Dr Fraggles hat geschrieben:Der Freiheitsbegriff des Kompatibilisten besagt nur soviel: es gibt Formen des Determiniertseins welche als Zwang bezeichnet werden und es gibt Formen des Determiniertseins welche als frei bezeichnet werden. D.h. die Scheidelinie verläuft nicht wie beim Indeterminismus zwischen determiniert und nicht-determiniert, sondern zwischen Zwang und nicht-Zwang. Das was nicht unter Zwang geschieht wird als durch den freien Willen verursacht bezeichnet.
Dr Fraggles hat geschrieben:Es spielt aber eine verdammt grosse Rolle ob ich durch K1 oder K3 eine Handlung ausführe (wobei K3 für mich nur Sinn macht wie ich's oben expliziert habe, also als etwas was mir eine Handlung von innen oder aussen aufzwingt).
Dr Fraggles hat geschrieben:Selbst im Strafrecht wird solches berücksichtigt: ob ich in trunkenem Zustand oder nüchtern etwas tue, spielt in der Gewichtung einer Tat eine Rolle. Ebenso ob ich durch eine Kleptomanie zum Diebstahl verleitet wurde oder nicht.
ujmp hat geschrieben:ganimed hat geschrieben:Wieso ist es wichtig, wodurch eine Entscheidung determiniert wird? Ob durch K1 oder K3, spielt doch keine Rolle. Oder? Wichtig ist doch nur, dass die Entscheidung determiniert wird. Im Grunde fehlt jetzt bei Moore doch also genau das, was ich von Vollbreit auch nicht bekomme: eine Antwort, wieso er "nicht von K3 determiniert" mit "frei" gleichsetzt.
Wenn die Entscheidung von K2 abhängt, dann weil diese Entscheidung frei gegenüber K3 und außerdem frei gegenüber K4, K5,...,Kn ist. Wenn n gegen unendlich geht, geht die Abhängigkeit von K2 relativ gegen null. K1 aber ist der Wille. Wenn du Willensfreiheit möchtest, möchtest du nichts anderes, als dass dein Wille dein Handeln determiniert - und das kann der Wille. Er ist nicht immer frei, aber er kann frei sein und unter für ihn günstigen Bedingungen ist er es auch.
Vollbreit hat geschrieben:Was verstehst Du unter der Werthaftigkeit des freien Willens? Kann ich mir momentan nichts drunter vorstellen.Dr Fraggles hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Man weiß ja, als Entscheidender/Urteilender nicht, wie die eigene Entscheidung, die man in der abwägenden Entscheidungsfindung eben erst noch finden musst, ausfallen wird, dazu bräuchte man eine göttliche oder allumfassende Perspektive, die man nicht hat.
Man urteilt/entscheidet also aus der Warte der stets vorläufigen Perpektive, zu der man in der Lage ist.
Richtig, nur liesse sich diese Feststellung bestens auch als etwas anführen was, wenn auch nicht direkt gegen den freien Willen, so doch gegen dessen Werthaftigkeit spricht.
Weil?Dr Fraggles hat geschrieben:Aber faktisch Wissen wir jeweils recht gut wie wir entscheiden (zumindest in welcher Bandbreite der Optionen). Je disparater die nicht antizipierten Entscheidungsmöglichkeiten wären, desto absurder auch ein freier Wille.
Nein, die Behauptung ist, dass eine Unkenntnis des Ganzen, bei einer Kenntnis von Teilen, es uns ermöglicht frei, gemäß dessen, was wir aktuell für richtig, wahr und gut halten, abwägend und rartional zu entscheiden.Dr Fraggles hat geschrieben:Du willst aber nicht ernsthaft behaupten, dass ein epistemischer Indeterminismus einen ontologischen impliziert?!Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du sagst: ist doch eh alles determiniert, dann heisst das immer auch. Man weiss ja doch schon wie es enden wird. Wer weiss das? Ich nicht. Du? Gott?
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.Dr Fraggles hat geschrieben:Wittgenstein meinte der epistemische Indeterminismus genüge um einen freien Willen behaupten zu können. Aber das ist Humbug. Keiner (einer findet sich immer) würde auf Grund der blossen nicht Vorhersehbarkeit eines (z.B. deterministisch chaotischen) Geschehens demselben einen freien Willen unterstellen.
