ernst.eiswuerfel hat geschrieben:Also ich wäre sehr vorsichtig mit irgend welchen Maßnahmen die angeblich eine "Bewusstseinserweiterung" bewirken sollen. Ohne Not in der Psyche rum pfuschen kann auch ganz schön ins Auge gehen.
Ganz richtig! Was wird ja nicht alles unter "Bewusstseinserweiterung" verstanden?!
Harmlos ist noch, wenn es dabei lediglich um
ungewöhnliche Erlebnisse geht, die einfach nur unser - immer begrenztes - Wissen "erweitern", beispielsweise durch Extremsport, bei dem allenfalls die eigene Gesundheit belastet oder höchstens das eigene Leben riskiert wird...
Dem gegenüber nehmen sich Drogenerfahrungen geradezu harmlos aus: sie führen ja "nur", wenn auch immer zu (im besten Fall vorübergehenden)
pathologischen Bewusstseins
störungen, etwa zu Halluzinationen, um mich hier ausschließlich auf die psychischen Auswirkungen angeblicher Bewusstseinserweiterung durch Drogen zu beschränken. Schlimmer ist zwar, wenn daraus eine schizophrenen Psychose entsteht; aber gefährlich kann das allenfalls dann werden, wenn man am offenen Fenster hoch oben in einem Haus im Wahn, sich als Adler in die Luft erheben zu können, losfliegt... (s. zum Thema das
Postskript hier, S. 13ff)
Bei der Achtsamkeits- oder auch Einsichtsmeditation genannten Methode des
Vipassana und der davon abgeleiteten MBSR geht es um völlig anderes, nämlich um die Ausweitung des Umfangs und die Aufrechterhaltung des dabei jeweils erreichten Ausmaßes von
Aufmerksamkeit über die Grenze hinaus, bis zu der man persönlich seine Achtsamkeit (oder wie oft auch gesagt wird: sein
Gewahrsein, seine
Präsenz oder
Bewußtheit, also seine
Wahrnehmungsbereitschaft und
-fähigkeit) bisher entwickelt hat. Eine derartige Bewusstseinserweiterung, die sachlich genau besehen in einer über das Gewöhnte und Gewöhnliche hinaus gehenden
Weitung aufmerksamer Wahrnehmung besteht, führt zu einer Art Breitwand- oder
Panoramabewusstheit, wie der geniale Ausdruck des psychologisch wohl interessantesten buddhistischen Gelehrten Chögyam Trungpa lautet.
ernst.eiswuerfel hat geschrieben:Hmm, einen "Automatismus" in meiner Psyche anhalten, der aus der Evolution herraus in Jahr tausenden so entstanden ist und vielleicht einen Zweck erfüllt ? Also die Wahrnehmung bzw. Aufmerksamkeit erweitern und Filter welche meine Wahrnehmung "einschränken" abschwächen. Das ist es doch was MBSR erreichen will.
Ganz und gar nicht. Bei den gemeinten "Automatismen" sind schlicht
Wahrnehmungsgewohnheiten gemeint, die jeder Mensch unwissentlich und unwillentlich ausbildet, sobald ein Sinnesbereich voll ausgebildet und Sinneswahrnehmungen möglich sind - teilweise bereits im Mutterleib; in der vorgeburtlichen oder
pränatalen Psychologie ist dies seit langem bekannt.
Gefiltert wird dabei weniger als vielmehr
ausgeblendet. Erweitert oder überwunden werden soll bei dem "Geistestraining", das Buddha vor zweieinahlb Jahrtausenden in den Mittelpunkt seiner Lehre gestellt hat, und Buddhisten seitdem perfektioniert haben, diese gewöhnliche, gewohnheitsmäßig eingenommene Begrenzung, die sich ja in der Folge auch in einer Einschränkung oder Beschränkung der eigenen Erfahrungen auswirkt: durch Weitstellung der Wahrnehmung und schrittweise Integration von immer mehr, ja letztlich aller Wahrnehmungs- oder Sinnesbereiche, so dass auch immer mehr und schließlich alles von dem erfasst wird, was unsere Sinne - wie 'scharf' oder ungenau auch immer - sowieso die ganze Zeit über, genau gesagt sogar ununterbrochen 24 Std. lang registrieren (und was ohne geübte Achtsamkeit zum größten Teil "unbewusst" verarbeitet wird). Auf diesem Weg kann im maximalen Fall schließlich etwas erreicht werden, was als
situative All-Wissenheit bezeichnet werden kann.
