Lumen hat geschrieben:Dennett meint, Harris hätte einen Cartesianischen Beobachter eingeschmuggelt, der sich das Geschehen passiv anschaue, aber selbst machtlos sei. ... Kurzum, Dennetts Einwand kann sich nur gegen Harris Formulierung, nicht aber gegen die von ihm vertretene Weltsicht richten.
Ich habe immernoch nicht alles gelesen (wieso bin ich immer so faul?) aber ich vermute stark, dass Dennett und Harris sich überhaupt nicht im Konflikt befinden, ob die Welt deterministisch ist. Sie stimmen ja beide überein, dass ein Mensch in exakt der gleichen Situation immer wieder exakt gleich handelt. Sie ziehen daraus nur unterschiedliche Schlussfolgerungen. Harris meint, dann gibt es keinen freien Willen und keine wirkliche Verantwortung. Dennett meint, der freie Wille ist nicht die Fähigkeit, in der gleichen Situation anders zu handeln, sondern in ähnlichen Situation anders zu handeln (weil man zum Beispiel sein eigenes Bewusstsein geändert hat). Damit bleibt es für ihn beim landläufigen Verantwortungsbegriff. So verstehe ich das zumindest, wobei das jetzt weitgehend geraten ist. Ich bin mir nur recht sicher, dass das die Positionen zwischen mir und AgentProvocateur sind.
Lumen hat geschrieben:Anders ausgedrückt, man könnte Dennetts eigene Ansichten vollständig kopieren, aber Harris'che Prämissen zugrunde legen, ohne in Konflikt zu geraten. Stimmt das, oder nicht?
Ich finde, es stimmt nicht. Laut Harris gibt es keine wirkliche Verantwortung. Laut Dennett gibt es sie. Das ist ein Konflikt.
Lumen hat geschrieben:Vielleicht kann das jemand erklären. Vereinfacht gesagt, entweder habe ich eine Welt, die, wenn ich sie zurückspulen könnte, sich wieder genau so abspielen müsste: dann wäre Freier Wille hinfällig, weil an keiner Stelle “Freiheit” ensteht, es also keine “Rampe” gibt
Ich glaube, Dennett argumentiert etwas anders. Er stimmt zu, dass wenn man die Welt zurückspulen könnte, sie sich wieder genau so abspielen müsste. Freier Wille ist aber für ihn deshalb nicht hinfällig. Jetzt wird es schwierig, weil ich aus seiner Sicht argumentieren müsste. Ich verstehe ihn so: da man ja nunmal nicht zurückspulen kann, ist das Zurückspulen irrelevant und Freiheit entsteht nicht an irgendeiner Rampe, sondern genau zwischen den Situationen. Mal ist man so drauf, zum Zeitpunkt t2 ist man aber wieder weiser, das Bewusstsein hat das Potential, sich zu ändern, zu reflektieren, dazu zu lernen und das macht die Freiheit aus. Oder irgendwie so. Ich selber würde ja sofort dagegen halten, dass man aber nicht frei entscheiden kann, ob und was man dazu lernt, oder ob und wie sich das Bewusstsein verändert. Aber was weiß ich schon.
Lumen hat geschrieben:Wenn dem so ist, inwiefern spielen Dennetts und auch Harris Beispiele auf Golfplätzen, oder hier Basketballwürfe eine Rolle? Denn hintereinander ausgeführte Würfe, oder Versuche können ohne Probleme jedes mal anders ausgehen, da sich die Welt fortwährend verändert selbst wenn es unmerklich scheint, die Prozesse im Gehirn und aktivierten Neuronen bei Wurf zwei und drei, selbst wenn alles gleich wäre, haben sich geändert.
Verkürzt würde ich sagen:
Harris meint: Situation ändern gilt nicht. Freiheit wäre, wenn man in exakt der gleichen Situation anders handeln könnte.
Dennett meint: Freiheit entsteht durch Änderung der Situation, zumindest durch Änderung der eigenen Hirnsituation. Freiheit ist die Möglichkeit, anderes Wissen, anderes Bewusstsein zu haben oder zu erlangen und damit eine andere Situation und andere Entscheidungen herbei zu führen.
Eigentlich mal ganz lustig, auch nur einen Satz aus Sicht eines Kompatibilisten schreiben zu wollen. AgentProvocateur oder Vollbreit können das sicher viel besser.
Lumen hat geschrieben:Schließlich ist es auch vorstellbar, dass die Welt nicht determiniert ist, beispielsweise durch Zufall (Anfang der Diskussion). Die Annahme, dass Zufall keine Eigenschaft des Universums sei, halte ich für ziemlich gewagt. Es gibt kaum gute Gründe für die Ansicht. Es könnten Bedingungen in der Welt der Elementarteilchen geben, die wir vernünftigerweise “zufällig” nennen müssten. Sie könnten sich aufheben, oder auch nicht. Ich glaube nicht, dass der derzeitige Stand dessen Wissens dafür ausreicht, eine Aussage zu machen.
Das wäre auch mein Stand der Dinge. Gut möglich, dass die Welt nicht deterministisch ist. Ich kann es mir zwar intuitiv nicht vorstellen, aber das wäre dann eine Stelle, wo mein Geist eben die Wirklichkeit vielleicht einfach nicht begreifen kann. So richtig kapiere ich nicht, was ich bisher über die Quantentheorie im Einzelnen versuchte zu lesen.
Lumen hat geschrieben:Das heißt, eine leicht unterschiedliche Welt wäre dann eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den freien Willen, oder?
Ich habe das, wie erwähnt, anders verstanden. Auch für Dennett ist eine leicht unterschiedliche Welt nicht notwendig. Auch in einer deterministischen Welt würde er bei seinem Freiheitsbegriff bleiben.