[/quote]Ich bin Kompatibilist.Dr Fraggles hat geschrieben:Übrigens: argumentierst du für einen indeterministischen freien Willen (kommt mir so vor, auch wenn ich nicht alles genau gelesen habe) oder vertrittst du einen Kompatibilismus (das eine schliesst ja das andere aus)?
stine hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:„Ich habe Hunger.“ ist kein Unterschied zu „Ich weiß, dass ich Hunger habe.“ Dieses „Ich
weiß“ stellt nur eine leere Verdoppelung dar. Wenn Du sagst: „Ich habe Hunger und will was essen.“, so ist damit alles gesagt.
Wenn Du nun langatmige Nebensätze einfügst „... aber ich weiß, dass mein Hunger eigentlich auf eine Reaktion der Glukoserezeptoren zurückzuführen ist und mein Wollen ja eigentlich kausal davon abhängt, dass diese Rezeptoren irgendwo mein Hungerareal triggern“, dann zeigt das, dass Du biologisch informiert bist, aber was ändert es an Deinem Wollen? Was damit nur immer wieder gezeigt wird, ist, dass es Kausalketten gibt, aber das bestreitet ja niemand.
Nettes Beispiel weil es zeigt, dass man nach der Feststellung des Hungergefühls frei entscheiden kann, etwas zu essen, eine ganz bestimmte Mahlzeit einzunehmen oder noch abzuwarten, bis der Körper seine Reserven angreift. Also wenn das kein freier Wille ist?
LG stine
Vollbreit hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, das verstehst du falsch. Der Kompatibilist setzt den Determinismus voraus (wohl weil zu viel gegen den Indeterminismus spricht), behauptet aber, dass seine Definition von Freiheit damit vereinbar ist. Der Freiheitsbegriff des Kompatibilisten ist nicht derselbe wie der des Indeterministen! Das muss man schon klar sehen, ansonsten man mit Notwendigkeit bei Widersprüchen endet. Ich frage mich ob Vollbreit das verstanden hat...
Ist mir vollkommen klar, weswegen ich mit fast so ausdauernder Hartnäckigkeit wie AgentProvocateur immer und immer und immer und immer und immer wieder frage, bitte, flehe, drohe und hoffe eine Definition von Freiheit von einem Inkompatibilisten zu erhalten.
Ausnahmslos alle Diskussionen über den freien Willen, in denen der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten kritisiert wird, scheiterten letztlich daran, dass kein alternativer Freiheitsbegriff von Seiten der Kritiker vorgelegt wurde.
Hast Du einen parat?
Da ich selbst mal ein Inkompatibilist – wenn auch der pro Willensfreiheit Fraktion - war, kenne ich die Probleme. Intuitiv widerstrebt einem der etwas dröge Freiheitsbegriff der Kompatibilisten. Nimmt man sich dann mal vor wirklich ernst zu machen und zu bestimmen was eigentlich fehlt, läuft es meistens – eigentlich immer, so auch bei mir – auf die Zutaten Zufall und/oder Willkür hinaus.
So weit, so gut. Nur, warum genau nun der Zufall oder die Willkür die Freiheit vergrößern, konnte ich nicht erklären.
stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal.
Es scheint den Umfragen zufolge ja so zu sein, dass Erfolgreiche ihren Erfolg gerne auf ihr Zutun zurückführen während Erfolglose gerne auf ihr Schicksal verweisen. Vermutlich ist der freie Wille eine Sache des Engagements.
LG stine
Dr Fraggles hat geschrieben:
Sehr spezielle Wortwahl(en). "Frei gegenüber", heisst in Klartext, dass K2 (meinst du nicht K1?) im Vergleich mit K1 (resp. K2) die stärkere Determinante ist in der gegebenen Situation.
Was du mit Abhängigkeit gegen Null sagen willst, ist mir nicht ganz klar: dass eine Determinante die stärker als alle anderen ist sich (fast) immer "durchsetzen" wird? Wenn du das meinst, ja, aber das ist trivial, oder?
Dr Fraggles hat geschrieben:stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal.
Argumente oder anschauliche Beispiele bitte.
Dr Fraggles hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Was verstehst Du unter der Werthaftigkeit des freien Willens? Kann ich mir momentan nichts drunter vorstellen.
