Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 31. Jan 2014, 00:20

Vollbreit hat geschrieben:Schopenhauer könnte auch gemeint haben, dass man keinen Einfluss auf die das Individuum determinierenden Kausalketten hat.
Das ist nach gängigem Weltbild richtig, aber für die Frage nach der Freiheit meiner augenblicklichen Entscheidung nicht relevant.

Egal, ob Schopenhauer das gemeint hat oder nicht: das ist schlicht falsch, zumindest jedoch falls man folgenden Prämissen zustimmt:

P1. der Determinismus ist wahr -> alles in der Welt besteht ausnahmslos aus eindeutig ablaufenden Kausalketten
P2. jedes Individuum ist komplett Teil dieser Welt, nicht etwas außerhalb der Welt Stehendes, nichts zur Welt Zusätzliches, irgendwie zur Welt Transzendentes, z.B. lediglich ein außerhalb der Welt stehender Beobachter, der daher keinen Einfluss auf das Weltgeschehen hat
-----
Aus P1 und P2 folgt nun:

K1. bestimmte Kausalketten dieser Welt sind das Individuum (aus P1 und P2) (-> wenn alles in der Welt aus Kausalketten besteht und ein Individuum Teil der Welt ist, dann muss es folgerichtig auch aus Kausalketten bestehen)
K2. Überlegungen und Entscheidungen und Handlungen gehören zum Individuum, sind Teil des Individuums, also haben die aus Überlegungen und Entscheidungen folgendenden Handlungen des Individuums Auswirkungen auf die Welt

Was bleibt nun an Optionen? P2 kann man nicht leugnen, das geht definitionsgemäß nicht, (die Welt ist alles, was der Fall ist). Und P1 haben wir hier einfach versuchshalber als wahr gesetzt, P1 zu leugnen, hieße, die zu untersuchende Grundvorausetzung "Determinismus" zu kippen, was hier keinen Sinn macht, denn wir wollen ja fragen, ob Determinismus und Freiheit tatsächlich sich ausschließende Gegensätze sind, so wie der Inkompatibilist behauptet.

Bliebe vielleicht noch, zu behaupten, dass Überlegungen und Entscheidungen reine Einbildungen seien, auswirkungslose Epiphänomene in unserer Welt und dass daher Handlungen Illusionen wären, es tatsächlich nur vom Individuum unbeeinflussbares Verhalten gäbe. Was aber mE ein Materialist/Naturalist nicht kohärent vertreten kann, das liefe dann wieder auf den Homunkulus-Gedanken hinaus.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 31. Jan 2014, 06:50

@ AgentProvocateur:

Ich halte das auch für falsch, mir kam es nur als Schopenhauers Denkmöglichkeit in den Sinn.
Die Unkenntnis der meisten der uns determinierenden Kausalketten ist m.E. insofern überhaupt kein Problem, weil sie für die Entscheidung, was ich will keine Rolle spielt.
Ob ich ein bestimmtes Blau nun will, weil es mir angeboren ist, blau zu mögen oder ich eine schöne frühkindliche Blauerfahrung hatte oder es an den blauen Pulli meiner ersten großen Liebe erinnert, ist völlig egal. Ich muss nur wissen, dass es mir gefällt.

In diesem Sinne ist es zwar richtig, dass ich nicht wollen kann, was ich will (ob angeboren oder frühe positive Blauerfahrung, kann ich ja nicht beeinflussen), aber für die praktische Frage der Willensfreiheit: was ich jetzt will, ist das nicht wichtig.

Ob das von Schopenhauer glücklich formuliert ist, steht noch mal auf einem anderen Blatt, für unsere Diskussion ist der Satz belanglos, da der Kompatibilismus von ihm nicht angetastet wird.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Fr 31. Jan 2014, 08:38

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:D ist richtig.

Beantwortest Du denn nun auch die Frage nach dem möglicherweise relevanten Unterschied des Urteilens von Tieren und Menschen?

Relevant in Bezug worauf?


In Bezug auf Determinismus und Freier Wille ist der Unterschied nicht von all zu großer Bedeutung. Es geht erst mal nur darum, dass es Subsysteme gibt, die a) außer von elementaren Determinanten wie Energiezufuhr relativ autonom funktionieren, b) ihren äußeren Determinanten gegenüber relativ komplex sind und c) diese ihre innere komplexe Ordnung auf die Außenwelt übertragen können, also selbst Determinanten sind. In diesem Sinn ist eine Amöbe einem Sandkorn schon mal haushoch überlegen.

"Urteilen" ist ein ziemlich unpräziser Begriff. Meint man die Rede des Richters? Den Vorgang der Beschäftigung mit der Sachlage? Eine Zeugin sagt: "Ja, das ist die Frau, die mich bestohlen hat, ich erkenne sie wieder!" Was ich mit Urteil hier meine, ist einfach die finale Entscheidung zu dieser Aussage. Sie unterscheidet sich "technisch" vermutlich kaum von der eines Hundes, der sein Herrchen freudig anbellt. Es ist ein Vergleich und ein Abwägen der Ähnlichkeiten. Der Richter macht qualitativ auch nichts anderes als der Hund, mit dem Unterschied, dass der nicht Erinnerungen sondern Aussagen beurteilt.

In diesem Sinne ist die Sprachfähigkeit ein autonomes Subsystem innerhalb eines autonomen Subsystems. Das "Sprachzentrum" oder "narrative network" legt dem urteilenden Subsystem seine Ergebnisse vor, es hat aber m.E. eigentlich keine Entscheidungsgewalt. Hm..., außer bei evtl. bei Leuten, die die Klappe nicht halten können. ;-)
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 31. Jan 2014, 10:25

ice hat geschrieben:Für mich bleibt der Verlauf dieses natürlichen Prozesses offen, ungewiss und überraschend.

Unabhägig einer Gottheit: schicksalshaft?
Ich möchte hier nicht diesen langen Thread nochmal von vorne aufwärmen, es wurden eigentlich bereits alle Für und Widers angesprochen. Ich möchte nur parallel dazu das Wort Schicksal mit einfügen. Der sich zum absoluten Determinismus bekennende Naturalist ist eben in gewisser Weise auch ein Schicksalsgläubiger.

LG stine
Zuletzt geändert von stine am Fr 31. Jan 2014, 10:29, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 31. Jan 2014, 10:27

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Der Determinismus schränkt weder die Willensfreiheit ein noch macht er sie unmöglich. Der Wille könnte aber determiniert sein.

