was du für deinen Willen hältst. Es ist ein Prozess, der deinen Organismus lenkt. Du erlebst es genau so, wie du "Rot" erlebst, wenn du Rot siehst. Rot ist eine Projektion einer physikalischen Realität und dein "freier Wille" ist eine Projektion einer determinierten Realität. Dein Sprechen ist das Zünglein an der Waage, dass deinem physikalisch instabilen Organismus die Richtung vorgibt(nicht nur das was Behavioristen "Sprachverhalten" nennen). Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 11. Jan 2014, 22:21

ujmp hat geschrieben:Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.

Diese Ansicht wurde von Dennett - mE sehr zutreffend - mit dem Begriff Cartesian Theater kritisiert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » So 12. Jan 2014, 02:44

ujmp hat geschrieben:du erlebst den Begründungsprozess mit (anders ausgedrückt: du erlebst den Determinationsprozess mit). [...] Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.

  • Wenn ich den (determinierten) Prozess nicht durchführe - wer bzw. was tut es dann?
  • Wenn ich und meine Vernunft etwas Verschiedenes sind - wo bin ich und wo ist die Vernunft? Man kann ja angeblich mit bildgebenden Verfahren heute alles mögliche sichtbar machen. Also?
Einerseits behauptest du, das Ich und der Vernunftapparat wären zwei verschiedene Dinge und das Ich würde keinen Einfluss auf dessen Prozesse nehmen. Mal davon abgesehen, dass das kristallklarer Dualismus wäre, den seitens der Kompatibilisten hier ohnehin niemand vertritt, frage ich mich, wer so etwas annehmen würde. Würde ich Einfluss darauf nehmen wollen, was ich für vernüftige Gründe halte, müsste ich das ebenfalls aus Gründen tun. Diese Gründe müssen aber irgendwo herkommen und werden üblicherweise im Rahmen reflektiver - also vernünftiger - Überlegungen generiert. Und warum überhaupt sollte ein raum- und funktionsloses Ich überhaupt existieren?
Es stellt sich die Frage, was und wen genau du hier widerlegen willst, da die Kompatibilisten an keiner Stelle das Ich vom determinierten Hirn lösen, sondern beides als untrennbare Einheit betrachten, die lediglich aus unterschiedlichen Perspektiven (einer mechanistischen Außenperspektive und einer Sprachspiel-Innenperspektive) betrachtet werden kann. Der Kompatibilist sieht da keinen Widerspruch, deshalb finde ich es befremdlich, wenn Inkompatibilisten den Kompatibilisten erst einen Dualismus aus Ich und determiniertem Hirn unterstellen, dann das Ich verwerfen (während sie selber andauernd "ich" und "du" sagen und ihnen die Ironie daran nicht auffällt) und es schließlich über die Hintertür wieder einführen ("Das Ich sieht der Vernunft bei der Arbeit zu." - ganz im Ernst, wie soll das denn bitte hirnphysiologisch aussehen?), um letztlich selber bei einem Dualismus herauskommen, wo das Ich einerseits eine vom Hirn erzeugte Illusion sein und andererseits gar nicht existieren soll. Sehr amüsant: Das Ich darf es einerseits nicht geben, es geht aber irgendwie auch nicht so recht ohne, also wird es ausgelagert und auf einen Kinostuhl irgendwo im Hirn verlagert, von wo es dann sich selbst beim Existieren zusehen darf. Klingt sehr geisterhaft und nach verkapptem Substanzdualismus in meinen Augen.

Ach ja, und:
ujmp hat geschrieben:Der Selektionsvorteil der Sprache besteht u.a. darin, dass du von Erfahrungen profitieren kannst, ohne sie selbst gemacht haben zu müssen. Deine Eltern stellen sie dir aus Gründen der Reproduktionsoptimierung zur Verfügung, indem sie sie dir erzählen. Es gibt noch andere Vorteile, aber der eine reicht schon.

Das ist eine menschliche Projektion, die wissenschaftlich maximal hypothetischen Charakter hat. Insbesondere die latente Implikation, Sprache wäre "nur" ein Überlebensvorteil und sonst nichts, lässt sich mit keiner mir bekannten epistemologischen Schule halten, am wenigsten übrigens mit dem von dir geschätzten Popper, der ja grundsätzlich von einer größeren Menge an Nichtwissen ausgeht als von Wissen (d.h. es kann andere Gründe oder Modelle geben, die wir (noch) nicht kennen und zu behaupten "es kann nichts anderes sein" widerspricht insofern der gesamten Grundidee des Kritischen Rationalismus). Ich bin verwundert über die Gewissheit, mit der du deine Position verteidigst, wo du außer einer hübsch zurechtgelegten Story über das Ich, das in meinem Kopf vorm Fernseher vergammelt und Reason Channel glotzt, nicht wirklich sehr belastbare Pro-Argumente für die Richtigkeit deiner Argumentation bringst. Wenn ich genau drüber nachdenke, bin ich ehrlich gesagt nicht sicher, ob du überhaupt ein Argument vorgebracht hast, das nicht Behauptungscharakter hat, aber wenn ich dir da Unrecht tun sollte, klär mich bitte auf. Ich habe den Eindruck, dass das alles mehr so eine Das-sieht-man-doch-dass-das-richtig-sein-muss-das-klingt-so-klar-und-konsistent-Geschichte ist. Ich hatte dich schon weiter vorne darauf hingewiesen, dass du meiner Meinung nach an einigen Stellen längst die Grenze zum Essentialismus überschritten hast, und zwar überall da, wo du einfach feststellst, dass etwas so und so ist.