Dass man (oder besser: die Vernunft) in gewisser Hinsicht (so wie Dinge nun mal liegen, also von mir aus nur eine bedingte Werthaftigkeit) eine echte Willensfreiheit von Nöten hätte um Geschehnisse welche unser Handeln (aber auch Wünsche) betreffen in Einklang zu bringen: wenn ich bestraft werde (oder gelobt...wobei man das noch eher in Kauf nimmt), dann weil ich tatsächlich anders hätte handeln können. Wenn ich den Sinnanspruch habe tatsächlich mein Leben lenken zu können, und nicht nur die Illusion, dann setzt das einen echten freien Willen voraus. Diese Aspekte werden vom Kompatibilisten schlicht als nicht existent behandelt und darin liegt seine Verlogenheit (auch wenn's hart klingt). Oder aber der Kompatibilist ist das geborene (oder gewordene) Als-ob Individuum. Oder er ist bekennender Nihilist.
Finde ich eher nicht witzlos, sondern richtig. Die menschlichen Möglichkeiten umfassen genau dieses Spektrum, von mörderisch bis heiligmäßig.Dr Fraggles hat geschrieben:Weil?Dr Fraggles hat geschrieben:Aber faktisch Wissen wir jeweils recht gut wie wir entscheiden (zumindest in welcher Bandbreite der Optionen). Je disparater die nicht antizipierten Entscheidungsmöglichkeiten wären, desto absurder auch ein freier Wille.
Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligm Handeln.
Ich eliminiere das Ich nicht und habe auch nicht den Eindruck, dass der Kompatibilismus dies erzwingt.Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.
Nein, ich bin kein Primärquellenfetischist. Gerade Wittgenstein ist im Original oft kaum zu ertragen.Dr Fraggles hat geschrieben:M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.
Hm, das habe ich vor etlicher Zeit so gelesen. Ob ich die Quelle noch finden kann? Werde schauen...ich denke es war allerdings aus Sekundärliteratur, womit es wohl in deinen Augen schon mal desavouriert sein dürfte (und wohl nicht ganz zu unrecht).
Dr Fraggles hat geschrieben:Mein Vorwurf an den Kompatibilismus habe ich KLARSTENS formuliert: dass die Bedürfnisse des Menschen mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht gedeckt werden (und schlimmstenfalls so getan wird als sei dies nicht so).
Okay, aber was?Dr Fraggles hat geschrieben:Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, ...
Ich habe mich nicht darauf fixiert, wenn Du mir zweigen kannst , wie oder durch was Zufalle oder Willkür die Freiheit vergößern, ich das verstehe und überzuegend finde, dann sattle ich auch wieder um.Dr Fraggles hat geschrieben:So weit, so gut. Nur, warum genau nun der Zufall oder die Willkür die Freiheit vergrößern, konnte ich nicht erklären.
Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist).
Ich finde, die Zahl der Optionen spielt kein größere Rollen, ob ich zwischen 2 oder 200.000 potentiellen Alternativen wählen kann, am Ende bleibt, dass Ich mich entscheide und dazu begründet stehen kann.Dr Fraggles hat geschrieben:Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Nein, mich interessiert einfach nur die Kritik. Wenn Du sagst, der Kompatibilismus würde Deiner Meinung nach dem menschlichen Bedürfnis nach Freiheit (darunter versteh ich: Das was ein Mensch meint, wenn er von Freiheit spricht) nicht gerecht, dann finde ich diese Kritik gravierend, gerade weil ich – wie Du vermutlich auch, glaube ich herauszulesen – den Menschen nicht für eine Rechenmaschine mit Ohren halte, die über ein paar basale Algorithmen zu erfassen ist.Dr Fraggles hat geschrieben:Dein Problem ist, dass du bei Argumenten welche die Begrenztheit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes thematisieren, offenbar willkürlich-instnktiv (welche Ironie!) Indeterminismus heraus hörst und ebenso willkürlich (aber immerhin folgerichtig) dein Zufalls-Argument herunterleierst.
Vollbreit hat geschrieben:M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.Dr Fraggles hat geschrieben:Wittgenstein meinte der epistemische Indeterminismus genüge um einen freien Willen behaupten zu können. Aber das ist Humbug. Keiner (einer findet sich immer) würde auf Grund der blossen nicht Vorhersehbarkeit eines (z.B. deterministisch chaotischen) Geschehens demselben einen freien Willen unterstellen.
ganimed hat geschrieben:Ich hatte gestern Abend vor dem Einschlafen noch ein kleines Heureka. Was der qualitative Unterschied von K1/K2 und K3 für Moore wohl sein könnte. Deine wieder einmal sehr hilfreichen und vor allem präzisen Ausführungen vertiefen das jetzt noch. Donnerwetter nochmal, ich glaube wirklich, in meinem verhärteten Schädel hat sich die letzten beiden Tage für mein Verständnis des Kompatibilismus mehr getan als vorher in Wochen und Monaten der sonstigen Diskussion hier. Vielen Dank Dr. Fraggles für diese mirakulösen Eye-Opener.