Verstehe ich nicht. Wir gehen doch von einer determinierten Welt aus, in einer determinierten Welt ist alles determiniert; was ich will, ist ein Teil der Welt, also voraussetzungsgemäß ebenfalls determiniert. Und?


Hm - da gibt es kein "Und" mehr. Genau das, was du jetzt geschrieben hast, wollte ich ausdrücken - mehr nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ich kann zwar tun was ich will, aber nicht wollen, was ich will - frei nach Schopenhauer.

Den Spruch habe ich noch nie verstanden. Es gibt hier wohl 2 Lesarten: 1. "ich will nicht, was ich will" oder 2. "ich habe keinen Einfluss darauf, was ich will". Nach der ersten Lesart ist der Satz trivialerweise falsch, so falsch wie "ich tue nicht, was ich tue" oder "es gibt nicht das, was es gibt".

Nach der 2. Lesart aber ist er erklärungsbedürftig. Nun muss man wohl berücksichtigen, dass Schopenhauer unter "Wille" etwas anderes verstand als man heute darunter versteht, (nach Schopenhauer gibt es einen "Weltwillen"). Wenn wir aber das beiseite lassen: wieso sollte das wahr sein und was hat das mit Determinismus zu tun?


Ich interpretiere den Satz von Schopenhauer so wie Vollbreit es mittlerweile geschrieben hat. Ich habe keine(n) Einfluss/Kontrolle/Macht auf die vielfältigen und vernetzten determinierten Kausalketten, die zu meinen Willen geführt haben. Ich kann ihn deshalb nicht ändern. Er ist einfach so, wie er ist. Ich kann ihn vielleicht manchmal reflektiert hinterfragen und versuchen, ihn mir bewusst zu machen. Aber auch dieses "Hinterfragen-wollen" gehört schon wieder zu meinem Willen und ist determiniert. Davon unberührt bleiben folgende Sätze meiner Ansicht nach wahr:
Ich kann denken, was ich will und habe daher Gedankenfreiheit.
Ich kann entscheiden, was ich will und habe daher Entscheidungsfreiheit.
Ich kann handeln, wie ich will und habe daher Handlungsfreiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir an, Fritz habe gerade sein Abitur gemacht und auf die Frage hin, was er weiter tun will, würde er sagen: "weiß ich noch nicht, muss ich mir erst überlegen". Und man fragte ihn später nochmal und er sagte: "habe ich mir nun überlegt: ich will erst mal ein Jahr im Ausland verbringen und dann weiter schauen". Anscheinend hatte Fritz dann doch sehr Einfluss auf das, was er wollte, wieso sollte man hier annehmen, dass Fritz darauf keinen Einfluss hatte?


Weil auch das Überlegen, das zum Entschluss geführt hat, ein Jahr im Ausland zu verbringen, eine determinierte Vorgeschichte mit unzähligen Einflussfaktoren hat. Vielleicht hat Fritz einen Freund, der auch im Ausland war oder er hat etwas gelesen über die Möglichkeiten/Chancen, die man beruflich hat, wenn man Auslandserfahrung und Sprachkenntnisse hat usw. D.h. das Überlegen von mittel- bis langfristigen Zielen ist ein komplexer Gehirnprozess, in dem auf persönliche Erfahrungen, Erinnerungen und unbewusste Wünsche, Motive zurückgegriffen wird. Meine Vermutung ist nun, dass diese Gehirnprozesse, so wie alle anderen natürlichen Prozesse, unausweichlich festgelegt sind.
Benutzeravatar
ice
 
Beiträge: 82
Registriert: Sa 29. Dez 2012, 20:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 31. Jan 2014, 10:42

ujmp hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:D ist richtig.

Beantwortest Du denn nun auch die Frage nach dem möglicherweise relevanten Unterschied des Urteilens von Tieren und Menschen?

Relevant in Bezug worauf?


In Bezug auf Determinismus und Freier Wille ist der Unterschied nicht von all zu großer Bedeutung. Es geht erst mal nur darum, dass es Subsysteme gibt, die a) außer von elementaren Determinanten wie Energiezufuhr relativ autonom funktionieren, b) ihren äußeren Determinanten gegenüber relativ komplex sind und c) diese ihre innere komplexe Ordnung auf die Außenwelt übertragen können, also selbst Determinanten sind. In diesem Sinn ist eine Amöbe einem Sandkorn schon mal haushoch überlegen.
Ja, ich bin auch der Auffassung, dass es unterschiedliche Freiheitsgrade gibt, die auch mit größter Selbstverständlichkeit in unsere Alltagssprache und -praktiken einfließen.

ujmp hat geschrieben:"Urteilen" ist ein ziemlich unpräziser Begriff. Meint man die Rede des Richters? Den Vorgang der Beschäftigung mit der Sachlage?

So unpräzise hat Brandom ihn eigentlich nicht eingeführt:

Robert Brandom hat geschrieben:„Kant lehnt das ab. Eine seiner tiefgreifendsten Neuerungen ist die Behauptung, dass der Gegenstand des Bewusstseins oder der Erkenntnis, das kleinste Begreifbare, das Urteil sei. „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.““
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.139)


Es ist eine grundlegende Eigenschaft des Verstandes.
Tiere urteilen auch, sagst Du. Gewiss, Schimpansen ziehen Weintrauben anderen Leckerchen vor vor. Und doch, sagt Brandom:

Robert Brandom hat geschrieben:„Für die Tiere des Waldes gibt es keine Vernunft. Wir sind diejenigen, für die Gründe bindend sind, die der eigentümlichen Kraft des besseren Grundes unterliegen. Diese Kraft ist eine normative, ein rationales „Sollen“.
Wir selbst stellen uns implizit in einen Raum von Gründen, was bedeutet, „uns selbst als Subjekte von Erkennen und Handeln zu betrachten, oder zu behandeln.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.37)

Tiere mögen entscheiden und unterscheiden und in diesem Sinne auch urteilen.
Aber die von Dir selbst getroffene Unterscheidung zwischen dem Sandkorn und der ihr haushoch überlegenen Amöbe fällt ja sofort in sich zusammen und wird auch argumentativ ziemlich inkonsistent, wenn diese Unterscheidung zwichen Amöbe und Igel und Igel und Schimanse nun nicht mehr gelten soll.
Und auch Schimpansen, Aras, Krähen und Kakadus stehen nach allen Experimenten die man so kennt und die regelmäßig zeigen, zu welch beeindruckenden Leistungen die Tiere in der Lage sind bisher nicht in dem Verdacht diskursive Wesen zu sein. Sie sind intentional, wollen etwas, können bestimmte logische Klassen bilden, in einigen Fällen planen, haben in einigen Fällen ein Ichbewusstsein und sind sicher alles andere als seelenlose Apparate, die statt mit Strom mit Kohlenstoff laufen, sondern so individuell, dass Ethologen bei höheren Arten, längst die innerartlichen, individuellen Unterschiede sträker betonen und beachten, als die arttypischen Gemeinsamkeiten.
Und die meisten Haustierbesitzer wissen das ohnehin.

