Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Ach was? Auf was hatten wir uns denn geeinigt, ist mir momentan tatsächlich entfallen. Drückst Du Dich absichtlich darum oder erkennst Du die Brisanz des Punktes einfach nicht?
Na, um
den brisanten Punkte drückst Du dich ja die ganze Zeit: Da Sham = Verum folgt Akupunktur (mit Meridian und Qi) = Unsinn (da wir uns ja gerne im Kreise drehen, nenne ich das jetzt AMQ).
Dann noch einmal: 3 Gruppen, mit jeweils Medikamenten (M) und Nadeln (einmal Sham, einmal AMQ). Dann haben wir also: 1: M, 2: M + Sham, 3: M + AQM. Was unterscheidet die Gruppen? Richtig: Piksen! Wenn der Placeboeffekt also eine Rolle spielen kann, dann nur im Unterschied Piksen vs. nicht Piksen. Medikamente haben ja alle bekommen.
Nein. Korrigier mich bitte, wenn ich mich da schlicht irren sollte, aber wir haben nicht drei Gruppen mit Medikamenten.
Wenn ich das richtig gelesen habe, habe wir eine Gruppe mit Standardtherapie, die medikamentös oder physikalisch ist. Aus dieser Standardgruppe haben 65,3% der Patienten ein Schmerzmittel genommen.
Dann haben wir die Verumgruppe mit 47,6% Analgetika und die Shamgruppe mit 42,2% Analgetika.
Wenn tatsächlich alle Mitglieder aller Gruppen Medikamente genommen haben, wozu dann die Studie? Dann ist m.E. alles an der Studie wertlos.
Das Ergebnis:
"Ein Behandlungserfolg, das heißt eine Verringerung des WOMAC-Scores um mindestens 36 Prozent, trat bei 53,1 Prozent (34,7 Prozent) der Verumpatienten, 51,0 Prozent (37,3 Prozent) der Shampatienten, und 29,1 Prozent (10,1 Prozent) der Standardtherapiepatienten ein (in Klammern die um Therapieversager bereinigten Raten). Signifikante Unterschiede gab es sowohl zwischen Verum und Standard als auch zwischen Sham und Standard (jeweils p < 0,001), nicht aber zwischen Verum und Sham (p = 0,479)." (aus der Studie)
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Bei wiki weichen die Zahlen etwas ab, mit der gleichen Tendenz:
Wikipedia hat geschrieben:Klinische Studien zeigen eine Wirksamkeit der Akupunktur z.B. bei durch Kniegelenksarthrose bedingten Schmerzen, bei chronischen tiefen Rückenschmerzen und bei der Prophylaxe von Migräneattacken. Bei den genannten Beschwerden ist die Wirksamkeit von Akupunktur deutlich höher als die einer schulmedizinischen Behandlung. So trat in den GERAC-Studien (German Acupuncture Trials, 2002 - 2007), den bisher umfangreichsten klinischen Untersuchungen, bei der Behandlung von tiefen Rückenschmerzen bei 47,6 % der Akupunktur-Patienten, 44,2 % der Scheinakupunktur-Patienten und nur 27,4 % der Schulmedizin-Patienten eine erkennbare Verbesserung ein. Allerdings wurde in einigen Studien auch gezeigt, dass Scheinakupunktur, bei der irgendwohin gestochen wird, nicht signifikant weniger wirksam ist als eine nach traditionellen Regeln durchgeführte Akupunktur. Akupunktur wird zur Behandlung zahlreicher weiterer Beschwerden angeboten, auch wenn bisher kein schulmedizinisch anerkannter Beleg für eine Wirksamkeit vorliegt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Akupunktur
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Du willst nun auf den geringen Unterschied zwischen Sham und Verum hinaus und ziehst daraus den Schluss: Akupunktur wirkt nicht.
Ich will auf den Unterschied zwischen den dauerhaften Erfolgen der Stechgruppen, beide > 50% gegenüber der Standardgruppe < 30% hinaus.
Mit anderen Worten, ist eine Standardtherapie bei Knie- und Rückenschmerzen in > 70% der Fälle wirkungslos trotz eines verstärkten Einsatzes von Analgetika (mehr als 50% der Stechgruppen haben keine Analgetika eingenommen).
Auch wenn es keine Standardempfehlungen bei den diversen Erkrankungen gibt, dann sollte es so sein, dass man das macht, was man als Arzt gelernt hat, was dem Stand der Forschung entspricht (z.B. Analgetika, Entzündungshemmer, Muskelrelaxatien, Physiotherapie, Krankengymnastik, Wärmebehandlung...) und einem jahrelang ausgebildeten Arzt, der täglich zig Menschen mit genau diesen Symptomen in seiner Praxis hat, muss man zutrauen dürfen, dass er weiß, wie der damit umgeht. Oder bist Du da anderer Meinung?