Evolutionstheorie ist übrigens ohne Frage eine prima Sache, aber wenn man sie als allerklärendes Dogma behandelt, ist man einfach einmal im Kreis gelaufen und wieder beim blinden Glauben angelangt. Das hat dann auch nichts gebracht, aber zumindest hat man ein neues Welterklärungsgerüst, an dem man sich festhalten kann.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 08:21

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber Du vertrittst doch diesen Freiheitsbegriff, kompatibilistische Freiheit ist doch nach Deiner Ansicht nach nicht hinreichend für einen gehaltvollen Begriff von Freiheit, weil darin PAP fehlt, oder etwa nicht? Also musst Du Deinen Begriff von Freiheit auch plausibel machen, zeigen, wie PAP verstanden werden kann und wieso PAP notwendige Voraussetzung für echte Freiheit sei.
Ich vertrete diesen Freiheitsbegriff nicht. Ich stelle fest, dass es im Zusammenhang mit "freiem Willen" keinen einheitlichen Freiheitsbegriff gibt, und dass (meiner Erfahrung nach) landläufig eher der PAP-Freiheitsbegriff etabliert ist. Der Kompatibilismus mag für sich einen anderen (plausiblen) Freiheisbegriff definieren, mit dem ich auch vollkommen einverstanden bin. Bloß nützt es nichts, wenn Andere einen dann ständig missverstehen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Um überhaupt erst behaupten (und das ggf. z.B. durch Umfragen testen) zu können, dass PAP landläufig etabliert sei, muss man doch wohl PAP hinreichend ausbuchstabieren. Eine Behauptung derart: "ich weiß nicht, was PAP ist, aber erstens ist PAP notwendige Bedingung für Freiheit und zweitens ist PAP landläufig etabliert" hört sich mehr als merkwürdig an.
Dasselbe Problem besteht bei anderen Begriffen, beispielsweise "Gott". Hat denn jeder, der glaubt, es gäbe Gott oder es känne ihn geben, diesen Begriff "ausbuchstabiert" und auf logische Konsistenz geprüft? Nichtsdestotrotz sprechen die Menschen darüber und glauben daran.
Wenn du nun den Begriff "Gott" mit einem völlig anderen Inhalt füllst und anschließend mit Leuten über "Gott" redest, wird nichts als Missverständnis dabei herauskommen.

AgentProvocateur hat geschrieben:[... Hypnotiseur ...]
Man kann sie doch einfach fragen. Wenn auch nur einer dann sagte: "oh, wusste nicht, dass der Hypotiseur mir das befahl, dann ist das wohl nicht auf meinem Mist gewachsen", dann ist Deine These wohl widerlegt.
Im Nachhinein, ja. Es geht aber um den Zeitpunkt der Entscheidung bzw. der Handlung. Im Nachhinein kann man immer Zwänge identifizieren, die einen zu jenem Zeitpunkt zu jener Handlung oder Entscheidung gebracht haben. Aber wenn man sie zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht als Zwang empfunden hat, wie sollte man es dann zu diesem Zeitpunkt als Zwang bezeichnen können? Zwang ist letztlich doch nichts als das Gefühl des Gezwungen-Werdens.
Wenn man im Nachhinein feststellt, dass man zu jenem Zeitpunkt unter Zwängen stand und so entscheiden musste, zieht dies das nachträgliche Gefühl einer unfreien Handlung nach sich. Wer sagt dir, dass all die Handlungen, die du als frei empfindest (darauf begründet sich ja dein Freiheitsbegriff), sich nicht im Nachhinein als Zwangshandlungen herausstellen?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 09:08

Vollbreit hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Nach Roth ist der Verstand lediglich eine Art Feinmechaniker-Werkzeugkasten, mit dem unser Gehirn Lösungen für Probleme bzw. Aufgaben findet, die unsere Gefühle in Auftrag geben und am Ende evaluieren und ggf. Gutheißen.
Ja, alles in allem großer Mist.
Wozu Schulen, Aufklärung, (Hirn)Forschung wenn wir doch nur nackte Affen sind?
Wer das glaubt, sollte manipulieren, nicht aufklären.
Insofern kann Aufklärung auch als Manipulation aufgefasst werden, denn der Mensch ist ja "von Natur aus" nicht aufgeklärt (behaupte ich mal). Wenn dem Menschen beigebracht wird, wie er sein Feinwerkzeug besser nutzen kann, versetzt ihn das in die Lage, seine Wünsche und Bedürfnisse besser zu befriedigen. Dazu kann ja schließlich auch gehören, eine Technik zu entwickeln, die
Mag ja sein, dass mit Roths "Abschaffung der Macht des Verstandes" nicht einverstanden bist. Unplausibel oder widersprüchlich finde ich sie nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Und ein Ziel zu haben – was man sich selbst setzt – heißt ja nicht angepasst zu sein. Gut angepasst ist man im Hauptfeld, als Sieger ist man herausragend.
Du verwendest einen anderen Begriff von "Anpassung" oder "Angepasstheit". Im evolutionären Sinne ist damit gemeint, von der Qualitätsfunktion gut bewertet, also nicht ausselektiert zu werden.

