Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Do 27. Feb 2014, 12:08

Lieber Karl-Heinz,

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 28. Feb 2014, 02:07

AgentProvocateur hat geschrieben:Unter "Handlungsfreiheit" verstehe ich: jemand kann tun, was er will.
"Perfekte Handlungsfreiheit" wäre: jemand kann immer tun, was er will.
Unter "Entscheidungsfreiheit" verstehe ich: jemand ist fähig dazu, die Umstände einer Situation erkennen, dazu passende Optionen generieren und unter diesen passenden Optionen die im am besten erscheinende auswählen zu können.
"Perfekte Entscheidungsfreiheit" wäre demnach: jemand ist immer in der Lage dazu, eine Situation vollkommen abzuschätzen, alle dazu passenden Optionen generieren zu können und immer die daraus die ihm als beste erscheinende Option auswählen zu können.

"Alle dazu passenden Optionen zu generieren": ich höre schon das Rattern der Festplatte. Angesichts deiner folgenden Anmerkung wäre die Unterscheidung von Entscheidungsfreiheit und perfekter Entscheidungsfreiheit eigentlich überflüssig.

Dabei spielte es mE keine Rolle, falls dabei jeweils in einer bestimmten Situation immer eine bestimmte Entscheidung und eine bestimmte Handlung erfolgte. Im Gegenteil sogar: wenn das nicht der Fall wäre, würde ich das als weniger frei ansehen. (Es sei denn, dass mehrere als gleich bewertete Optionen vorlägen, dann wäre es mE egal, welche dieser als gleichwertigen Optionen ausgewählt würden. Und es wäre auch egal, wenn immer dieselbe Option ausgewählt würde.)

Gehst du von einer rational choice Theorie aus? Wenn nicht, machen deine Anmerkungen wenig Sinn, noch weniger als wenn du nicht von einer solchen ausgehst. Allerdings bedingte dies eine Analyse dessen was als "gleich bewertete Option" zu verstehen ist: Was ist das Kriterium der Bewertung? Und bei vorliegen mehrerer gleichwertiger (auf Grund welcher Meta-Kriterien? :up: ) Kriterien? Was ist der Motor der Veränderung (der Person) wenn idealer Weise immer gleich entschieden wird...braucht es da nicht auch trial and error oder andere Faktoren der Unsicherheit? Wie kann ich je wissen ob eine Verhaltensweise die optimalste ist? Genügt dazu subjektives Überzeugtsein (wo doch solches oftmals genau das gegenteilige ist)? etc.

Wohlgemerkt: ich behaupte nicht, dass es in dem oben definierten Sinne in unserer Welt perfekte Entscheidungsfreiheit und/oder perfekte Handlungsfreiheit gäbe. Ich behaupte lediglich, dass es auch in einer determinierten Welt eine solche graduelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit geben kann.

Schlimm genug, dass du es als wünschenswert erachtest. Nach Verabschiedung der Illusion eines "so oder anders handeln könnens", soll nun der Mensch Richtung homo oeconomicus perfektioniert werden. Gott sei dank (oder wem auch immer) eine ebensolche Illusion als es die indeterministische Freiheitsidee war.

Nun meinst Du wohl, dass, wenn es keinen Freiraum in Deinem Sinne gäbe, (= "es hätte nicht anders kommen können"), man Personen nicht frei bezüglich ihrer Entscheidungen und Handlungen nennen könne.
Aber das erscheint mir prima facie unplausibel, denn was wäre mehr Handlungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer das tun könnte, was sie wollte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal das täte, was sie nicht wollte? Aber wieso? Das ist mE nun keineswegs so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst.

Dass es dir prima facie so scheint, wie es dir scheint, liegt ich weiss nicht an was, aber vielleicht doch am prima facie. Ein Beispiel: Ich erfülle alle Bedingungen um als zurechnungsfähig eingeschätzt zu werden (im heutigen Strafrecht werden diese wohl im Kontext des indeterministischen Freiheitsbegriffs erruiert). Das heisst ich weiss um mein Tun und kann deren Folgen abschätzen etc., dummer Weise bin ich sehr eifersüchtig und schädige meine Freundin nach ertapptem Fremdgehen. Kurzum: der Schaden ist grösser als gewollt oder intendiert. Ich wusste zwar was ich tat, schätzte die Folgen evtl. etwas falsch ein, aber unter dem Strich werde ich eine heftige Strafe dafür bekommen. Rückblickend erscheint mir das Ganze als determinierte Abfolge, bedingt durch Motive und zufällige Randbedingungen. Ich bereue zutiefst die Folgen für alle (nicht weil ich mich schuldig weiss, sondern weil ich die Folgen als so nicht gewollt und das verursachte Leid wahrnehme. Reue kann sich durchaus einfach auf das spezifische Determiniertsein beziehen), und denke auch: wenn ich doch nur anders gehandelt hätte, mich mehr unter Kontrolle gehabt hätte (=anders gewollt hätte).
Dies illustriert eine Situation, in welcher das Bedürfnis nach "anders handeln können unter gleichen Bedingungen" verständlich ist: wären meine Motive und Affekte doch andere gewesen, oder hätte ich sie unter Kontrolle gehabt etc. Ja: hier wollte ich tatsächlich was ich tat (auch wenn nicht in seinen Folgen), aber zugleich wollte ich es nicht! Es gibt Menschen die ein gänzlich andere Person hätten sein wollen, ihre ganzen begangenen Taten rückgängig machen wollen würden, könnten sie es nur. Anders handeln können impliziert hier: das Wissen, dass solche Handlungen meine waren: 100% gewollt von mir, dass ich nicht von Motiven gelenkt wurde welche ich nicht steuern konnte etc.
Du argumentierst wie jemand der glaubt Willensbildungen entstünden analog einer Berechnung am Computer. Du unterschlägst damit nur schon die vielfach ambivalente Motiviertheit vieler Handlungen und Entscheide.(Ich vermute, dass das mit Erlebtem zusammenhängt ob man für solches ein Verständnis hat oder eben nicht, aber das Fehlen eines solchen sollte nicht dazu verleiten das eigene nicht Verstehen können als rational einzustufen).
Unter dem Strich ist der Sachverhalt der Folgende: solange es Menschen gibt welche solche Bedürfnisse haben (anders wollen können als sie es faktisch tun), diese nicht als völlig unverständlich und irrational aufgewiesen werden können (und da sehe ich kein einziges valides Argument bei dir und grundsätzlich nicht wie dies, gegen das gegenteilige Empfinden von Menschen, begründet werden könnte), kann ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff nicht beanspruchen jedermanns diesbezügliche Bedürfnisse abdecken zu können. Ergo: ein solcher Freiheitsbegriff mag der einzig denkbare sein, aber ganz bestimmt nicht der einzig sinnvolle (nicht der indet. Freiheitsbegriff ist semantisch sinnvoll, aber das was mit "anders handeln können in derselben Situation" intendiert ist, d.h. das zu Grunde liegende Bedürfnis kann als rational expliziert werden, da es letztlich ein Bedürfnis nach Widerspruchsfreiheit ist!).
Nicht nur tun können was man will, sondern auch wollen können was man will, wird ja auch im Kompatibilismus diskutiert z.B. bei H. Frankfurt ("Theorie der hierarchischen Motivation"). Dies zeigt, dass auch im Kompatibilismus durchaus eine diesbezüglich verwandte Form des Problematisierens und Verstehens existiert.

Und analog: was wäre mehr Entscheidungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer vollständiges Wissen der relevanten Umstände einer bestimmten Situation hätte, alle möglichen Handlungsoptionen für diese Situation generieren könntge und immer die am für sie beste Option in der Situation auswählen könnte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal eine von ihr als schlechter angesehenen Option auswähle würde?

Siehe oben: beste Option etc., da müsste wahrlich viel argumentiert werden um zu wissen was "das Beste" sein soll oder gar ist (kann es da nur ein Kriterium geben? Ist das Beste immer das objektiv Beste oder das nur subjektiv als das Beste interpretierte? etc. etc.). Wie gesagt: du strebst den perfektionierten rational choice Menschen an, oder scheinst einen solchen als Ideal vor Augen zu haben.

Dein Einwand hier: ja, aber diese Person tut nie, was sie nicht will, bzw. sie entscheidet sich nie für eine von ihr als schlechter angesehene Option, erscheint mir nun keine plausible Begründung für eine Freiheitseinschränkung dieser Person zu sein.

Wäre auch merkwürdig das subjektiv Schlechtere für sich zu wollen. Aber in meinen Augen ist das ein Strohmann. Es geht darum das Gefühl eigenen Determiniertseins - unter Umständen auch dort wo man wollte was man tat! - nicht in Einklang bringen zu können mit meiner angeblichen Verantwortlichkeit. Dass ich einen Bruch empfinde zwischen meinen Handlungen und deren zu tragenden Konsequenzen (im Guten wie im Schlechten). Ich bitte mein obige erwähntes Beispiel zu entkräften.

ganimed hat geschrieben:Zurück zum Mörder, der gestern um 15 Uhr sein Opfer erschoss. Du sprichst ihn schuldig, wenn er die grundsätzliche Fähigkeit hatte, durch Selbstkontrolle nicht zu schießen.