ernst.eiswuerfel hat geschrieben:Ich bin ja kein Psychologe, aber mir fällt dabei ein, dass niedrige latente Inhibition - das heisst gerine Filter Funktion bei der Wahrnehmung - ein Symptom bei Schizophrenie ist. Dieser Zustand soll künstlich hergestellt werden ?
Oh, hier liegt definitiv ein Mißverständnis vor. Achtsamkeitsentwicklung besteht im Gegenteil in der Übung und damit in gezielter "Stärkung" der Fähigkeit zu bewusster und achtsamer und dabei von selbst immer genauer werdenden Wahrnehmung! Dabei wird das gewählte jeweilige Wahrnehmungsfeld mit der Zeit, also mit zunehmender Übung immer detaillierter und nuancierter erfasst, wobei gleichzeitig der Umfang des Wahrnehmungsfokus immer weiter, breiter oder
offener werden kann.
Normalerweise verschieben wir zur Erfassung von Situationen den Aufmerksamkeitsfokus ja nur, ganz so, wie wir bei der Betrachtung einer Landschaft den Bereich des Scharfsehens durch Augenbewegungen hin und her 'schieben'. Man kann deswegen mit dem sog. "
weichen Blick" üben, sich einen eigenen Eindruck von derjenigen Bewusstseinserweiterung zu verschafffen, die in dieser Art von
Aufmerksamkeitsweitung besteht: indem man die Fokussierung aufgibt, den Blick
entspannt "in die Ferne" richtet und dabei auf das achtet, was dann zwar mehr oder weniger unscharf, interessanterweise aber gleichzeitig vom
Gesichtsfeld der Augen erfasst wird - übrigens: je
entspannter man dabei ist, umso mehr kann gleichzeitig wahrgenommen werden...
Dazu ist an sich
nicht viel nötig; es ist nur der ständigen "Versuchung" zu widerstehen oder besser gesagt, der natürlichen Tendenz, sich unablässig auf den Bereich des Scharfsehens zu konzentrieren (und damit seine visuelle Wahrnehmung zu beschränken). Diese subtile Tendenz zu erkennen und sie zu beherrschen statt von ihr beherrscht zu werden ist sogar recht "bequem" erreichbar: durch achtsames
Nichttun (OHNE 's'!). Damit ist ein vollstänig bewegungsloses oder "stilles" Beobachten gemeint, das selbst allerdings alles andere als
nichts tun ist, im Gegenteil! Es besteht in reinem Wahrnehmen, vollkommenem Gewahrsein, also höchstmöglicher Achtsamkeit.
Was in einem derartigen Zustand alles möglich ist, dazu gibt es allerdings auch reichlich phantasievolle Vorstellungen...
Sich etwas auszudenken ist ja sehr viel leichter möglich als genau und achtsam die Wirklichkeit zu erforschen. Die Evolution des menschlichen Bewusstseins ist ein beredtes Zeugnis für unsere Phantasiefähigkeit, wie der verstorbene amerikanische Bewusstseinspsychologe Julian Jaynes vor Jahren detailliert gezeigt hat. Wissenschaftlich kontrolliertes Denken und empirisch begründetes Forschen ist dagegen sehr viel jüngeren Datums - und wie mühevoll ist es gegenüber unserem Träumen, das mit Enstehen unserer Erinnerungs- und damit unserer Vorstellungsfähigkeit ganz von selbst in Gang gekommen ist, und jeden Moment wieder in Gang kommen kann, wenn man nicht aufpasst, also acht gibt...