Dieser Arzt hat eine 5-jährige Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie hinter sich, deren Inhalt ist zufälligerweise recht gut kenne und es ist die Rede davon, dass das was in einer orthopädischen Praxis gemacht wird, durchaus auch Stand der aktuellen Wissenschaft ist.
Ferner bin ich sicher, dass auch ein Facharzt für Orthopädie in der Lage ist, einen Placeboeffekt auszulösen, solltest Du der Meinung sein das ausgerechnet Ärzte, deren gesellschaftliches Ansehen sehr hoch ist, nicht dazu in der Lage sein sollte, möchte ich das bitte begründet haben.
Deine Rechnung soll offenbar lauten, dass Akupunktur einen gewaltigen Placeboeffekt auslöst (warum genau?) und der Arzt im weißen Kittel, der von seinem Verfahren vielleicht maximal überzeugt ist, überhaupt keinen Placeboeffekt auslöst. Denn Grund dafür wüsste ich gerne.
Zudem gilt der Placeboeffekt als flüchtig, „richtige Medizin“ aber nicht, was die Datenlage nach 3 bis 6 Monaten noch eigenartiger erscheinen lässt.
Zu erwarten wäre ein rascher Anstieg der Akugruppe, die müsste dann aber auf mittlere bis lange Sicht kassiert werden, das Gegenteil ist der Fall. Warum?
Solltest Du darauf hinaus wollen, dass die Symptome ohnehin von selbst verschwinden, nun gut, warum dann nicht auch in der Standardtherapiegruppe?
Der Schluss wäre dann in der Tat: Placebo heilt besser als „richtige, wissenschaftliche Medizin“, die nicht mal einen ordentlichen Placeboeffekt hinbekommt und es wäre dann an der Zeit mal gründlich über das Thema nachzudenken. Das steht allerdings vollkommen quer zu nahezu allen Behauptungen zur allgemeinen Überlegenheit der Schulmedizin, die das exakte Gegenteil verkünden.
Zappa hat geschrieben:Außerdem ist das doch der Klassiker: Irgendjemand befummelt oder beschwört Dich salbungsvoll, weil er von was überzeugt ist und dann setzt er ein, der Placeboeffekt. Ich verstehe dein Verständnisproblem nicht.
Ich weiß ja nicht wo Du lebst und wie da Akupunktur gemacht wird. Ist das eine riesiges Ritual, wo Du Dich durhc Weihrauchschwaden kämpfen musst, dann erscheinen nach den mantrischen Gesängen hymnischen Klänge, der Meister erscheint und mit beschwörenden „Qi“ „Chi“ Rufen, setzt er bei maximaler Theatralik irgendwelche Nadeln, blickt Dir mit stechendem Blick, womöglich aus Schlitzaugen, tief in die Augen und murmelt: „Da widde dil helfen, ganz sichel.“, bevor er sich mit einem lauten Kung Fu Schrei verabschiedet.
Heilungsversprechen darf man nach meiner Kenntnis gar nicht geben.
Das hat doch mit der Realität in einer orthopädischen Praxis nichts zu tun. Du setzt mir da etwas zu viel auf die „weiß man doch“-Vorurteilsschiene.
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Und die Frage nach Heilung, bzw. dass die Antwort sich irgendwie von selbst verstünde, war ja Dein Einwurf.
Nein, da musst Du mich falsch verstanden haben.
Okay, dann meintest Du, pragmatisch, dass man Krankheit, Heilung und Gesundheit schon intuitiv erkennt, ohne Begriffsklärung.
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Du scheinst mir da eher ein Fossil zu sein. Messen, bumm, fertig.
Im Prinzip ja: "Messbares messen und nicht Messbares messbar machen."
Fossil, sag ich doch. Ist man längst von weg. Die Korrelation von Rückenschmerzen und Röntgenbefund ist erschreckend gering. Manchmal ist das alles, wie es im Lehrbuch steht. Böse Schmerzen, Röntgenbefund zeigt leichten Vorfall, Analgetika, Relaxantien, Wärme, dann Muskelaufbau und alles ist gut. Die Regel ist das keineswegs.
Zappa hat geschrieben:Allerdings gefällt mir die Konnotation deiner Bemerkung nicht: Du scheinst zu unterstellen, dass Messen einfach und der ganzheitlich-philosophische Ansatz der schwierige und tiefere ist.