Ja, oder den Steuerhinterzieher oder den Betrüger oder den Vertragsbrecher. Um nicht nur Kapitalverbrechen zu nennen.

"Die grundsätzliche Fähigkeit". Da lacht ich mich krumm! Eine Fähigkeit ist in genau dem Umfang grundsätzlich wie sie auch aktualisiert wird. Ansonsten dir die Beweislast gegeben ist zu zeigen, dass diese grundsätzliche Fähigkeit zwar dauernd auf ihrem Posten steht, um dann zu erklären warum diese Grundsätzlichkeit sich nicht mehr ganz so grundsätzlich "verhielt" als es darauf ankam (schwieriges Thema: existiert Möglichkeit nur als Wirklichkeit etc.). Zumindest ist in solchen Formulierungen die metaphysische Aufgeladenheit ihrer Begriffe ersichtlich...womit man sich erhebliche argumentative Probleme einhandelt.

ganimed hat geschrieben:Mit deinem Schuldkriterium kann der Richter also genausogut würfeln und einen großen Teil der Prozesskosten sparen, oder?

Es gibt diverse Verfahren, um festzustellen, um jemand schuldfähig ist oder nicht. Diese Verfahren sind zwar weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, jedoch sind sie dennoch unverzichtbar. Es geht dabei mE nicht darum, wie Du anscheinend meinst, festzustellen, ob jemand böse sei oder nicht, sondern es geht vor allem darum, nicht jemanden ungerechtfertigt zu verurteilen. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob eine Verurteilung eines bestimmten Menschen eine positive Auswirkung auf andere hätte; auch falls die Verurteilung eines Unschuldigen eine positive Auswirkung auf die zukünftige Gesellschaftsentwicklung hätte, würde man es als ungerecht ansehen, diesen Menschen derart als Mittel zum Zwecke der zukünftigen positiven Gesellschaftsentwicklung zu verwenden.

Die Kriterien sind doch recht einfach: Einsicht in die Tat und deren möglichen Folgen oder ähnlich. Komplizierter wird es bei der Feststellung ob diese Kriterien zur Tatzeit beim Täter auch wirklich vorhanden waren. Sinn von Strafen können ja unterschiedliche sein: Vergeltung, positive resp. negative Spezial-oder Generalprävention (4 Varianten), Schutz der Gesellschaft. Dass die negative/positive Generalprävention keine Rolle in der Strafbegründung spielt ist falsch. Es spielen hier in der Praxis mehrere eine Rolle inkl. der Vergeltung (Strafangemessenheit).

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir doch lieber mein Kriterium. Das ist klar vorgegeben, sehr einfach anwendbar und man gelangt immer zu einem logisch widerspruchsfreiem Ergebnis: nicht schuldig im Sinne "er hätte (in derselben Situation) auch anders handeln können", denn er konnte gestern um 15 Uhr nicht anders handeln (laut Determinismus).

Der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer hat gestern um 15 Uhr so gehandelt, wie er gehandelt hatte. Und, Determinismus vorausgesetzt, hätte es nicht anders kommen können als so, wie es kam. Was jedoch nichts daran ändert, dass die Handlung desjenigen auf seinem Mist gewachsen ist, falls er zurechnungsfähig war. Und was nichts daran ändert, dass seine Handlung gegen bekannte Normen verstieß. Und was auch nichts daran ändert, dass jemand anderes, der damit nichts zu tun hatte, tautologischerweise damit nichts zu tun hatte.

Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten. Zudem redest du "von auf seinem Mist" gewachsen...hier weichst du vom Eigenerleben des Menschen ab und negierst damit, dass "anders handeln können auf einer zweiten Stufe" subjektiv dem Menschen zum Bedürfnis werden kann. Des weiteren redest du davon, dass nicht ein anderer die Tat beging (was nur zuallererst eine zu klärende Frage ist), dies scheint mir aber im Widerspruch mit einem Determinismus zu stehen. Aus Sicht eines konsequent durchgedachten Determinismus fang Ich (pure Illusion im Kontext der Freiheitsfrage) ja nicht erst mit meinem Geboren werden an zu existieren. Ich bin das Produkt einer bis zum Urknall reichenden Kette von Verursachungen. Natürlich lässt sich schlecht das Universum in der Praxis anklagen, aber die Isolierung des "Ich" als entscheidender Kausalfaktor bleibt pure Willkür (metaphysisch gesehen, aber auch ich konzediere: das Pragmatische muss wohl oder übel zu seinem Recht kommen...weil es dem Bedüfnis der meisten entspricht. Müsste und könnte es nicht das Bedürfnis aller sein? (Dazu z.B.: N. Hoerster, "Muss Strafe sein?").

Und weiter? Soll der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer deswegen nicht sanktioniert werden? Was soll mit ihm statt dessen geschehen? Ihn einfach laufen lassen? Und was, wenn darauf jemand Selbstjustiz ausübt und den Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer killt oder übel verletzt? Immer nur müde mit den Schultern zucken und sagen: "niemand kann etwas dafür, was er tut, ist ja alles determiniert"? Oder sagen: "Mord, Steuerhinterziehung, Betrug und Vertragsbruch sind kein Problem, diese sind ja determiniert, daher alternativlos, daher darf das nicht bestraft/sanktioniert werden, aber Selbstjustiz geht gar nicht, daher muss Selbstjustiz bestraft/sanktioniert werden"?

Doch, aber mit den richtigen (d.h. in bestmöglicher Übereinstimmung mit den anthropologischen Sachverhalten stehenden) Argumenten. Und zuletzt mit Wischwaschi- Wortklaubereien und irreführender Begriffsverwendungen.

Oder zwar weiter sanktionieren wie bisher, aber fürderhin den Begriff "Strafe" vermeiden und statt dessen z.B. "Sanktion" sagen? Genau dasselbe tun wie bisher, jedoch die Begriffe ändern, also lediglich Sprachkosmetik betreiben?

Sprachkosmetik betreibst du und ähnlich operierende Kompatibilisten, die Begriffe auf ihre Bedürfnisse zurechtstutzen und alles darüber Hinausgehende auf Grund persönlicher psychischer Verfasstheit ungerechtfertigter Weise als nicht existierend erachten.

Falls der juristische Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld" Deiner Ansicht nach fallen gelassen werden soll, was soll an dessen Stelle treten? Niemanden mehr bestrafen/sanktionieren, oder nach völligem Belieben dann sanktionieren, wenn wahrscheinlich ein Nutzen für die Gesellschaft daraus folgte? Also z.B. irgend jemand völlig Beliebigen (z.B. Dich oder Deine Kinder) willkürlich bestrafen/sanktionieren, falls die Präsentation eines Sündenbockes voraussichtlich gute Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte? Weil es in einer determinierten Welt völlig egal wäre, wer bestraft/sanktioniert würde, weil in einer determinierten Welt alle gleichermaßen unschuldig wären und daher entweder ausnahmslos niemand oder völlig beliebige Leute sanktioniert/bestraft werden düften, falls das irgendwie einen voraussichtlichen Nutzen hätte?

Nein, jenseits von Sprachkosmetik der Realität ins Auge schauen: dass der Zusammenhang Schuld-Strafe ein nur sehr bedingter ist, dass wirkliche Schuld ein "anders handeln können" voraussetzen würde. Dass Strafen aber eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, will eine solche ihr Dasein sichern etc.
Dass Strafe anders begründet werden kann, ist bekannt (z.B. D. Hoerster "Muss Strafe sein" und andere).
Zuletzt geändert von Dr Fraggles am Fr 28. Feb 2014, 02:44, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 28. Feb 2014, 02:11

Ergänzung: ein ganz interessantes Video bezüglich dem Wunsch ein anderer gewesen zu sein etc. (aus extremer Perspektive):
www.youtube.com/watch?v=QXgi72W2H7U
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 28. Feb 2014, 03:20

Und noch ein Beispiel wie weit unsere Tendenz geht anderen etwas als zurechenbar zu zuschreiben (und dies eindeutig nicht im Sinne eines Kompatibilismus): Wenn das Äussere eines Menschen nicht der Norm entspricht (extrem hässlich oder entstellt), dann verspüren die allermeisten einen ersten Impuls den betreffenden Menschen damit zu identifizieren und ihn darauf basierend zu bewerten mittels Ablehnung, sich lustig machen etc. Diese Impulse und Reaktionen (wenn auch bei domestizierten Menschen schnell unterdrückt) zeigen, wie mir scheint, ein bis zum Absurden gehende Tendenz an, jeden für alles verantwortlich zu machen und dies ganz klar jenseits jeglicher kompatibilistischer Rechtfertigung. Bei Kindern und Jugendlichen ist dies fast schon die Norm...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?

(Und obiger Buchtipp ist von Norbert Hoerster...)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 28. Feb 2014, 07:42

Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Fr 28. Feb 2014, 08:01

stine hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?

LG stine


Gute Idee, Vorschlag: "Es steckt viel Tier im Menschen..."
Konrad Lorenz zitiert gern Laotse (glaub ich): "Es steckt viel Tier im Menschen, aber kein Mensch im Tier."

