Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denkbar?

Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Zappa » Sa 10. Mai 2014, 10:45

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Warum soll ich denn unbedingt eine Position beziehen?

Weil Freiheit aus meiner Sicht unteilbar ist. Es gibt nur dafür und dagegen, genauso wie ein "bisschen schwanger" nicht geht.

Und genau das ist dein Irrtum.

Erstens gibt es nicht "Die Freiheit", glasklar definiert und für alle "Wohlgesonnenen" klar erkennbar. Sondern es gibt viele Freiheitsbegriffe, Unklarheiten, Irrtumsmöglichkeiten etc. pp.

Zweitens gäbe es selbst wenn es einen wirklich sauber und glasklar definierten Freiheitsbegriff gäbe, immer noch die Möglichkeit, dass Menschen sich eine zeitlang irren, aus den unterschiedlichsten Gründen auch Unfreiheiten brauchen oder mögen, trotzdem aber ihre Freiheit (sich zu irren und eine zeitlang mal abhängig zu sein) auch nehmen dürfen etc. pp.

Deswegen ist es - drittens - angebracht hier in Grautönen zu denken, weise in dem Zitat zusammengefasst "Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden."

Alles andere ist intellektueller Fanatismus und führt zu nichts Gutem.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Nanna » Sa 10. Mai 2014, 11:01

provinzler hat geschrieben:Weil Freiheit aus meiner Sicht unteilbar ist. Es gibt nur dafür und dagegen, genauso wie ein "bisschen schwanger" nicht geht.

Das würde implizieren, dass ein Nordkoreaner und ein Deutscher im gleichen Maße unfrei sind. Oder dass ein Kleinkind, das vollkommen von den Eltern abhängig ist, genauso unfrei ist wie ein 17-jähriger Azubi, der schon eigenes Geld verdient. Ich denke, dass man schon an so einfachen Beispielen recht schnell erkennen kann, dass Freiheit sehr wohl graduell verfügbar ist und bereichsweise variieren kann.

provinzler hat geschrieben:They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.(Benjamin Franklin)

Was mich immer wieder erstaunt, ist, dass Libertäre diesen Spruch so gebetsmühlenartig runterleiern und dabei schon völlig vergessen zu haben scheinen, dass der Satz an keiner Stelle den Rang einer völlig unbelegten und unbegründeten Behauptung verlässt. Ein reines Autoritätsargument. Dasselbe gilt für das Baader-Zitat.

provinzler hat geschrieben:Wenn Weisheit für dich bedeutet, letztlich alle Ideale sausen zu lassen, dann bin ich mir aber nicht ganz sich ober das das ist, wo ich hin will.

Mein Bild eines Weisen ist das einer Person, die erkannt hat, dass Ideale, die für sich genommen höchst plausibel und nachvollziehbar sind, regelmäßig in Konflikt geraten (Grundrechtskonflikte sind gute Beispiele), und teilweise inkommensurabel sind (d.h. die zugrundeliegenden Theorien operieren mit Begriffen, die nicht in Begriffe der jeweils anderen Theorie übersetzt und somit in deren framework eingepasst werden können). Anders gesagt kann es keine Welt geben, in der alle denkbaren Ideale umgesetzt sind, selbst wenn wir uns auf anerkannte Ideale wie die Menschenrechte beziehen. Der Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit steht exemplarisch dafür, aber es gibt noch viele andere.

Deine Antwort darauf ist die radikale Umsetzung eines bestimmten Ideals. Die Antwort meines Weisen wäre dagegen die, keines der Ideale aufzugeben und Unklarheiten, Graubereiche und Ambiguitäten als Pufferzonen offen zu lassen und durch Diskurs und insbesondere bei Bedarf einzelne Fragen so zu verhandeln, dass die Beteiligten sich möglichst nahe an ihr jeweiliges individuelles Optimum annähern können. Das erfordert aber in der Tat die Aufgabe des "festen Grunds" einer bestimmten Ideologie oder Erkenntnismethode, mit deren Hilfe man die Welt deutet, sei es nun eine kommunistische, libertäre, religiöse oder sonstige Weltsicht, die einem klare Rahmenvorgaben liefert. "Loslassen können" wird ja nicht umsonst in allen möglichen Denkschulen als notwendiger Schritt auf dem Weg zur Weisheit angesehen.

