Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon Aeternitas » Sa 30. Mai 2009, 20:39

jackle hat geschrieben:2. Die Sexualität ist den Evolutionsbiologen insgesamt ein Rätsel (Queen of Problems in Evolutionary Biology).


Da du dich scheinbar so gut damit Auskennst könntest du das vielleicht etwas mehr erläutern, da ich dein Problem bei diesem Thema noch nicht so ganz nachvollziehen kann.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon El Schwalmo » Sa 30. Mai 2009, 21:27

:motz:
Aeternitas hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:2. Die Sexualität ist den Evolutionsbiologen insgesamt ein Rätsel (Queen of Problems in Evolutionary Biology).


Da du dich scheinbar so gut damit Auskennst könntest du das vielleicht etwas mehr erläutern, da ich dein Problem bei diesem Thema noch nicht so ganz nachvollziehen kann.

eigentlich ganz einfach: Sex bringt 'Kosten' mit sich. Schau mal in einen Bauernhof. Wie viele Bullen findest Du dort?

Es gibt natürlich massenhaft Erklärungen dafür, warum Sex vorteilhafter ist (meist wird eine höhere genetische Variabilität ins Spiel gebracht), da aber die Mehrzahl der existierenden Organismen ohne Sex auskommt, ist das nicht zwingend. Denk' auch daran, dass viele Pflanzen und auch Tiere (wie einige Eidechsen) Sexualität wieder aufgegeben haben.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon smalonius » So 31. Mai 2009, 02:10

El Schwalmo hat geschrieben:
Aeternitas hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:2. Die Sexualität ist den Evolutionsbiologen insgesamt ein Rätsel (Queen of Problems in Evolutionary Biology).

Da du dich scheinbar so gut damit Auskennst könntest du das vielleicht etwas mehr erläutern, da ich dein Problem bei diesem Thema noch nicht so ganz nachvollziehen kann.

eigentlich ganz einfach: Sex bringt 'Kosten' mit sich. Schau mal in einen Bauernhof. Wie viele Bullen findest Du dort?
Ein Bauernhof ist eher ein schlechtes Beispiel. Daß man dort wenig Bullen findet, ist eher dem Umstand zu verdanken, daß Bullen keine Milch geben.

In der Natur ist das anders. Da bildet sich meist ein Geschlechterverhältnis nahe an 50:50 heraus.

Spieltheoretisch ergibt sich folgende Auszahlmatrix:

Code: Alles auswählen
                                    "Gegner"
                               männlich | weiblich
              männlich             0          1
"Spieler"
              weiblich             1          0 

Daran sieht man: wenn es mehr Weibchen gibt in einer Population, ist es sinnvoll, daß mehr Männchen gezeugt werden. Wenn es mehr Männchen gibt, ist es sinnvoll, daß mehr Weibchen gezeugt werden. Also landet man ungefähr bei 50:50. (Modifikatoren wären unterschiedliche Sterblichkeitsraten und unterschiedliche Kosten zwischen Nachkommen verschiedenen Geschlechts.)


El Schwalmo hat geschrieben:Es gibt natürlich massenhaft Erklärungen dafür, warum Sex vorteilhafter ist (meist wird eine höhere genetische Variabilität ins Spiel gebracht), da aber die Mehrzahl der existierenden Organismen ohne Sex auskommt, ist das nicht zwingend.
Schon zwingend. Auch das kann man bestens mittels Simulation zeigen.

Wenn man ausschließlich Mutation zuläßt, dauert's "ewig", bis etwas passiert. Mit Rekombination geht es viel schneller.

Einzeller ohne Geschlecht haben ganz andere Reproduktionsraten als zum Beispiel Wale oder Menschen, deshalb sind diese hier kein Gegenargument.
El Schwalmo hat geschrieben:Denk' auch daran, dass viele Pflanzen und auch Tiere (wie einige Eidechsen) Sexualität wieder aufgegeben haben.
Wenn der Anpassungsdruck gering ist, funktioniert das auch recht gut.

In schwierigen Zeiten ist die eigene Nachkommenschaft dann aber eine "genetische Monokultur" - und was mit Monokulturen passiert, wenn ein Schädling eindringt, wissen wir nur allzu gut.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » So 31. Mai 2009, 10:37

El Schwalmo hat geschrieben:eigentlich ganz einfach: Sex bringt 'Kosten' mit sich. Schau mal in einen Bauernhof. Wie viele Bullen findest Du dort?


Das wäre ein Nachteil.