(Ein sehr gutes Buch zum Thema ist "Die Rückseite des Spiegels" von Konrad Lorenz.)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 28. Feb 2014, 08:26

Auch von Lorenz, falls ich nicht irre: "Wer ist das missling link zwischen dem Affen und dem Menschen?" "Natürlich wir".

(Habe gesehen, dass ich einige Fehler in meiner langen Antwort oben noch drin habe...grr).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 1. Mär 2014, 03:23

Dr Fraggles hat geschrieben:Was ist der Motor der Veränderung (der Person) wenn idealer Weise immer gleich entschieden wird...braucht es da nicht auch trial and error oder andere Faktoren der Unsicherheit?

Es ging hier um Wiederholungen immer wieder exakt derselben Situation; um ein Gedankenexperiment, das etwas beschreibt, was in unserer Welt niemals vorkommt und daher völlig unerheblich für die tatsächliche Entwicklung einer Person ist.

Dr Fraggles hat geschrieben:Ein Beispiel: Ich erfülle alle Bedingungen um als zurechnungsfähig eingeschätzt zu werden (im heutigen Strafrecht werden diese wohl im Kontext des indeterministischen Freiheitsbegriffs erruiert). Das heisst ich weiss um mein Tun und kann deren Folgen abschätzen etc., dummer Weise bin ich sehr eifersüchtig und schädige meine Freundin nach ertapptem Fremdgehen. Kurzum: der Schaden ist grösser als gewollt oder intendiert. Ich wusste zwar was ich tat, schätzte die Folgen evtl. etwas falsch ein, aber unter dem Strich werde ich eine heftige Strafe dafür bekommen. Rückblickend erscheint mir das Ganze als determinierte Abfolge, bedingt durch Motive und zufällige Randbedingungen. Ich bereue zutiefst die Folgen für alle (nicht weil ich mich schuldig weiss, sondern weil ich die Folgen als so nicht gewollt und das verursachte Leid wahrnehme. Reue kann sich durchaus einfach auf das spezifische Determiniertsein beziehen), und denke auch: wenn ich doch nur anders gehandelt hätte, mich mehr unter Kontrolle gehabt hätte (=anders gewollt hätte).

Solche Situationen, bei denen wir nachträglich sehr bedauern, wie wir gehandelt haben und wünschten, wir hätten das anders gemacht, kennen wir wohl alle mehr oder weniger.

Allerdings wäre es wohl ziemlich merkwürdig, wenn jemand deswegen die Verantwortung für seine Handlung leugnen würde. "Ich wollte das, ja, und ich habe es gemacht, aber jetzt bedauere ich das und wollte, ich hätte das nicht getan, also bin ich nicht verantwortlich für meine Handlung" hörte sich wohl nicht nach einer akzeptablen Entschuldigung an.

Dr Fraggles hat geschrieben:Dies illustriert eine Situation, in welcher das Bedürfnis nach "anders handeln können unter gleichen Bedingungen" verständlich ist: wären meine Motive und Affekte doch andere gewesen, oder hätte ich sie unter Kontrolle gehabt etc. Ja: hier wollte ich tatsächlich was ich tat (auch wenn nicht in seinen Folgen), aber zugleich wollte ich es nicht!

Nein, der Mensch im Beispiel wollte es damals sehr wohl, aber heute bereut er es. Daher ist es falsch, zu sagen, er wollte es und wollte es zugleich nicht.

Und leider können wir die Vergangenheit nicht ändern. Dabei spielt es jedoch überhaupt keine Rolle, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, wir könnten die Vergangenheit so oder so nicht ändern, egal, wie sehr wir unser Verhalten nachträglich bedauern. Und inkompatibilistische Freiheit beinhaltet hoffentlich nicht die Fähigkeit, die Vergangenheit ändern zu können.

Dr Fraggles hat geschrieben:Unter dem Strich ist der Sachverhalt der Folgende: solange es Menschen gibt welche solche Bedürfnisse haben (anders wollen können als sie es faktisch tun), diese nicht als völlig unverständlich und irrational aufgewiesen werden können (und da sehe ich kein einziges valides Argument bei dir und grundsätzlich nicht wie dies, gegen das gegenteilige Empfinden von Menschen, begründet werden könnte), kann ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff nicht beanspruchen jedermanns diesbezügliche Bedürfnisse abdecken zu können.

Ich habe nicht behauptet, dass ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff alle Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich abdecken kann, (das kann er mE nicht), mir reicht es jedoch völlig, wenn er die meisten dieser Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich hinreichend abdeckt. Jedoch hat dieser Dissens mit Deinem Beispiel nichts zu tun, sondern mit einer anderen Auffassung von Freiheit, (nämlich: "anders handeln können in ein- und derselben Situation"). Die anscheinend jedoch anscheinend weder plausibel erläutert werden kann, noch kann erläutert werden, wieso das als notwendige Voraussetzung für Freiheit sein soll, noch kann belegt werden, dass das eine landläufige Ansicht sei.

Dein Beispiel bezieht sich nun auf etwas anderes, auf Willensschwäche. Dann kann man nicht tun, was man eigentlich für richtig hält. Das ist weder unverständlich, noch irrational, das ist dann tragisch. Was wäre nun Deiner Ansicht nach der Wunsch von Menschen, die oft unter Willensschwäche leiden? Dass sie öfter so entscheiden können, wie sie es für richtig halten? Oder dass sie in ein und derselben Situation mal so und mal so entscheiden und handeln? Wenn Du ihnen als gute Fee beide Optionen anbieten würdest, welche würden sie Deiner Ansicht nach wählen?

Dr Fraggles hat geschrieben:
Und analog: was wäre mehr Entscheidungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer vollständiges Wissen der relevanten Umstände einer bestimmten Situation hätte, alle möglichen Handlungsoptionen für diese Situation generieren könntge und immer die am für sie beste Option in der Situation auswählen könnte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal eine von ihr als schlechter angesehenen Option auswähle würde?

Siehe oben: beste Option etc., da müsste wahrlich viel argumentiert werden um zu wissen was "das Beste" sein soll oder gar ist (kann es da nur ein Kriterium geben? Ist das Beste immer das objektiv Beste oder das nur subjektiv als das Beste interpretierte? etc. etc.).

Meine Frage hier war die: was kann der Freiheitsbegriff der Inkompatibilisten zu diesem (ins Extreme getriebene [in unserer Welt nicht vorkommenden] kompatibilistischen Freiheit) Wesentliches/Unverzichtbares hinzufügen? Diese Frage hast Du, so wie ich das sehe, bisher nicht beantwortet. Aber es wäre wichtig, diese Frage zu beantworten, davon hängt nämlich die Plausibilität der inkompatibilistischen Position ab. Denn der Inkompatibilist behauptet ja, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff ungenügend sei, da etwas Wesentliches und Unverzichtbares hinzukommen müsse, um von echter Freiheit sprechen zu können. Und dieses Wesentliche/Unverzichtbare für echte Freiheit sollte der Inkompatibilist einfach mal benennen.

Dr Fraggles hat geschrieben:Es geht darum das Gefühl eigenen Determiniertseins - unter Umständen auch dort wo man wollte was man tat! - nicht in Einklang bringen zu können mit meiner angeblichen Verantwortlichkeit. Dass ich einen Bruch empfinde zwischen meinen Handlungen und deren zu tragenden Konsequenzen (im Guten wie im Schlechten).

Ich empfinde dann wohl nicht das, was Du empfindest. Und ich kann keine Empfindungen/Gefühle widerlegen, ich kann lediglich Argumente widerlegen.

Dr Fraggles hat geschrieben:Eine Fähigkeit ist in genau dem Umfang grundsätzlich wie sie auch aktualisiert wird.

Nein, ich kann z.B. englisch sprechen, obgleich ich jetzt nicht englisch spreche.

Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.

Inwiefern?

Dr Fraggles hat geschrieben:Zudem redest du "von auf seinem Mist" gewachsen...hier weichst du vom Eigenerleben des Menschen ab und negierst damit, dass "anders handeln können auf einer zweiten Stufe" subjektiv dem Menschen zum Bedürfnis werden kann.

Nein, siehe oben, Stichwort "Willensschwäche".

Und siehe auch Harry Frankfurts Wünsche zweiter Ordnung.

Dr Fraggles hat geschrieben:Des weiteren redest du davon, dass nicht ein anderer die Tat beging (was nur zuallererst eine zu klärende Frage ist), dies scheint mir aber im Widerspruch mit einem Determinismus zu stehen. Aus Sicht eines konsequent durchgedachten Determinismus fang Ich (pure Illusion im Kontext der Freiheitsfrage) ja nicht erst mit meinem Geboren werden an zu existieren. Ich bin das Produkt einer bis zum Urknall reichenden Kette von Verursachungen.

Inwiefern steht es im Widerspruch zum Determinismus, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen jemandem, der eine Tat begangen hat (juristisch/moralisch schuldig ist) und jemandem, der die Tat nicht begangen hat (juristisch/moralisch unschuldig ist)?

Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, jenseits von Sprachkosmetik der Realität ins Auge schauen: dass der Zusammenhang Schuld-Strafe ein nur sehr bedingter ist, dass wirkliche Schuld ein "anders handeln können" voraussetzen würde.

"Anders handeln können" ist nach wie vor undefiniert und was Undefiniertes kann keine Voraussetzung für irgendwas anderes, z.B. Schuld im strafrechtlichen Sinne sein. Das wäre so, als wie wenn Du behauptetest, dass kljdfhoiufzoifhrph notwenige Vorausetzung für irgendwas sei. Wäre sicher wenig nachvollziehbar.

Dr Fraggles hat geschrieben:Dass Strafen aber eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, will eine solche ihr Dasein sichern etc.

Wer soll und darf bestraft werden? Ist es z.B. okay, Dich zu bestrafen, wenn jemand getötet wurde, obgleich Du nichts damit zu tun hattest, wiewohl es gute Folgen für die Gesellschaft hätte, wenn ein Sündenbock, in dem Falle: Du, präsentiert werden könnte? Und wenn nicht: warum nicht? Ob Du oder der Täter getötet hätte, wäre Deiner Ansicht nach doch irrelevant, weil Ihr beide genauso determiniert wäret, oder? Und dann wäre es völlig egal, wer bestraft wird, jeder wäre ja gleichermaßen unschuldig, weil determiniert.

Wenn Du Strafe als nützlich befürwortest, aber nicht unterscheiden willst zwischen schuldig und unschuldig, dann kannst Du auch logischerweise nicht unterscheiden zwischen der Bestrafung eines Schuldigen und eines Unschuldigen. Dann wäre die Bestrafung eines Schuldigen ebenso legitim wie die Bestrafung eines Unschuldigen. Und das ist eine, öhm, sehr, sehr ungewöhnliche Position, weil überhaupt nicht nachvollziehbar. Denn das bedeutete, dass jeder jederzeit bestraft werden könnte für etwas was er nicht getan hätte, falls das nur irgendwie einen Nutzen für die Gesellschaft brächte. Was auf Willkür hinausliefe, (aber natürlich nicht "Willkür" genannt würde, sondern: "gesellschaftliche Notwendigkeit"), niemand könnte sich mehr seiner Rechte sicher sein, egal, was er auch immer täte, es läge nicht mehr in seiner Hand, an ihm und seinem Verhalten, wie mit ihm umgegangen würde. Ade, Rechtstaat, willkommen schöne neue determinierte Welt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » So 2. Mär 2014, 18:29

ujmp hat geschrieben:
stine hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?

LG stine


Gute Idee, Vorschlag: "Es steckt viel Tier im Menschen..."
Konrad Lorenz zitiert gern Laotse (glaub ich): "Es steckt viel Tier im Menschen, aber kein Mensch im Tier."

(Ein sehr gutes Buch zum Thema ist "Die Rückseite des Spiegels" von Konrad Lorenz.)

Ich hab das mal hier:
viewtopic.php?f=6&t=4541#p101046
abgekoppelt.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 17. Mär 2014, 09:15

Du erweckst irgendwie den Eindruck, als wolltest Du immernoch für Dein Buch werben.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Karl-Heinz Hermsch » Mo 17. Mär 2014, 09:39

ice hatte gefragt:
"Mich würde interessieren, ob diese Art von deterministischer Weltsicht hier irgendwer teilt und wenn nicht, warum er es nicht tut. Außerdem wäre ich dankbar für Links oder Literaturhinweise auf Bücher, die sich mit dieser allgemeinen Art von atheistischem Determinismus beziehen (ich habe bei meinen Recherchen wenig bis gar nichts Aktuelles darüber gefunden - außer Literatur von Neurobiologen wie Roth, Singer und anderer, die den freien Willen auf Grund neuester Erkenntnisse der Hirnforschung in Frage stellen, was ja diese Art von deterministischer Weltsicht nur bestätigt...)"
Darauf habe ich mit einem Link auf meine Website geantwortet, weil ich meine, er kann hier Antworten auf seine Fragen bekommen. Okay - mir wurde unterstellt, dass ich nur Reklame machen wollte (Unterstellungen werden schnell gemacht, ohne sich über den Inhalt (hier meine Website) informiert zu haben.) Egal -es ist wie es ist.
Jetzt habe ich mich hingesetzt und einen Auszug aus meinem Buch zusammengestellt (weil ich nur 20.000 Zeichen in einem Kommentar habe) - auch hier wird mir für mein Buch unterstellt. Ein Auszug ist ein Auszug, am besten ist es doch wohl, das ganze Kapitel zu lesen. Das ist nur möglich wenn man die Quelle kennt.
ice fragte nach Bücher und Links. Genau dies habe ich gemacht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 17. Mär 2014, 09:53

Schön, dass Du Dich erklärst, ich glaube aber, dass die Diskussion inzwischen schon weiter ist.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Mo 17. Mär 2014, 11:51

Buchauszüge unkommentiert einstellen ist KEIN Diskutieren und entspricht damit nicht der Zielsetzung des Forums.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 17. Apr 2014, 00:33

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Was ist der Motor der Veränderung (der Person) wenn idealer Weise immer gleich entschieden wird...braucht es da nicht auch trial and error oder andere Faktoren der Unsicherheit?

Es ging hier um Wiederholungen immer wieder exakt derselben Situation; um ein Gedankenexperiment, das etwas beschreibt, was in unserer Welt niemals vorkommt und daher völlig unerheblich für die tatsächliche Entwicklung einer Person ist.

Verstehe, also so ähnlich wie der indeterministische Freiheitsbegriff: völlig unerheblich für das tatsächliche Entscheiden.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Ein Beispiel: Ich erfülle alle Bedingungen um als zurechnungsfähig eingeschätzt zu werden (im heutigen Strafrecht werden diese wohl im Kontext des indeterministischen Freiheitsbegriffs erruiert). Das heisst ich weiss um mein Tun und kann deren Folgen abschätzen etc., dummer Weise bin ich sehr eifersüchtig und schädige meine Freundin nach ertapptem Fremdgehen. Kurzum: der Schaden ist grösser als gewollt oder intendiert. Ich wusste zwar was ich tat, schätzte die Folgen evtl. etwas falsch ein, aber unter dem Strich werde ich eine heftige Strafe dafür bekommen. Rückblickend erscheint mir das Ganze als determinierte Abfolge, bedingt durch Motive und zufällige Randbedingungen. Ich bereue zutiefst die Folgen für alle (nicht weil ich mich schuldig weiss, sondern weil ich die Folgen als so nicht gewollt und das verursachte Leid wahrnehme. Reue kann sich durchaus einfach auf das spezifische Determiniertsein beziehen), und denke auch: wenn ich doch nur anders gehandelt hätte, mich mehr unter Kontrolle gehabt hätte (=anders gewollt hätte).

Solche Situationen, bei denen wir nachträglich sehr bedauern, wie wir gehandelt haben und wünschten, wir hätten das anders gemacht, kennen wir wohl alle mehr oder weniger.
Allerdings wäre es wohl ziemlich merkwürdig, wenn jemand deswegen die Verantwortung für seine Handlung leugnen würde. "Ich wollte das, ja, und ich habe es gemacht, aber jetzt bedauere ich das und wollte, ich hätte das nicht getan, also bin ich nicht verantwortlich für meine Handlung" hörte sich wohl nicht nach einer akzeptablen Entschuldigung an.

Nein, du begreifst es nicht so wie es begriffen werden sollte um begriffen worden zu sein. Angenommen ich erkenne deutlich schon beim handeln, dass ich getrieben werde so zu handeln, die Handlung selbst geschieht in schärfster Ambivalenz: es tun wollen/müssen und zugleich es nicht tun wollen/dürfen. Na ja, vielleicht kennst du solche Situationen einfach (noch) nicht. Da es für mich keine indeterministische Freiheit gibt, diese aber mit notwendig wäre, dass ich mich in einer solchen Situation in einem relevanten Sinn als schuldig anerkennen würde, müsste ich jegliche Verurteilung ablehnen: nur weil der liberaristische freie Wille nicht existiert, lasse ich mich nicht mit einem kompatibilistisch definierten abspeisen (auch wenn ich letztlich natürlich keine Wahl habe das Urteil hinnehmen zu müssen) wo er einfachhin meinen Anforderungen nicht genügt.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Dies illustriert eine Situation, in welcher das Bedürfnis nach "anders handeln können unter gleichen Bedingungen" verständlich ist: wären meine Motive und Affekte doch andere gewesen, oder hätte ich sie unter Kontrolle gehabt etc. Ja: hier wollte ich tatsächlich was ich tat (auch wenn nicht in seinen Folgen), aber zugleich wollte ich es nicht!

Nein, der Mensch im Beispiel wollte es damals sehr wohl, aber heute bereut er es. Daher ist es falsch, zu sagen, er wollte es und wollte es zugleich nicht.
Und leider können wir die Vergangenheit nicht ändern. Dabei spielt es jedoch überhaupt keine Rolle, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, wir könnten die Vergangenheit so oder so nicht ändern, egal, wie sehr wir unser Verhalten nachträglich bedauern. Und inkompatibilistische Freiheit beinhaltet hoffentlich nicht die Fähigkeit, die Vergangenheit ändern zu können.