Und doch: Es gibt keine Indizien dafür, dass diese Tiere diskursiv wären, sich in den Raum der Gründe gestellt wissen.
Nun ist die Frage, ob Diskursivität eine Marginalie ist oder sehr bedeutsam.
Ein Argument von Dir kommt da wieder zum Zuge. Du erwähntest mehrfach, dass eien Steinzeitmensch prkatisch alles konnte, was ein heutiger Mensch auch kann und gedanklich mindestens so leistungsfähig war. Du hattest, wie so oft, vergessen die Quellen anzugeben, aber es gibt welche. Die Hirngröße ist in den letzten 10.000den Jahren geschrumpft (wenngleich es morphologische Unterschiede gibt) und mindestens Yuval Noah Harari ist in Eine kurze Geschichte der Menschheit auf Deiner Seite, dass der Steinzeitmensch als Individuum einzigartig fit war – auch geistig – und doch war seine Sprache begrenzt.
Und auch Harari erzählt dann die Geschichte von der Sprache, der Kultur und das sie die Kommunikation über die Grenze der Zahl von 150 Indviduen ermöglicht und in einem anderen lesenswerten Geschichtsbuch von Ian Morris, Krieg – Wozu er gut ist wird ergänzt, dass das Wissen der Primaten nicht kumulativ ist, d.h. auch wenn einiges Wissen tradiert und in Grenzen sogar gelehrt wird, das meiste bleibt regional begrenzt und wird dann wieder vergessen.
Anders der Mensch, nicht weil er biologisch Mensch ist, sondern weil er diskursiv ist.
Die Befunde sind erdrückend, quer durch die Fraktionen.

ujmp hat geschrieben:Eine Zeugin sagt: "Ja, das ist die Frau, die mich bestohlen hat, ich erkenne sie wieder!" Was ich mit Urteil hier meine, ist einfach die finale Entscheidung zu dieser Aussage. Sie unterscheidet sich "technisch" vermutlich kaum von der eines Hundes, der sein Herrchen freudig anbellt. Es ist ein Vergleich und ein Abwägen der Ähnlichkeiten. Der Richter macht qualitativ auch nichts anderes als der Hund, mit dem Unterschied, dass der nicht Erinnerungen sondern Aussagen beurteilt.

Nun sind aber Wiedererkennungsaufgaben etwas, was in der Tat auch Schimpansen leisten, einmal erlernt, können sie sogar Zahlenreihen viel schneller erstellen, als der Mensch. Aber man muss auch nicht mehr hineingeheimnissen als zu finden ist.
Die These, dass Tiere vielleicht in einer Sprache kommunizieren, die wir einfach nicht verstehen und in der sie über abgefahrenes Zeug reden, ist mangels empirischer Befunde nicht aufrechtzuerhalten. Und sie sind eben doch sehr weitgehend ihren Instinkten und AAMs und dergleichen unterworfen, wenn sie die Wahl, also die Freiheit hätten, es anders zu machen, warum tun sie es dann nicht? Und das meine ich nicht zynisch.
Dass sie diese Wahl ganz augenscheinlich nicht haben, bedeutet nicht, dass sie doofe Automaten sind und erst recht nicht, dass manso gedankenlos und grausam mit ihnen umgehen sollte, wie wir es mitunter tun – allerdings ist das Märchen von der an sich guten Natur auch längst ausgeträumt.

ujmp hat geschrieben:In diesem Sinne ist die Sprachfähigkeit ein autonomes Subsystem innerhalb eines autonomen Subsystems.
Das ist eben immer die Frage, ob das Bild von der Unterabteilung nicht schief ist. Harari fasst es so zusammen:

Yuval Noah Harari hat geschrieben:Die beziehung zwichen Biologie und Geschichte nach der kognitiven Revolution lässt sich so zusammenfassen:

a. Die Biologie gibt den Rahmen für das Verhalten des Homo Sapiens vor. Die gesamte menschliche Geschichte findet auf diesem, von derBiologie definierten Spielfeld statt.

b. Doch das Spielfeld des Sapiens ist erstaunlich groß und lässt eine verblüffende Vielfalt vonSpielen zu. Mit Hilfe der fiktiven Sprache erfinden Sapiens immer mehr und immer komplexere Spiele, die von jeder neuen Generation weitergesponnen und ausgebaut werden.

c. Um das Verhalten der Sapiens zu verstehen, müssen wir uns daher die geschichtliche Entwicklung unserer Handlungen ansehen. Wenn wir bei den biologischen Grenzen stehen bleiben würden, dann wäre das ungefähr so, als würde ein Fußballreporter seinen Zukörern nur den Rasen beschrieben und kein Wort über das Spiel verlieren.
(Y. N. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit,DVA 2013, S.55f)


ujmp hat geschrieben:Das "Sprachzentrum" oder "narrative network" legt dem urteilenden Subsystem seine Ergebnisse vor, es hat aber m.E. eigentlich keine Entscheidungsgewalt. Hm..., außer bei evtl. bei Leuten, die die Klappe nicht halten können. ;-)
In der Tat hat Harari auch auf die überragende evolutionäre Bedeutung von Klatsch und Tratsch hingewiesen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 31. Jan 2014, 12:22

stine hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Für mich bleibt der Verlauf dieses natürlichen Prozesses offen, ungewiss und überraschend.

Unabhägig einer Gottheit: schicksalshaft?
Der sich zum absoluten Determinismus bekennende Naturalist ist eben in gewisser Weise auch ein Schicksalsgläubiger.


Ja, wenn Du so willst, dann bin ich in gewisser Weise ein "Schicksalsgläubiger" - wobei der Begriff Schicksal historisch sehr vorbelastet ist und auch in der Alltagssprache leicht zu Missverständnissen führen kann.