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Kritik aushalten ist meines Erachtens die Fähigkeit, eigene Positionen revidieren zu können und darunter nicht emotional zu leiden.

Du kennst mich ja nun schon ein paar Jahre. Und ich denke du wirst festgestellt haben, dass sich Positionen bei mir durchaus auch verändert haben, zum Teil sogar ziemlich gravierend. Wobei die Grundausrichtung natürlich geblieben ist.

Das stimmt, und du bist zum Glück auch schon etwas gelassener geworden, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das nicht teilweise auch "nur" Ermüdung ist. Manchmal muss man sich ja schon Sorgen um deinen Blutdruck machen. ;-)
Ich denke mir halt, dass du so damit beschäftigt bist, gegenüber Staat und Gesellschaft äußere Freiheit einzufordern, dass du die Möglichkeiten innerer Freiheit noch nicht sehr erkundet hast. Den Hass auf den Staat loszulassen könnte eine Befreiung für dich sein ohne dass damit zwangsweise eine Niederlage oder Verletzung höherer Ideale einhergehen muss, das ist das, was ich seit geraumer Zeit dir gern vermitteln möchte.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » Sa 10. Mai 2014, 11:20

Nanna hat geschrieben:Das würde implizieren, dass ein Nordkoreaner und ein Deutscher im gleichen Maße unfrei sind. Oder dass ein Kleinkind, das vollkommen von den Eltern abhängig ist, genauso unfrei ist wie ein 17-jähriger Azubi, der schon eigenes Geld verdient. Ich denke, dass man schon an so einfachen Beispielen recht schnell erkennen kann, dass Freiheit sehr wohl graduell verfügbar ist und bereichsweise variieren kann.

Das war nicht die Frage. Sondern die Erfahrung lehrt, dass die erste Einschränkung von Freiheit, sozusagen der Dammbruch ist, und sie daraufhin sukzessive immer weiter eingeschränkt wird. Die berühmte Wirkweise der Interventionsspirale. In dem Kontext sind auch die beiden Zitate zu verstehen. Wer einmal sich Freiheiten abschwatzen lässt, wird das immer wieder tun, bis er letztlich in Knechtschaft lebt.

Nanna hat geschrieben: Der Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit steht exemplarisch dafür, aber es gibt noch viele andere.

Gleichheit ist kein Wert. Denn es gibt sie nicht. Isonomie ist möglich, aber Gleichheit nicht. Die konsequente Umsetzung erfordert, dass du alle Menschen umbringst, denn das ist der Zustand in dem sie sich am wenigsten unterscheiden. Das sollten sich alle, die Gleichheit fordern mal hinter die Ohren schreiben. Hitler, Stalin, Mao, wieviele brauchen wir noch, bis die Leute das kapieren?

Nanna hat geschrieben:Das stimmt, und du bist zum Glück auch schon etwas gelassener geworden, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das nicht teilweise auch "nur" Ermüdung ist. Manchmal muss man sich ja schon Sorgen um deinen Blutdruck machen. ;-)

Ermüdung spielt sicher auch eine Rolle. Wenn ich lese, dass der deutsche Staat jetzt eine Kitaplicht einführen will, wird mir schlecht. (Kommentar meiner Oma: Der Hitler hat uns wenigstens erst mit 10 geholt). Strauß hat genau den Leuten, die heute am Ruder sind 1980 mal gesagt, dass sie die besten Nazis sind, die Deutschland je hatte. Er hat (mal wieder) Recht behalten. Was mich etwas entspannt, ist das Wissen, dass ich im Zweifelsfall wohl zu denjenigen gehöre, die sich relativ leicht ins Ausland absetzen können, wenns wirklich nötig ist. Aber es stimmt, ich werde langsam müde, weils anscheinend völlig sinnlos. Man erntet höchstens Aggression und wenn dann der nächste GröFaZ sein Werk getan hat, wird eh wieder jeder seine Hände in Unschuld waschen. Manchmal könnte man da glatt zum Misanthropen werden...
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Zappa » Sa 10. Mai 2014, 12:38

Provinzler hat geschrieben: ... die Erfahrung lehrt, dass die erste Einschränkung von Freiheit, sozusagen der Dammbruch ist, und sie daraufhin sukzessive immer weiter eingeschränkt wird. Die berühmte Wirkweise der Interventionsspirale.

