Denker hat geschrieben:Stimmt es, dass Mädchen für Mathematik weniger begabt sind als Jungs?
Nein, tut es nicht. Es gibt umfangreiche Erhebungen dazu, die mehr oder weniger immer zum selben Schluss kommen, nämlich, dass Männer und Frauen keine statistisch signifikanten Unterschiede in Fragen der Intelligenz haben, egal, auf welchem Gebiet. Es gibt kleine Teilbereiche, beispielsweise das räumliche Vorstellungsvermögen, wo der Testosteronspiegel im Verdacht steht, eine Rolle zu spielen (siehe
http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A4uml ... m%C3%B6gen), aber das fällt in der Summe kaum ins Gewicht.
Was aber ebenfalls in Experimenten festgestellt wurde, ist, dass Frauen in ihren Leistungen in Mathematik stark nachlassen, wenn sie in direkter Konkurrenz zu Männern stehen. Die Leistungen von Frauen, denen bei einem Mathetest gesagt wurde, dass sie am Ende mit den Männern verglichen würden, liegen bis zu 40% unter denen, die dieselben Frauen erbringen, wenn nur ein innergeschlechtlicher Vergleich angekündigt wird. In diesem Fall sind dann die Leistungen identisch mit denen der Männer. Es ist also mit ziemlicher Sicherheit tatsächlich die Macht der kulturellen Prägung, die Unterschiede in den Leistungen bedingt, nicht prinzipielle Eignungsunterschiede.
Es gibt eine kleine Abweichung davon bei stark Hochbegabten. Da sind tatsächlich die mathematisch höchstbegabten Männer überrepräsentiert. Das liegt daran, dass Eigenschaften bei Männern generell statistisch breiter gestreut sind, als bei Frauen, weil Männer wegen ihres einzelnen X-Chromosoms ungewöhnliche Eigenschaften häufiger ausbilden als Frauen, die ein zweites X-Chromosom haben, das als Backup einspringen kann, wenn das andere Chromosom Anomalien aufweist. Das führt dann natürlich auch dazu, dass anteilsmäßig mehr Männer auf beiden Seiten der Gaußkurve sitzen, sprich, es gibt auch mehr geistig behinderte bzw. schwachsinnige (IQ < 60) Männer als Frauen.
Denker hat geschrieben:woher kommt dieses Vorurteil? (das viele Frauen schon total verinnerlicht haben)
Das ist eine kulturelle, über Jahrhunderte geprägte Tradition, die in patriarchalischen Gesellschaften - also solchen, wo es zur Grundorganisation der Gesellschaft gehört, dass der Mann Herrschaft, Besitz und Erblinie kontrolliert - begünstigt auftritt. Patriarchalische Gesellschaften haben sehr klar voneinander abgegrenzte Rollenbilder, und die müssen natürlich mit Narrativen "sinnvoll" ausgestaltet werden, um akzeptiert, repetiert und perpetuiert zu werden. Im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsordnung, in der der Mann den Ton angibt, ist die Begründung, dass er einfach logischer, rationaler, abwägender, ergo auch mathematisch begabter ist, einfach eine gute Story, die die als natürlich wahrgenommene Ordnung konsistent begründet.
Dieses kulturelle Narrativ wurde über Jahrtausende gepflegt, ist in vielen anderen gesellschaftlichen Narrativen eingewoben und gehört nach wie vor zum generellen kulturellen framework unserer Gesellschaft, also dem Rahmen, in dem wir uns in Bezug auf andere verorten und orientieren. Geht man nach Persönlichkeitsklassifikationsschemata wie dem
MBTI, dann gehören etwa drei Viertel der Bevölkerung zu den sogenannten sensing-Typen, die besonders von solchen "Äußerlichkeiten" wie Rollenbildern, Kleidungsstilen etc. angesprochen werden und bemüht sind, sich gesellschaftlichen Konventionen zu unterwerfen. Berücksichtigt man weiterhin die Tatsache, dass die klassischen Rollenbilder gerade mal seit knapp 100 Jahren ernsthaft herausgefordert werden und die richtig intensive, offene Auseinandersetzung erst nach 1968 angefangen hat, braucht man sich nicht weiter wundern, dass diese Denkweisen noch ganz stark befolgt und weitergegeben werden. Die radikale Veränderung eines Rollenbildes ist so schnell nicht zu bewerkstelligen, zumal sich in den letzten Jahren die Stimmen derer mehren, die unklare Rollenbilder beklagen, wie z.B. jüngst in der SZ:
Männer wissen nicht, wie sie sich verhalten sollenInsofern, es wird noch eine Weile dauern, bis es normal geworden ist, also sprich, bis keiner mehr drüber redet, weil man über Selbstverständlichkeiten keine Diskussion führt, dass die Geschlechterfrage in Bezug auf das Mathe-Image keine Rolle mehr spielt.
Denker hat geschrieben:was können wir dagegen tun?
Naja, was man eben tun kann, um Vorurteile abzubauen. Haltung zeigen. Keine dummen sexistischen Äußerungen und Witze tun und sie auch nicht akzeptieren, wenn Arbeitskollegen und Freunde ihre billigen Kalauer à la "Wir Männer, ihr Frauen" ablassen. Uns innerlich zurückpfeifen, wenn wir uns beim Gedanken erwischen, eine Frau für (mathematisch oder anderweitig) inkompetent zu halten, weil sie eine Frau ist. Falls wir Chef sind, die Aufgaben und Projekte, die Mathematik beinhalten, nicht instinktiv an Männer vergeben. Falls wir Vater sind, unsere Töchter als selbstverständlich ebenso mathematisch begabt anzusehen, wie unsere Söhne. Und so weiter halt. Ist recht mühsam und man wird natürlich laufend als linker Gutmensch abgestempelt ("Gutmensch", der beste Indikator dafür, dass der Sprecher von vernünftiger Argumentation überfordert ist *SCNR*), aber anders geht's meines Erachtens nicht. Irgenwann stirbt die alte Generation weg und die neue, die besser verinnerlicht hat, dass Frauen und Männer gleichbegabt sind, nimmt die begabte Mathematikerin einfach als Normalfall wahr - dann haben wir's geschafft.