Wikipedia schreibt dazu:
Schicksal (von altniederländisch schicksel, „Fakt“) oder Los (ahd., mhd. (h)lôჳ „Omen“, „Orakel“), auch fatum (lat.), moira (griech.), Kismet (von arabisch ‏قسمة‎, DMG qisma(t)), ist der Ablauf von Ereignissen im Leben des Menschen, die als von göttlichen Mächten vorherbestimmt (geschickt) oder von Zufällen bewirkt gedacht werden.


Nun glaube ich weder an eine göttliche Macht noch an Zufälle. Deshalb verwende ich das Wort Schicksal nur ungern.

Wikipedia schreibt weiter:
Der Begriff Schicksal hat keine ihm zugrundeliegende eindeutig wertende Bedeutung. Synonym wird das Wort Los verwendet. Zumeist wird als Schicksal eine Art höhere Macht begriffen, die ohne direktes menschliches Zutun das Leben einer Person entscheidend beeinflusst. Beispiele: „Das Schicksal meint es gut mit ihr“, „Er wurde vom Schicksal dazu bestimmt“, „Das Schicksal nahm seinen Lauf“ oder der Schicksalsschlag. In diesem Sinne ist es der Inbegriff unpersönlicher Mächte. Weit verbreitet ist aber besonders die Auffassung, man könne sein Schicksal beeinflussen; daher wird auch davon gesprochen, „sein Schicksal zu meistern“ oder „sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen“.
Die Einstellung gegenüber dem Schicksal reicht
- von völliger Ergebung (Fatalismus) über den
- Glauben an seine Überwindbarkeit (nimmer sich beugen/kräftig sich zeigen/rufet die Arme/der Gottheit herbei – Goethe) bis zur
- völligen Willensfreiheit des Individuums (Voluntarismus).


Die einzige "höhere Macht", die ich mir vorstellen kann, sind die wirkenden Naturgesetze, die das Leben einer Person entscheidend beeinflussen. Am ehesten kann ich mich mit der Aussage „Das Schicksal nahm seinen Lauf“ identifizieren, weil ich wirklich glaube, dass "Irgendetwas" (Evolution, Weltprozess, Zivilisation...) seinen Lauf nimmt, ohne dass wir irgendwie eingreifen könnten (wir haben mE nur im allerkleinsten Umfeld unserer Lebenswelt einen kleinen Einfluss auf diesen Lauf der Dinge). Im Großen und Ganzen läuft dieser komplexe dynamische Prozess aber unausweichlich und festgelegt ab.

Wichtig und entscheidend in diesem Zusammenhang ist die zweite Vermutung aus meinem Eingangsbeitrag in diesem Thread:
"Die Evolution dieser komplexen dynamischen Lebenswelt beruht auf keinem Plan und keiner Absicht, hat keinen übergeordneten Zweck und kein endgültiges Ziel. Sie hat keine tiefere Bedeutung und keinen höheren Sinn."
Benutzeravatar
ice
 
Beiträge: 82
Registriert: Sa 29. Dez 2012, 20:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 31. Jan 2014, 18:53

Würdest du deinem Glück nachhelfen wollen oder lieber warten, bis es dich erreicht?
Beispiel: Du begegnest deiner Traumfrau/-mann. Wovon machst du es abhängig, ob du sie/ihn ansprichst?
Das ist noch die leichtere Aufgabe.
Würdest du deinen Chef aktiv ansprechen, wie es mit der nächsten Lohnerhöhung aussieht? Oder warten, bis sie tariflich vorherbestimmt eintritt?
Schon die hypothetische Fähigkeit, seine Entscheidung treffen zu können, spricht für den Kompatibilismus.
ice hat geschrieben:Ja, natürlich können äußere Einflussfaktoren die Willensfreiheit und/oder Handlungsfreiheit erhöhen. Das zweifle ich ja nicht an. Auf was ich hinaus wollte, ist, dass diese unzähligen inneren und äußeren Einflussfaktoren im Rahmen des gesamten Lebensprozesses determiniert sind. Aber Vollbreit, der sehr entspannt mit dem Determinismus umgeht, hat mich schon überzeugt, dass Determinismus und Freiheit einander nicht ausschließen. Ich muss mich nur noch an diesen Gedanken gewöhnen...

Ja bitte, gewöhn dich dran! :mg:

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 31. Jan 2014, 19:33

stine hat geschrieben:Würdest du deinem Glück nachhelfen wollen oder lieber warten, bis es dich erreicht?


... kommt auf die konkrete Situation an - manchmal helfe ich nach, manchmal erreicht es mich.

stine hat geschrieben:Beispiel: Du begegnest deiner Traumfrau/-mann. Wovon machst du es abhängig, ob du sie/ihn ansprichst?


... ob meine Frau in der Nähe ist oder nicht ;-)

stine hat geschrieben:Würdest du deinen Chef aktiv ansprechen, wie es mit der nächsten Lohnerhöhung aussieht? Oder warten, bis sie tariflich vorherbestimmt eintritt?


... ich habe zum Glück keinen Chef.

stine hat geschrieben:Schon die hypothetische Fähigkeit, seine Entscheidung treffen zu können, spricht für den Kompatibilismus.


... ja - aber (determinierte?) Entscheidungen treffen auch Inkompatibilisten.

stine hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ja, natürlich können äußere Einflussfaktoren die Willensfreiheit und/oder Handlungsfreiheit erhöhen. Das zweifle ich ja nicht an. Auf was ich hinaus wollte, ist, dass diese unzähligen inneren und äußeren Einflussfaktoren im Rahmen des gesamten Lebensprozesses determiniert sind. Aber Vollbreit, der sehr entspannt mit dem Determinismus umgeht, hat mich schon überzeugt, dass Determinismus und Freiheit einander nicht ausschließen. Ich muss mich nur noch an diesen Gedanken gewöhnen...

Ja bitte, gewöhn dich dran! :mg:


... ich bemühe mich ja :smoker:
Benutzeravatar
ice
 
Beiträge: 82
Registriert: Sa 29. Dez 2012, 20:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Sa 1. Feb 2014, 03:03

ice hat geschrieben:... Also habe ich den Begriff bedingte Freiheit als Kompromiss vorgeschlagen, um auszudrücken, dass es eben immer Bedingtheiten in unserem Denken/Entscheiden/Handeln gibt. Ganimed ist aber scheinbar noch immer unzufrieden mit diesem Kompromiss, weil das Wort Freiheit noch immer drin steckt. Du siehst also, dass wir trotz Definitionsversuche nicht auf einen grünen Zweig kommen.

