ganimed hat geschrieben:Kurz vor meiner kleinen Forumspause ging es (mir) mal eine zeitlang um Diskussionsformen. Wie kann man die Chancen darauf erhöhen, dass Diskussionen wirklich einen Gewinn abwerfen. Eine Möglichkeit schien mir damals, einen halbwegs neutralen Schidsrichter zu haben, der Form und Zielhaftigkeit der Diskussion überwacht und der Argumente und Situationen auch mal bewertet, also Punkte verteilt und ein Zwischenfazit erstellt. Auch wenn das sicher nicht wirklich fair sein kann, so scheint mir, ist die unvermeidliche Unfairness in Maßen immer noch besser, als wenn man ohne Moderation so vor sich hin diskutiert, sich ausweicht, Gegenfragen stellt ohne zu antworten, etc.
Falls es hier einen Schidsrichter gäbe, hätte er jetzt sicher Grund, einzuschreiten.
Du antwortest nicht auf meine Fragen. Du hast bisher nur süffisante Andeutungen in Form von Gegenfragen geäußert, jedoch nicht wirklich meine Argumente kritisiert, geschweige denn widerlegt.
Den Schiedsrichter kann jeder haben. Man hat ihn in sich.
Du kannst Dich fragen, ob Du versucht hast vollumfänglich Deinen Diskussionspartner zu verstehen.
Wer Diskussionen lediglich als Wettkampf auffasst, hat m.E. schon vor dem Angriff ein Eigentor geschossen, um mal im Bild zu bleiben.
Wenn Du gewinnen willst: Hey ganimed, es steht bestimmt 8:1 für Dich, voll supie. Du liegst geradezu uneinholbar vorne, Glückwunsch.
Und jetzt?
Aber ich sag Dir, wie der Dialog weitergehen sollte, wenn Du geantwortet hättest. Jetzt eben fiktiv:
V: Ist Essen gut oder schlecht?
g: Essen ist gut, sonst verhungert man ja und außerdem macht es Spaß.
V: Aber was ist mit diesem 11-Jährigen Jungen, der 140kg wiegt und kurzatmig ist, Herzprobleme hat, „Altersdiabetes“ hat, dessen Gelenke weh tun und der droht zu sterben wenn er so weiter frisst? Ist Essen wirklich immer immer immer gut?
g. Die Dosis macht das Gift, er müsste vielleicht weniger und gesünder essen und sich versuchen etwas mehr zu bewegen.
Ich weiß ja nicht, ob Du so geantwortet hättest, aber fälls Du Dich irgendwie in die Rolle von g einfühlen kannst, dann würde ich Dich zu einer Transferleistung motivieren wollen, bei der „Essen“ einfach gegen „Bequemlichkeit“ und „Zufriedenheit“ eingetauscht würde. Das war meine Verschleierungstaktik.
Ansosnten können wir gerne über den Hedonismus reden. Epikur war ein klugeer Kopf, kennst Du seine Version vom Hedonismus?
Wenn ich aus dem Nähkästchen plaudern darf, ich sehe Zufriedenheit als höchstes Gut an und wenn das eigene Über-Ich (Gewissen) milde gestimmt ist, ist man im besten Sinne selbstzufrieden, je sadistischer das Über-Ich ist, umso mehr muss man sich den Arsch aufreißen und wird zwischen Träumen eigener Grandiosität und frustrierenden Versagensgefühlen hin und hergerissen. Nix gut.
Wer ohne großes Übungsprogramm allein dadurch, dass er lebt, zufrieden ist, der hat im besten Sinne eine phantastische Kinderstube gehabt und ist dafür geliebt worden, dass er da ist und nicht nur für besondere Leistungen und ansonsten weitgehend unbeachtet geblieben. Leider ist das nicht so häufig, wie es sein sollte.
Auch denkbar, dass jemand eine tiefe Erleuchtungserfahrung hatte, danach ist alles anders und eine nie gekannte Zufriedenheit stellt sich ein.
Würdest Du in die zweite Gruppe fallen, hättest Du vermutlich noch eine gewisse Empathie, für die Schwerarbeiter des Lebens, die sich Zufriedenheit erarbeiten müssen, was, wenn die Ziele relaistisch sind, kein Makel ist, nur etwas anstrengender, als die anderen Varianten.