Vollbreit hat geschrieben:Biologisch mag das sinnvoll sein, aber für Dich und mich heißt das erst mal gar nichts. Wenn Du heute noch lebst, bist Du angepasst genug.
Für den Moment hast du recht. Wir sprechen aber nicht vom Fortbestehen von Individuen, sondern von Genen/Populationen bzw. Ideen. Handelt ein Individuum zielgerichtet, kann das dazu führen, dass dies dem Fortbestehen seiner Gene oder seiner Ideen nützt. Es kann aber auch kontraproduktiv sein, und die Umstände sich derart ändern, dass nicht-zielgerichtete Mutation im Vorteil ist.
Damit will ich sagen, dass man zwar aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren und sein Verhalten daran ausrichten kann. Aber ob sich das tatsächlich als nützlich erweisen wird, ist ungewiss. Es hebelt den evolutionären Selektionsmechanismus nicht aus, sondern ist letztlich bloß eine Mutation mit größerer Mutationsweite/Mutationsstärke und dem Versuch, sich in Richtung Optimum zu entwickeln.



Vollbreit hat geschrieben:Besser und schlechter kennt “die Evolution” nicht
Selbstverständlich gibt es "besser" und "schlechter". Natürlich nicht im moralischen Sinn. Wenn eine Art oder eine Idee ausstirbt, war sie wohl "schlecht". Wenn sie über lange Zeit bestehen bleibt, sich dynamisch den verändernden Umständen anpasst, also nicht in einer evolutionären Sackgasse landet, ist sie wohl "besser".
Diese Bewertung zu negieren macht wenig Sinn. Denn offensichtlich findet eine Selektion statt, und irgendwie muss man die ausgestorbenen Arten und Ideen betiteln, ebenso die bestehenden und diejenigen, die schon sehr lange bestehen. Meinetwegen sag "erfolgreicher" und "weniger erfolgreich" statt "besser" und "schlechter" - es sind nur Worte.
Dass wir aus unserer menschlichen Perspektive möglicherweise ganz anders bewerten als die evolutionäre Qualitätsfunktion, ist selbstverständlich.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 12. Jan 2014, 09:12

Nanna hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:du erlebst den Begründungsprozess mit (anders ausgedrückt: du erlebst den Determinationsprozess mit). [...] Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.

  • Wenn ich den (determinierten) Prozess nicht durchführe - wer bzw. was tut es dann?
  • Wenn ich und meine Vernunft etwas Verschiedenes sind - wo bin ich und wo ist die Vernunft? Man kann ja angeblich mit bildgebenden Verfahren heute alles mögliche sichtbar machen. Also?

Ich habe nicht gesagt, dass es nicht dein Ich ist, das diesen Prozess durchführt, jedenfalls meine ich das nicht. Was ich meine ist, dass du einen determinierten Prozess als dein Ich, deinen Freien Willen erlebst. Dieser Prozess ist, um es noch etwas zu verdeutlichen, tatsächlich ausschlaggebend für dein Handeln und nicht nur eine Projektion von etwas, was du ohne diesen Prozess sowieso tun würdest. Dein Ich ist tatsächlich eine Schaltzentrale, seine Entscheidungen werden tatsächlich von ihn selbst getroffen und lenken deinen Organismus. Deine bewussten Gedanken sind tatsächlich die Hebel, die ihn in Bewegung setzen. Dies erlebst du als deine Freiheit. Es ist eigentlich die Macht oder das Vermögen einer Reihe von anderen kausalen Einflüssen entgegen zu wirken oder sie zu kanalisieren.
Deine Vernunft besteht letztlich in deiner Sprache. Sie ist aber im Kern nicht willkürlich konstruiert. Ihre Struktur muss bestimmte Anforderungen erfüllen, ob die nun angeboren sind oder nicht. Sie ist sozusagen dein Betriebssystem. Daher kannst du nicht frei wählen, was du für vernünftig hältst.

Die Frage "Wie kann ich Freiheit erleben, obwohl ich es nicht bin?" ist die selbe Frage wie "Wie kann ich Rot erleben, obwohl es das nicht gibt?" Die Antwort - von mir - lautet: Rot gibt es und es ist das Erleben einer Projektion der Realität, nämlich die der elektromagnetischen Wellen. Und es gibt Freiheit, sie ist das Erleben einer Projektion der Realität, nämlich die der Determination meines Handelns.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 10:23

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:[... Hypnotiseur ...]
Man kann sie doch einfach fragen. Wenn auch nur einer dann sagte: "oh, wusste nicht, dass der Hypotiseur mir das befahl, dann ist das wohl nicht auf meinem Mist gewachsen", dann ist Deine These wohl widerlegt.
Im Nachhinein, ja. Es geht aber um den Zeitpunkt der Entscheidung bzw. der Handlung. Im Nachhinein kann man immer Zwänge identifizieren, die einen zu jenem Zeitpunkt zu jener Handlung oder Entscheidung gebracht haben. Aber wenn man sie zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht als Zwang empfunden hat, wie sollte man es dann zu diesem Zeitpunkt als Zwang bezeichnen können? Zwang ist letztlich doch nichts als das Gefühl des Gezwungen-Werdens.
Wenn man im Nachhinein feststellt, dass man zu jenem Zeitpunkt unter Zwängen stand und so entscheiden musste, zieht dies das nachträgliche Gefühl einer unfreien Handlung nach sich. Wer sagt dir, dass all die Handlungen, die du als frei empfindest (darauf begründet sich ja dein Freiheitsbegriff), sich nicht im Nachhinein als Zwangshandlungen herausstellen?