Ich kann mit dem Begriff leben, wobei ich ihn für einen Pleonasmus halte, weil ich Freiheit im Sinne von Indeterminismus für eine sinnlose Definition halte, für die es bereits einen Begriff gibt: Zufall. Trotzdem kann der Zusatz "bedingt" natürlich klärend wirken, wenn man entsprechend eine Definition mitliefert, die die Bedingungen klärt.

ganimed betrachtet, wenn ich es richtig sehe, die Welt als deterministische Maschine und versucht meist, die subjektive Ebene des Ich-Erlebens vollständig auszublenden. In so einem mechanistischen Verständnis, wo es streng genommen nicht mal mehr handelnde Subjekte gibt, haben Begriffe wie Freiheit in der Tat jegliche Beschreibungskraft verloren. Ich weiß aber auch nicht, was den Reiz einer solchen Weltsicht ausmacht.

ujmp hat geschrieben:Ich habe nie die besondere Stellung der Sprachfähigkeit bestritten und ich könnte auch eine Menge dazu sagen. Es geht hier aber um Determinismus und speziell darum, ihn mit dem Begriff der Freiheit in Einklang zu bringen. Ich bin dabei Schritt für Schritt vom Allgemeinem zu Speziellen vorgedrungen, aber Vollbreit konnte dem nicht folgen und hat dann einen riesen Sprung in eine ganz andere Thematik gemacht, wie es überhaupt seine Art ist, Diskussionen weitschweifig zu überfrachten. Ich habe deutlich gemacht, dass die Prozesse in unserem Gehirn eine relative Autonomie genießen und in einem allgemeinen Sinn ist die Sprache natürlich nur einer dieser Prozesse.

Dem widerspreche ich nicht. Ich will nur betonen: Die Sprache verleiht uns die Grundlage für Selbstreflexion, d.h. eine Möglichkeit, Veränderung von innen heraus anzustreben und nicht nur als bloßes Reiz-Reaktions-Muster auszuführen. Wir können uns insofern aktiv und autonom verändern und entscheiden, als dass die wesentlichen deterministischen Prozesse in Gestalt bewusster Reflexion innerhalb des Gehirns ablaufen und sehr komplexe Simulationen möglicher Strategien beinhalten, die wir umsetzen können oder auch nicht. Natürlich ist das, um in ice's Sprachvorschlag zu bleiben, auch "nur" eine bedingte Autonomie, aber eine, die es meines Erachtens rechtfertigt, zu sagen, dass die Sprache erstens eine notwendige und primäre Bedingung für die Entscheidungsfindung ist und zweitens ein so großer Teil der Entscheidungsfindung a) in den Grenzen meines Körpers und b) bewusst geschieht, dass ich berechtigt von "meiner" Entscheidung sprechen darf. Ob ich dann frei bin, wir dadurch entschieden, ob ich dieser "meiner" Entscheidung folgen kann oder ob ich dabei mit meiner Umwelt konfligiere.

Ich denke, wir sind uns da grundsätzlich vielleicht trotz unterschiedlichen Vokabulars nah genug, um irgendwo auf einen Nenner kommen zu können.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 1. Feb 2014, 09:18

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Er urteilt auch nicht nur sprachlich - wenn überhaupt.
Das ist eher falsch.
Robert Brandom hat geschrieben:„Für die vorkantische Tradition war ausgemacht, dass die semantische Erklärung mit einer Lehre von den Begriffen oder Termini (eingeteilt in singuläre und generelle) anzufangen sei. Auf dieser Grundlage erklärt dann eine Lehre von den Urteilen die Kombination von Begriffen zu Urteilen und wie die Richtigkeit der entstandenen Urteile davon abhängt, was wie kombiniert wurde. Schließlich erklärt eine Lehre von den Konsequenzen die Kombination von Urteilen zu Folgerungen und wie die Richtigkeit der Inferenzen davon abhängt, was wie kombiniert wurde.
Kant lehnt das ab. Eine seiner tiefgreifendsten Neuerungen ist die Behauptung, dass der Gegenstand des Bewusstseins oder der Erkenntnis, das kleinste Begreifbare, das Urteil sei. „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.“ Etwas als Klassifiziertes oder Klassifizierendes aufzufassen ist für ihn nur als Bemerkung zu dessen Rolle im Urteil sinnvoll. Ein Begriff ist nichts anderes als ein Prädikat eines möglichen Urteils, und deshalb gilt: „Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als dass er dadurch urteilt.“ Für Kant muss also die Diskussion des Gehalts bei den Gehalten von Urteilen anfangen, denn alles andere hat nur insofern Gehalt, als es zu den Gehalten von Urteilen beträgt. Deshalb kann seine transzendentale Logik die Voraussetzungen des Gehaltverfügens anhand der Kategorien untersuchen, d.h. der „Funktion[en] der Einheit in den Urteilen.““
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.139)

Quatsch. Tiere urteilen auch.

Es ist doch kein Quatsch, es geht aber aus Kants Zitat auch nicht hervor, dass Tiere nicht urteilen.
Kant spricht nämlich an dieser Stelle in so elementarer Weise von "Begriffen", dass man auch Hunden eine solche "Begriffswelt" zugestehen muss, denn auch ein Hund muss Vorstellungen verallgemeinern. Man kann ihm deshalb in diesem allgemeinen Sinn auch so etwas wie "Diskurs" zuschreiben. "Begriff" ist hier jedenfalls nicht an Sprache gebunden (obwohl ich nicht weiß, ob Kant dem zustimmen würde - das ist mir aber auch nicht so wichtig). Und soweit ich mich ansonsten an Kant erinnere, meint er auch mit "Urteilen" etwa das, was ich darunter verstehe (ich hab es vermutlich von ihm übernommen), nämlich einen elementarten Prozess des Prüfens von Übereinstimmung, von Stimmigkeit, der dem Denken zugrunde liegt, aber nicht notwendig an Sprache Gebunden ist.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 1. Feb 2014, 10:28

@AgentProvocateur
Ich bin aus Zeitgründen leider ein bisschen rausgefallen aus dem Diskussionsstrang. Natürlich finde ich das Thema nach wie vor viel zu spannend, um nicht doch zu versuchen, noch einmal rein zu kommen.

Ich würde gerne noch einmal auf mein Kernproblem mit dem Kompatibilismus kommen: euer Freiheitsbegriff.
AgentProvocateur hat geschrieben:Ja: wenn eine Entscheidung hinreichend an die eigenen Ansichten, Überlegungen, Reflexionen etc. gekoppelt ist, dann sehe ich sie als hinreichend frei an..


