Jounk33 hat geschrieben:Die Alternative wäre ja die Ansicht, dass Spezies durch langfristige Veränderungen evolutionieren. Also um z.B. die Fähigkeit zu besitzen zu fliegen müsste dem mensch so nach und nach innerhalb von ca. 500000 bis 1000000 Jahre Schuppen und dann Federn wachsen, das ginge nicht plötzlich wie in der Mutationstheorie sondern eben immer ein bisschen von Generation zu Generation. Das würde bedeuten, es gibt nie eine neue Spezies, sondern immer nur die selbe die sich verändert. Deshalb suchen auch so viele das Missing Link, um diese Theorie zu beweisen.
In der biologischen Evolution geht nichts plötzlich.
Es gibt einfach pausenlos …. wollte ich erst schreiben, aber das verzerrt die Geschichte: Es gibt sehr selten Mutationen. Bestimmte Bedingungen erhöhen die Mutationshäufigkeit, aber in der Regel sind Mutationen sehr selten. Doch, wie Darth schrieb, das ist nur die eine Hälfte.
Diese Mutationen müssen auch passen, d.h. sie müssen sich hier und jetzt durchsetzen, gegen das was a) schon besteht und b) gegen eventuelle Konkurrenzmutationen.
Was hier perfekt passt, ist ein paar Ecken weiter völlig nutzlos.
Was genau heute perfekt passt, war gestern noch völlig nutzlos und kann es morgen schon wieder sein.
Denn die sehr seltenen Mutationen sind nun wiederum sehr selten ein Vorteil. Der größte Teil ist Schrott und stirbt einfach weg, wird nicht einmal mehr bemerkt.
Das dauert und das Rad der biologischen Evolution dreht sich sehr sehr langsam. Irgendwann hat sich mal bei einem Teil der Menschen Lactosetoleranz eingestellt und gegenwärtig gibt es einen Trend, dass wir weniger Weisheitszähne kriegen.
Andere Evolutionen (sind es welche? Etwa memetische, temetische) laufen deutlich schneller, aber so behaupten einige, u.a. Dawkins, nach den Prinzipien der biologischen Evolution.
Wer 1985 gesagt hätte, dass hier bald alle mit einem mobilen Telefon durch die Gegend laufen und permanent ihren Alltag der ganzen (virtuellen) Welt präsentieren, dass es zu Angstzuständen und Depression kommt, wenn das mobile Telefon mal ausgeschaltet ist... was hätte man dem vor lächerlichen 30 Jahren wohl erzählt?
Heute gilt es einigen als pathologisch wenn man – kein Witz – nicht bei facebook ist.
Der Clou der ganzen Geschichte ist nicht, dass etwa die Theorie der Meme vollkommen falsch wäre oder es keinerlei Indizien für sie gäbe, sondern der Clou ist, dass sie wiederum mit anderen Theorien konkurriert. Heidegger erzählte uns vor viele Jahrzehnten, dass wir alle der Sprache folgen, dass wir sozusagen Wirttiere der sprachlichen Entwicklung sind, dass die Sprache uns im Griff hat. Harari schreibt 2013 die Schrift sei als Dienstmagd des menschlichen Bewusstseins geboren und schwinge sich zur Herrin auf. Auch der Soziologe und radikale Konstruktivist Luhmann sieht den Menschen als Wirt, der eigentlich nur dazu da ist sozialen Systemen zu ihrer Entfaltung zu verhelfen. Gerade so wie Dawkins das für die egoistischen Gene proklamiert. Beck und Graves sprechen von vMemen (value oder Werte-Mem) die sozusagen die übergeordnete Struktur bilden, ansonsten wären da noch die Spieltheorie die biologische, kulturelle Entwicklungen und menschliches Verhalten mathematisch erklärt, wir hätten den Behaviorismus der daraus ein Reiz-Reaktions-Muster macht während Susan Blackmore den Menschen als einen Gefangenen von Temen sieht, technischen Memen, die ihn im Griff haben. Da von den unter 30-Jährigen heute kaum noch einer aus dem Haus geht ohne ein maximal hochgerüstetes Minicomputerspielzeug bei sich zu haben, ist diese 1985 noch lächerliche bis verrückte Idee heute gar nicht mehr verrückt.
Das Problem ist, dass diese Theorien nicht alle schwachsinnig sind, sondern irgendwie stimmt alles das, was sie sagen.
Und bei all den objektivierenden und unpersönlichen Erklärungsansätzen habe ich noch die ganz andere Klasse derer, die sagen: Stopp mal, in erster Linie, ist der Mensch ein freies Subjekt, das selbst bestimmt (oder mindestens das Potential dazu hat) wohin die Reise geht, zumindest seine persönliche, unterschlagen. Und auch die ließen sich in zig Theorien auffächern.
Nun kommt die Preisfrage: Welcher Idee glauben wir denn nun?
Das Problem ist nicht, dass der Behaviorismus nur Unsinn erzählt, dass Problem ist, dass die Konkurrenztheorie ebenfalls nicht nur Unsinn erzählt.