Ja, das ist ein guter Einwand, der dann doch auf das Gefühl abzielt. Fühlte man sich zu der Zeit frei, ist alles in Butter, erkennt man die Manipulation ist das Gefühl der Freiheit zumindest beschädigt.
Agent hat in der Vergangenheit mal der These zugestimmt, dass wenn mich jemand erfolgreich manipuliert, ich aber gar nichts dagegen habe, dies der Freiheit nicht widerspricht.

Was letztlich „die Wahrheit“ ist, ist m.E. unmöglich zu sagen, nicht weil Freud sich irrte – praktisch wird ja so gut wie kein Mensch jemals hypnotisiert, aber es geht ja um den Modus der Suggestion oder der unbewussten Motive. Dass unsere Erklärungen mitunter nicht unseren „wahren Motiven“ entsprechen ist aus meiner Sicht völlig richtig, unmöglich ist hingegen die „wahren Motive“ zu finden. Nicht weil es keine Kandidaten gäbe, sondern weil wir in möglichen Kandidaten ersticken.

Ist es Sex? Bestimmt. Macht? Auch. Aggression? Sicher. Status? Warum nicht? Soziale Beeinflussung durch Eltern? Unvermeidlich. Peergroup? Ist gesichert.
Dann die diversen Versuche der Einflussnahme durch die aktuellen kulturellen Spielregeln, neue Freunde und Vorbilder, Werbung, Massenmedien und all diese Oberbegriffe kann man mit wenig Phantasie noch mannigfaltig ausbreiten. Am Ende bleibt die Frage, wer, zu welcher Zeit, an welchem Ende, wie stark zieht und wie stark das Ziehen ankommt.
Es wird sehr schnell unüberblickbar und willkürlich, wenn man das Objekt Mensch betrachtet und wer ihn wie beeinflusst.
Aber im Subjekt ordnet sich das ja zu aktuellen Meinungen und man kann den Menschen fragen. Wir haben uns inzwischen an die relative idiotische Ansicht gewöhnt, der letzte, den man zum Subjekt befragen könne, sei das Subjekt selbst.

Warum denn?
Selbst Tiefenpsychologen wissen, dass die meisten Menschen hervorragend über sich bescheid wissen und helfen ihren Klienten dort weiter, wo sie bestimmte Aspekte nicht sehen können. Das kann mal mehr und mal weniger sein, aber immer lebt das Spiel von dem, was das Subjekt bereits über sich weiß (ud setzt stillschweigend voraus, dass eine erweiterte Einscht das Leben verändern kann, der Mensch also frei in seiner Entscheidung ist).
Soll heißen, all das, was an Anregungen, Suggestionen, Manipulatioen auf das Subjekt einprasselt, wird von ihm geordnet und wenn keine gravierenden Gründe dagegen sprechen – und wenn es gravierende Gründe sind, muss man sie benennen können – gibt es keinen vernünftigen Grund dem Subjekt seine prima facie Berechtigung kompetent über das was es will Auskunft zu geben, abzusprechen.

Viele Menschen wissen, was sie wollen, fühlen, denken, man muss sie nur fragen.
Die Umwege sind metaphysischer Ballast, der zudem dem Ökonomieprinzip der Theorie (Ockham) widerspricht.

Der Versuch einzelne Stänge offenzulege und herauszuarbeiten ist gut und richtig, einen Strang davon, seien es die egoistischen Gene, die unbewusste Sexualität oder die Massenmedien zu verbasolutieren, macht aus dem Baustein einen -ismus.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 10:33

ujmp hat geschrieben:Und es gibt Freiheit, sie ist das Erleben einer Projektion der Realität, nämlich die der Determination meines Handelns.
Sie ist das Erleben der Möglichkeit selbstbestimmt im Rahmen dieser Projektionen zu entscheiden und zu agieren.
Kannst Du dem zustimmen und wenn nicht, warum nicht?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 12. Jan 2014, 11:13

Nanna hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Der Selektionsvorteil der Sprache besteht u.a. darin, dass du von Erfahrungen profitieren kannst, ohne sie selbst gemacht haben zu müssen. Deine Eltern stellen sie dir aus Gründen der Reproduktionsoptimierung zur Verfügung, indem sie sie dir erzählen. Es gibt noch andere Vorteile, aber der eine reicht schon.