Daraufhin schrieb ich:
ganimed hat geschrieben:Wieso ist eine Koppelung eine Freiheit? Eine Koppelung ist eine Bindung, eine Abhängigmachung, eine Aufgabe von Autonomie, eine Ankettung an kausale Vorgänge. Nach allem was ich über Sprache weiß, ist hier der Begriff "frei" falsch.


Deine Antwort darauf finde ich ausweichend und wenig überzeugend. Deshalb frage ich im Wesentlichen einfach nochmal.

AgentProvocateur hat geschrieben:Hier kommt es wohl darauf an, was man wie als gekoppelt ansieht. Wenn ich an mich gekoppelt bin, wenn meine Ansichten, Überlegungen, Reflexionen Teil von mir sind, dann wäre es absurd, das als Freiheitseinschränkung zu betrachten. Wenn Du Dich aber als Homunkulus betrachtest, als grundsätzlich getrennt von Deinen Ansichten, Überlegungen, Reflexionen und Deinem Körper und Gehirn, dann mag das anders aussehen.

Hier brauchen wir meinetwegen nur den ersten Teil betrachten. Ich folge deiner Definition von Koppelung. Ich treffe eine Entscheidung. Und welche das ist, hängt von meinen Ansichten, Überlegungen und Reflexionen ab (aber vermutlich nicht nur, sondern auch noch von einigen anderen Faktoren). Die Entscheidung ist also gekoppelt an die Faktoren, welche zu ihr führen. Sie ist abhängig von den Faktoren, die sie bestimmen. Meine Frage ist nun immer noch (weil ich sie für bisher von dir unbeantwortet halte): wieso nennst du das "frei"? Wieso ist eine gekoppelte, abhängige Entscheidung bei dir "frei"?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 1. Feb 2014, 10:33

Nanna hat geschrieben:ganimed betrachtet, wenn ich es richtig sehe, die Welt als deterministische Maschine und versucht meist, die subjektive Ebene des Ich-Erlebens vollständig auszublenden. In so einem mechanistischen Verständnis, wo es streng genommen nicht mal mehr handelnde Subjekte gibt, haben Begriffe wie Freiheit in der Tat jegliche Beschreibungskraft verloren. Ich weiß aber auch nicht, was den Reiz einer solchen Weltsicht ausmacht.

Du hast meine Position schon fast richtig wiedergegeben, würde ich sagen. Ich würde evtl. Details korrigieren wollen: ich blende die subjektive Ebene des Ich-Erlebens nicht aus, sondern erkläre mir dieses Phänomen, welches on top of it durchaus stattfinded. Ich versuche, die Handlungen der Subjekte, durch die Sicht auf die darunter liegende, deterministische Maschine besser zu verstehen. Und genau das ist auch der Reiz dieser Sicht. Während ich Hunger auf Eis kriege und es dann kaufe und esse, lief auf der Maschinenebene etwas in meinem Kopf ab, von dem ich mir ungefähr denken kann, dass der Ablauf deterministisch war und streng kausal. Wieso sollte diese zusätzliche Interpretationsebene nicht reizvoll sein?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 1. Feb 2014, 10:36

Nanna hat geschrieben:Ich denke, wir sind uns da grundsätzlich vielleicht trotz unterschiedlichen Vokabulars nah genug, um irgendwo auf einen Nenner kommen zu können.

Das denke ich auch. ;-)

Nanna hat geschrieben:Die Sprache verleiht uns die Grundlage für Selbstreflexion, d.h. eine Möglichkeit, Veränderung von innen heraus anzustreben und nicht nur als bloßes Reiz-Reaktions-Muster auszuführen.

Hier wäre ich sogar bereit zu sagen, dass "Selbstreflexion" letztlich auch einem Reiz-Reaktions-Muster folgt, nur das dies ein höchst autonomer Prozess im menschlichen Gehirn ist, der um viele Größenordnungen komplexer ist, als die Prozesse, von denen er selbst abhängt (z.B. Stoffwechsel). So gesehen ist aber die Sprachfähigkeit des Menschen nur ein quantitativer Unterschied gegenüber Tieren, wenn auch ein ziemlich bedeutender.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 1. Feb 2014, 11:59

ujmp hat geschrieben:Es ist doch kein Quatsch, es geht aber aus Kants Zitat auch nicht hervor, dass Tiere nicht urteilen.

Ich weiß auch nicht, ob Kant vorhatte, eine explizite Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen, ich weiß aber, dass Brandom dies nicht vorhat.

ujmp hat geschrieben:Kant spricht nämlich an dieser Stelle in so elementarer Weise von "Begriffen", dass man auch Hunden eine solche "Begriffswelt" zugestehen muss, denn auch ein Hund muss Vorstellungen verallgemeinern.
Das kann uns egal sein, denn es geht ja nicht darum sich von den Tieren abzusetzen, sondern positiv zu bestimmten, was unsere Freiheit (und potentiell die der Tiere, Roboter, Aliens) begründet.

Es war Dennett, der den Ansatz lieferte zwischen physikalischem und intentionalem System zu unterscheiden und er sagte auch, beides sei eine Zuschreibung:
Wenn wir in der Erklärung etwas als rein physikalisches System betrachten können: der Asteorid, der seine stille Bahn um die Sonne zieht, dann tun wir das.
Die Katze, die plötzlich innehält, weil sie irgendwo ein Rascheln hört, ist sicher irgendwie auch ein physikalisches System, aber als solches können wir ihre abrupten Bewegungsveränderungen nicht begründen und so schreiben wir – mit unserer reicheren Sprache - ihr zu Intentionen, Absichten zu haben („Die Katze könnte nach Beute suchen“) und versuchen diese Intentionen zu verstehen und zu deuten, z.B. als Haustierbesitzer oder Verhaltensforscher.
Das impliziert aber nicht, dass die Katze ihr Verhalten selbst verstehen muss.
Einer Lichtschranke die zuverlässig funktioniert würden wir nicht unterstellen, dass sie weiß, dass die treu ihre Pflicht erfüllt und selbst als der erste Schachcomputer den Weltmeister der Menschen besiegt hat, kam niemand auf die Idee, den Computer nach seiner Empfindung zu fragen, ob er sich der historischen Wende bewusst sei, sondern wir können anerkennen, dass etwas bestimmte Leistungen besser verrichtet als wir und es dennoch als im Prinzip doof und tot betrachten.
Auch eine Katze, die ein besonders guter Jäger im Vergleich zu anderen Katzen ist, muss nicht wissen, dass sie es ist.