Wie auch immer...vielleicht war es tatsächlich nicht das idealste Beispiel: es gibt aber nun mal Handlungen bei denen das Ausgeführtwerden eine Sache kleinster Stärkeunterschiede von widerstreitenden Faktoren ist: setzt sich jene durch ist man ein Held, setzen sich die anderen durch der Feigling oder schlimmeres (und wieviele Heroen dachten wohl in sich hinein: wenn die nur wüssten...).Es hat auch nichts mit Vergangenheit ändern zu tun. Der inkompatibilistische Freiheitsbegriff, würde dort Bedürfnisse befriedigen wenn ich in meiner Brust mehr als eine starke Regung spüre und ich im Wissen um die schädlichen Konsequenzen, die ich für mich und andere um keinen Preis will, dennoch jene Regung in mir die Oberhand behält, vor der es mich schauderte. Man kann da noch lange von wollen reden...wenn der Entscheid dermassen auf der Kippe stand, könnte man ebenso gut sagen, er wollte beides, oder er wollte das andere.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Unter dem Strich ist der Sachverhalt der Folgende: solange es Menschen gibt welche solche Bedürfnisse haben (anders wollen können als sie es faktisch tun), diese nicht als völlig unverständlich und irrational aufgewiesen werden können (und da sehe ich kein einziges valides Argument bei dir und grundsätzlich nicht wie dies, gegen das gegenteilige Empfinden von Menschen, begründet werden könnte), kann ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff nicht beanspruchen jedermanns diesbezügliche Bedürfnisse abdecken zu können.

Ich habe nicht behauptet, dass ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff alle Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich abdecken kann, (das kann er mE nicht), mir reicht es jedoch völlig, wenn er die meisten dieser Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich hinreichend abdeckt. Jedoch hat dieser Dissens mit Deinem Beispiel nichts zu tun, sondern mit einer anderen Auffassung von Freiheit, (nämlich: "anders handeln können in ein- und derselben Situation"). Die anscheinend jedoch anscheinend weder plausibel erläutert werden kann, noch kann erläutert werden, wieso das als notwendige Voraussetzung für Freiheit sein soll, noch kann belegt werden, dass das eine landläufige Ansicht sei.

Ich würde dir zustimmen wenn zu den meisten abgedeckten, auch all die wirklich relevanten dazugezählt werden könnten. Genau das ist eben nicht der Fall. Dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff zu kurz greift, zeigt sich wohl fast immer bei Handlungen mit extremen Konsequenzen...und dies macht auch sein fehlendes Gewicht aus.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Beispiel bezieht sich nun auf etwas anderes, auf Willensschwäche. Dann kann man nicht tun, was man eigentlich für richtig hält. Das ist weder unverständlich, noch irrational, das ist dann tragisch. Was wäre nun Deiner Ansicht nach der Wunsch von Menschen, die oft unter Willensschwäche leiden? Dass sie öfter so entscheiden können, wie sie es für richtig halten? Oder dass sie in ein und derselben Situation mal so und mal so entscheiden und handeln? Wenn Du ihnen als gute Fee beide Optionen anbieten würdest, welche würden sie Deiner Ansicht nach wählen?


Wir gehen ja einig darin, dass der indeterministische Freiheitsbegriff nur zu absurden Situationen führt, das brauchst du mir nicht demonstrieren. Was ich meine ist, dass ein Betreffender eben in Situationen wo der innere Kampf unterschiedlicher Motive in ihm beinahe ausgeglichen ist und die eine Wahl extrem andere Konsequenzen hätte (von welchen er eine klar bevorzugen würde), er dann wenn die Entscheidung in Richtung der katastrophalen Konsequenzen geht, ein freier Wille dafür sorgen würde, dass er anders handeln würde. Wir müssen nicht debattieren ob ein freier Wille Sinn macht, aber in diesem Beispiel ist klar, dass ein zusätzlicher Faktor zu einem anderen Entscheid führen würde (der ebenso gewollt war!), der gravierend schlechte Konsequenzen vermeiden würde und dem weitsichtigeren Willen des betreffenden mehr entspräche.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Siehe oben: beste Option etc., da müsste wahrlich viel argumentiert werden um zu wissen was "das Beste" sein soll oder gar ist (kann es da nur ein Kriterium geben? Ist das Beste immer das objektiv Beste oder das nur subjektiv als das Beste interpretierte? etc. etc.).

Meine Frage hier war die: was kann der Freiheitsbegriff der Inkompatibilisten zu diesem (ins Extreme getriebene [in unserer Welt nicht vorkommenden] kompatibilistischen Freiheit) Wesentliches/Unverzichtbares hinzufügen? Diese Frage hast Du, so wie ich das sehe, bisher nicht beantwortet. Aber es wäre wichtig, diese Frage zu beantworten, davon hängt nämlich die Plausibilität der inkompatibilistischen Position ab. Denn der Inkompatibilist behauptet ja, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff ungenügend sei, da etwas Wesentliches und Unverzichtbares hinzukommen müsse, um von echter Freiheit sprechen zu können. Und dieses Wesentliche/Unverzichtbare für echte Freiheit sollte der Inkompatibilist einfach mal benennen.

Siehe obige Beispiele: eine Situation in der jemand sich für das Falsche entscheidet (betreffs der Tat an sich und der Folgen für ihn und andere), dieser Entscheid motivotional auf Messers Schneide stand, mit allen Implikationen (innerer Kampf, völlige Klarheit bezüglich der Konsequenzen jeden Entscheides etc., beinahe zum Zuschauer genötigt im Kampf und Widerstreit der Affekte und Argumente, klares Wissen was man unbedingt vermeiden will)...dass in einem solchen Fall ein kleiner Stubs vom freien Willen im Sinne des Handelnden und den von der Handlung Betroffenen gewesen wäre (bitte...gib mir die Kraft!), ist leicht nachvollziehbar. Was wäre dem Handelnden dadurch an Schlechtem zugestossen? Nichts...lediglich ein irrationaler Impuls wäre durch einen etwas stärkeren Gegenimpuls daran gehindert worden aktiv zu werden. Es wäre vielfach Schaden vermieden worden und dem vernünftigeren Wollen des Betroffenen wäre genüge getan worden gegenüber irrationalen Impulsen.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Es geht darum das Gefühl eigenen Determiniertseins - unter Umständen auch dort wo man wollte was man tat! - nicht in Einklang bringen zu können mit meiner angeblichen Verantwortlichkeit. Dass ich einen Bruch empfinde zwischen meinen Handlungen und deren zu tragenden Konsequenzen (im Guten wie im Schlechten).

Ich empfinde dann wohl nicht das, was Du empfindest. Und ich kann keine Empfindungen/Gefühle widerlegen, ich kann lediglich Argumente widerlegen.

Natürlich am Schluss kann es auf ein reines Geschmacksurteil hinauslaufen...fragt sich ob du das auch dann noch so auffassen würdest wenn du in einer hochgradig ambivalenten Situation (wie oben angedeutet) etwas falsches tun würdest und damit dein Leben irreversibel in eine Richtung brächtest die du nur mit entsetzen zur Kenntnis nehmen könntest. Ich vermute, dass die meisten Leute kaum je wirklich in solche Situationen geraten, weshalb sie ganz gut zurecht kommen mit ihrer ausgeglichenen Natur etc.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Eine Fähigkeit ist in genau dem Umfang grundsätzlich wie sie auch aktualisiert wird.

Nein, ich kann z.B. englisch sprechen, obgleich ich jetzt nicht englisch spreche.

Leider ein schlechtes Beispiel um den ursprünglichen Sachverhalt zu illustrieren.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.

Inwiefern?

Hab den Kontext nicht mehr im Sinn, aber wohl weil auf einer zweiten Stufe, jede Handlung in genau gleicher Weise determiniert war.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Des weiteren redest du davon, dass nicht ein anderer die Tat beging (was nur zuallererst eine zu klärende Frage ist), dies scheint mir aber im Widerspruch mit einem Determinismus zu stehen. Aus Sicht eines konsequent durchgedachten Determinismus fang Ich (pure Illusion im Kontext der Freiheitsfrage) ja nicht erst mit meinem Geboren werden an zu existieren. Ich bin das Produkt einer bis zum Urknall reichenden Kette von Verursachungen.

Inwiefern steht es im Widerspruch zum Determinismus, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen jemandem, der eine Tat begangen hat (juristisch/moralisch schuldig ist) und jemandem, der die Tat nicht begangen hat (juristisch/moralisch unschuldig ist)?

Der Widerspruch läge allenfalls darin, dass eine Kausalkette willkürlich herausgeschnitten wird aus seinem Ihn determinierenden Kontext. Ich handle letztlich nur auf Grund der Tatsache, dass alles so ist wie es ist. Warum nicht zugleich meine Eltern und meine Umwelt für meine Handlungen zu Rechenschaft ziehen? Weil es inpraktikabel ist und weil der Mensch irgendwann glaubte, er könnte sich von solchen Kontexten lösen, und jetzt kommt die Pointe: auf Grund eines freien Willens!

