El Schwalmo hat geschrieben:jackle hat geschrieben:Das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology
verzeih' die Frage eines Unwissenden: in meiner bisherigen Beschäftigung mit Evolutionsbiologie habe ich den Begriff 'Central Theoretical Problem of Human Sociobiology' noch nie gehört. Wo kann ich das nachlesen?
Das Original war das (daher stammt der Name):
Title: Social versus reproductive success: the central theoretical problem of human sociobiology.
Author: Vining DR
Source: BEHAVIORAL AND BRAIN SCIENCES. 1986 Mar;9(1):167-216.
Abstract: The author focuses on the challenge to fundamental tenets of human sociobiology brought by recent patterns of negative differential fertility by social class in developed countries. "The first part of this paper reviews the evidence showing an inverse relationship between reproductive fitness and 'endowment' (i.e. wealth, success, and measured aptitudes) in contemporary, urbanized societies. It is shown that a positive relationship is observed only for those cohorts who bore their children during a unique period of rising fertility, 1935-1960, and that these cohorts are most often cited by sociobiologists as supporting the central postulate of sociobiology. Cohorts preceding and following these show the characteristic inverse relationship between endowment and fertility." Next, existing models of this relationship are reviewed. "The third section asks whether the goals of sociobiology, given the violation of its fundamental postulate by contemporary human societies, might not be better thought of as applied rather than descriptive...." Extensive comments in response to the article are included (pp. 187-211). (EXCERPT)
Language: English
Seitdem gibt es zahlreiche Arbeiten, die sich damit beschäftigen, und die Gründe dafür suchen (z. B. unterschiedliches Verhütungsverhalten etc.). Allerdings ergibt sich das Phänomen aus der Beckerschen ökonomischen Theorie der Fertilität (die für Mersch nur dann ein sinnvolles Fertilitätsmodell darstellt, wenn Menschen tatsächlich verhüten können, weil sie erst dann Fertilitätsentscheidungen ökonomisch entscheiden können) fast zwanglos. In der Demografie hat das Phänomen einen eigenen Namen, nämlich demografisch-ökonomisches Paradoxon. Darüber findet man z. B. sehr viel bei Birg.
Die Darwinsche Evolutionstheorie basiert in ihrer ursprünglichen und noch heute gültigen Formulierung (z. B. den bei Mayr vorzufindenden) auf Malthus. Malthus wiederum nahm an, dass sich alle Individuen einer Population möglichst oft vermehren wollen. In die Sprache von Mersch übersetzt heißt das: Die Individuen besitzen alle ein relativ gleich hohes „Reproduktionsinteresse“. Aus diesem Grund kann man es auch in einer ET unberücksichtigt und diese rein auf die Fitness basieren lassen.
Mersch ist nun der Auffassung, dass sich bereits deshalb die ET nicht auf moderne menschliche Gesellschaften übertragen lässt (aber eigentlich auch auf viele tierische Populationen ebenso nicht). Das Reproduktionsinteresse eines Individuums kann nämlich auch nichtgenetisch (!) durch soziale Verhältnisse oder Vereinbarungen moduliert sein. Wenn z. B. ein gebildetes Paar nur einen geringen Kinderwunsch und somit vielleicht nur ein Kind hat, dann steckt der spätere Kinderwunsch dieses Kindes nicht in dessen Genen. Man kann ihn also nicht den genetischen Merkmalen zuordnen, die die Wahrscheinlichkeit für Nachkommen erhöhen oder senken (wie sich Mayr ständig ausdrückt).
Das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology ist nun in insoweit bedeutend, als dass es zeigt, dass sich moderne menschliche Gesellschaften offenkundig nicht ET-erwartet reproduzieren. Für Mersch ist hierfür das Reproduktionsinteresse (der Kinderwunsch) der entscheidende Grund, dessen Berücksichtigung in der ET völlig fehlt. Fittere Individuen hinterlassen nämlich nur dann statistisch gesehen mehr Nachkommen als weniger fitte, wenn nicht gleichzeitig mit der Fitness ihr Reproduktionsinteresse (ihr Interesse, überhaupt Nachkommen in die Welt zu setzen, ihr Kinderwunsch) statistisch signifikant sinkt. In modernen menschlichen Gesellschaften ist dies aber der Fall.
Auf Seite 148 in „Das ist Evolution“ liefert Mayr eine sehr formale Formulierung der Darwinschen Selektionstheorie, bestehend aus 5 Tatsachen und 3 Schlussfolgerungen. Mersch weist darauf hin, dass sich die 3 Schlussfolgerungen für soziale Gemeinschaften nicht aus den 5 Tatsachen ergeben müssen, möglicherweise aber sehr wohl für Populationen, in denen sich die Individuen alle wie Einzelkämpfer verhalten. Das heißt nun nicht, dass sich soziale Gemeinschaften grundsätzlich anders verhalten und sich somit der ET entziehen, sondern dass es solche gibt bzw. solche denkbar sind. Auch das zeigt die Sozialdarwinismusproblematik der ET.
Ich finde, man hat in der Hinsicht zu viele Probleme offen gelassen (die Mersch allesamt – in völlig unideologischer Weise) ernst nimmt. Solange die ET so ist, wie sie ist, sie auf menschliche Gesellschaften entweder angeblich nicht anwendbar ist oder dort zum Sozialdarwinismus führt, bekommen die Evolutionstheoretiker ihr Problem nicht gelöst. Da wird es mehr Widersacher geben, als nur der Kreationismus. Irgendwann wird es heißen: ET? Das ist etwas für Bakterien und Viren, aber ansonsten nicht relevant.