Brandom differenziert nun, mit Kant, weiter und unterscheidet ein intentionales System/Wesen und ein diskursives System/Wesen.
Diskursive Wesen zeichnet aus, dass sie nicht nur etwas tun und sagen (auch Beos können Sätze sagen, die für uns einen Sinn ergeben - nur für den Beo eben nicht in der gleichen Weise) sondern, dass sie wissen oder verstehen, was sie tun und sagen und es im Zweifelsfall auch begründen können. Auch wenn in der Praxis diese Begründungen in den meisten Fällen nicht eingefordert werden, da die meisten Abläufe ritualisiert sind: Man weiß, wie man sich in diesem und jenem Kontext zu verhalten hat.
Diskursive Wesen sehen sich selbst in dem Raum von Gründen agierend, selbst wenn sie diese Formulierung so nie gebrauchen und statt dessen z.B. sagen würden: „Auf mich kann man sich verlassen.“

ujmp hat geschrieben:Man kann ihm deshalb in diesem allgemeinen Sinn auch so etwas wie "Diskurs" zuschreiben.
Nein, das kann man nicht, denn ein Diskurs verlangt explizit den Austausch von Argumenten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskurs

ujmp hat geschrieben:"Begriff" ist hier jedenfalls nicht an Sprache gebunden (obwohl ich nicht weiß, ob Kant dem zustimmen würde - das ist mir aber auch nicht so wichtig).
„Begriff“ ist schwierig zu bestimmen. An Sprache ist er schon gebunden, auch an Worte, sonst würde man eher von Zeichen oder Symbol sprechen.
Zum Begriff gehört die Kenntnis oder Bedeutung des Wortes und unbedingt sein(e) situationsadäquate(r) Anwendung/Gebrauch.
Nach Wittgenstein und Quine fallen Gebrauch und Bedeutung eines Begriffs zusammen und das verweist auf den holistischen Charakter der Sprache. Wittenstien drückt das so aus:
Ludwig Wittgenstein hat geschrieben:„Das Zeichen (der Satz) erhält seine Bedeutung von dem System der Zeichen, von der Sprache, zu dem es gehört. Kurz: Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen.“
(Wittgenstein, Das Blaue Buch, 1958, dt. Suhrkamp 1984, S. 21)


Kant ist noch nicht so weit gewesen, das zu erkennen, er hat beim holstischen (oder mindestens clusterhaften) Charakter der Sprache sozusagen auf halbem Wege halt gemacht. Ich bin der Meinung, dass man bei Kant zwar etwas was man wohlmeinend Protoholismus nennen könnte erahnen kann, aber ausgeführt hat Kant das nie.
Ihm war klar, dass die Bedeutung der Wörter von ihrer Position im Satz abhängt, dass auch Sätze in weitere größere Sinneinheiten oder Kontexte eingebunden sind und erst in ihnen/durch sie klar werden, hat er nicht gesehen, da musste z.B. ein Wittgenstein kommen.

Er hat jedoch klar erkannt, dass das Spiel der Sinngebung, also der Umang mit dem was man emprisch und semnatisch „vorfindet“, immer schon einer ordnenden Instanz bedarf, das durchzieht den ganzen Kant.

ujmp hat geschrieben:Und soweit ich mich ansonsten an Kant erinnere, meint er auch mit "Urteilen" etwa das, was ich darunter verstehe (ich hab es vermutlich von ihm übernommen), nämlich einen elementarten Prozess des Prüfens von Übereinstimmung, von Stimmigkeit, der dem Denken zugrunde liegt, aber nicht notwendig an Sprache Gebunden ist.
Ja, das ist diese synthetische, zusammenfügende Kraft des verstehenden, urteilenden Ichs, die allem Empirismus stillschweigend vorausgesetzt ist, was Empristen aber gerne vergessen. Das hat Kant klar gesehen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 1. Feb 2014, 12:04

ganimed hat geschrieben:Ich treffe eine Entscheidung. Und welche das ist, hängt von meinen Ansichten, Überlegungen und Reflexionen ab (aber vermutlich nicht nur, sondern auch noch von einigen anderen Faktoren). Die Entscheidung ist also gekoppelt an die Faktoren, welche zu ihr führen. Sie ist abhängig von den Faktoren, die sie bestimmen. Meine Frage ist nun immer noch (weil ich sie für bisher von dir unbeantwortet halte): wieso nennst du das "frei"? Wieso ist eine gekoppelte, abhängige Entscheidung bei dir "frei"?

Weil es, wie Du selbst schreibst, von Dir abhängt.
Man könnte auch sagen: Ich tue (in dem Moment) was ich will, das, zu dem ich mich entschieden habe.
Wenn das keine Freiheit ist, was dann?
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 1. Feb 2014, 12:31

ujmp hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Die Sprache verleiht uns die Grundlage für Selbstreflexion, d.h. eine Möglichkeit, Veränderung von innen heraus anzustreben und nicht nur als bloßes Reiz-Reaktions-Muster auszuführen.

Hier wäre ich sogar bereit zu sagen, dass "Selbstreflexion" letztlich auch einem Reiz-Reaktions-Muster folgt, nur das dies ein höchst autonomer Prozess im menschlichen Gehirn ist, der um viele Größenordnungen komplexer ist, als die Prozesse, von denen er selbst abhängt (z.B. Stoffwechsel). So gesehen ist aber die Sprachfähigkeit des Menschen nur ein quantitativer Unterschied gegenüber Tieren, wenn auch ein ziemlich bedeutender.

Das ist wohlmeinend aber unnötig und ich würde sogar sagen, falsch.
Es ist an denen, die eine Behauptung aufstellen zu belegen, dass alles Verhalten befriedigend als Reiz-Reaktions-Muster beschrieben und erklärt werden kann und das ist eine breite Kontroverse, die den Streit um die Rolle des Individuums als Agierender oder als Epiphänomen aufnimmt.

Selbst wenn man den Unterschied auf eine Umprogrammierung der Reiz-Reaktion (also des Verhaltens und der Einstellungen) in Fremdregie oder in Eigenregie eindampft, dann bleibst Du doch auch zögerlich. Höchst autonom und ziemlich bedeutend schreibst Du, aber qualitativ anders würdest Du verweigern?
Wenn ja, wo ist der Unterschied für Dich?