Vielleicht fällst Du aber ganz einfach in die erste Gruppe, dann, mein aufrichtiger Glückwunsch. Du bist dann schnell zufrieden und genügst Dir selbst, in einem guten Sinn.
Das würde mich freuen.
Die Alternative wäre, dass Du Dir etwas vormachst, aber das hängt davon ab, wie Deine Mitwelt auf Dich reagiert. Das ist aber privat und gehört m.E. eher nicht in ein öffentliches Forum und wird ohnehin immer verzerrt dargestellt.
Deinen Diskussionsstil finde ich umständlich. Aber es kann einfach sein, dass er nicht zu meinem passt, mir ist vollkommen klar, dass ich da auch polarisiere. Wenn ich weiß, worum es geht, setzte ich manchmal zu viel voraus, wenn ich nicht weiß, worum es geht, schreibe ich eher tastend und bin da mehr assoziativ als logisch zielgerichtet unterwegs, was manche meiner Diskussionspartner lieben, während es für andere eine Zumutung ist.
Was mir bei Dir fehlt, ist das Signal, dass ein Erkenntnisfortschritt da ist. Vermutlich ist der da, nur sehe ich ihn nicht. Ich mache dann mit Dir, regelmäßig, die für mich frustrierende Erfahrung, dass wir über Begriffe diskutieren, die m.E. schon 20 mal diskutiert wurden, aber für Dich mag das eine Art der Gründlichkeit sein, keine Ahnung. Wie erlebst Du das denn?
Aber ich will dennoch versuchen in Deinem Sinne zu diskutieren:
ganimed hat geschrieben: [ich behaupte,] dass eine persönliche "Verbesserung" aus diesen zwei Hauptgründen eine Illusion ist:
- der Impuls für jede Änderung des eigenen Verhaltens entsteht durch eine Veränderung der Eingangsimpulse, die ohnehin schon immer agieren und aktiv sind und sich dauernd verändern.
Nicht nur.
Es geht ja auch darum, inwieweit man bereit ist, aktiv diesen Impulsen nachzugehen. Für mich ist Leben kein passives Spiel, bei dem man zuschaut, was so mit einem geschieht und auf einmal „beobachtet“ man an sich: „Huch, mein Gehirn hat sich wohl gerade entschlossen Architektur zu studieren. Erstaunlich.“ Neben der Geschmacksfrage der Bewertung kommt damit eine Homunkulusproblematik ins Spiel, die schwer aufzulösen ist, worauf Dich Agent glaube ich hingewiesen hat und da ihr reibungsfreier kommuniziert, würde ich Dich bitten, das mit ihm zu bereden.
ganimed hat geschrieben:Vorher hat man die Eingangsimpulsmenge ABC und hat sich entsprechend verhalten, danach hat man möglicherweise die Eingangsimpulsmenge DEF und verhält sich entsprechend. Es ist völlig unpassend zu sagen, man hätte sein Verhalten "verbessert".
Ich finde das überhaupt nicht unpassend.
Vollkommen richtig liegst Du m.E. mit der Auffassung, dass man immer „unschuldig“ auf die Welt kommt und allerlei Blödsinn macht, den man in dem Moment, wo man ihn macht, nicht so richtig einschätzen kann. Keiner ist frei davon. Reflektiert man das Jahre später, ist das für manche peinlich und es entsteht hier und da ein Wunsch nach Wiedergutmachung. Dass man früher nicht einen so umfassenden Blick hatte, ist nicht zu ändern, aber aus der Perspektive von heute, wenn man diesen Blick ggf. hat (den aber nicht jeder hat) erscheint mir das klar als eine Verbesserung, auch wenn ich „mein früheres Ich“ dafür nicht verdammen würde.
ganimed hat geschrieben:Das Verhalten ist immer schon sehr gut auf die Motivator-Menge angepasst. Man hat keinen Fehler gemacht, als man sich gemäß ABC verhalten hat. Es gibt daher nichts zu "verbessern".
Ich weiß nicht wie emotionslos das bei Dir abläuft. So, rein technisch, wie Du es darstellst, ist das zwar richtig, aber m.E. ist der Mensch einfach keine Rechenmaschine, die es bei einem einfachen „würde ich heute anders machen“ belässt. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass Dein Leben so perfekt verlief, dass Du nirgendwo einen Anlass siehst Reue, Schuld, Bedauern, den Wunsch nach Wiedergutmachung zu spüren, aber ich bin psychologisch genug geschult um zu wissen, dass es Menschen gibt, die diese Empfiindungen nicht haben. Das ist für mich aber wieder privat und geht mich nichts an. Ich schreibe es hier nur, um meine Gedanken zu illustrieren, damit Du mir folgen kannst, so Du es möchtest.
