Sind wir alle nur große Gene?

Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon Schuld » Fr 11. Apr 2008, 22:59

Nabend,

gut der Titel klingt etwas reißerisch, aber das soll er auch, denn Reibung erzeugt Wärme, zur Sache aber...

Ich lese momentan ein Buch von Steven Pinker "Das Unbeschriebene Blatt". Es geht darum, wie man zu dem Menschen wird, der man ist. Prägen unsere Erfahrungen, unserer Eltern, unser Umfeld und/oder unsere Umwelt, das zukünftige Verhalten, und sind wir alle von Natur aus gleich konditioniert, nämlich gar nicht, so wie es Lockes Theorie des "unbeschriebenen Blattes" aussagt? Oder sind wir nichts weiter als das Ergebniss abermillionener Basenpaare, die uns in eine Persönlichkeit pressen, unseren Willen nur frei erscheinen lassen, aber unseren Entscheidungskanal ziemlich dünn lassen?

Es gibt Argumente für beide Seiten. Jemand der im Slum aufwächst, von seinen Eltern geschlagen und misshandelt wird, nie Liebe und Vertrauen erfahren hat, wird kein Samariter. Also haben äußere Einflüsse, doch eine Bedeutung, nur welche?
Bewiesen scheint aber auch, dass unsere Gene unterschiedlichste Charakterausbildungen lenken können. Mutiert z.b. das Gen FOXP2, kommt es zu einer schweren Sprachstörung (http://de.wikipedia.org/wiki/FOXP2). Liegt die Langversion des Gens D4DR vor, scheint sich sein Träger nach Action und dem Adrenalinschub zu sehnen, da bestimmte Rezeptoren gestört sind. Mutiert das Gen LIM-kase1, dann ist unserer räumliche Vorstellung gestört. Und zuletzt das wohl bekannteste: Kommt das Chromosom 21, 3 anstatt 2 mal vor, liegt das Down-Syndrom vor.

Meiner Meinung nach ist man gut daran, beide Seiten zu betrachten. Unser Erbgut gibt vielleicht vor, wie wir am Anfang unseres Lebens konditioniert sind und legt uns so vielleicht Steine in den Weg, oder hilft uns mit besonderen Talenten weiter, doch ab diesem Zeitpunkt, ist jeder seines Glückes Schmied, oder besser der seiner Erfahrungen.


Wie seht ihr das? Einwände? Vorschläge? Oder alles Mist, denn Gott hat uns erschaffen und bestimmt wie wir sein werden :gott:

Gruß
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon pinkwoolf » Fr 11. Apr 2008, 23:33

Die Extrem-Genetiker, die jede Beeinflussung des Charakters durch die Lebensumstände rundweg abstreiten, gehen mir schon lange auf den Sack. Ich kann mir nicht eimal vorstellen, dass die das selber 100%ig ernst meinen.

Soll ich wirklich glauben, dass meine (relative) Vorliebe für die sozialdemokratische Partei genetisch prädestiniert ist? Bullshit.
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 12. Apr 2008, 10:49

@ pinkwolf: Du vergißt einfach einen Faktor: den Menschen :mg:
1) Ist eine These unspektakulär, interessiert es nur wenige, "mein Name" wird nur wenig diskutiert, bleibt nur eine Fußnote. Mit radikalen Thesen, verlasse ich eventuell den Raum unten auf den Seiten der Fachliteratur.
Manchmal wollen Forscher aber auch sicher einfach nur mal Fesseln verkrusteter, etablierter Thesen sprengen und andere kapieren diese Intention nicht.
2) Fährt "so ein Zug" erst einmal, muss man noch schnell aufs Trittbrett springen und hoffen es geht aufwärts in die Beachtung.
3) Auch Forscher sind oft nicht (in den allermeisten Fällen) nicht universelle Genies, sie betrachten gerne ihr Fachgebiet als wichtig bis zu aller wichtigst und entscheidend. Genetiker sind selten gute Soziologen o.ä.
4) Auch der tumbe Leser hat gerne klare Aussagen. Ein bißchen genbedingt, ein bißchen umweltbedingt, klingt kleineren Geistern oft nach ein bißchen nicht wissen (was nicht unbedingt falsch ist, aber eigentlich auch nicht abwertend.). Behaupte ich "es ist 100%ig genetisch", klingt es doch so überzeugend, so sicher (auch wenn es eine eventuell ganz unsichere, gewagte These ist).
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon stine » Sa 12. Apr 2008, 13:56

Wer mit einem Down-Syndrom geboren wird, ist erstmals genetisch prädestiniert auf eine bestimmte Art und Weise innerhalb einer Gesellschaft anders zu sein. Ob er aber damit untergeht, weil er als minderwertig betrachtet wird oder ob er als Filmschauspieler Karriere macht, ist das Ergebnis der Akzeptanz und der Förderung seines gesellschaftlichen Umfeldes.
Es sind also immer mehrere Faktoren im Spiel. Verschiedenste Merkmale und Verhaltensweisen sind genetisch bedingt, aber was daraus folgt oder nicht ist immer das Ergebnis von Erziehung und umgebender Gesellschaft.

