Die Materie und ihre Schatten

Beitragvon Tapuak » So 17. Jun 2007, 09:54

So, ich habe das Buch inzwischen auch durchgelesen. Insgesamt hat es mir gut gefallen - am gelungstenen fand ich das Naturalismus- und das Eschatologie-Kapitel.

Was mich dagegen gestört hat:
- Die Verwendung griechischer Zeichen und Wörter teilweise ohne Übersetzung (Wie viele Leser können bitte Griechisch? Ein Prozent?).
- Teilweise nachlässige Literurangaben der Form "Kant 1963" usw. Hier wäre eine Angabe der ursprünglichen Erscheinungsdaten zur besseren Orientierung nützlich gewesen.
- Die einseitige Fixierung auf Sexualität im Abschnitt praktische Philosophie.
- Das doch etwas kurzgegriffene Plädoyer für einen liberaleren Umgang mit Drogen. Gerade aus hedonistischer Perspektive scheint mir in diesem Zusammenhang bedenkenswert, dass der Drogenkonsum die Lust langfristig betrachtet gerade nicht unbedingt steigert, sondern sie aufgrund etwaiger negativer gesundheitlicher, psychischer und sozialer Effekte auch schmälern kann. Zumindest ist das bei den Millionen Menschen der Fall, für die der Konsum ihrer jeweiligen Droge keinerlei Genuss mehr darstellt, sondern nur noch stumpfe Gewohnheit und Suchtbefriedigung.
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Beitragvon Sisyphos » So 17. Jun 2007, 10:40

Ich hab mir jetzt das Buch gekauft und beginne zu lesen ... :^^:
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Beitragvon F.F.H. Fakt » Fr 6. Jul 2007, 12:28

Ist mein erster Klick, nach justamenter Anmeldung. Literaturhinweis und bisherige Diskussion reizen, sich einzulesen.
NB
Sisyphos ist mir nicht böse, wenn ich ihn als praktischer Philosoph darauf hinweise,
dass Camus diesbezüglich zu hinterfagen wäre. Sisyphos leistet als Verbannter nutzlose Arbeit,
derer er sich sehr wohl bewusst (wegen der Umstände, die ihn dazu führten) sein musste.
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Beitragvon Kival » Fr 6. Jul 2007, 12:30

F.F.H. Fakt hat geschrieben:Sisyphos ist mir nicht böse, wenn ich ihn als praktischer Philosoph darauf hinweise,
dass Camus diesbezüglich zu hinterfagen wäre. Sisyphos leistet als Verbannter nutzlose Arbeit,
derer er sich sehr wohl bewusst (wegen der Umstände, die ihn dazu führten) sein musste.


Sisiyphos ist sich dessen bewusst, er rebelliert ja gegen die Absurdität, weil er sich ihrer bewusst, trotzdem weiter macht.
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Beitragvon Max » Fr 6. Jul 2007, 12:58

Kennt einer hier Kanitscheider persönlich? Wie ist er als Mensch?

Die Zitation in fremden Sprachen war für meinen Geschmack weniger gut. Ein Kapitel hat er ja mit einem unübersetzten lateinischen Zitat von zehn Zeilen Länge geschlossen. Als Leser eines Buches habe ich persönlich - vielleicht ergeht es da manchem anders - nicht die Lust, das Zitat zu übersetzen. Auch die andauernde Verwendung von griechischen Wörtern störte den Lesefluss in den entsprechenden Kapiteln ungemein. Er hätte die griechischen Wörter höchstens in Klammern nachfügen können, mehr aber auch nicht.

Inhaltlich war das Buch sehr gut. Auch dass sich Buch nicht nur theoretischen, sondern auch praktischen Problemen des Denkens widmet, ist eine große Bereicherung und Seltenheit. Kanitscheiders Argumentation war vollkommen rational und klar. Das Buch ist gut gegliedert und umfasst ein umfassendes Spektrum.

Sprachlich war das Buch ebenfalls gelungen. Kanitscheider schreibt klar und in einem guten, gehobenen, und gleichsam verständlichen Stil. Er langweilt nicht - wie manch andere -, weil er für Proleten schreibt, sondern unterhält den Leser mit seiner Sprache und schreibt doch vollkommen verständlich.
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Beitragvon F.F.H. Fakt » Fr 6. Jul 2007, 13:37

Ach Kival, Kival. Camus sieht drei Stufen des Umgangs mit der "Absurdität"
(gemeint ist der Widerspruch von angeblicher Sinnwidrigkeit der Welt und des Menschen Wunsch nach sinnhaftem Wirken),
a) die Erkenntnis der Absurdität; b) ihre Annahme; c) die Revolte gegen die Absurdität.
"Was bleibt, ist ein Schicksal, bei dem allein das Ende fatal ist."

Eine Rebellion gegen eine "Absurdität" die nicht zu beeinflussen ist durch die Rebellion ist keine Rebellion.