Und meine Erfahrung lehrt, dass dieses "Argument der schiefen Ebene" nie gezogen hat und nie ziehen wird.

Es gibt keine absoluten Werte, Rechte oder Pflichten. Alles muss im Diskurs verhandelbar sein, jeder Schritt in diese oder jene Richtung aber auch argumentativ begründet werden sonst endet man notwendig in gewaltsamen Konflikten.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » Sa 10. Mai 2014, 12:50

Zappa hat geschrieben:Es gibt keine absoluten Werte, Rechte oder Pflichten. Alles muss im Diskurs verhandelbar sein, jeder Schritt in diese oder jene Richtung aber auch argumentativ begründet werden sonst endet man notwendig in gewaltsamen Konflikten.

Nachdem uns dieser Relativismus Archipel Gulag und Ausschwitz eingebrock hat, bin ich dafür nicht so zu begeistern...
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Nanna » Sa 10. Mai 2014, 13:07

provinzler hat geschrieben:Nachdem uns dieser Relativismus Archipel Gulag und Ausschwitz eingebrock hat, bin ich dafür nicht so zu begeistern...

Eben genau nicht! Stalin und Hitler und die Ideologien, für die sie stehen, haben ja gerade besonders mit absoluten Werten argumentiert.

Die "Wissenschaftlichkeit" des Kommunismus, die "Vorsehung", die "natürliche Auslese der Völker", das sind alles solche extrem rationalisierten und objektivistisch gedachten Begründungsstrategien. Es gibt nicht wenige Berichte und Äußerungen von Personen, die am Holocaust mitgewirkt haben, die sich äußerst bedauernd über das viele Leid geäußert haben, aber anführten, dass es eben "ein notwendiges Übel" sei, um die Welt von schädlichen Einflüssen zu reinigen. Gerade die Unverhandelbarkeit der ideologischen Grundwerte, die Betonfestigkeit, mit der das alles vertreten wurde, hat maßgeblich mit dazu beigetragen, dass Millionen Menschen der Fiktion von Alternativlosigkeit gefolgt sind, die Hitler, Stalin und Konsorten verbreitet (und sicherlich auch selber geglaubt) haben.

Das letzte, wofür Gulag und KZ stehen, sind Relativismus, Verhandelbarkeit von Normen, Diskurs, Pluralismus etc.

Wenn ich mal sehr auf die advocatus-diaboli-Schiene gehe, dann könnte ich dir im Prinzip auch vorwerfen, dass du die Gesellschaft mit exakt deiner spezifischen Freiheitskonzeption gleichschalten willst. Du folgerst (logisch korrekt), dass Auschwitz sich nicht wiederholen würde, würden alle Menschen im Grundansatz über die Freiheit so denken, wie du. Das ist allerdings nicht nur recht egozentrisch ("Wenn alle mit meinem Denken harmonieren würden, ginge es der Welt gut"), es ist vor allem auch weltfremd, weil genau das sicherlich nicht eintreten wird und wenn es würde, aus simplen psychologischen Gründen keinen Bestand hätte. Der Mensch hat in hundertausenden von Jahren mehr Erfolg damit gehabt, sich in Gruppen und hierarchisch zu organisieren, da steht eine teils kulturell eingeschleifte, teils aber auch genetisch bedingte conditio humana absolut quer zu deinen radikalen Vorstellungen.
Du gehst, und das ist in der Tat ein Vorwurf von Unreife, nach wie vor davon aus, dass im Geheimen die meisten Menschen eigentlich exakt dein psychologisches Setting besitzen und wenn sie sich dann nicht so verhalten, wie sie es im zurechtharmonisierten Weltbild in deinem Kopf tun müssten, wirst du extrem sauer, schlägst ins radikale Gegenteil um und diabolisierst sie als Schafe, Freiheitsfeinde und was weiß ich noch alles. Das ist keine gesunde Art, über seine Mitmenschen zu denken, weil hinter der vordergründigen Toleranz ("Ich lass die anderen doch sein, wie sie sind") extrem aggressive Anschuldigungen verborgen sind ("Die nehmen mir mit ihrer Blödheit und Passivität meine Freiheit weg!").
Es ist insofern eine sehr kontraproduktive Strategie, die du da verfolgst, dass du auf die Konventionen, denen der Großteil der Gesellschaft folgt, und die dir nicht gefallen, mit alternativen Konventionen anwortest, die stattdessen Gültigkeit besitzen sollen. Es wundert mich gar nicht, dass daraus nur ein Wettkampf zwischen "Libertären" und "Sozialisten" werden kann, die sich beide ihre spezifischen Wunschkonventionen um die Ohren hauen und beide dem Wunschtraum erliegen, dass nur die Welt mit ihren spezifischen Vorstellungen auf Deckung gebracht werden müsste und schon würden Harmonie, Friede, Wohlstand, Selbstbestimmung usw. herrschen.