El Schwalmo hat geschrieben:Es gibt natürlich massenhaft Erklärungen dafür, warum Sex vorteilhafter ist (meist wird eine höhere genetische Variabilität ins Spiel gebracht), da aber die Mehrzahl der existierenden Organismen ohne Sex auskommt, ist das nicht zwingend. Denk' auch daran, dass viele Pflanzen und auch Tiere (wie einige Eidechsen) Sexualität wieder aufgegeben haben.


Die weitaus meisten existierenden Organismen vermehren sich zumindest gelegentlich sexuell und die Eidechsen haben Sexualität auch nicht aufgegeben. Zu beachten ist auch, dass es verschiedene Formen der sexuellen Fortpflanzung gibt. Das Bullenargument passt z. B. bei Zwittern nicht. Die Frage wäre hier: Warum vermehren sich die höchstentwickeltesten Lebensformen auf dieser Erde ausschließlich getrenntgeschlechtlich? Was ist also der Vorteil der Getrenntgeschlechtlichkeit im Vergleich etwa zum Hermaphroditismus, trotz aller Bullen-Kosten. Warum leistet sich der feministische Ameisenstaat faule männliche Drohnen? Könnten menschlichen Populationen ohne Männer auskommen und rein feministisch parthenogenetisch existieren, wie es Simone de Beauvoir anvisierte, oder sind damit Nachteile verbunden?

Klare Antwort: Ja, damit sind Nachteile verbunden. Zivilisationen, Kultur, komplexe soziale Interaktionen etc. konnten nur getrenntgeschlechtlich entstehen.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon Mark » Mo 8. Jun 2009, 10:14

ich vermute mal die reflektionsunfähigken frühen zweigeschlechtlichen Lebewesen haben nicht mit Blick auf die kulturellen Nachteile eine Entscheidung pro-Sex getroffen. Wenn in einer Spezies eine Hälfte sich darauf beschränkt durch eine Spezialisierung einen verstärkten Selektionsdruck für körperliche Eigenschaften entstehen zu lassen (der durch die normale Umwelt niemals so vorgelegen wäre), und die andere Hälfte sich aber stärker auf das Gebären und Erziehen des Nachwuchses beschränkt, und seine eigenen körperlichen Attribute auch dem Selektionsdruck der Rangkämpfe all seiner Väter verdankt, dann scheint mir das eine sinnvolle Kombination zu sein. Muss man beweisen, daß Spezialisierung grundsätzlich vorteilhaft ist ? In allen Prozessen kann man nur durch Spezialisten die Performance verbessern, da sonst idR alle den gleichen "Weg" gehen müssen, so aber jeder auf seiner funktionalen Station verbleiben kann, und trotzdem wird der gesamte Prozess durchlaufen.(Das "Produkt" ist hier aber natürlich nicht nur die Anzahl der Nachkommen, sondern die Anzahl der möglichst fitten Nachkommen, also ein Optimum an Kombination der Anzahl und deren relativen körperlichen Vorteilen) Eventuell könnte es sogar noch vorteilhafter sein 3 Geschlechter zu haben. Es stellt allerdings evolutionsbiologisch eine Unmöglichkeit dar, jetzt noch auf normalen Wegen der Evolution eine Trennung vorzunehmen, die (maximale) Anzahl der Geschlechter wurde zwingend in den sehr frühen Entwicklungsstufen der Organismen getroffen. Vielleicht könnte man aber durch die Gentechnik ein drittes Geschlecht erschaffen, zB einen zweiten Mann der innerhalb kurzer Zeit dasselbe Ei befruchten muss, damit der Embryo sich entwickeln kann. Prinzipiell möglich, und interessante Implikationen für unsere Kultur... würde aber sicher nicht helfen die Geburtenrate anzukurbeln :mg:
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Mo 8. Jun 2009, 10:40

Dass Fortpflanzung über die Verbindung zweier genetischer Veranlagungen erfolgt, ist, was die Möglichkeiten der Nachkommen betrifft doch viel effektiver, als die Vermehrung über ein und denselben Stamm. Wenn's drei wären, wäre das Produkt noch vielfältiger begabt oder widerstandsfähig. :mg: )
Die Spezialisierung der Geschlechter kann höchstwahrscheinlich nur die soziale Folge der Art und Weise der Fortpflanzung gewesen sein. Vermute ich.

