Lernzwang vs. Forschungsdrang

Re: Lernzwang vs. Forschungsdrang

Beitragvon ostfriese » Sa 16. Feb 2008, 18:18

Mal ganz vorsichtig möchte ich mich dann doch gegen die Suggestion wehren, als gehe die fehlende Motivation fürs schulische Lernen vor allem auf die Kappe der schlechten Lehrer. Wohl in keinem anderen Land der Erde genießen die Pädagogen einen derart schlechten Ruf, und es ist einfach zu bequem, wenn man als Schüler schon vorher weiß, dass man mäßige Resultate im Zweifelsfall auf unfähige Pauker schieben und dafür noch verständnisvolles Kopfnicken ernten kann.

Ein Schüler, der für ein Jahr in den USA war, hat mir die Augen für den feinen Unterschied geöffnet, der den Lehrer dort zum Freund und hier zum Feind der Schüler macht. Während hier manch obercooler Schüler nach dem Pausenende noch seelenruhig seine Zigarette zu Ende raucht, bevor er dann betont lahmarschig in die Klasse trabt und die Lehrkraft zu irgendeiner Ermessensreaktion zwingt, braucht sich sein amerikanische Kollege um derlei Geplänkel überhaupt nicht zu sorgen. Er notiert einen Strich, und nach dem dritten muss der betroffene Schüler automatisch den gesamten Halbjahreskurs wiederholen. Folge: Niemand kommt zu spät zum Unterricht!

Während jenseits des Atlantiks sabotagefreudige Schüler der Obhut eines social workers übergeben werden, haben deutsche Lehrer in Härtefällen überhaupt keine wirksamen Maßnahmen zur Verfügung. Gerade den emotional verwahrlosten Schülern kommt man mit "Verweisen" nicht bei, denn ihre Eltern kümmern sich in der Regel einen Scheiß oder wissen lange schon selbst nicht mehr weiter...

Einer Schule, die hierzulande auf strikte und bedingungslos einzuhaltende Regeln setzte, liefe die Kundschaft in Scharen davon (mit einem gewissen Recht, denn für die flankierende soziale Betreuung gibt's ja keine öffentlichen Mittel). Lehrer sollen gefälligst in jedem Einzelfall ihr pädagogisches Einfühlungsvermögen walten lassen; aber so geraten sie unweigerlich in die Rolle von Schüler-Kontrahenten. Wo nämlich keine klaren Grenzen existieren, werden sie täglich neu erforscht und ausgereizt.
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Re: Lernzwang vs. Forschungsdrang

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 16. Feb 2008, 18:33

Du scheinst ja noch in einer netten Gegend Lehrer zu sein. Hier zumindest (zumindest was ich so mitbekomme) kümmern sich viele Eltern auch ziemlich wenig um ihre Kinderlein, aber wenn die einen Verweis bekommen dann wird erst zum Schuldirektor gerannt, erreicht man dort nichts, geht der Weg ins Kultusministerium. :kopfwand:
Dem Kind wird von den Eltern alles geglaubt, der Lehrer ist selbstredend der Feind der ganzen Familie. Selbst Eltern die ich noch aus der eigenen Schülerzeit kenne, ich also weiß wie sie als Jugendliche(r) waren, weiß was sie ihren Eltern an Lügen aufgetischt haben, glauben ihrem Nachwuchs alles wenn es Ärger in der Schule gibt, jeden Mist, sei er noch so haarsträubend und sichtbar unwahrscheinlich, obwohl sie selber als Schüler den gleichen Mist gemacht und ihren Eltern erzählt haben.

Also ich beneide Lehrer nicht, aber es lässt so so herrlich drauf schimpfen.
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Re: Lernzwang vs. Forschungsdrang

Beitragvon stine » Sa 16. Feb 2008, 19:07

ostfriese hat geschrieben:... Während hier manch obercooler Schüler nach dem Pausenende noch seelenruhig seine Zigarette zu Ende raucht, bevor er dann betont lahmarschig in die Klasse trabt und die Lehrkraft zu irgendeiner Ermessensreaktion zwingt...

Das ist genau der springende Punkt.
Man regt sich hierzulande über die Erziehung zum Macho bei den muslemischen Mitbürgern auf, aber der eigene Nachwuchs ist oft auch nicht viel besser.

ostfriese hat geschrieben:Einer Schule, die hierzulande auf strikte und bedingungslos einzuhaltende Regeln setzte, liefe die Kundschaft in Scharen davon

Glaub ich nicht. Inzwischen ist wieder ein Umdenken spürbar das ganz klar auf einzuhaltende Regeln setzt, gerade weil die Grenzen von den Schülern täglich ausgetestet werden und immer versucht wird sie zu überschreiten. Je enger sie gesteckt sind, umso weniger groß müssen die Schritte aus dem gesteckten Regelwerk sein.

ostfriese hat geschrieben:Lehrer sollen gefälligst in jedem Einzelfall ihr pädagogisches Einfühlungsvermögen walten lassen; aber so geraten sie unweigerlich in die Rolle von Schüler-Kontrahenten.

Das können sie gar nicht ableisten, dafür ist die Stunde zu kurz und der Stoff zu umfangreich. Und genau deshalb sollten sie eine klare Linie fahren. Wenn sie schon so große Klassen zu bewältigen haben, sollen sie Ordnung und Gerechtigkeit walten lassen. Ein Lehrer der sich ständig auf der Nase herumtanzen lässt, ist nicht besser bei den Schülern angesehen, sondern für sie eher ein Versuchsobjekt für renitente Verhaltensweisen.

ostfriese hat geschrieben:Wo nämlich keine klaren Grenzen existieren, werden sie täglich neu erforscht und ausgereizt.

Wo keine klaren Grenzen herrschen wird einfach nur ausgereizt.
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