von Vollbreit » So 9. Dez 2012, 12:17
Es ist immer wieder eine etwas müßige Diskussion, wie denn nun die Fakten sind und wie sie zu bewerten seien. Was dem einen als Tatsachenfeststellung erscheint, über die jedes weitere Wort zuviel und jede Diskussion nur den Sinn einer Vernebelung haben kann, sehen andere erst den eigentlichen Beginn einer Diskussion.
Dabei ist es immer wieder schwer die Grenzen zwischen Fakten, zulässigen Interpretationen und Spekulationen zu ziehen und zu finden. Da jeder das anders bewertet und jenseits der Feststellung „Da ist ein Baum“, die Dinge mitunter schwierig werden können mal aufzeigen, was für mich eine gelungene Beschreibung einer Annäherung ist, die sensibel bei dem bleibt, was belegt werden kann – und Spekulationen gegenüber skeptisch eingestellt ist und diese Beschreibung der Ansprüche (denen der Autor nebenbei zu genügen versteht) sozusagen als Idealtypus des Gelungenen hinstellen und parallel dazu eine Beschreibung des zutiefst Misslungenen anfügen.
Auf wenn der Gegenstand bei dem Beispiel 2 allgemein gehalten ist und der Forschungsgenstand bei 1 speziell (Kafka), so wird glaube ich doch aus den Texten heraus erkennbar, was gemeint ist. Besonders die beschriebene tiefe Ambivalenz zwischen Künstler/Autor und „echtem Leben“ ist ein hoch interessanter Punkt.
„Kafka lehrt Bescheidenheit. Wer sich an ihm versucht, muss damit rechnen, zu versagen. Zahllos die einschlägigen sekundären Texte, in denen das Gefälle zwischen den Ausführungen des Autors und den eingestreuten Kafka-Zitaten derart steril ist, dass dem Leser heiß und kalt wird. Noch die besten synthetischen Leistungen – man denke an Elias Canettis Großessay – DER ANDERE PROZESS – enthalten Passagen, deren sprachliche und sachlichen Differenziertheit hinter derjenigen Kafkas deutlich zurückbleibt. Das ist unvermeidlich, und erst recht der Biograph muss sich darüber im Klaren sein, dass er in eine Konkurrenz eintritt, die er nicht gewinnen kann.
Doch ebenso wenig kann er ihr ausweichen. Vom Biographen eines Klaviervirtuosen wird man nicht verlangen, dass er das absolute Gehör hat, noch vom Biographen eines Abenteurers, dass er die Segelprüfung besteht. Der Biograph eines Philosophen aber sollte denken und der Biograph eines Schriftstellers schreiben können. Das ist trivial, in seinen hermeneutischen Folgen jedoch durchaus einschüchternd. Kafka hat in beispiellos eigensinniger und zugleich perfekter Weise die Sprache zum Medium der Selbstentfaltung gemacht. Dem Biographen aber bleibt gar nichts anderes übrig, als genau dieselben Werkzeuge in die Hand zu nehmen, sich genau desselben Mediums zu bedienen um von jener Selbstentfaltung zu erzählen.
Damit allerdings begibt er sich auf einen Platz, der besetzt ist – und zwar dauerhaft. Denn Kafka schläft niemals. Ihm unterlaufen keine Phrasen, keine semantischen Unreinheiten, keine schwachen Metaphern – auch dann nicht, wenn er im Sand liegt und Ansichtskarten schreibt. Seine Sprache ‚fließt‘ nicht aus sich selbst, noch tritt sie jemals über die Ufer; sie wird beherrscht, wie ein glühendes Skalpell, das durch Stein dringt. Kafka übersieht nichts, vergisst nichts. Von den Zuständen der Geistesabwesenheit und Langeweile, die er immer wieder beklagt, ist wenig zu spüren, im Gegenteil: Fast schmerzlich berührt diese unablässige geistige Präsenz, denn sie macht ihn unzugänglich. Einer muss wachen. Die anderen aber lässt er zurück, einen nach dem anderen. Er findet nicht mehr nach Hause, wird welt- und menschenfremd, und dies auch in einem durchaus profanen, komischen Sinn.
In seinem Roman DAS WAHRE LEBEN DES SEBASTIAN KNIGHT – der von der Unmöglichkeit der adäquaten Biographie handelt – hat Nabokov dieses Leiden aus einer gewissermaßen tieferen Schlaflosigkeit aus der Innenperspektive formuliert: „Ein hungriger Mann, der seinen Braten verzehrt, interessiert sich für sein Essen und nicht für die Erinnerung an einen sieben Jahre zurückliegenden Traum von Engeln mit Zylinderhüten; bei mir jedoch standen alle Klappen und Verschlüsse und Türen des Geistes den ganzen Tag über gleichzeitig offen. Bei den meisten Menschen hat das Bewusstsein seine Sonntage – meinem war kein halber Feiertag vergönnt. Dieser ständige Wachzustand war nicht nur an sich, sondern auch in seinen unmittelbaren Folgen äußerst quälend. Jede Bagatelle nahm sich so kompliziert aus, rief eine solche Fülle von Assoziationen hervor, und diese Assoziationen waren so heikel und dunkel, so ungeeignet für jede praktische Verwertung, dass ich mich entweder um die fragliche Sache ganz drückte oder aber sie aus lauter Nervosität verdarb.“ Das alles trifft Wort für Wort auf Kafka zu. Erstaunlich, wie wenig er trotz allem „verdarb“: Wo man ihn hinstellte bewährte er sich, als Schüler, Student, Beamter. Doch nichts ging ihm ‚von der Hand‘, jede Entscheidung, auch die geringfügigste, war jenem Strom der Assoziationen erst zu entreißen. „Alles gibt mir gleich zu denken“, schrieb er einmal. Alles gab ihm gleich zu schreiben. Das Leben aber musste er erst übersetzen.