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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Mo 8. Jun 2009, 20:21

Mark hat geschrieben:Wenn in einer Spezies eine Hälfte sich darauf beschränkt durch eine Spezialisierung einen verstärkten Selektionsdruck für körperliche Eigenschaften entstehen zu lassen (der durch die normale Umwelt niemals so vorgelegen wäre), und die andere Hälfte sich aber stärker auf das Gebären und Erziehen des Nachwuchses beschränkt, und seine eigenen körperlichen Attribute auch dem Selektionsdruck der Rangkämpfe all seiner Väter verdankt, dann scheint mir das eine sinnvolle Kombination zu sein.


Für Evolution braucht man einerseits eine stabile Basis, auf die man weiter aufbauen kann und ein paar Experimentatoren, die auch schon mal scheitern können und Ausschuss produzieren. Man macht dann mit dem weiter, was besonders gelungen erscheint. Die stabile Basis sind üblicherweise die Weibchen, die Experimentatoren die Männchen, weswegen unter ihnen oftmals scharf selektiert wird, nicht aber unter den Weibchen.

Bei vielen Arten gibt es ja gar nicht diese Spezialisierung auf Gebären und Erziehen bei einem Geschlecht. Bei den Ameisen gibt es sogar eine Spezialisierung innerhalb des weiblichen Geschlechts (Arbeiterinnen, Königinnen). Hier erledigen die Weibchen praktisch alle sozialen Aufgaben. Die Männchen (Drohnen) sind dagegen nur noch Labor. Begünstigt wird das noch durch ihre Haploidität, entsprechend der X-Haploidität beim Männern.

Mark hat geschrieben:Muss man beweisen, daß Spezialisierung grundsätzlich vorteilhaft ist ?


Sicherlich nicht. Nur gibt es ja diese Art der Spezialisierung zwischen den Geschlechtern nicht überall. Bei den Löwen jagen und gebären z. B. die Löwinnen. Die stärkste und erfolgreichste Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist im Grunde dem Menschen gelungen.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Mo 8. Jun 2009, 20:34

jackle hat geschrieben:Nur gibt es ja diese Art der Spezialisierung zwischen den Geschlechtern nicht überall. Bei den Löwen jagen und gebären z. B. die Löwinnen. Die stärkste und erfolgreichste Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist im Grunde dem Menschen gelungen.

:ka: Wie meinen?
Ich muss immer abspülen?

LG stine
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Mo 8. Jun 2009, 20:46

stine hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:Nur gibt es ja diese Art der Spezialisierung zwischen den Geschlechtern nicht überall. Bei den Löwen jagen und gebären z. B. die Löwinnen. Die stärkste und erfolgreichste Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist im Grunde dem Menschen gelungen.

:ka: Wie meinen?
Ich muss immer abspülen?

LG stine


Nein, ist jetzt nicht mehr erforderlich. Aber die sog. sexuelle Arbeitsteilung, die sich aufgrund des großen Gehirns des Menschen als Vorteil erwies: Menschen kommen quasi als Frühgeburten zur Welt, damit der Kopf noch durch das Becken der Frau passt. Die Konsequenz war eine ungewöhnliche Hilflosigkeit, die eine starke permanete Betreuung erforderlich machte. Außerdem konnte das Gehirn in der Altsteinzeit nur aufgrund der sehr Fleisch-reichen Nahrung wachsen. Diese Jagd war aber für ständig gebärende und stillende Frauen zu komplex. Es gibt AnthopologInnen, die die These aufgestellt habe, der Neandertaler sei ausgestorben, weil seine sexuelle Arbeitsteilung weniger strikt gewesen wäre.

Bleibt die Sterblichkeit auf dem geringen Niveau wie heute, dürfte sich langfristig eher eine Arbeitsteilung unter Frauen anbieten, wie etwa bei den sozialen Insekten: der eine Teil der Frauen geht primär arbeiten und hat keine oder nur ganz wenige Kinder, der andere Teil spezialisiert sich auf das Aufziehen von Kindern. Das wäre m. E. viel humaner als die jetzige Lösung. Die Aufteilung der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern ist dagegen als gesamtgesellschaftliche Lösung völlig untauglich.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Di 9. Jun 2009, 06:37

jackle hat geschrieben:...der eine Teil der Frauen geht primär arbeiten und hat keine oder nur ganz wenige Kinder, der andere Teil spezialisiert sich auf das Aufziehen von Kindern.
Das hast du doch heute schon, nur nicht auf verschiedene Frauen verteilt sondern auf ihre Lebensjahre. Entweder früh Kinder bekommen und dann noch einmal durchstarten oder durchstarten und später die Kinder bekommen. Ich denke unsere immer länger werdende Lebenszeit lässt das heute zu.
Ob wir natürlich als Frau die unterschiedlichen Lebensphasen immer mit dem selben Mann teilen können ist wieder eine andere Geschichte. :^^: Männer wollen oft nur entweder das eine Modell oder das andere.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Di 9. Jun 2009, 09:05