Greif raus, was Du willst, alle Sichtweisen, sind, wenn man sich die Mühe macht sie verstehen zu wollen, ziemlich plausibel.
Es ist nicht wahnsinnig schwer pragmatisch zuzuordnen, welcher Idee wir uns
im Einzelfall zuwenden sollten. Zwangsgestört? Kognitive Verhaltenstherapie und Medikation, meistens ein SSRI Präparat ist der Goldstandard. Sexuelle Hemmungen? Klassische Analyse. Lactoseintoleranz? Biologie und Medizin. Vewahrloste Innenstädte? Gute Antworten hat die Geosoziologie im Verbund mit der Sozialpsychologie. Ein Geiselnahme? Tit for Tat, also Spieltheorie.
Nur, welche Theorie ist jetzt der Döner mit Alles?

Wer oder was erklärt uns die Welt?
Die Theorie der biologischen Evolution mit der Unterabteilung Soziobiologie? Zum Teil bestimmt. Da gibt es neckische Parallelen, aber Kunsttheorie, Börsenkurse und Kriege einzig und allein aus der Perspektive der biologischen Evolution (weil der Mensch eben diese Großschimpansengene in sich hat) oder der Meme erklären zu wollen... was ist mit den konkurriernden Erklärungen aus der Soziologie? Die Mensch opfert – wider die stärksten aktiven Triebe in ihm – sein Leben für so etwas biologisch Lächerliches wie seine kulturelle Identität: für Religionen, politische Ideen, für einen charismatischen Führer. Was ist mit der Idee der Massenregressionen, erklären die das Aufkommen von Gewalt nicht vorzüglich? Aber ja, es kennt sie nur niemand, aber Bion, Moscovici, Canetti, Kernberg haben das brillant erklärt (und dummerweise auch erklärt, warum wir diese Prozesse zwar verstehen, aber kaum verhindern können). Aber ist das alles? Nein, Heinsohn legt seine youth bulge These vor. Wo es überproportional viele junge Männer zwischen 15 und 30 in der Gesamtbevölkerung gibt, sitzt man auf einem demographischen Pulverfass, das ziemlich sicher irgendwann hochgeht, Begründungen für die Aggression, werden stets gesucht und gefunden.
Ganz schön kompliziert, oder? Wir wollen die Welt aber nun mal verstehen, weil wir mehr kognitiv identifizierte als biologisch identifizierte Wesen sind und da ist so eine unübersehbare Fülle für einige nicht sehr verlockend. Laotse ist damit schnell durch: „Wahre Worte sind nicht schön. Schöne Worte sind nicht wahr.“
Menschen die von zu viel Komplexität überfordert sind, streichen darum alles weg und übrig bleibt genau eine Lieblingsidee. Da die Apologeten dieser einen Idee irgendwie doch spüren, dass diese herbe Reduktion auf genau eine Theorie (das ist etwas anderes als der methodische Reduktionismus innerhalb der Naturwissenschaften, der hier, innerhalb dieses Spiels seine Berechtigung hat) nicht so ganz überzeugend ist, werden sie ärgerlich und gereizt, wenn man ihre Reduktion nicht als die einzig mögliche ansieht.
Otto Kernberg, Psychiatrieprofessor und Psychoanalytiker nahm das als Anlass für die ironische Bemerkung: „Es gibt Psychoanalytiker die nicht glauben, sie seien Gott.“
Jounk33 hat geschrieben:Ich stelle ich mir allerdings im Bezug auf diese Theorie die Frage welche Kraft bewirkt es z.B., dass eine Spezies überhaupt allmählich verändern sollte.
Überhaupt keine. Die Theorien der biologischen Evolution beschreiben keine Kräfte sondern versuchen zu erklären, wie ein allmählicher Prozess einer stufenweise Veränderung zu erklären ist. Das heißt nicht, dass es da keine Kräfte gibt, die einwirken. Es gibt 1000e. Radioaktivität erhöht die Mutationsrate, aber jede Veränderung setzt Anpassungsprozesse in Gang, ob das ein Meteoritenschlag, eine Virusmutation, eine Eiszeit oder die Erfindung sitzender Tätigkeiten oder Viehzucht ist. Oder einfach wieviel Platz und Konkurrenz da ist.
Jounk33 hat geschrieben:Also damit einer Spezies Flügel wachsen, das ist ja keine Sache von ein zwei Generationen. Und klimatische Bedingungen verändern sich sehr wahrscheinlich schneller als eine Spezies durch allmähliche Evolution.
Daher halte ich diese Theorie für mich weniger schlüssig.
Die Veränderung klimatischer Bedingungen ist langsam und zyklisch, Eiszeiten wechseln mit Wärmeperioden ab. Kleinere Veränderungen sind ja Veränderungen innerhalb von Bedingungen die schon klimatisch gegen sind. Wenn sich die Wüstengebiete auch ausdehnen mögen, die Wüsten bleiben noch immer wärmer und die Polkappen kälter.