Das ist eine menschliche Projektion, die wissenschaftlich maximal hypothetischen Charakter hat. Insbesondere die latente Implikation, Sprache wäre "nur" ein Überlebensvorteil und sonst nichts, lässt sich mit keiner mir bekannten epistemologischen Schule halten, am wenigsten übrigens mit dem von dir geschätzten Popper, der ja grundsätzlich von einer größeren Menge an Nichtwissen ausgeht als von Wissen (d.h. es kann andere Gründe oder Modelle geben, die wir (noch) nicht kennen und zu behaupten "es kann nichts anderes sein" widerspricht insofern der gesamten Grundidee des Kritischen Rationalismus). Ich bin verwundert über die Gewissheit, mit der du deine Position verteidigst, wo du außer einer hübsch zurechtgelegten Story über das Ich, das in meinem Kopf vorm Fernseher vergammelt und Reason Channel glotzt, nicht wirklich sehr belastbare Pro-Argumente für die Richtigkeit deiner Argumentation bringst. Wenn ich genau drüber nachdenke, bin ich ehrlich gesagt nicht sicher, ob du überhaupt ein Argument vorgebracht hast, das nicht Behauptungscharakter hat, aber wenn ich dir da Unrecht tun sollte, klär mich bitte auf. Ich habe den Eindruck, dass das alles mehr so eine Das-sieht-man-doch-dass-das-richtig-sein-muss-das-klingt-so-klar-und-konsistent-Geschichte ist. Ich hatte dich schon weiter vorne darauf hingewiesen, dass du meiner Meinung nach an einigen Stellen längst die Grenze zum Essentialismus überschritten hast, und zwar überall da, wo du einfach feststellst, dass etwas so und so ist.

Erstmal: ich sag nicht immer dazu, dass ich meine Meinungen diskutieren will, mir geht es hier aber nur darum. Ich hab ebenfalls nicht gesagt, "Sprache wäre "nur" ein Überlebensvorteil". Ich hab nur gesagt, wie man sich das Entstehen der Sprache vor dem Hintergrund der Evolution vorstellen kann. Über die Mechanismen ist man sich im Detail nicht einig, aber ich hab noch nie einen Zweifel daran gehört, dass wir sie der Evolution verdanken. Wenn du dich mal etwas mit Künstlicher Intelligenz und Kognitiver Psychologie beschäftigst, wird dir auch das Übrige nicht mehr so fremdartig vorkommen.

Am Rande: Eine sehr interessante, diskutierte Theorie, speziell über die Entstehung von Begriffen stammt von Alison Wray. Sie geht davon aus, das nicht die Begriffe zuerst entstanden die dann später mit Hilfe einer Grammatik verknüpft wurden. Es war wohl eher so, dass sich zuerst ganze Sinneinheiten entwickelten, die den Anderen zu irgendetwas bewegen sollten, z.B."Kommt-schnell-da-ist-ein-Rudel-Rehe" . D.h. eine Grammatik war überhaupt noch nicht erforderlich, weil diese Sinneinheit als Ganzes eine Bedeutung hatte. Es sieht so aus, dass auch der moderne Mensch ganz wesentlich in solchen Sinneinheiten (formulaic sequences) denkt, weniger in "lexikalischen" Einheiten. Eine mögliche Folge davon ist z.B. dass er Erwerb einer zweiten Sprache so unendlich viel schwerer fällt, da der Sinn eines Satzes nicht nur die Summe seiner einzelnen Wörter ist. "Wie bist du?" ist zwar die korrekte lexikalische Übersetzung der Sequenz "How are you?", die Bedeutung des englischen Satzes liegt aber nicht in seinen Wörtern, sondern in seinem Gebrauch bzw. der Absicht des Sprechers. d.h. man muss nach einer Entsprechung der Sequenz als Ganzes suchen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 11:26

fopa hat geschrieben:Insofern kann Aufklärung auch als Manipulation aufgefasst werden, denn der Mensch ist ja "von Natur aus" nicht aufgeklärt (behaupte ich mal).
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, Manipulation der Versuch den Menschn in dieser zu halten.

fopa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Biologisch mag das sinnvoll sein, aber für Dich und mich heißt das erst mal gar nichts. Wenn Du heute noch lebst, bist Du angepasst genug.
Für den Moment hast du recht. Wir sprechen aber nicht vom Fortbestehen von Individuen, sondern von Genen/Populationen bzw. Ideen.
Was interessieren mich meine Gene?
Soll mir doch erst mal einer nachweisen, dass ich denen und ihren absichtslosen Absichten zu gehorchen habe und zwar ohne mir einen durschaubaren Fehlschluss unterzujubeln. Die Argumentation ist die: Deine egoistischen Gene führen dich an der Nase herum, wenn du das leugnest, zeigt das nur, dass du eine unbewusste Sperre hast oder zu dumm bist, den Gedanken zu verstehen. Petitio principii im Rucksack.
Für den einen sind es die Gene, für den anderen die kulturellen Verbote und für den Dritten die Massenmedien. Muss ich über jede Stange hüpfen, die mir jemand hinhält?

fopa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Besser und schlechter kennt “die Evolution” nicht
Selbstverständlich gibt es "besser" und "schlechter". Natürlich nicht im moralischen Sinn.
Ich würde sagen, ausschließlich im moralischen Sinn.

fopa hat geschrieben:Wenn eine Art oder eine Idee ausstirbt, war sie wohl "schlecht".
Im Sinne von nicht funktionsfähig. Vergewaltigung ist auch schlecht, funktioniert aber, kann man sogar seine Erbinformationen erfolgreich mit verbreiten. Der Begriff hat also zwei unterschiedlichen Bedeutungen. „Gut“ und „böse/schlecht“ sind für mich erst mal moralische Kategorien, für die anderen Bereiche finde ich die Begriffe der „Funktion“ und „Anpassung“ ganz gut.