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, jenseits von Sprachkosmetik der Realität ins Auge schauen: dass der Zusammenhang Schuld-Strafe ein nur sehr bedingter ist, dass wirkliche Schuld ein "anders handeln können" voraussetzen würde.

"Anders handeln können" ist nach wie vor undefiniert und was Undefiniertes kann keine Voraussetzung für irgendwas anderes, z.B. Schuld im strafrechtlichen Sinne sein. Das wäre so, als wie wenn Du behauptetest, dass kljdfhoiufzoifhrph notwenige Vorausetzung für irgendwas sei. Wäre sicher wenig nachvollziehbar.

Quatsch...willst du mir weis machen du wüsstest nicht was darunter zu verstehen ist, wenn einer sagt: ich kann mich jetzt ebenso gut entscheiden Kaffee oder aber auch Tee zu trinken. Was damit intendiert wird, ist verstehbar, auch wenn es logisch widersinnig ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass Strafen aber eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, will eine solche ihr Dasein sichern etc.

Wer soll und darf bestraft werden? Ist es z.B. okay, Dich zu bestrafen, wenn jemand getötet wurde, obgleich Du nichts damit zu tun hattest, wiewohl es gute Folgen für die Gesellschaft hätte, wenn ein Sündenbock, in dem Falle: Du, präsentiert werden könnte? Und wenn nicht: warum nicht? Ob Du oder der Täter getötet hätte, wäre Deiner Ansicht nach doch irrelevant, weil Ihr beide genauso determiniert wäret, oder? Und dann wäre es völlig egal, wer bestraft wird, jeder wäre ja gleichermaßen unschuldig, weil determiniert.

Nun ja, Strafen verfolgen unterschiedliche Ziele. Praktikabler Weise muss natürlich der bestraft werden der Unrecht begangen hat, einfach weil er auf eine Weise determiniert ist die der Gesellschaft schädlich werden kann. Mich an seine Stelle bestrafen: nein, mittelfristig hätte das katastophale Konsequenzen für eine Gesellschaft wenn Sündenböcke herhalten müssten, da ginge jegliche Rechtssicherheit verloren etc.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du Strafe als nützlich befürwortest, aber nicht unterscheiden willst zwischen schuldig und unschuldig, dann kannst Du auch logischerweise nicht unterscheiden zwischen der Bestrafung eines Schuldigen und eines Unschuldigen. Dann wäre die Bestrafung eines Schuldigen ebenso legitim wie die Bestrafung eines Unschuldigen. Und das ist eine, öhm, sehr, sehr ungewöhnliche Position, weil überhaupt nicht nachvollziehbar. Denn das bedeutete, dass jeder jederzeit bestraft werden könnte für etwas was er nicht getan hätte, falls das nur irgendwie einen Nutzen für die Gesellschaft brächte. Was auf Willkür hinausliefe, (aber natürlich nicht "Willkür" genannt würde, sondern: "gesellschaftliche Notwendigkeit"), niemand könnte sich mehr seiner Rechte sicher sein, egal, was er auch immer täte, es läge nicht mehr in seiner Hand, an ihm und seinem Verhalten, wie mit ihm umgegangen würde. Ade, Rechtstaat, willkommen schöne neue determinierte Welt.

Quatsch. Jetzt redest du einfach dumm daher. Auch wenn niemand schuldig ist im Sinne , dass er eine Wahl gehabt hatte anders zu handeln, so gibt es natürlich den Unterschied von Handelnden welche so oder so handeln. Dass es willkürlich ist, oder kulturellen Zufälligkeiten geschuldet (!) ist, dass man Individuen ihre Handlungen zurechnet, mag sein, so ist es aber bestimmt nicht irrational: sperrte man irgendwen für irgendwas ein, dann würde keine Gesellschaft lange Bestand haben (und das will ja jede Strafpraxis vermeiden). Nirgends habe ich gesagt, dass auf Grund fehlenden indeterministischen freien Willens und der Tatsache dass jeder im selben Ausmass determiniert ist, eine Zurechenbarkeitspraxis völlig absurd sei. Ich sage lediglich, dass es reichlich ungerecht ist (auf einer zweiten Ebene), auf einer ersten Ebene aber notwendig und auch nachvollziehbar...wenn auch selbst hier die Bandbreite an Strafreformen noch recht weit gehen könnten, würde der Mensch sich z.B. lösen können von urtümlichen Vergeltungstrieben etc.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 17. Apr 2014, 17:56

Folgendes noch als Ergänzung: wie die Lebens-Lose den Menschen in den Schoss (und aus dem Schoss) fallen, ist ja nicht nur Zufall, sondern ungerecht zudem. Ich mache jede Wette, dass all jene welche nichts, oder doch wenig, am kompatibilistischen Freiheitsbegriff auszusetzen haben (bezüglich dessen, inwiefern er für eine gerechte Zurechnungspraxis etc. taugt), vom Los Begünstigte sind. Wer hingegen auf der Schattenseite unserer Sozietät lebt (oder gar irgendwo im Kongo seine Suppe auszulöffeln hat), ja, da ist's dann nicht mehr weit her mit dem Kompatibilismus, es sei denn man stellt händerringend fest, dass solche Schicksale nicht mal in einem kompatibilistischen Sinn frei zu nennen wären, woran eine Rechtsprechung, geschweige denn eine world community aber wenig interessiert sein dürfte. Wie auch immer und von mir aus das Phantasma indeterministische Freiheit endgültig begrabend...nur: die kompatibilistische Freiheit bietet die Basis für moralische und rechtliche Urteile, die mit Gerechtigkeit oder Moral nichts zu tun haben. Die Griechen hatten wohl noch so ein Gefühl für das Schicksalhafte dem selbst die Götter noch unterlagen...solche Ideen gelten heutzutage als anrüchig: jeder muss ja seines Glückes Schmid sein um die grosse Farce am laufen halten zu können...na, ist auch egal...warum sich gross daran nerven, den (Weltgeschichte-)Karren noch tiefer in die Scheisse fahren ist eh nicht möglich, ultimatives Leid wurde bereits durchlitten ohne Chance auf Wiedergutmachung...Hauptsache: the human show goes on...kurz genug wird sie alleweil sein und auf Fremdhilfe werden wir wohl auch kaum bauen müssen... :hangman:
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 18. Apr 2014, 04:44

Dr Fraggles hat geschrieben:Angenommen ich erkenne deutlich schon beim handeln, dass ich getrieben werde so zu handeln, die Handlung selbst geschieht in schärfster Ambivalenz: es tun wollen/müssen und zugleich es nicht tun wollen/dürfen.

Jemand, der nicht tun kann, was er will, bzw. was er als richtig ansieht, ist selbstverständlich (in dieser Situation) nicht frei. Das wird sicher unstrittig sein. Sehe jedoch Deinen Punkt hier nicht, Du wirst ja sicher nicht behaupten wollen, dass unsere Handlungen immer derart seien. Ein Kompatibilist behauptet ja mitnichten, dass alle unsere Entscheidungen und Handlungen frei seien, er behauptet lediglich, dass es freie Entscheidungen und Handlungen geben kann. Sehe Deinen Punkt hier nicht; es reicht ja nun nicht, um Kompatibilismus zu widerlegen, Entscheidungen/Handlungen zu nennen, die unfrei sind. Da muss nun was anderes kommen, nämlich erst mal die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Freiheit im inkompatibilistischen Sinne nennen. Es ist wirklich absurd, dass das nicht möglich zu sein scheint. Wie soll man einen Inkompatibilisten ernst nehmen, wenn er das nicht kann?

Dr Fraggles hat geschrieben:Dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff zu kurz greift, zeigt sich wohl fast immer bei Handlungen mit extremen Konsequenzen...und dies macht auch sein fehlendes Gewicht aus.

Um zeigen zu können, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff zu kurz greift, wäre es wohl notwendig, den inkompatibilistischen Freiheitsbegriff darzulegen. Schade, dass das anscheinend nicht möglich zu sein scheint. Solange das nicht geleistet werden kann, ist ein Vergleich unmöglich.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wir müssen nicht debattieren ob ein freier Wille Sinn macht, aber in diesem Beispiel ist klar, dass ein zusätzlicher Faktor zu einem anderen Entscheid führen würde (der ebenso gewollt war!), der gravierend schlechte Konsequenzen vermeiden würde und dem weitsichtigeren Willen des betreffenden mehr entspräche.

Nach kompatibilistischer Ansicht kann ein äußerer Faktor keine Freiheit herstellen, ein äußerer Faktor bedeutete Heteronomie, keine Autonomie.

Dr Fraggles hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.

Inwiefern?

Hab den Kontext nicht mehr im Sinn, aber wohl weil auf einer zweiten Stufe, jede Handlung in genau gleicher Weise determiniert war.?