Na ja, alle meine Fragen an das Universum sind also noch nicht gelöst :) Ich verstehe nicht, woraus die verdammt grosse Rolle besteht, die es für dich spielt, ob K1 oder K3 die Handlung determinieren.
Ich bleibe mal im Beispiel und füge ein paar Details hinzu: Auf dem Tisch vor mir ist ein Glas Orangensaft und ein Glas Tomatensaft. Es geht um die Entscheidung, was von beiden ich trinke.
Fall 1: Der kausale Faktor K1 determiniert mein Verhalten. K1 sei einfach mal, dass meine Geschmackserwartungsneuronen, welche mehr für "fruchtig" sind, mehr feuern und sich auf neuronaler Ebene ein Muster ergibt, dass "auf jeden Fall O-Saft" signalisiert. Diese unbewusste "Abstimmung" gelangt in mein Bewusstsein als ein nicht näher beleuchtetes : hm, O-Saft, lecker. Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Fall 2: Der kausale Faktor K3 determiniert mein Verhalten. K3 sei einfach mal, dass ich bei näherem Betrachten der Gläser sehe, dass das Tomatensaft-Glas oben vollständig versiegelt ist (dämliche Idee, aber ich hoffe, es passt inhaltlich trotzdem). Es ist also eine Art Trick-Glas, welches meinetwegen Zauberer gerne benutzen. K3 ist also das Erkennen, dass ich diesen Tomatensaft nicht trinken kann (nicht ohne beträchtlichen Aufwand beim Entfernen des fest verschweißten Deckels). Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Was ist denn nun der große Unterschied zwischen diesen beiden Fällen?
Subjektive Betrachtung: Ich glaube, in Fall 2 wird die Illusion, dass ich mich frei entscheiden kann, zerstört. Mir wird bewusst, dass ich hier nicht frei entscheiden kann. Ich erlebe einen Zwang. Ich spreche infolge dessen vielleicht auch von "mir blieb ja nichts anderes übrig, ich musste den O-Saft trinken".
Objektive Betrachtung: Im ersten Fall kommt es durch unbewusste, neuronale Vorgänge zu einer Entscheidung. Im zweiten Fall auch. In beiden Fällen war die erfolgte Entscheidung unausweichlich und alternativlos. Ich kann mich nicht für Tomatensaft entscheiden, wenn das dafür notwendige neuronale Muster nicht erzeugt wird (ich fasele da etwas nebulös Begriffe von Wolf Singer nach, eigentlich habe ich keine Ahnung, wie das genau abläuft, aber die Folgerung daraus sollte stimmen). Das ist vollständig unmöglich. Und mehr als vollständig unmöglich ist es auch im zweiten Fall nicht, wenn ich hauptsächlich bewusst mir kurz vorstelle, wie schwierig es wäre, den Deckel zu entfernen und ich relativ schnell die einzig verbleibende Alternative wähle.
Objektiv betrachtet erscheint mir also der Unterschied zwischen den beiden Fällen sehr gering. Das Ergebnis ist das gleiche, beide Entscheidungen dürften recht schnell erfolgen, recht klar sein und beide sind sehr unabänderlich. Subjektiv erlebe ich beide Entscheidungsvorgänge sehr unterschiedlich. Der Gedanke in Fall 1 "ich war frei in der Entscheidung, weil ich hätte ja auch Tomatensaft trinken können, wenn ich nur gewollt hätte" ist eine falsche Illusion. Es fällt mir leicht, mir die alternative Entscheidung vorzustellen, ja vielleicht habe ich vorgestern sogar wirklich einmal Tomatensaft getrunken. In Wirklichkeit war die Entscheidung für Tomatensaft 100% unmöglich. Diese Wirklichkeit, die auch in Fall 2 gilt, sieht man dort viel eher ein und so kommt gar nicht erst die Illusion von Fall 1 auf.
Was meinst du nun mit dem großen Unterschied zwischen K1 und K3? Geht das in die Richtung: großer Unterschied im subjektiven Erleben? Oder willst du darauf hinaus, dass da objektiv auch ein Unterschied besteht?