fopa hat geschrieben:Wenn sie über lange Zeit bestehen bleibt, sich dynamisch den verändernden Umständen anpasst, also nicht in einer evolutionären Sackgasse landet, ist sie wohl "besser".
Ja, ich weiß, was Du damit meinst und man kann das gewiss so sagen.

fopa hat geschrieben:Diese Bewertung zu negieren macht wenig Sinn.
Ja, Normativität ist in (nahezu) all unseren Sprachspielen dabei.

fopa hat geschrieben:Denn offensichtlich findet eine Selektion statt, und irgendwie muss man die ausgestorbenen Arten und Ideen betiteln, ebenso die bestehenden und diejenigen, die schon sehr lange bestehen. Meinetwegen sag "erfolgreicher" und "weniger erfolgreich" statt "besser" und "schlechter" - es sind nur Worte. Dass wir aus unserer menschlichen Perspektive möglicherweise ganz anders bewerten als die evolutionäre Qualitätsfunktion, ist selbstverständlich.
Die Evolution bewertet eben nicht. Das ist als Metapher okay, aber sonst auch nicht.
Es wird von Seiten der Evolutionstheoretiker immer wieder betont, dass das ein absolut wertfreier und sozusagen „technischer“ Modus ist, der da abläuft und auf den man nachher alles runterbrechen können soll. Ich halte das in der Form für Quatsch und vielfach wird die Quatsch vernebelt, dadurch, dass man die Begriffe aus verschiedenen Kontexten wild zusammenwürfelt ujdn dann wollen die Gene und die Menschen müssen funktionieren, ein einziges Kauderwelsch.

Wer technisches Vokabular will – ich halte es bei dem Versuch den Menschen zu erfassen für vollkommen unangemessen, aber das ist nur meine Privatmeinung und ich lasse mich gerne auf das Spiel ein – der soll es benutzen und dann bitte konsequent. Wer die Erste Person Perspektive für prinzipiel ersetzbar hält, der soll sie ersetzen.
Dann kann die Evolution aber nichts „bewerten“, die Gene nichts „wollen“ und das Hirn nicht „perfide“ sein (eine Behauptung die tatsächlich aufgestellt wurde).
Dann laufen eben nur Vorgänge ab, die man mit Variablen, neuen Begriffe besetzen oder Algorithmisieren kann, ist mir ehrlich gesagt egal, muss nur klappen.
Dass man sich auf Seiten der Subjektleugner immer wieder – und das sehr schnell – gezwungen sieht auf die Sprache der ersten Person zurückzugreifen, ist bezeichnend und neben der Selbstwidersprüchlichkeit der zweite kardinale Fehler, dieses Ansatzes.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 11:37

ujmp hat geschrieben:Am Rande: Eine sehr interessante, diskutierte Theorie, speziell über die Entstehung von Begriffen stammt von Alison Wray. Sie geht davon aus, das nicht die Begriffe zuerst entstanden die dann später mit Hilfe einer Grammatik verknüpft wurden. Es war wohl eher so, dass sich zuerst ganze Sinneinheiten entwickelten, die den Anderen zu irgendetwas bewegen sollten, z.B."Kommt-schnell-da-ist-ein-Rudel-Rehe" . D.h. eine Grammatik war überhaupt noch nicht erforderlich, weil diese Sinneinheit als Ganzes eine Bedeutung hatte. Es sieht so aus, dass auch der moderne Mensch ganz wesentlich in solchen Sinneinheiten (formulaic sequences) denkt, weniger in "lexikalischen" Einheiten.

Wo genau siehst Du da den Unterschied zu den holistischen Sprachespielen?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 12. Jan 2014, 12:11

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Am Rande: Eine sehr interessante, diskutierte Theorie, speziell über die Entstehung von Begriffen stammt von Alison Wray. Sie geht davon aus, das nicht die Begriffe zuerst entstanden die dann später mit Hilfe einer Grammatik verknüpft wurden. Es war wohl eher so, dass sich zuerst ganze Sinneinheiten entwickelten, die den Anderen zu irgendetwas bewegen sollten, z.B."Kommt-schnell-da-ist-ein-Rudel-Rehe" . D.h. eine Grammatik war überhaupt noch nicht erforderlich, weil diese Sinneinheit als Ganzes eine Bedeutung hatte. Es sieht so aus, dass auch der moderne Mensch ganz wesentlich in solchen Sinneinheiten (formulaic sequences) denkt, weniger in "lexikalischen" Einheiten.

Wo genau siehst Du da den Unterschied zu den holistischen Sprachespielen?

Hab schon damit gerechnet, dass das kommt ;-): Ich hab nichts gegen das Konzept im Prinzip, ich meine aber dass du ab und zu falsche Schlüsse daraus ziehst. Einer der mir sofort einfällt ist deine m.E. falsche Bewertung von "theorieabhängiger Beobachtung". Ich denke, dass man auch ohne Sprache beobachten kann.