Der Gegenvorschlag ist immer der, sich nicht im stillen Kämmerlein Großstrategien zur Rettung der Welt an die Wand zu malen und dann anderen Leuten zu erklären, was sie denn tun müssten, damit alle glücklich werden, sondern sich eben über den Diskurs zu versuchen, Anderen zu nähern und gemeinsame Normen für das Zusammenleben auszuhandeln, auch wenn das weh tut, und auch, wenn man dabei schmerzhafte Kompromisse machen muss. Dass man sein Wunschleben in diesem Universum kaum verwirklichen kann, ist eine Kränkung, die jeder Mensch im Laufe der persönlichen Reifung durchmacht, und die man der Welt irgendwann zu verzeihen lernen sollte.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » Sa 10. Mai 2014, 14:33

Nanna hat geschrieben:Eben genau nicht! Stalin und Hitler und die Ideologien, für die sie stehen, haben ja gerade besonders mit absoluten Werten argumentiert.

Durchsetzen konnten sie sich damit nur auf der Grundlage, dass für manche Leute eben alle Werte "verhandelbar" waren, eine reine Frage der Pragmatik, das Lebensrecht ganzer Bevölkerungsgruppen eingeschlossen. Und das ist ein Punkt, der in meinen Augen absolut nicht verhandelbar ist. Ohne die kaltblütigen "Pragmatiker", die diese Ideen ohne Rücksicht auf Moral exekutierten, hätte weder das Regime Stalins, noch das Regime Hitlers auch nur für vierzehn Tage funktioniert.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Nanna » So 11. Mai 2014, 10:54

Damit gibst du dich doch aber einer totalitären Fantasie hin: Dass die Sicherheit vor Gewalt durch ein einheitliches ideologisches (d.h. libertäres) Denken erreicht werden muss.

Davon abgesehen missverstehst du fundamental das Denken der Nationalsozialisten und Kommunisten. Die hätten sich nämlich selbst durchaus als höchst sittlich und moralisch empfunden. Da hat keiner gesagt "Wir lösen das jetzt ganz pragmatisch!", das war moralinsaure Ideologie durch und durch, mit der das nicht nur gerechtfertigt, sondern auch als "gut" und "richtig" und "alternativlos" hingestellt wurde.

Ich bin mir recht sicher, dass ich gerade dein Problem besser verstehe als du selbst: Du siehst dich selbst immer noch auf dem "festen Grund" einer universal gültigen Werteordnung stehend, vermutlich einem paläolibertär ausgerichteten intuitiven Gerechtigkeitsempfinden. Das ist ok, das ist normal, die meisten Leute glauben, dass es solche universal gültigen Ordnungen gäbe. Es wird nur da schwierig, wo es darum geht, andere Wertordnungen zu verstehen, weil du dich da immer versucht fühlst, sie aus deiner Warte heraus zu bewerten, aber (noch) nicht mitkriegst, dass du das tust und dir damit eine Schranke beim Verstehen und Nachvollziehen der anderen Position auferlegst.