stine hat geschrieben:Das hast du doch heute schon, nur nicht auf verschiedene Frauen verteilt sondern auf ihre Lebensjahre. Entweder früh Kinder bekommen und dann noch einmal durchstarten oder durchstarten und später die Kinder bekommen. Ich denke unsere immer länger werdende Lebenszeit lässt das heute zu.
Ob wir natürlich als Frau die unterschiedlichen Lebensphasen immer mit dem selben Mann teilen können ist wieder eine andere Geschichte. :^^: Männer wollen oft nur entweder das eine Modell oder das andere.
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Die heutige Aufteilung ist in der Regel:
- arbeiten gehen und keine oder ganz wenige Kinder haben
- Sozialhilfe und mehrere KInder haben

Daneben gibt es noch Sonderfälle, die oftmals einen religiösen Hintergrund haben.

Das große Problem bei Gleichberechtigung ist : Mit der Kinderzahl steigen für die Familie die Kosten, während die Einkünfte sinken (da man mit mehr Kindern schlechter arbeiten gehen kann). Vor diesen Problem stehst du immer, egal ob frau die Kinder früh oder spät bekommt. Deshalb liefert die aktuelle Familienpolitik keine ESS, wie auch die sozialen Insekten herausgefunden haben. Wenn die Weibchen standardmäßig arbeiten gehen, braucht es andere Konzepte. Das hat viel mit dem Selektionsprinzip zu tun, bei welchem es sich um eine Relation zwischen Familie und Beruf handelt. Unsere heutige Familienstrategie lautet: "Familie und Beruf sollen vereinbar sein." Das Darwinsche Prinzip heißt: "Wer mehr Erfolg im Beruf hat, hat im Durchschnitt die größere Familie." Bei sexueller Arbeitsteilung kommt das hin, bei Vereinbarkeit definitiv nicht.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Di 9. Jun 2009, 10:19

jackle hat geschrieben:Die heutige Aufteilung ist in der Regel:
- arbeiten gehen und keine oder ganz wenige Kinder haben
- Sozialhilfe und mehrere KInder haben


In diesem Zusammenhang dürfte übrigens auch eine Äußerung von Richard Dawkins (Das egoistische Gen, 2007, S. 209f.) recht interessant sein:

Nun ist, was den modernen, zivilisierten Menschen betrifft, folgendes geschehen: Die Größe der Familie ist nicht mehr durch die begrenzten Mittel beschränkt, die die einzelnen Eltern aufbringen können. Wenn ein Mann und seine Frau mehr Kinder haben, als sie ernähren können, so greift einfach der Staat ein, das heißt der Rest der Bevölkerung, und hält die überzähligen Kinder am Leben und bei Gesundheit. Es gibt in der Tat nichts, was ein Ehepaar, welches keinerlei materielle Mittel besitzt, daran hindern könnte, so viele Kinder zu haben und aufzuziehen, wie die Frau physisch verkraften kann. Aber der Wohlfahrtsstaat ist eine sehr unnatürliche Sache. In der Natur haben Eltern, die mehr Kinder bekommen, als sie versorgen können, nicht viele Enkel, und ihre Gene werden nicht an zukünftige Generationen vererbt. Es besteht keine Notwendigkeit einer altruistischen Begrenzung der Geburtenrate, weil es in der Natur keinen Wohlfahrtsstaat gibt. Jedes Gen für Unmäßigkeit wird prompt bestraft: Die mit diesem Gen ausgestatteten Kinder verhungern. Da wir Menschen nicht zu den alten egoistischen Methoden zurückkehren wollen, die Kinder allzu großer Familien verhungern zu lassen, haben wir die Familie als eine autarke Einheit abgeschafft und dafür den Staat eingesetzt. Aber das Privileg der verbürgten Unterstützung für Kinder sollte nicht missbraucht werden.