Allerdings ist mir persönlich eine Erörterung die sich auf erfahrbare Realität bezieht lieber, als z.B. bloße Philosophie. Kein Zweifel, die Philosophie nimmt viele empirische "Wahrheiten" vorweg, was ihr Bedeutung verleiht - aber eben auch jede Menge Unfug. Will sagen: "Wittgenstein hat's schon gewusst" zählt nicht. Oder wie ich es kürzlich von einem Wissenschaftler gelesen habe(Baumeister/Tierney,"Willpower"): "Fortschritt kommt generell nicht durch Theorien, sondern durch jemandem, der einen cleveren Weg findet, eine Theorie zu testen."
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 12. Jan 2014, 12:47

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Und es gibt Freiheit, sie ist das Erleben einer Projektion der Realität, nämlich die der Determination meines Handelns.
Sie ist das Erleben der Möglichkeit selbstbestimmt im Rahmen dieser Projektionen zu entscheiden und zu agieren.
Kannst Du dem zustimmen und wenn nicht, warum nicht?

Leider nicht ganz. Ich wollte schon zum Ausdruck bringen, dass unser Organismus in einer determinierten Welt auch selbst komplett determiniert ist. Was wir als freien Willen erleben ist ein determinierter Prozess. Er ist zwar frei gegenüber diversen Kräften, die ihn nicht tangieren oder die er sogar regelt - das ist die Freiheit, die wir erleben- , er ist aber nicht frei gegenüber sich selbst. "Du kannst tun, was du willst, du kannst aber nicht wollen, was du willst." Und wie ich schon sagte: Wir können uns ja nicht einmal vorstellen, dass unser Handeln keinen Grund hat!
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 14:37

Vollbreit hat geschrieben:Es wird von Seiten der Evolutionstheoretiker immer wieder betont, dass das ein absolut wertfreier und sozusagen „technischer“ Modus ist, der da abläuft und auf den man nachher alles runterbrechen können soll. Ich halte das in der Form für Quatsch und vielfach wird die Quatsch vernebelt, dadurch, dass man die Begriffe aus verschiedenen Kontexten wild zusammenwürfelt ujdn dann wollen die Gene und die Menschen müssen funktionieren, ein einziges Kauderwelsch.
Dein Verständnisproblem liegt nicht an den Worten, sondern an deiner Schmalspurigkeit in Bezug auf die Begrifflichkeiten. Anderes Beispiel: In der Mathematik arbeitet man mit Mengen. Eine Menge bedeutet aber nicht viel. Statt dessen wird sauber definiert, was man unter einer Menge versteht. Will man etwas anderes darunter verstehen, so schreibt man eine neue Definition. Auch in der Mathematik und in den Naturwissenschaften bedient man sich Wörtern aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Sonst wäre die Kommunikation unter Mathematikern schwierig. Im Alltagsgebrauch mögen dieselben Wörter moralisch aufgeladen sein - im mathematisch-naturwissenschaftlichen Kontext sind sie es nicht. Wenn eine Qualitätsfunktion irgendwelche Elemente bewertet, nennt man das Ergebnis "gut" oder "schlecht" - aber eben nicht im Sinne der moralischen Vorstellungen des Wissenschaftlers oder irgendeiner anderen Person. Es ist nur ein Zahlenwert!
Wenn du dich darauf nicht einlassen und in einem naturwissenschaftlichen Kontext auf deine moralischen Interpretationen verzichten kannst oder willst, kann ich dir auch nicht helfen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 14:42

ujmp hat geschrieben:Hab schon damit gerechnet, dass das kommt ;-): Ich hab nichts gegen das Konzept im Prinzip, ich meine aber dass du ab und zu falsche Schlüsse daraus ziehst. Einer der mir sofort einfällt ist deine m.E. falsche Bewertung von "theorieabhängiger Beobachtung". Ich denke, dass man auch ohne Sprache beobachten kann.

Kommt drauf an, was Du darunter verstehst. Ein Falke beobachtet gewiss eine Maus, inwieweit meinst Du dass er eine Theorie von der Maus hat?

ujmp hat geschrieben:Allerdings ist mir persönlich eine Erörterung die sich auf erfahrbare Realität bezieht lieber, als z.B. bloße Philosophie.
Philosophie ist erfahrbare Realität.

ujmp hat geschrieben:Kein Zweifel, die Philosophie nimmt viele empirische "Wahrheiten" vorweg, was ihr Bedeutung verleiht - aber eben auch jede Menge Unfug. Will sagen: "Wittgenstein hat's schon gewusst" zählt nicht.
Warum jetzt nich und in welchem Fall?

ujmp hat geschrieben:Oder wie ich es kürzlich von einem Wissenschaftler gelesen habe(Baumeister/Tierney,"Willpower"): "Fortschritt kommt generell nicht durch Theorien, sondern durch jemandem, der einen cleveren Weg findet, eine Theorie zu testen."
Schon klar, man geht nicht mit dem rechten Bein, sondern mit dem linken.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Und es gibt Freiheit, sie ist das Erleben einer Projektion der Realität, nämlich die der Determination meines Handelns.
Sie ist das Erleben der Möglichkeit selbstbestimmt im Rahmen dieser Projektionen zu entscheiden und zu agieren.
Kannst Du dem zustimmen und wenn nicht, warum nicht?