Rein argumentativ ist das für mich also unterkomplex, weil es entscheidende Aspekte des Menschseins ausklammert und der 10% Ansatz richtet sich ja an den Einzelnen, nicht an eine Gesellschaft oder Erfindung oder den Zeitgeist.
ganimed hat geschrieben:- der Begriff "Verbesserung" leitet sich, soweit ich verstehe, von der Illusion ab, dass das eigene Verhalten deshalb besser sei, weil es zu einer besseren Welt beiträgt.
Ich finde den wertenden Begriff Illusion hier vorschnell. Deine These, dass ein einzelner an der Welt nichts ändern kann, wird doch eigentlich durch jeden bahnbrehenden Erfinder, herausragenden Denker, mitreißenden Revolutionär widerlegt. Und auch im kleineren Rahmen verändern einzelne Menschen die Welt. Ich stimme Dir da nicht zu, weil ich Deine Prämisse schlicht für falsch halte, damit rechne ich dann auch nicht weiter.
Der Ansatz versucht übrigens einen Kompromiss zu finden zwischen Individualentscheidung und kollektiver Bewegung.
ganimed hat geschrieben:Diese Wirkungsrichtung halte ich für eine Illusion.
Und irrst Dich damit. Gezeichnet: Einstein, Gates, Kant, Castro, Archimedes, Descartes, Watt... plus 500 andere. Besonders zu erwähnen Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, dem Du Dein Leben verdankst, auch wenn Du ihn möglicherweise gar nicht kennst.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaw ... sch_Petrow ganimed hat geschrieben:Die Welt stellt die Quelle für unsere Eingangsimpulse dar. Wenn überhaupt, ändert sozusagen die Welt unser Verhalten durch Änderung der Eingangsimpulse.
Grenzwertige Formulierung, da „die Welt“ nichts tut (hatten wir eigentlich besprochen, Du stimmtest zu und hast revidiert, nur um hier hinter die einmal gewonnene Erkenntnis – oder war es dan doch keine? – zurückzufallen). Zweiter Fehler. Die Prämisse des rein passiven Spiels ist m.E. falsch. Eine Denkleistung, eine Reflexion ist ein aktiver Vorgang, der passiert Dir nicht einfach. Wenn einem Denken einfach passiert, dann handelt es sich dabei um präreflexive Menschen. Wem Reflexuionsleistungen zru zweiten Naturgeworden sind, der spielt ein anderes als da konventionelle Spiel.
Ob Du nun ein rein moralisch konventionelles „Ich folge ganz einfach dem Strom, das ist so schön bequem“, gut findest (wenn es um Dich geht wohl schon) oder nicht so gut (wenn es umhomophobe Ägypter geht wohl nicht), da bist Du recht inkonsistent unterwegs und es ist an Dir zu klären, ob Du für andere gelten lassen möchtest, was Du für Dich in Anspruch nimmst. Und glaub mir: Auch Menschenverachtung kann sich „gut“ anfühlen, wenn man der Verachtende ist. Blöd sieht es nur für den Verachteten aus, aber wenn Du lapidar gelten lässt, heute ist heute und gestern war gestern und wenn ich heute anders handeln könnte/wollte würde ich es wohl tun, dann gilt das eben für alle, auch für Selbstmordattentäter, Folterknechte und Sadisten. Warum sollten die sich ändern, wenn die Bequemlichkeit in der ganimed Variante das erste und letzte Wort hat?
Erklär das mal bitte.
ganimed hat geschrieben:Wir reagieren auf die sich ändernde Welt und ändern uns dabei. Diese Änderungen sind so vielfältig und komplex, dass von einer Zielgerichtetheit oder auch nur einer Richtung keine Rede sein kann. In diesem kausalen Getümmel eine Verbesserung zu erkennen, ist eine naive Illusion.
Ich weiß es nicht, wie kommst
Dudenn in diesem Getümmel zu der Auffasung, dass die Welt sich durchaus verbessert hat. Wieso beanspruchst Du über Fähigkeiten zu verfügen, die Du gleichzeitig anderen absprichst?