Nach Ansicht des Kompatibilisten macht es einen entscheidenden Unterschied, ob etwas auf dem eigenen Mist gewachsen ist oder auf dem Mist von anderen, ob jemand etwas tut oder jemand anderes. Diesen entscheidenen Unterschied vermag der Inkompatibilist anscheinend nicht einzufangen, für ihn ist all das ein- und dasselbe, weil: alles gleichermaßen determiniert. Das scheint mir ein großes Manko des Indeterminismus zu sein, denn ob z.B. ich hier diesen Beitrag schreibe oder ob in China ein Sack Reis umfällt, scheint mir ein großer Unterschied bezüglich meiner Verantwortung zu sein: Ersteres verantworte ich, Zweiteres nicht, denn auf Zweiteres habe ich keinen Einfluss. Der Inkompatibilist mag zwar nun lahm sagen: ist aber beides gleichermaßen determniert, jedoch nachvollziehbar ist - zumindest per se nicht - wieso daraus folgen solle, dass gleichermaßen in beiden Fällen Verantwortung - oder auch keine Verantwortung - vorliegen solle. Der Inkompatibilist bräuchte mE hier ein Argument, und sei es auch nur ein ganz, ganz kleines Argument. Es ist wirklich traurig, wenn dieses immer und immer wieder ausbleibt. Hallo?

Dr Fraggles hat geschrieben:Der Widerspruch läge allenfalls darin, dass eine Kausalkette willkürlich herausgeschnitten wird aus seinem Ihn determinierenden Kontext.

Du kannst überlegen, abwägen und entscheiden. Und Du kannst Kausalketten erkennen und berücksichtigen und diese in Deine Entscheidung einbeziehen. Nicht?

Dr Fraggles hat geschrieben:Ich handle letztlich nur auf Grund der Tatsache, dass alles so ist wie es ist. Warum nicht zugleich meine Eltern und meine Umwelt für meine Handlungen zu Rechenschaft ziehen? Weil es inpraktikabel ist und weil der Mensch irgendwann glaubte, er könnte sich von solchen Kontexten lösen, und jetzt kommt die Pointe: auf Grund eines freien Willens!

Es ist ziemlich einfach, andere verantwortlich für die eigenen Entscheidungen zu machen. Menschen tendieren wohl oft dazu, den einfachen Weg zu gehen. Allerdings ist das leider auch unlogisch: wenn niemand verantwortlich gemacht werden kann, weil niemand in einer determinierten Welt verantwortlich sein kann, dann logischerweise auch nicht die Eltern oder die Umwelt oder die Umstände. Ein Teufelskreis: entweder kann jemand verantwortlich sein, oder, falls nicht, logischerweise niemand.

Dr Fraggles hat geschrieben:Nun ja, Strafen verfolgen unterschiedliche Ziele. Praktikabler Weise muss natürlich der bestraft werden der Unrecht begangen hat, einfach weil er auf eine Weise determiniert ist die der Gesellschaft schädlich werden kann. Mich an seine Stelle bestrafen: nein, mittelfristig hätte das katastophale Konsequenzen für eine Gesellschaft wenn Sündenböcke herhalten müssten, da ginge jegliche Rechtssicherheit verloren etc.

Verstehe ich nicht. Wenn niemand etwas für seine Entscheidungen und Handlungen kann, dann kann keine Strafe gerechtfertigt werden, dann wäre jeder Bestrafte ein Sündenbock.

Dr Fraggles hat geschrieben:Auch wenn niemand schuldig ist im Sinne , dass er eine Wahl gehabt hatte anders zu handeln, so gibt es natürlich den Unterschied von Handelnden welche so oder so handeln. Dass es willkürlich ist, oder kulturellen Zufälligkeiten geschuldet (!) ist, dass man Individuen ihre Handlungen zurechnet, mag sein, so ist es aber bestimmt nicht irrational: sperrte man irgendwen für irgendwas ein, dann würde keine Gesellschaft lange Bestand haben (und das will ja jede Strafpraxis vermeiden). Nirgends habe ich gesagt, dass auf Grund fehlenden indeterministischen freien Willens und der Tatsache dass jeder im selben Ausmass determiniert ist, eine Zurechenbarkeitspraxis völlig absurd sei. Ich sage lediglich, dass es reichlich ungerecht ist (auf einer zweiten Ebene), auf einer ersten Ebene aber notwendig und auch nachvollziehbar...wenn auch selbst hier die Bandbreite an Strafreformen noch recht weit gehen könnten, würde der Mensch sich z.B. lösen können von urtümlichen Vergeltungstrieben etc.

Nochmal: Deiner Ansicht nach, wenn ich die recht verstehe, muss jegliche Strafe ungerechtfertigt sein. Es ist dann scheißegal, was jemand macht oder nicht macht, es spielt keine Rolle, weil alles unvermeidbar ist.

Hier kommt die unglaubliche Unlogik der Inkompatibilsten ins Spiel: sie leugen auf der einen Seite jegliche Verantwortung, auf der anderen Seite aber appellieren sie an die Vernunft und Verantwortung. Das ist so dermaßener Bullshit, dass dabei einfach nur Schwachsinn herauskommen kann. Ich raffe es einfach nicht, wie man das nicht sehen kann, das scheint mir so offensichtlich wie sonst kaum etwas.

Allerdings gebe ich zu, dass der Inkompatibilist wohl irgend einen Begriff von Freiheit zu haben scheint, der mir völlig unzugänglich ist. Wenn er den doch mal darstellen könnte! Irgendwie läuft es jedes Mal darauf hinaus, dass der Inkompatibilst immer nur sagt: "ist alles determiniert, also alles unfrei". Was zwar völlig argumentfrei ist, da ein non sequitur, was mich aber nicht stören würde, wenn der Inkompatibilist nicht zusätzlich noch moralische Forderungen an meine Verantwortung stellen würde. Aber da er das regelmäßig tut, tilt es bei mir dann, da macht mein Logik-Modul nicht mit. "Die Welt ist determiniert, also gibt es keine Verantwortung". Halte ich zwar für falsch, aber noch nicht für unlogisch. Aber was dann folgt: "also muss Du das und das tun" ist leider völlig unlogisch und Unlogisches goutiere ich nun gar nicht, kann ich nicht akzeptieren; ich bin wohl determiniert dazu, Unlogik ungut zu finden.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 18. Apr 2014, 05:06

Dr Fraggles hat geschrieben:[...]...nur: die kompatibilistische Freiheit bietet die Basis für moralische und rechtliche Urteile, die mit Gerechtigkeit oder Moral nichts zu tun haben. [...]

Nun, da frage ich mich, was denn der Inkompatibilist, insbesondere der Harte Determinist, der Freiheit leugnet, an Gerechtigkeit und Moral anzubieten hat, ohne dass sich seine Ansicht unwiderruflich in ein kleines rosa Logik-Wölkchen auflöst. Es ist schlicht vollkommen absurd, auf der einen Seite Verantwortung und Moral zu leugnen und auf der anderen Seite dennoch moralische Forderungen an andere stellen zu wollen. Gut, man mag dem entkommen, indem man behauptet, man täte das nur, weil man dazu determiniert sei, das hätte keine Bedeutung, weil es ebenso auch völlig anders sein könne, man auch die gegenteilige Forderung aufstellen könnte oder gar keine oder was auch immer, das läge außerhalb jeglicher Kontrolle, sei lediglich durch äußere Umstände determiniert, wie bei jedem Menschen. Aber das würde dann wohl ziemlich die Überzeugungskraft der moralischen Appelle an die Verantwortlichkeit entkräften, nicht wahr?

Mag aber nun auch sein, dass der Harte Determinist noch die unbennbare, mystische und geheimnisvolle indeterministische Freiheit in der Hinterhand hat, die, falls sie benannt würde, die kompatibilistische Freiheit weit in den Schatten stellen würde, die aber nicht benannt werden darf, weil das ein Geheimnis sei, das keinem Unbedarften offenbart werden dürfe, weil dann die Welt zugrunde ginge oder gar noch Schlimmeres geschähe. Mag sein. Höhö, klar, klingt ja auch voll logisch.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 18. Apr 2014, 09:27

AgentProvocateur hat geschrieben:"Die Welt ist determiniert, also gibt es keine Verantwortung". Halte ich zwar für falsch, aber noch nicht für unlogisch.