Empfängnisverhütung wird zuweilen als "unnatürlich" angegriffen. Und das ist sie, sehr unnatürlich sogar. Aber auch der Wohlfahrtsstaat ist unnatürlich, und ich glaube, dass die meisten von uns ihn für sehr wünschenswert halten. Doch man kann keinen unnatürlichen Wohlfahrtsstaat haben, wenn man nicht auch unnatürliche Geburtenkontrolle hat, andernfalls wird das Endergebnis noch größeres Elend sein, als in der Natur vorherrscht. Der Wohlfahrtsstaat ist vielleicht das größte altruistische System, das das Tierreich je gekannt hat. Aber jedes altruistische System ist von Natur aus instabil, weil es dem Missbrauch durch egoistische Individuen offensteht. Die einzelnen Menschen, die mehr Kinder bekommen, als sie versorgen können, sind in den meisten Fällen wahrscheinlich zu unwissend, als dass man sie böswilliger Ausnutzung beschuldigen könnte. Mächtige Institutionen und führende Persönlichkeiten, die sie bewusst dazu ermutigen, scheinen mir von diesem Verdacht weniger frei zu sein.


Speziell der letzte Satz dürfte sich eindeutig gegen die katholische Kirche wenden.

Man vergleiche aber diese Äußerung Richard Dawkins mit den von Mersch in
http://www.land-ohne-kinder.de/molmain/main.php?docid=329
getätigten. Wenn die von Dawkins "bright" ist, dann ist die von Mersch superbright, speziell seine darin dargestellte Erweiterung der verantworteten Elternschaft. Das, was er da schreibt, ist meines Erachtens eine zwangsläufige Folgerung, die man aus der Kenntnis der Evolutionstheorie unter emanzipatorischen und wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen ziehen muss. Deshalb waren für mich die hier zum Teil getätigten "feindlichen" Äußerungen äußerst überraschend, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Di 9. Jun 2009, 12:47

jackle hat geschrieben:"Mächtige Institutionen und führende Persönlichkeiten, die sie bewusst dazu ermutigen, scheinen mir von diesem Verdacht weniger frei zu sein."
Speziell der letzte Satz dürfte sich eindeutig gegen die katholische Kirche wenden.
Oder gegen die extrem linke oder rechte Flanke? Wer seine arbeitslose und alternde Bevölkerung finanziell bei Laune halten möchte, braucht arbeitenden Nachwuchs zum Steuerzahlen.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Di 9. Jun 2009, 13:18

stine hat geschrieben:Oder gegen die extrem linke oder rechte Flanke? Wer seine arbeitslose und alternde Bevölkerung finanziell bei Laune halten möchte, braucht arbeitenden Nachwuchs zum Steuerzahlen.
LG stine


Das verstehe ich nun leider überhaupt nicht.

1. Nachwuchs benötigt man doch zunächst einmal aus humanitären Gründen und zwecks Generationengerechtigkeit. Wenn 1000 Leute nur 10 Kinder in die Welt bringen, dann sind die 10 Nachkommen im Erwachsenenalter entweder hofflungslos überfordert oder sie kündigen den Generationenvertrag und überlassen die Alten dann sich selbst. Die verhungern dann z. B.. Das ist mit unseren humanitären Vorstellungen genauso wenig vereinbar wie die Kinder einer armen und berufslosen Familie verhungern zu lassen.

2. Kinder halten doch eine Bevölkerung nicht deswegen bei Laune, weil sie Steuergelder bringen, denn zunächst verbrauchen sie 20 - 25 Jahre lang mehr Steuergelder als sie einbringen. Deshalb sind sie heute so extrem unattraktiv, weswegen man bereits meint, man sollte das Aufziehen von Kindern doch der Dritten Welt überlassen.

3. Die extreme Linke und Rechte lebt sehr stark von den Schwachen und Aufgegrenzten (die Kirche übrigens auch). Sie sind also an deren Mehrung interessiert. Deshalb hat sich dort die Auffassung durchgesetzt, dass es gut ist, wenn sich solche Bevölkerungsgruppen stärker vermehren als der Rest, zumal sie dadurch noch ärmer werden. Das ist zwar mit einer naturalistischen Weltsicht nicht vereinbar, entspricht aber deren Interessen.

Wer dagegen an Nachwuchs interessiert ist, der im Erwachsenenalter ordentlich Steuern zahlt, sollte eher dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die heute Steuern zahlen, Kinder bekommen. Nichts anderes suggeriert das Selektionsprinzip. Deshalb gibt es z. B. das Elterngeld. Leider hat dies nicht gegriffen, da das Problem unter der Gleichberechtigung ganz anders angegangen werden muss. Das Problem ist die Mär von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Di 9. Jun 2009, 16:08

Liebe(r) jackle,

passt vielleicht nicht ganz zum Ursprungsthema, aber zum Kinderkriegen:
Die Duggar Familie!