Konkret sortierst du das Denken der Nazis und Stalinisten gerade unter "pragmatisch" ein und übersiehst aber, dass das ausschließlich deine Fremdzuschreibung ist. Klar: Da du auch den Nazis unterstellst, insgeheim dein Werteverständnis zu teilen (denn das ist ja das universal gültige und man kann eigentlich gar kein anderes haben!), müssen die Nazis sich selbst als Pragmatiker sehen. Messerscharf geschlossen und leider komplett falsch. Die Nazis teilen mit dir zumindest in diesem Bezug nämlich überhaupt kein Werteverständnis. Aus Sicht der Nazis bist DU der Relativist mit deinem "leben und leben lassen", DU mit deiner liberalen Haltung bist der, für den alles "verhandelbar" ist. Die Nazis sehen es genau so wie du, nur einfach unter umgekehrten Vorzeichen. Deshalb keift ihr euch ja ergebnislos bis zum Sankt-Nimmerleinstag gegenseitig mit immer denselben Vorwürfen an, von denen die Gegenseite sich aber nicht angesprochen fühlt: "Du bist der Relativist!" - "Nein, du!" - "Gar nicht wahr!" - "Wohl wahr"... usw. Das ist der Trugschluss jeder konventionellen (d.h. an bestimmten Konventionen, z.B. eben libertären oder nationalsozialistischen orientierten) Denkweise, dass sie nicht aus der Perspektive der eigenen Maßstäbe rauskommt.

Du wirst noch lange den Nazis und den Stalinisten und einer ganzen Menge anderer Ideologen völlig unzutreffende Vorwürfe machen (deshalb fühlt sich von denen ja eben keiner angesprochen an, weil die das überhaupt nicht so erleben), weil du nicht wirklich deren Denkweise nachvollziehst, sondern nur deren Verhalten analysierst und dann mit deinen Kategorien versiehst. Du müsstest aber, um zu verstehen, was diese Leute antreibt, deren Kategorien anwenden, weil du nur so die Denkschemata dahinter kapierst.

Ich weiß nicht, ob ich das gut genug erklärt habe. Verstehst du das Problem, auf das ich hinaus will?
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » So 11. Mai 2014, 11:21

Nanna hat geschrieben:Davon abgesehen missverstehst du fundamental das Denken der Nationalsozialisten und Kommunisten. Die hätten sich nämlich selbst durchaus als höchst sittlich und moralisch empfunden. Da hat keiner gesagt "Wir lösen das jetzt ganz pragmatisch!", das war moralinsaure Ideologie durch und durch, mit der das nicht nur gerechtfertigt, sondern auch als "gut" und "richtig" und "alternativlos" hingestellt wurde.

Hab ich das angezweifelt? Ändert aber nix daran, dass diese Regime ohne die kühlen Bürokraten, denen egal war was sie da exekutieren nie funktioniert hätten. Ohne Leute wie von Krogisk oder Schacht und die Leute in ihren Ministerien hätte das Regime keine zwei Wochen überstanden.

Nanna hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob ich das gut genug erklärt habe. Verstehst du das Problem, auf das ich hinaus will?


Dass vielen Menschen anscheinend einer abgeht, wenn zu ihrem (vermeintlichen) Vorteil ein paar dutzend Millionen unpopulärer Leute abgemurkst werden, und ich das nicht nachvollziehen kann?
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon xander1 » So 11. Mai 2014, 11:38

Ich glaube die Generationen in den nächsten Jahrzehnten werden auch über unsere Politik heute den Kopf schütteln und vieles als falsch empfinden. Und es werden ganz andere Menschen als große Menschen empfunden werden, als wir das heute welchen Menschen unserer Zeit zuschreiben.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Zappa » So 11. Mai 2014, 19:23

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Eben genau nicht! Stalin und Hitler und die Ideologien, für die sie stehen, haben ja gerade besonders mit absoluten Werten argumentiert.

Durchsetzen konnten sie sich damit nur auf der Grundlage, dass für manche Leute eben alle Werte "verhandelbar" waren, eine reine Frage der Pragmatik, das Lebensrecht ganzer Bevölkerungsgruppen eingeschlossen.

Die größten Verbrechen begeht man nur mit reinem Gewissen und das beruht immer auf absoluten Werten. Wer bereit ist über seine Wertvorstellungen zu verhandeln begeht keinen Völkermord.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » So 11. Mai 2014, 20:21

Zappa hat geschrieben:Die größten Verbrechen begeht man nur mit reinem Gewissen und das beruht immer auf absoluten Werten. Wer bereit ist über seine Wertvorstellungen zu verhandeln begeht keinen Völkermord.