Was heißt schon ganzheitlich-philosophisch? Die meisten „ganzheitlichen“ Ansätze zeichnen sich m.E. dadurch aus, dass sie eines sicher nicht sind: ganzheitlich. Sie definieren sich geradezu darüber,
gegen was sie sind. Gegen Apparatemedizin, gegen dies, das und jenes. M.E. ist das ideologischer Stuss, vor allem nicht ganzheitlich, aber egal.
Und Philosophie ist Philosophie und keine Medizin. Wenn ich weiß, was Krankheit ist, weiß ich immer noch nicht, wie die Kopfschmerzen weggehen. Dennoch kann es ausgesprochen sinnvoll sein, die Begriffe mal zu klären, um mal den Trend willkürlich erfundener Krankheiten und künstlich gesenkter Grenzwerte etwas zu hinterfragen.
Es bringt nämlich wenig, wenn ich exakt Cholesterinspiegel bestimmen kann, aber leider gar nicht klar ist, ob nun 212 irgendwie gut oder schlecht ist und warum. Auch zu dem HDL/LDL Kram kommt ständig Neues raus.
Der Trend geht ohnehin dahin, dass die Statistiken dem Einzelnen angepasst werden, d.h. dass der Cholesterinspiegel dann relevant wird, wenn er zusammen mit bestimmten Risikofaktoren auftritt (Rauchen, Bluthochdruck und Übergewicht) und isoliert, außer in Fällen schwerer erblicher Hypercholesterinämie, im Grunde zu vernachlässigen ist.
Auch in der Krebsprophylaxe, (
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber ... 49539.html ) bei der späten Erkenntnis, dass Frauen, Kinder, Alte, Farbige, Asiaten und so weiter durchaus anders reagieren als weiße, erwachsene Männer mit 80 kg und 40 Jahren, bei Stress- und Schmerzskalen und so weiter spielt all das eine Rolle.
D.h die Medizin der Zukunft, will sie Fortschritte machen, die sich nicht nur auf die Verdienste beziehen – die Lebenserwartung von Teilen der Bevölkerung sinkt schon wieder – wird ganzheitlich sein und sein müssen, aber im wahren Sinne des Wortes, nicht im Sinne des Kampfbegriffes.
Sie wird, individualisierter sein, sie wird sich Konzepte ausdenken müssen, wie man auch fette, dumme Leute erreicht. Sie wird sich überlegen müssen, ob sie wirklich in Richtung Zwei-Klassen-Medizin weitergehen will, Exzellenzkliniken für die Reichen und blutige Entlassungen auf der Basis von Fallzahlen, für die immer größere Gruppe von armen Schweinen.
Man wird sich überlegen müssen, wie man mit seltenen Krankheiten umgeht und warum man bei so vielen Volkskrankheiten so auf der Stelle tritt. Man muss schauen, wie man mit der demographischen Herausforderung umgeht. Man wird sich überlegen müssen, ob man die Taktik, dass man bei einem armen, alten Menschen, der keine oder etwas schlichte Angehörige hat, weiter die Strategie fährt, maximal viel Kohle rauszupressen, bis der an der soundsovielten Sinnlosbehandlung dann endlich hopps geht, was dann keiner nachweisen kann oder ob man nicht versucht den Weg zu gehen, dass man Ärzte und Pflegekräfte nicht maximal überfordert. Versuch mal im Krankenhaus im Notfall einen Arzt zu bekommen, geh mal in die Notaufnahmen eines Krankenhauses und schau mal wie lange Du warten musst, schau Dir mal die Besetzung auf pflegeintensiven Stationen an. Sprich mal mit den Verantwortlichen, die sagen Dir was von, wir würden ja gerne, aber wir kriegen keinen und von den Kosten. Es bringt nichts, wenn die OP perfekt gelaufen ist und du nachher an einer Sepsis verreckst weil, das Pflegeteam unterbesetzt ist, oder Stichwort neue Hüfte, nach 4 Tagen auf der Straße stehst, das ist ein Kunstfehler, frag mal den nächstbesten Orthopäden.
Was hast du von tollen Materialien, wenn dir Billigscheiße aus China eingesetzt wird, bei der dann irgendeine Zertifikationsfirma durch lebensferne Tests mit Monobelastungen nachweist, dass das was gerade 6 Wochen auf dem Markt ist, sicher 20 Jahre hält, aber im Alltag dann den Leuten nach drei Jahren die Hüfte rausknallt.
Zappa hat geschrieben:Anders herum ist es richtig: Der erste Weg ist steinig und hart. Rumlabern kann jeder.
Eben, vor allem wenn man ideale Diskussionen führt die mit dem Alltag des Medizinsystems nichts zu tun haben.