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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon smalonius » Di 9. Jun 2009, 16:17

Kann man diesen Thread bitte splitten und die Familienpolitik in einen neuen verschieben? Danke.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon stine » Di 9. Jun 2009, 17:03

I am soooo sorrry!
Ich wollte deinen Thread nicht verfälschen.
Hatte sich nur irgendwie ergeben. :pfeif:

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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon jackle » Di 9. Jun 2009, 19:53

smalonius hat geschrieben:Kann man diesen Thread bitte splitten und die Familienpolitik in einen neuen verschieben? Danke.


Interessant, dass es diesmal so herum läuft. Im Thread "Eine etwas andere Evolutionstheorie" hatte ich verzweifelt - und dann leider auch vergeblich - versucht (z. B. mein Beitrag 5. Juni 2009, 13:30), die Diskussion auf das Thema Evolutionstheorie zurückzulenken. :(
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon smalonius » Mi 10. Jun 2009, 16:41

stine hat geschrieben:I am soooo sorrry!
Ich wollte deinen Thread nicht verfälschen.
Hatte sich nur irgendwie ergeben. :pfeif:

LG stine
Kein Problem, so ist das halt in Diskussionen, da ergibt ein Wort das andere - und schon ist man bei einem anderen Thema. Passiert mir auch. :pfeif:

Ich werd mal einen neuen Thread zum Thema Familienpolitik und B-Bombe aufmachen. Diesen hier brauche ich noch, hab nur gerade keine Lust, zum Thema weiterzuschreiben.
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Re: Wie du mir so ich dir - Axelrod und seine Simulationen

Beitragvon smalonius » Mo 6. Jul 2009, 16:58

OK, ich glaube, momentan kann ich hier ein bißchen weiterschreiben, ohne Gefahr zu laufen, daß der Thread geschlossen wird. :pfeif:

xander1 hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Ich hab mir letztes Jahr einen kleinen Simulator gebaut, der mit einem genetischen Algorithmus das Gefangenendilemma löst. Davon habe ich in meinem Axelrod-Thread nichts erwähnt, weil es nichts zum Thema beigetragen hätte.


Mich interessiert dieses Thema sehr. Ich hätte gerne dieses Programm.

Ich könnte natürlich eine PM schicken und nachfragen, aber vielleicht finden andere das auch interessant.

Mich würden Ausführungen dazu interessieren, was das alles zu bedeuten hat.

Programm kommt gleich nach.

Erstmal sollte ich noch was zu evolutionären Algorithmen sagen, das kam weiter oben viel zu kurz.

Evolutionäre Algorithmen

- Als Vorraussetzung braucht man ein Problem, dessen mögliche Lösungen sich gut binär darstellen lassen. Außerdem braucht man eine Bewertungsfunktion, die sagt, welche Lösung besser ist.
- Dann kann man diese Lösungen als 0100100 oder AXCVULK hinschreiben, das stellt das Genom dar, wobei jede Stelle eine bestimmte Eigenschaft oder einen Wert der Lösung codiert.
- Um den Algorithmus zu starten beginnt man mit einer Anfangspopulation (bestehend aus sogenannten "Agenten") mit zufälligem Genom.
- Man bewertet jeden Agenten anhand der Bewertungsfunktion.
- Die Agenten, die besser abgeschnitten haben, dürfen sich "fortpflanzen". Das heißt man nimmt ihr Genom und variiert es leicht und per Zufall.
- Die neuen Agenten fügt man der Population hinzu.
- Dann beginnt das Ganze von vorne. Wieder bewertet man die Population, wieder vermehrt man mit leichter Abwandlung.
- Wenn man das einige Generationen lang wiederholt, erhält man mit etwas Glück eine sehr gute näherungsweise Lösung für das Ausgangsproblem.


Steiner network design challenge

Ein praktisches Beispiel: Dave Thomas hat in seinem Blog zu einem Wettbewerb eingeladen. Aufgabe war es, das beste Steiner-Netz für diese sechs Punkte zu finden.

steiner_challenge.gif


Was ist ein Steiner-Baum? Grob gesagt, die kürzeste Strecke, die alle vorgegebenen Punkte verbindet. Knoten müssen nicht auf den gegebenen Punkten liegen. So ungefähr sieht ein Steiner-Netz für vier Punkte aus:

steiner_what.gif


Lösung im nächsten Post, um Spoiler zu vermeiden, falls jemand selbst darüber nachdenken möchte.
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
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