Interessant zu diesem Thema ist die Zwillingsforschung.

LG stine
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon Spaceman_Spiff » Sa 12. Apr 2008, 17:24

Ich glaube die Zwillingsforschung liefert hier ziemlich eindeutige Resultate. Es erstaunt immer wieder wie viel genetisch bedingt ist, Übergewicht, Vorliebe für Farben, Schizophrenie... Ein möglicher Ausweg welcher sich den 100%Genetiker noch liefern könnte währe da die Epigenetik(Wie im Genetik Thread besprochen). Da die DNA-Methylierungen durch das Leben hindurch geändert werden und so auch Eineiige Zwillinge Ihr Erbmaterial durch das Leben hindurch verändern.
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 12. Apr 2008, 18:02

Nein, es gibt immer wieder glaubwürdige Studien, die systematische, teilweise wohl sogar vorsätzliche Fehler in der Zwillingsforschung aufzeigen. Zieht man die eindeutig fehlerhaften Zwillinge ab, berücksichtigt man äußere Einflüsse und Wahrscheinlichkeiten, so bleibt teilweise einfach keine verlässliche Ergebnismasse übrig bzw. keine "Überraschung". Begründung für die phantastischen Ergebnisse s.a. oben.
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon LinuxBug » Mo 14. Apr 2008, 11:36

Also das Buch ist klasse, und solange man noch differenziert, was Pinker wegen seiner Weltanschauung sagen will, was er auf grund der Faktenlage sagen kann, ist alles in Ordnung. Wer aus dem Buch den Schluss zieht, dass wir genetisch prädestiniert sind und/oder unser Schicksal nicht ändern könnten, der hat das Buch nicht gelesen. Als Grundlage für ein naturalistisches Menschenbild reicht es.

Schuld hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist man gut daran, beide Seiten zu betrachten. Unser Erbgut gibt vielleicht vor, wie wir am Anfang unseres Lebens konditioniert sind und legt uns so vielleicht Steine in den Weg, oder hilft uns mit besonderen Talenten weiter, doch ab diesem Zeitpunkt, ist jeder seines Glückes Schmied, oder besser der seiner Erfahrungen.

Nun. Ich wär eigentlich dafür, die richtige Seite zu betrachten, die da heißt weder noch. Und dem Gendeterminus einem Erfahrungsdeterminus vorzuziehen halte ich für noch blöder (mir fällt jetzt kein anderes Wort ein, sorry). Soweit ich mich an Pinkers Argumentation erinnern kann, geht es darum, dass wir angeborenes nicht leugnen sollen. Also dass wir auch wenn wir nicht mit Sprache & Politischer Orientierung geboren werden, aber dass uns das Sprachvermögen mitgegeben wird und dass wir halt nicht die gleichen Vorraussetzungen dafür haben (manche haben das Glück ein Vermögen für mehrere Sprachen zu haben, andere müssen sich dieses hart erarbeiten, wieder andere können das überhaupt nicht, da ihnen die sprachliche Intelligenz fehlt. Dass man aber überhaupt dazu kommt, mehr Sprachen zu lernen, ist dann wieder nurture. Darunter fällt dann auch die soziale Fragen, wer sich das Ausschöpfen seiner Potenziale überhaupt leisten kann.)

Was für Schlüsse können wir aus dieser Erkenntnis gewinnen: Menschen sind nicht gleich. (Ob sie gleich wert sind, ist eine andere Frage. Als Humanist müsste ich dies bejahen; als Egoist eher verneinen und als Nihilist stellt sich mir die Frage nicht.)
Aber das rechtfertigt keine unfaire Verteilungspolitik.

Schuld hat geschrieben:Oder alles Mist, denn Gott hat uns erschaffen und bestimmt wie wir sein werden

Nun diese Frage stellt sich mir nicht. Egal ob alles determiniert wäre oder nicht. Erkenntnistheoretisch ist für mich beides gleich, schließlich könnten wir bei einem einmaligen Versuchsablauf nicht feststellen ob die ganzen Gesetze jetzt zufällig waren und auch andere Ausgangsversuche zugelassen hätten oder nicht. (Dass Gott hier so oder so keine Rolle spielt, muss ich wohl nicht extra erwähnen :^^: )
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Re: Sind wir alle nur große Gene?

Beitragvon Jakob » Mo 14. Apr 2008, 14:07

Ich denke, daß die Gene den Rahmen bieten, in dem wir unsere Persönlichkeit entwickeln. Wo wir uns in diesem Rahmen wiederfinden, hängt dann von anderen Faktoren ab.
So geben Dir Deine Gene zu Beispiel vor, wie stark Du maximal werden kannst. Wie stark Du aber am Ende tatsächlich bist, hängt davon ab, wie und ob Du trainierst, wie Deine Ernährung aussieht etc.
Ähnlich sieht es aus mit Intelligenz und Bildung, Temprament und Charakter etc.
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