El Schwalmo hat geschrieben: da ich davon ausgehe, dass die Darwinsche Evolutionstheorie (welche eigentlich? Myron hat Dich schon darauf hingewiesen, dass das ein Theorienbündel ist) unvollständig ist, wäre es für mich eher ein Argument gegen Mersch, wenn Darwins Theorie daraus als Spezialfall folgen würde.
Nun muss Myron - trotz Hinweise - darin ja nicht unbedingt ein Experte sein. Üblicherweise wird unter der Darwinschen Evolutionstheorie heute die Selektionstheorie verstanden, und dafür wird er auch gefeiert. Und auch nur dazu gab es die Überlappung mit Wallace. Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/DarwinismusDeine Schlussfolgerung zu Darwin als Speziellfall ist eine sehr extreme, die in der Biologie wohl von kaum jemandem geteilt wird. Auf der Wikipediaseite wird übrigens auch ein "Universeller Darwinismus" beschrieben, der sehr stark auf Dawkins und Dennett zurückgeht. Mersch behauptet hier: Die dort genannten Prinzipien sind nicht hinreichend. Er führt stattdessen die Prinzipien Reproduktion, Variation und Reproduktionsinteresse ein und einen systemtheoretischen Hintergrund. Die Argumente für seinen Ansatz scheinen mir - im Vergleich zur bei Wikipedia präsentierten Alternative - sehr überzeugend zu sein.
El Schwalmo hat geschrieben: Mich überzeugt Evolution als historische Tatsache, ich gehe von einer Deszendenz aus, und die Mechanismen werden zurzeit erforscht.
Nanu? Damit gehörst du heute einer absoluten Minderheitsposition an. Und bei der Einstellung hätte auch ID wieder eine Chance.
El Schwalmo hat geschrieben: Ich habe die Präsentation von Mersch gelesen, und Teile des Vorworts. Das, von dem ich ausgehe, dass es zutrifft, war mir bekannt. Der Rest bezieht sich auf Bereiche, die mich eher nicht interessieren.
Ok, dich interessieren menschliche Gesellschaften, die Evolution der Technik und der Wissenschaften halt nicht. Andere, die die aufkommende Katastrophe noch gerne verhindern möchten, wollen die Mechanismen verstehen, unter denen sich das alles zurzeit entwickelt.
El Schwalmo hat geschrieben: Kannst Du bitte Quellen benennen?
Auf einem seiner Bücher äußert sich Kaufmann („Schrumpfende Gesellschaft“), der zu den bedeutendsten Nachkriegsexperten zum Thema gehört. Auf einer seiner Websites behauptet er, dazu noch ein längeres, sehr positives Anschreiben zu besitzen. Gleiches scheint wohl auch seitens Meinhard Miegel („Das Ende des Individualismus“) vorzuliegen, jedenfalls behauptet er das dort. Auf Amazon wird eines seiner Bücher äußerst positiv von Volkmar Weiss besprochen, der zweifellos ein Demografieexperte ist. Das tun diese Leute trotz Books on Demand.
El Schwalmo hat geschrieben: Es spielt keine Rolle, worauf eine Theorie basiert, sondern das, was sie erklären kann. Zudem vermute ich, dass 'moderne Demographie' im Bereich der nicht-menschlichen Lebenswelt eher keine Rolle spielt. Was wiederum bedeutet, dass Mersch dazu nichts beiträgt. Dann sind wir bei den übrigen Themen, zu denen Mersch schon Bücher geschrieben hat, und man kann sich fragen, wie das alles zusammenhängt.
Ja und für heutige Demografen ist Malthus ein Nogo. Darwins Theorie entstand aus einem bestimmten historischen Kontext heraus. Darwin selbst hatte 10 Kinder. Merschs Theorie integriert soziale Neuerungen, an die Darwin überhaupt nicht denken konnte, die aber für heutige Demografen entscheidend sind. Das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology existiert real (!) und hat in der Demografie den Namen “ökonomisch-demografisches Paradoxon”. Darwin hat seine Theorie selbst auf den Menschen ausgeweitet. Er wäre diesbezüglich wohl viel vorsichtiger (auch was seine restliche Theorie angeht) geworden, wenn er die heutigen menschlichen Rahmenbedingungen gekannt hätte. Ich kann es nur immer wieder betonen: In modernen menschlichen Gesellschaften besteht bzgl. Selektion eine umgekehrte Relation wie die, die Darwin mit seiner Theorie prognostiziert. Das ist ein bedeutendes Ereignis, was man nicht mit einer Handbewegung (oder genetischer Äquipotenz) wegwischen kann!!!
El Schwalmo hat geschrieben: Nein. Sein Ansatz muss so bedeutsam sein, dass sich Menschen mit diesem überhaupt befassen. Dazu reicht es nicht, ein Buch im Selbstverlag zu schreiben oder irgendwelche Vorträge zu halten oder gar in Foren zu werben.
Falsch. Sein Ansatz muss nicht bedeutsam sein, sondern er muss bekannt sein, oder eine Theorie vorstellen, die im Interesse von irgendwem ist. Wenn seine Theorie nicht nur Erkenntnis verspricht, sondern Milliardengewinne, dann ist es egal, wo er publiziert und wie er heißt. Geht es um den reinen Erkenntnisgewinn, dann ist es so, dass Dawkins absurde Theorien entwickeln kann, über die ganze Kongresse abgehalten werden, während seine Jünger mehr oder weniger unverhohlen Merschs wissenschaftliche Arbeiten (trotz eines positiven Gutachtens eines namhaften Experten) an der Veröffentlichung hindern können. Denn wie ist es denn, wenn seine Arbeit jemand zu lesen bekommt, der gerade ein Buch und einen Kongress zur Memetik plant? Wie leicht kann hier die Intention entstehen: "Weg mit dem Mist"? Heute gibt es das Bischof-Worcester-Problem direkt in den Wissenschaften selbst: "Wir wollen hoffen, dass das nicht stimmt - aber wenn es wahr ist, dann wollen wir beten, dass es nicht bekannt wird." Das ist kein Witz, sondern darüber sind bereits ganze Bücher verfasst worden.
Ich bin erstaunt über die hier dargelegte Kritiklosigkeit und Autoritätshörigkeit. Im Grunde ist das sogar ein offen zu Tage getragener Sozialdarwinismus. Dann spricht eigentlich auch nichts dagegen, wenn irgendwelche Unternehmen den Amazonas-Urwald platt machen, weil die darin lebenden Indios und Tiere wohl einfach nur zu schwach waren. Sie hätten sich ja vorher in den einschlägigen Zeitungen und TV-Sendern Gehör verschaffen können. Da ihnen das nicht gelungen ist, war ihre Meinung sicherlich nicht zutreffend, jedenfalls nicht relevant.
Du hast ein wirklich sonniges Gemüt bzgl. der Funktionsweise der heutigen Gesellschaft inkl. den Wissenschaften.