Leider nicht ganz. Ich wollte schon zum Ausdruck bringen, dass unser Organismus in einer determinierten Welt auch selbst komplett determiniert ist.
Und das bezweifeln Kompatibilsiten? Welcher denn?

ujmp hat geschrieben:Was wir als freien Willen erleben ist ein determinierter Prozess.
Ja, auch davon gehen Kompatibilisten aus.
Denn ihre These ist ja, dass zwischen Freiheit und Determinismus kein Gegensatz besteht.

ujmp hat geschrieben:Er ist zwar frei gegenüber diversen Kräften, die ihn nicht tangieren oder die er sogar regelt - das ist die Freiheit, die wir erleben- , er ist aber nicht frei gegenüber sich selbst. "Du kannst tun, was du willst, du kannst aber nicht wollen, was du willst."
Wenn ich Bier trinken will, will ich Bier trinken.
Welchen Sinn hat der Satz dass ich nicht wollen kann, Bier trinken zu wollen. Ich will es ja.
Wenn Du gehst, gehst Du. Kannst Du das Gehen gehen? Kannst Du das Trinken trinken? Kannst Du das Schlafen schlafen? Warum willst Du das Wollen wollen müssen?
Das ist einfach ein unnötige Verdopplung, die sagen will, dass man nicht weiß oder wissen kann, was man will. Und das kann man ja. (Dass man nicht sämtliche Kausalketten seiner Motive kennt ist richtig, aber auch nicht nötig um etwas zu wollen.)

ujmp hat geschrieben:Und wie ich schon sagte: Wir können uns ja nicht einmal vorstellen, dass unser Handeln keinen Grund hat!
Es hat auch niemand behauptet, dass man sich das vorstellen können sollte oder müsste.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 14:52

fopa hat geschrieben:Wenn du dich darauf nicht einlassen und in einem naturwissenschaftlichen Kontext auf deine moralischen Interpretationen verzichten kannst oder willst, kann ich dir auch nicht helfen.
Moralisch zu interpretieren, gehört zum Menschsein dazu. Wir tun das.
Wenn es möglich ist, Bewertungen in Beschreibungen umzumodeln, ist das okay.
"Paul denkt von Ernst, dass er aufrichtig ist."
Gelingt es nun Aufrichtigkeit (und dass man von jemandem denkt, er sei aufrichtig) in reine Deskritption zu verwandeln und bspw. beides im Hirn zu verorten, bin ich sofort überzeugt. Meine Kritik ist ganz einfach, dass das bisher - auf wesentlich einfacherer Ebene - noch nicht gelungen ist, man aber so tut, als sei das längst geschehen oder spätestens übermorgen der Fall.

Liegt ein Modell vor, was die Sprache der ersten Person restlos in die der dritten überführt, hat sich mene Kritik erledigt.
Das es noch nicht gelungen ist, kritisiere ich nicht.
Dass man so tut als sei es gelungen und daraus (aus dem was nicht gelungen ist) schon mal weltanschauliche Implikationen ableitet, das ist es, was ich kritisiere.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 15:28

Vollbreit hat geschrieben:Wenn es möglich ist, Bewertungen in Beschreibungen umzumodeln, ist das okay.
Das, was du "Bewertung" nennst, wird in Naturwissenschaften als "Beschreibung" verwendet, weil es in beschreibenden Naturwissenschaften überhaupt keine (moralischen) Bewertungen gibt.
Vollbreit hat geschrieben:Gelingt es nun Aufrichtigkeit (und dass man von jemandem denkt, er sei aufrichtig) in reine Deskritption zu verwandeln und bspw. beides im Hirn zu verorten, bin ich sofort überzeugt. Meine Kritik ist ganz einfach, dass das bisher - auf wesentlich einfacherer Ebene - noch nicht gelungen ist, man aber so tut, als sei das längst geschehen oder spätestens übermorgen der Fall.
In beschreibenden Naturwissenschaften geht es um Sachverhalte, die keinen moralischen Kategorien unterliegen. Einen Geparden als "guten Jäger" zu bezeichnen, bedeutet nicht, dass man es gut findet, wenn es ihm gelingt, Antilopen zu reißen.
Vollbreit hat geschrieben:Liegt ein Modell vor, was die Sprache der ersten Person restlos in die der dritten überführt, hat sich mene Kritik erledigt.
Das es noch nicht gelungen ist, kritisiere ich nicht.
Dass man so tut als sei es gelungen und daraus (aus dem was nicht gelungen ist) schon mal weltanschauliche Implikationen ableitet, das ist es, was ich kritisiere.
In sauberer mathematischer Sprache gibt es keine Missverständnisse. Definitionen sind Definitionen, und Beweise sind entweder korrekt oder falsch. Wenn daraus jemand weltanschauliche Implikationen ableitet, liegt es an ihm und nicht an der Mathematik.
Letztlich ist es immer der Leser/Empfänger/Zuhörer, der moralisch interpretiert bzw. bewertet. Statt dich über ein "egoistisches Gen" zu beschweren, solltest du mal versuchen, naturwissenschaftliche Beschreibungen als solche - nämlich wertungsfrei - zu begreifen. In den meisten Publikationen, wie auch populärwissenschaftlichen Büchern, befindet sich der bewertende Teil - sofern überhaupt vorhanden - am Ende. So gut wie immer ist diese Bewertung jedoch nicht absolut oder moralisch formuliert, sondern relational/perspektivisch, bezogen auf konkrete Bewertungsmaßstäbe konkreter Subjekte - was letztlich ebenfalls deskriptiv ist.

Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, Begriffe, die etwas beschreiben sollen, moralisch zu interpretieren.
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