Ich sehe Entwicklung als eine Abfolge von Sprüngen oder Stufen an, die wirklich qualitativ anders sind.
Mag die Grenze zwischen Lebendigem und Totem auch noch so schwer bestimmbar sein, zwischen einer Meise und einer leeren Coladose ist der Unterschied klipp und klar und jeder der sagt, die Dose würde doch irgendwie auch leben, hat ne Meise.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 1. Feb 2014, 14:05

Vollbreit hat geschrieben: Auch wenn in der Praxis diese Begründungen in den meisten Fällen nicht eingefordert werden, da die meisten Abläufe ritualisiert sind: Man weiß, wie man sich in diesem und jenem Kontext zu verhalten hat.
Diskursive Wesen sehen sich selbst in dem Raum von Gründen agierend, selbst wenn sie diese Formulierung so nie gebrauchen und statt dessen z.B. sagen würden: „Auf mich kann man sich verlassen.“

ujmp hat geschrieben:Man kann ihm deshalb in diesem allgemeinen Sinn auch so etwas wie "Diskurs" zuschreiben.
Nein, das kann man nicht, denn ein Diskurs verlangt explizit den Austausch von Argumenten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskurs

ujmp hat geschrieben:"Begriff" ist hier jedenfalls nicht an Sprache gebunden (obwohl ich nicht weiß, ob Kant dem zustimmen würde - das ist mir aber auch nicht so wichtig).
„Begriff“ ist schwierig zu bestimmen. An Sprache ist er schon gebunden, auch an Worte, sonst würde man eher von Zeichen oder Symbol sprechen.
Zum Begriff gehört die Kenntnis oder Bedeutung des Wortes und unbedingt sein(e) situationsadäquate(r) Anwendung/Gebrauch.
Nach Wittgenstein und Quine fallen Gebrauch und Bedeutung eines Begriffs zusammen und das verweist auf den holistischen Charakter der Sprache. Wittenstien drückt das so aus:
Ludwig Wittgenstein hat geschrieben:„Das Zeichen (der Satz) erhält seine Bedeutung von dem System der Zeichen, von der Sprache, zu dem es gehört. Kurz: Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen.“
(Wittgenstein, Das Blaue Buch, 1958, dt. Suhrkamp 1984, S. 21)


Auch ein Hund hat seine Determinanten, die u.U. in Konflikt zueinander stehen, und deshalb abgewogen werden müssen. Dieses Abwägen ist technisch der "Diskurs", man kann es auch "Programm" oder "Verhalten" oder "Argumentieren" nennen. Kant spricht in der von mir verlinkten Passage von sehr allgemeinen aber notwendigen Abfolgen im Gehirn eines wahrnehmenden und lernenden Wesens, die also auch ein Hund, um sein Herrchen wiederzuerkennen, haben muss. Deshalb ist das, wovon Kant dort spricht, nicht das, was einen Menschen auszeichnet. Was er dort als "Begriff" bezeichnet ist einfach eine Vorstellung, die nicht direkt von den Sinnesorganen stammt, sondern die eine Beziehung zwischen mehreren sinnlichen gegebenen Anschauungen darstellt, z.B. die Beziehung der Ähnlichkeit. Es ist schon richtig, dass die Sprache ein flexibeles Medium ist, um solche "Relationsvorstellungen" herzustellen, sie ist aber dazu nicht notwendig.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 1. Feb 2014, 14:20

ujmp hat geschrieben:Auch ein Hund hat seine Gründe, die u.U. in Konflikt zueinander stehen, und deshalb abgewogen werden müssen.
Wann hast Du Dich denn das letzte Mal mit einem Hund darüber unterhalten?
Kynologie wird meines Wissens ausschließlich von Menschen betrieben.

ujmp hat geschrieben:Dieses Abwägen ist technisch der "Diskurs", man kann es auch "Programm" oder "Verhalten" oder "Argumentieren" nennen.
Dass Programm, Verhalten und Argumentieren erfolgreich wechselseitig substituiert werden können, glaube ich nicht.

ujmp hat geschrieben:Kant spricht in der von mir verlinkten Passage von sehr allgemeinen aber notwendigen Abfolgen im Gehirn eines wahrnehmenden und lernenden Wesens, die also auch ein Hund, um sein Herrchen widerzuerkennen, haben muss.
Kant spricht ganz sicher nicht vom Gehirn, aber ich werde mir das nachher mal durchlesen.

ujmp hat geschrieben:Deshalb ist das, wovon Kant dort spricht, nicht das, was einen Menschen auszeichnet. Was er dort als "Begriff" bezeichnet ist einfach eine Vorstellung, die nicht direkt von den Sinnesorganen stammt, sondern die eine Beziehung zwischen mehreren sinnlichen gegebenen Anschauungen darstellt, z.B. die Beziehung der Ähnlichkeit. Es ist schon richtig, dass die Sprache ein flexibeles Medium ist, um solche "Relationsvorstellungen" herzustellen, sie ist aber dazu nicht notwendig.
Es ist aber nun mal die begriffliche Sprache, die wir benutzen, dass die Sprache der Tiere ähnlich erfolgreich ist, müsstest Du nachweisen.

Robert Brandom hat geschrieben:„Der Unterschied zwischen logischen und vorlogischen Sprachen ist jedenfalls so wichtig, dass Forscher, die sich dafür interessieren, was für eine Sprache Schimpansen und Delphine lernen können, gut beraten wären, ihnen nicht noch 200 weitere singuläre Termini und Prädikate beibringen zu wollen, sondern erst einmal Konditionale und Quantoren.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.946, Fußnote 42)
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 1. Feb 2014, 14:40

Noch mal, damit das klar wird: Ein Hund hat mehrere Anschauungen seines Herrchens in seiner Erinnerung: eine Ansicht von vorn, eine Ansicht von der Seite, eine Ansicht sitzend im Auto, eine Ansicht mit Sonnenbrille, eine Ansicht vor und eine nach dem Friseur, und viele andere Anschauungen. Damit er die Reihe dieser Anschauungen als ein und dieselbe Person verstehen kann, muss er in seinem Gehirn eine zusammenfassende Vorstellung haben. Versteh das mal: er muss! Dieses Zusammenfassende bezeichnet Kant dort - evtl. etwas voreilig- als "Begriff". Es ist halt in einem elementaren Sinn einfach nur ein "Anfasser", ein "Be-Griff". Ein Gehirn ist ein Assoziationsmaschine, die am liebsten nichts anderes tut, als alles unter einem Begriff zusammen zu fassen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 33 Gäste

cron