Es ist wohl doch auch ein wenig unlogisch:
Jürgen Habermas hat geschrieben:Diese logische Kluft zwischen Handeln und Geschehen wird oft metaphorisch überspielt. Ein für neurowissenschaftliche Darstellungen nicht untypisches Beispiel ist die rhetorische Angleichung von Gründen an Ursachen – etwa die Assimilation des „Wettbewerbs“ der unbewusst wirkenden Variablen, die der neurologischen Beobachtung zugänglich sind, an das Muster des Wettbewerbs von Argumenten, welche die Stellungnahmen von Personen zu Geltungsansprüchen ausdrücken. Der nach logisch-semantischen Regeln beurteilte Wettbewerb um das bessere Argument verlangt eine andere Beschreibung als die kausale Folge von Zuständen im limbischen System: „Der verkannte Unterschied liegt darin, dass es im Fall des Hin und Her von Gründen einen semantisch beschreibbaren Konflikt gibt […] einen Widerstreit zwischen Urteilen im Hinblick auf das, was wahr oder falsch, bzw. richtig oder falsch ist. Ein solcher Wechsel ist etwas anderes als ein Wechsel von körperlichen Zuständen. Diese können sich nicht widersprechen.“ (Wingert, 2006)
(Jürgen Habermas, Das Sprachspiel verantwortlicher Urherberschaft und das Problem der Willensfreiheit, in Kritik der Vernunft, Suhrkamp 2009, S. 298f)


Habermas argumentiert hier als Inkompatibilist, allerdings als nichtdeterministischer.
Eine Definition von Freiheit bietet er auch an:
Jürgen Habermas hat geschrieben:Allgemein verstehe ich unter Willensfreiheit den Modus der Selbstbindung des Willens auf der Basis von einleuchtenden Gründen. Willensfreiheit charakterisiert eine Seinsweise – die Art, wie handelnde Personen im Raum der Gründe existieren und wie sie sich von kulturell überlieferten und gesellschaftlich institutionalisierten Gründen affizieren lassen. Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft eröffnet einen Horizont, innerhalb dessen sich das ganze Spektrum der Willensfreiheit zwischen „freiem Willen“ und „Willkür“ erstreckt – vom angesonennen reflektierten Gebrauch bis zur normalen oder eingewöhnten Ausübung der Willensfreiheit.
(ebd. S. 282f)
Klingt kompatibilistisch, oder?

Alles in allem ließ mich der gute, 70 Seiten lange, Text von Habermas auch etwas ratlos zurück, einfach deshalb, weil er sich gegen den Kompatibilismus richten möchte – hier aber wohl eher Dennetts Kompatibilismus auf dem Schirm hat – und ich zwar eine Fülle guter Argumente sehe, aber wenige, die mit dem Kompatibilismus, in der Version Beckermann, unvereinbar sind.

Die grundsätzliche Stoßrichtung ist, dass wir uns als verantwortlich Handelnden von Anfang an begreifen und begreifen müssen und dass eine Reduktion auf kausal wirksame Ereignisse scheitert. Insofern ist die Ausbuchstabierung die Habermas hier vornimmt lebensnäher als das kompatibilistische Gedankenexperiment, das zwar nachweist, dass es keinen logischen Widerspruch zwischen Freiheit und Determinismus geben muss, aber dazu auf einen Determinismus zurückgreift, den im Grunde niemand teilt, außer eben den Neurodeterministen.
Ansonsten sehe ich wenig Diffferenzen zwischen Habermas und Beckermann. Habermas sagt von der kompatibilistischen Position, sie sei eine Wahrheit über handelnde Personen, nicht für. Er selbst beschreibt seinen Ansatz ja als einen des Wechsels von Beobachter und Teilnehmerperspektive, eine Reduzierung auf die Beobachterposition ist ihm stets zu wenig.
Das würde ich teilen, ohne mich gedrängt zu fühlen einen Beckermannschen Kompatibilismus zu verstoßen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Sa 19. Apr 2014, 17:55

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun, da frage ich mich, was denn der Inkompatibilist, insbesondere der Harte Determinist, der Freiheit leugnet, an Gerechtigkeit und Moral anzubieten hat, ohne dass sich seine Ansicht unwiderruflich in ein kleines rosa Logik-Wölkchen auflöst. Es ist schlicht vollkommen absurd, auf der einen Seite Verantwortung und Moral zu leugnen und auf der anderen Seite dennoch moralische Forderungen an andere stellen zu wollen.

Warum? Ich kann sehr wohl feststellen, dass Moral/Gerechtigkeit nur dann wirklich überzeugen würde wenn sie einen Indeterminismus voraussetzt (dies kann ich selbst dann wenn der indeterministische Freiheitsbegriff undefinierbar ist). Zugleich kann ich feststellen, dass es keine solche Freiheit gibt und also die faktische Moral/Gerechtigkeit eine Anpassung an die realen Umstände ist, nicht mehr nicht weniger. Ich erwarte lediglich ein wenig Redlichkeit...wenn das eine moralische Forderung ist, kein Problem: ich behaupte ja nicht, dass der Determinismus Einsicht verunmöglicht noch, dass ich die Spielregeln geltender Moral verwerfe oder als überflüssig erachte (aber durchaus als ein sehr mangelhafter Kompromiss von der Einsicht erzwungen, dass ein indeterministischer freier Wille vernünftigerweise nicht haltbar ist und getragen von pragmatischen Interessen).

Gut, man mag dem entkommen, indem man behauptet, man täte das nur, weil man dazu determiniert sei, das hätte keine Bedeutung, weil es ebenso auch völlig anders sein könne, man auch die gegenteilige Forderung aufstellen könnte oder gar keine oder was auch immer, das läge außerhalb jeglicher Kontrolle, sei lediglich durch äußere Umstände determiniert, wie bei jedem Menschen. Aber das würde dann wohl ziemlich die Überzeugungskraft der moralischen Appelle an die Verantwortlichkeit entkräften, nicht wahr?

Warum? Das Argument kenne ich, nur ist es wenig überzeugend. "Nicht die kausale Determiniertheit als solche untergräbt ein Urteil und beraubt es seiner Autorität, sondern nur eine unangemessene kausale Determination. Es bedeutet keine Schwierigkeit einzugestehen, dass (einige) unserer Überzeugungen in angemessener Weise kausal verursacht sind und aufrechterhalten werden, und zwar so, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Ausserdem, wenn diese Prämisse wahr wäre, bewiese sie nur, dass sich der Determinismus nicht vernünftigerweise akzeptieren lässt, nicht aber, dass er falsch wäre." (John Leslie Mackie) Ich habe Mühe zu glauben, dass du das Argument wirklich ernst nimmst weil es dermassen schwach ist.

Mag aber nun auch sein, dass der Harte Determinist noch die unbennbare, mystische und geheimnisvolle indeterministische Freiheit in der Hinterhand hat, die, falls sie benannt würde, die kompatibilistische Freiheit weit in den Schatten stellen würde, die aber nicht benannt werden darf, weil das ein Geheimnis sei, das keinem Unbedarften offenbart werden dürfe, weil dann die Welt zugrunde ginge oder gar noch Schlimmeres geschähe. Mag sein. Höhö, klar, klingt ja auch voll logisch.

Redest du jetzt in Zungen oder was? Purer Schwachsinn was du schreibst und zudem eine suggestive Verfälschung meiner Position.
Ich habe nichts in der Hinterhand, da ich die indeterministische Freiheit ja auch leugne...merkwürdig, dass dir das bisher entgangen ist. Aber: für mich steht der indeterministische freie Wille als eine Metapher dafür, dass der kompatibilistische einfach versagt um eine fundiertere Verantwortlichkeit begründen zu können. Was determiniert ist, ist nicht wirklich (d.h. logisch) verantwortbar. Dafür steht es. Und dies impliziert nicht, dass es eine solche indeterministische Freiheit auch geben muss. Eine kompatibilistische Freiheit findet ihre Fürsprecher bei vom Schicksal Begünstigte...keiner kann mir weismachen, dass er ihn nur aus rein vernünftig-logischen oder pragmatischen Gründen verteidigt, damit wäre dann der HEUCHLERISCH-UNBENANNTE Aspekt, die Motivationsstruktur der Kompatibilisten betreffend, benannt...HÖHÖ.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Sa 19. Apr 2014, 18:17

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:"Die Welt ist determiniert, also gibt es keine Verantwortung". Halte ich zwar für falsch, aber noch nicht für unlogisch.

Es ist wohl doch auch ein wenig unlogisch:


Und ich halte es für richtig und das Gegenteil für unlogisch, wobei es sich letztlich wohl um eine analytische Wahrheit handelt, beruhend auf nicht weiter begründbaren Definitionen (im Falle des Indeterminismus von der Realität zwar widerlegten, aber dennoch berechtigten Intuitionen). Zuletzt beruft sich jeder auf Prämissen die er nicht weiter begründen kann. Ich behaupte, dass Verantwortlichkeit und Determinismus unverträglich sind. Und dass dies so ist, habe ich bisher noch nirgendwo mit zwingender Begründung widerlegt gefunden. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass die semantische Unverträglichkeit weit evidenter weil intuitiv angemessener ist als das Gegenteil (dass man Menschen verantwortlich macht ohne ihnen implizite ein anders-handeln-können zu unterstellen, ist meist schlicht falsch. Erst die Einübung in philosophische Akrobatik lehrt Gegenteiliges...wobei die Emotionen seltenst in Einklang mit solchen philosophischen Rettungskonzepte zu bringen sind), welches meines Erachtens nur von pragmatischen Interessen getragen wird, u.a. vom Bestreben das Selbstbild und die Interessen vom Leben Begünstigter aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Praxis, sprich: deren Status quo, wie auch immer zu legitimieren (Methode: retten was noch zu retten ist, Motto: ja nicht durchscheinen lassen, dass je etwas rettungsbedürftig war). Denn eines ist offensichtlich: bei der Freiheitsfrage geht es nicht nur um Wahrheit (z.B. über die Verfasstheit des Menschen) sondern auch darum was zu gelten hat und was nicht, also um Machtfragen.
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