Dr Fraggles hat geschrieben:Selbst im Strafrecht wird solches berücksichtigt: ob ich in trunkenem Zustand oder nüchtern etwas tue, spielt in der Gewichtung einer Tat eine Rolle. Ebenso ob ich durch eine Kleptomanie zum Diebstahl verleitet wurde oder nicht.
Wenn ich mich nüchtern für etwas entscheide, dann aufgrund von neuronalen Vorgängen, die nicht beeinflussbar sind. Wenn ich trunken bin, sind einige der Neuronen vorübergehend außer Betrieb und es mögen ganz andere Entscheidung getroffen werden, aber es finden nach wie vor neuronale Vorgänge statt, die nicht beeinflussbar sind. Auch hier scheint mir der subjektiv erlebte Unterschied nur eine Illusion. Einmal war ich nüchtern, ich selber und hellwach, mein Gedächtnis hat einige Details des Vorgangs gespeichert. In trunkenem Zustand war ich wie benebelt, erinnere mich auch an nichts mehr, meine Entscheidungen kommen mir fremd und dumm vor. Und doch, in beiden Fällen hat das Gehirn (so gut es eben ging) neuronal was veranstaltet und eine determinierte Entscheidung getroffen, in beiden Fällen war es mein Gehirn, in beiden Fällen war also ich der Entscheider. Wieso sollte man vor Gericht einen Unterschied gelten lassen?
Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschied in meinem Erleben, wenn ich einmal sehr fröhlich und optimistisch bin und etwas entscheide und ein andernmal eher traurig, widerwillig und zögerlich entscheide. Den Richter möchte ich mal sehen, der diese Unterschiede strafrechtlich relevant findet.
ujmp hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:
Sehr spezielle Wortwahl(en). "Frei gegenüber", heisst in Klartext, dass K2 (meinst du nicht K1?) im Vergleich mit K1 (resp. K2) die stärkere Determinante ist in der gegebenen Situation.
Was du mit Abhängigkeit gegen Null sagen willst, ist mir nicht ganz klar: dass eine Determinante die stärker als alle anderen ist sich (fast) immer "durchsetzen" wird? Wenn du das meinst, ja, aber das ist trivial, oder?
Ich rede rein physikalisch. Und ich finde auch, dass "Determination" ein rein physikalischer Begriff ist.
Was bewirkt es in deinem Gehirn, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Nix. Richtig! Dein Gehirn und der Sack sind autonome Prozesse. Auch Sack2, Sack3, ..., SackN, tangieren dich nicht. Die Säcke in China und dein Gehirn hängen von einigen Prozessen gemeinsam ab, z.B. von der Bewegung der Erde durch den Weltraum, aber sie sind gegenseitig unabhängig. Also: Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken. Man kann dazu auch als Analogie ein Trägheitssysstem betrachten: Wenn du in einem Zug, der mit 150kmh fährt, durch den Gang läufst, verhalten sich deine Beine genau so, als wenn du auf dem Bahnsteig läufst, - und dein Wille funktioniert in diesem Sinne natürlich auch autonom, also autonom gegenüber dem Zug.
Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf.
stine hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal.
Argumente oder anschauliche Beispiele bitte.
@ujmp hat das soeben sehr schön erklärt. Deswegen nochmal:
Zitat ujmp: "Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken (...) Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf."
Heißt im Klartext: Auch du, Dr. Fraggles, kannst in deinem Leben einige Dinge selbstbestimmt regeln!
LG stine
Vollbreit hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Dass man (oder besser: die Vernunft) in gewisser Hinsicht (so wie Dinge nun mal liegen, also von mir aus nur eine bedingte Werthaftigkeit) eine echte Willensfreiheit von Nöten hätte um Geschehnisse welche unser Handeln (aber auch Wünsche) betreffen in Einklang zu bringen: wenn ich bestraft werde (oder gelobt...wobei man das noch eher in Kauf nimmt), dann weil ich tatsächlich anders hätte handeln können. Wenn ich den Sinnanspruch habe tatsächlich mein Leben lenken zu können, und nicht nur die Illusion, dann setzt das einen echten freien Willen voraus. Diese Aspekte werden vom Kompatibilisten schlicht als nicht existent behandelt und darin liegt seine Verlogenheit (auch wenn's hart klingt). Oder aber der Kompatibilist ist das geborene (oder gewordene) Als-ob Individuum. Oder er ist bekennender Nihilist.