Oder ohne Gewissen. Ohne die "Manager", denen egal war, für wen sie arbeiteten, und was sie taten, weils nur um die eigene Karriere geht, kannst das vergessen. Das wär nach zwei Wochen zusammengesackt...
Egal welches System, den größten Teil stellen immer die Mitläufer und Opportunisten...
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon stine » Mo 12. Mai 2014, 10:29

provinzler hat geschrieben: ...Mitläufer und Opportunisten...
Ja, sehe ich auch so.
Und davon gibt es jede Menge. Das kann man schon im kleinsten Umfeld beobachten, wenn die eigene Meinung plötzlich zu Gunsten der Meinung Aller hintenangestellt wird. Oder wenn Menschen gar keine eigene Meinung mitbringen...
Andererseits ist Opportunismaus strategischer Überlebenskampf. Wenn wir Menschen das nicht könnten, wären wir schon längst ausgestorben. Die Frage bleibt also: Wo muss man mit und wo darf man sich eine persönliche Note erlauben?

LG stine
War vielleicht OT, aber was solls! :wink:
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » Mo 12. Mai 2014, 11:57

stine hat geschrieben:
provinzler hat geschrieben: ...Mitläufer und Opportunisten...
Ja, sehe ich auch so.
Und davon gibt es jede Menge. Das kann man schon im kleinsten Umfeld beobachten, wenn die eigene Meinung plötzlich zu Gunsten der Meinung Aller hintenangestellt wird. Oder wenn Menschen gar keine eigene Meinung mitbringen...

Ja, das ist bisweilen anstrengend. Vor allem auch, wenn Zusagen gemacht werden, und dann aus Opportunismus wieder einkassiert. Die wenigsten Menschen sind in der Lage öffentlich hinter Minderheitenmeinungen zu stehen. Deswegen gibts im Fußball ja auch (fast) immer entweder Hin- und Rückspiel oder ein Spiel auf neutralem Platz, weil die Schiedsrichter in der Tendenz fürs Heimteam pfeifen. Boshaft könnte man sagen, bei vielen Menschen fragt man sich, ob sie eigentlich zu den Wirbeltieren gehören, weil sie so überhaupt kein Rückgrat haben.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon xander1 » Mo 12. Mai 2014, 14:12

Zappa hat geschrieben:Die größten Verbrechen begeht man nur mit reinem Gewissen und das beruht immer auf absoluten Werten. Wer bereit ist über seine Wertvorstellungen zu verhandeln begeht keinen Völkermord.


Das ist so eine der Stellen, bei denen ich mich fragen, wie man das in Kombination mit dem kathegorischen Imperativ setzen würde oder auch der goldenen Regel. Also wie formuliere ich jetzt die Frage? Wie geht Völkermord auf grund von moralischen Überlegungen zusammen mit dem kathegorischen Imperativ?
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Zappa » Mo 12. Mai 2014, 19:24

xander1 hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Die größten Verbrechen begeht man nur mit reinem Gewissen und das beruht immer auf absoluten Werten. Wer bereit ist über seine Wertvorstellungen zu verhandeln begeht keinen Völkermord.


Das ist so eine der Stellen, bei denen ich mich fragen, wie man das in Kombination mit dem kathegorischen Imperativ setzen würde oder auch der goldenen Regel. Also wie formuliere ich jetzt die Frage? Wie geht Völkermord auf grund von moralischen Überlegungen zusammen mit dem kathegorischen Imperativ?

Ich weiß nicht, ob ich die Frage genau verstanden habe. Kant vertritt eine typische Prinzipienethik, die sich zwar als Idee gut anhört, in der Praxis aber immer wieder zu Absurditäten führt. So darf man laut Kant prinzipiell nie lügen, was in der Praxis natürlich zu moralischen Dilemmata führt. Ich denke die meisten Menschen werden es als moralisch höchst anständig erachten, wenn man Häschern auf die Frage nach dem Aufenthalt des wehrlosen Opfers mal ausnahmsweise nicht die Wahrheit sagt.

Aus dem gleichen Grund scheitern auch alle Versuche "absolute Werte" zu setzen und für immer und ewig wahr zu halten. Auch das besteht den Praxistest nicht immer.