Die Odyssee trägt uns zu Sisyphos: "Und den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor, mit großer Gewalt fortheben.
Angestemmt arbeitet´ er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt´er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehen, da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.
Und von vorn arbeitet´ er, angestemmt, daß der Angstschweiß
Seinen Gliedern entfl´ß, und Staub sein Antlitz umwölkte."
(11. Gesang, 593-600)

Nichts da, mit rebellieren.
Arbeit ohne Ende, ohne Ziel, vielleicht murrend, doch ohne Ergebnis - aber Strafe m i t Sinn (zur Abschreckung).
Götterwelt ist Götterwelt. Menschen haben ihren Kopf. Ohnmacht enthauptet nicht, kann aber arg lähmen.
Nur, was die Menschheit bewusst in die Gesellschaft implantiert, kann sie auch wieder bewusst entfernen.
Der Wille zur praktischen Veränderung der Welt verbietet einem praktischen Philosophen, seine Zeit zu
vertun mit philosophischer Dialetik der Altvorderen. Ach, ja, das Buch... Sorry, bin abgeglitten vom Thema.
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Beitragvon Sisyphos » Fr 6. Jul 2007, 14:47

F.F.H. Fakt hat geschrieben:Sisyphos ist mir nicht böse, wenn ich ihn als praktischer Philosoph darauf hinweise,
dass Camus diesbezüglich zu hinterfagen wäre. Sisyphos leistet als Verbannter nutzlose Arbeit,
derer er sich sehr wohl bewusst (wegen der Umstände, die ihn dazu führten) sein musste.


Für deinen Hinweis war wohl meine Signatur ausschlaggebend. Camus' Sisyphos-Interpretation ist hier aber nicht das Thema.
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Beitragvon Tapuak » Sa 7. Jul 2007, 19:13

Max hat geschrieben:Sprachlich war das Buch ebenfalls gelungen. Kanitscheider schreibt klar und in einem guten, gehobenen, und gleichsam verständlichen Stil.

Es ist in der Tat ein interessantes Phänomen, dass vernünftige Argumentationen häufig mit einer klaren Ausdrucksweise gemeinsam auftreten (in diesem Fall wie bereits erwähnt mit einem Punktabzug wegen der griechischen Wörter).
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Beitragvon Sisyphos » So 8. Jul 2007, 09:09

Mir gefallen seine Ausführungen auch außerordentlich. :up:
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Beitragvon Max » So 8. Jul 2007, 15:44

Off-Topic:
Sisyphos, wo bleibst du eigentzlich auf deinem Avatar?
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Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 8. Jul 2007, 15:52

er ist unter dem Stein :^^:
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Beitragvon enbey » So 8. Jul 2007, 18:09

also, ich kann dieses buch denen empfehlen, die sich dafür interssieren wie glaube im gehirn entsteht.

http://www.amazon.de/gedachte-Gott-Glau ... 522&sr=1-1



gruß
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Re: Die Materie und ihre Schatten

Beitragvon Sisyphos » Mo 29. Okt 2007, 16:56

Eine Buchbesprechung:

Wahrlich: Ein Zankapfel!
Bernulf Kanitscheiders "naturalistische Wissenschaftsphilosophie"

Von Josef Bordat

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11148&ausgabe=200710
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Re: Die Materie und ihre Schatten

Beitragvon ostfriese » Do 1. Nov 2007, 17:09

Josef Bordat hat geschrieben: (...) Dem ist nur dann zu folgen, wenn man den Naturalismus mit einem Methodenmonopol ausstattet. Warum man dies tun sollte, erschließt sich wiederum nur unter der Voraussetzung, dass man ihm allein die Kompetenz zur Weltdeutung zuschreibt. Hier ergibt sich unverkennbar ein Zirkel.

Quark. Warum die wissenschaftliche Methode der Erkenntnisgewinnung ohne Alternative ist, wann immer es um intersubjektiv relevante Aussagen geht, wird nicht naturalistisch-wissenschaftstheoretisch begründet, sondern -- in völliger weltanschaulicher Neutralität -- kommunikationstheoretisch. Wer auf rationales Argumentieren verzichtet, dessen Aussagen entziehen sich einer Zuordnung von Wahrheitswerten, weil sie schlicht unverständlich und damit intersubjektiv bedeutungslos sind.

Nix Zirkel. Und da so ziemlich die ganze Rezension auf dem Boden dieser Behauptung ruht, fällt sie damit in sich zusammen.
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Re: Die Materie und ihre Schatten

Beitragvon Myron » Mi 30. Jan 2008, 01:53

Ich bin an Kanitscheiders Buch sehr interessiert, würde aber vor dem Kauf gerne einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis werfen.
Kann es mir irgendjemand von Euch hier präsentieren (oder zumindest einen dorthin führenden Link)?
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