Nein, da irrst Du Dich, auch wenn dieser Irrtum verständlich ist.
Dir kommt es so vor, als lebte man in der Illusion eine Wahl zu haben, die man tatsächlich aber nicht hat und das ist nicht richtig.
Damit kritisiert Du den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als unzureichend und müsstest ebenfalls eine erweiterte Definition anbieten.
Tatsächlich ist der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten belastbar und umfassender als man zuerst meint.
Finde ich eher nicht witzlos, sondern richtig. Die menschlichen Möglichkeiten umfassen genau dieses Spektrum, von mörderisch bis heiligmäßig.Dr Fraggles hat geschrieben:Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligm Handeln.
Ich eliminiere das Ich nicht und habe auch nicht den Eindruck, dass der Kompatibilismus dies erzwingt.Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.
Nein, ich bin kein Primärquellenfetischist. Gerade Wittgenstein ist im Original oft kaum zu ertragen.Dr Fraggles hat geschrieben:Hm, das habe ich vor etlicher Zeit so gelesen. Ob ich die Quelle noch finden kann? Werde schauen...ich denke es war allerdings aus Sekundärliteratur, womit es wohl in deinen Augen schon mal desavouriert sein dürfte (und wohl nicht ganz zu unrecht).
Vollbreit hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Mein Vorwurf an den Kompatibilismus habe ich KLARSTENS formuliert: dass die Bedürfnisse des Menschen mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht gedeckt werden (und schlimmstenfalls so getan wird als sei dies nicht so).
Ich finde, dass ein technischer Freiheitsbegriff nicht unbedingt ein emotionales Wohlgefühl auslösen muss.
Aber darüber hinaus glaube ich nicht, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff unzureichend ist, sondern, wenn man – nach einem zugestandenen ersten Unbehagen – der Sache mal nachgeht, dieser Freiheitsbegriff vollkommen hinreichend ist.
Okay, aber was?Dr Fraggles hat geschrieben:Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, ...
Ich habe mich nicht darauf fixiert, wenn Du mir zweigen kannst , wie oder durch was Zufalle oder Willkür die Freiheit vergößern, ich das verstehe und überzuegend finde, dann sattle ich auch wieder um.Dr Fraggles hat geschrieben:Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist).
Ich finde, die Zahl der Optionen spielt kein größere Rollen, ob ich zwischen 2 oder 200.000 potentiellen Alternativen wählen kann, am Ende bleibt, dass Ich mich entscheide und dazu begründet stehen kann.Dr Fraggles hat geschrieben:Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Nein, mich interessiert einfach nur die Kritik. Wenn Du sagst, der Kompatibilismus würde Deiner Meinung nach dem menschlichen Bedürfnis nach Freiheit (darunter versteh ich: Das was ein Mensch meint, wenn er von Freiheit spricht) nicht gerecht, dann finde ich diese Kritik gravierend, gerade weil ich – wie Du vermutlich auch, glaube ich herauszulesen – den Menschen nicht für eine Rechenmaschine mit Ohren halte, die über ein paar basale Algorithmen zu erfassen ist.Dr Fraggles hat geschrieben:Dein Problem ist, dass du bei Argumenten welche die Begrenztheit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes thematisieren, offenbar willkürlich-instnktiv (welche Ironie!) Indeterminismus heraus hörst und ebenso willkürlich (aber immerhin folgerichtig) dein Zufalls-Argument herunterleierst.
Ich möchte diese Kritik nur verstehen und mir ist bisher klar, dass Du meinst, dass etwas durchaus Wesentliches fehlt, nicht verstanden haben ich, was dieses Wesentliche sein soll.
Dr Fraggles hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.
- G. Keil "Willensfreiheit": (S.74) "Der epistemische Indeterminismus argumentiert weiter, dass die Nichtvorhersagbarkeit der jeweils eigenen Entscheidungen eine notwendige Bedingung der Willensfreiheit ist. Für Wittgenstein ist die Bedingung sogar hinreichend: Willensfreiheit besteht darin. Weitere Vertreter des epistemischen Indeterminismus neben MacKay und Wittgenstein sind Max Planck, Moore sowie in jüngerer Zeit Habermas und Bettina Walde."
- Wittgenstein "Tractatus logico-philosophicus": (Satz 5.1362) "Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können."
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