Das soll nicht heißen, dass alles relativ und beliebig ist. natürlich gibt es hohe Werte, wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit etc. pp. Aber es gibt auch immer wieder Situationen, in denen einzelne dieser Werte mit anderen in Konflikt geraten und dann muss man im Diskurs klären, was in solchen Situationen das richtige Handeln ist.

Man kann die goldene Regel natürlich abgeschwächt auch als Aufruf zum Diskurs und gegenseitige Interessensabwägung verstehen, dann macht das Ganze Sinn. (Sie ist übrigens wesentlich älter als die Bibel und das Christentum). Sobald man aber mit einer allgemeinen Gesetzgebung um die Ecke kommt, wird es problematisch. Auf jeden Fall lässt sich natürlich Völkermord nicht mit der goldenen Regel begründen (da muss man schon einiges an logischen Verrenkungen machen), aber eben auch nicht Notwehr, Abtreibung, Gefängnisstrafen, Lohnunterschiede etc.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon Zappa » Mo 12. Mai 2014, 19:28

provinzler hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Die größten Verbrechen begeht man nur mit reinem Gewissen und das beruht immer auf absoluten Werten. Wer bereit ist über seine Wertvorstellungen zu verhandeln begeht keinen Völkermord.

Oder ohne Gewissen. Ohne die "Manager", denen egal war, für wen sie arbeiteten, und was sie taten, weils nur um die eigene Karriere geht, kannst das vergessen. Das wär nach zwei Wochen zusammengesackt...
Egal welches System, den größten Teil stellen immer die Mitläufer und Opportunisten...

Da sind wir einer Meinung. Die Vordenker und Taktgeber, handeln aber aufgrund eigener, absoluter Werte, denen Sie alles andere unterordnen. Sie sind von der moralischen Richtigkeit ihrer Taten überzeugt und eben nicht in der Lage ihre Werte und Taten in Frage zu stellen.

Natürlich kommen dann die Mitläufer und Opportunisten dazu; man darf aber auch nicht den Druck auf den Einzelnen in so einem totalitären System unterschätzen. Ich weiß nicht wie ich mich, z.B. als Familienvater, damals verhalten hätte ...

PS: Wir kommen vom Thema ab :motz:
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon provinzler » Mo 12. Mai 2014, 19:34

Zappa hat geschrieben:Da sind wir einer Meinung. Die Vordenker und Taktgeber, handeln aber aufgrund eigener, absoluter Werte, denen Sie alles andere unterordnen. Sie sind von der moralischen Richtigkeit ihrer Taten überzeugt und eben nicht in der Lage ihre Werte und Taten in Frage zu stellen.

Wie siehst du des denn bei Leuten wie Hjalmar Schacht oder Gustav Schlotterer?
Oder sind für dich Leute diesen Formats zu behandeln wie 19-jährigen Adabeis...
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon xander1 » Di 13. Mai 2014, 20:26

Zappa hat geschrieben:Auf jeden Fall lässt sich natürlich Völkermord nicht mit der goldenen Regel begründen (da muss man schon einiges an logischen Verrenkungen machen), aber eben auch nicht Notwehr, Abtreibung, Gefängnisstrafen, Lohnunterschiede etc.


In die Richtung ging meine Frage, ob das beides wie du hier schreibst, einher gehen kann. Ich kann nicht in die Gehirne von Nazis schauen.
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Re: Vernünftigere Wirtschaftsformen als Marktwirtschaft denk

Beitragvon xander1 » Mo 2. Jun 2014, 13:58

Mir sind noch 2 Auswüchse der Marktwirtschaft eingefallen:

Jede Fotokamera könnte es beherrschen das RAW-Format auszugeben. Es wäre ein Klacks!
Trotzdem wird nur jpeg ausgegeben und nur bei teueren RAW. Sowas ist nur durch Kartelle erklärbar.

Zur Erklärung: Das jpeg ist die Variante bei der ein Weißabgleich gemacht wurde, und die Farbenvielfalt u.a. damit reduziert wurde. Das heißt jede Kamera müsste RAW unterstützen können.

Außerdem wenn ich hier im Rewe einkaufen gehe. Die Marke ja ist einfach ein jeweils teuereres Produkt einfach weniger lecker gemacht, z.B. indem weniger Zucker oder weniger Salz dran gemacht wird. Und das alles nur zur Gewinnmaximierung, damit die Leute das teurere kaufen.
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