Diese eigentümliche Dialektik von An- und Abwesenheit reicht bis in Innerste des literarischen Werks. Die zahllosen Tagesreste aus Alltag und privatesten Sorgen, die Kafka dort abgelagert hat, sind unübersehbar. Die beispielhafte Allgemeingültigkeit seines Werks aber ebenfalls. Dieser Widerspruch, dieses Rätsel ist vielleicht der entscheidende Prüfstein jedes biographischen Unterfangens. Wenn der sozial unscheinbarste Mensch dazu fähig ist, in der Geschichte der Weltkultur eine Schockwelle auszulösen, deren Echos bis heute nachhallen, dann scheint es unvermeidlich Leben und Werk als inkompatible Welten zu betrachten, die ihren je eigenen Gesetzen folgen. „Das Leben des Autors ist nicht das Leben des Menschen, der er ist“, heißt es apodiktisch in Valérys Randnotizen zu den ‚Leonardo‘-Essays. Und Kafka selbst grub noch eine Schicht tiefer: „Der Standpunkt der Kunst und des Lebens ist auch im Künstler selbst ein verschiedener.“ Das haben wir zu respektieren. Doch der Biograph kann hier nicht stehen bleiben. Er hat zu erklären, wie aus einem Bewusstsein, dem alles zu denken gibt, ein Bewusstsein werden konnte, das allen zu denken gab. Das ist die Aufgabe.
„Wir kennen uns nur selbst“, notierte Lichtenberg in seinen SUDELBÜCHERN, „oder vielmehr, wir könnten uns kennen, wenn wir wollten; allein die anderen kennen uns nur aus der Analogie, wie die Mondbürger.“ Das ist, wie wir längst wissen, doppelt falsch. Um sich selbst zu kennen, genügt es bei weitem nicht, sich kennen zu wollen. Und was die anderen betrifft, so kommt, man erstaunlich oft mit einer Kombination aus Lebenserfahrung und schlichtestem, instrumentell angewandten Psycho-Wissen aus, um bestimmte Handlungen, selbst Impulse und Gedanken vorauszusehen. Anderes wiederum bricht in so spontaner, bisweilen gewaltsamer Weise hervor, das keine Analogie den Schrecken abzuwenden vermag.
Empathie lautet das Zauberwort des Biographen. Empathie hilft weiter, wo Psychologie und Erfahrung versagen. Selbst das empirisch noch so gut dokumentierte Leben bleibt mysteriös, wenn der Biograph im Leser nicht die Bereitschaft und die Fähigkeit wachruft, sich einzufühlen in einen Charakter, eine Situation, ein Milieu. Daher die eigentümliche Sterilität mancher dickleibiger, von Daten und Quellenangaben förmlich aufgeschwemmter Biographien: Sie geben vor, alles zu sagen, was man sagen kann, doch sie sprechen gleichsam über ihren Gegenstand hinweg und stillen darum auch die Neugier nicht.
Andererseits ist Empathie eine methodologische Droge, und es rächt sich, gedankenlos mir ihr zu hantieren. Gewiss bietet sie glückliche Augenblicke der Erleuchtung: Man vollzieht innerlich nach, was ein anderer erfuhr, und dann begreift man scheinbar ohne Mühe, oder glaubt zu begreifen, wo man bisher vor einem Rätsel stand. Doch Empathie ist kein willkürlich abrufbarer psychischer Zustand, vielmehr eine komplexe Leistung, die – nicht anders als jene Disposition die ‚Intelligenz‘ heißt – zunächst einmal den Brennstoff des Wissens und der Bildung benötigt. Empathie ohne hinreichendes Wissen ist eine Mühle, die leeres Stroh drischt. Um das zwanghafte, neurotische Moment in Kafkas Gewohnheiten und Entscheidungen zu erfassen, genügt es bei weitem nicht, selbst neurotisch zu sein (auch wenn das bisweilen nützlich ist). Und um die Situation des Knaben zu verstehen, des einzigen Sohnes, der an jährlich drei, vier jüdischen Festtagen an der Hand des Vaters den Tempel aufsucht, sich dort langweilt, während der Vater erkennbar ans Geschäft oder an die jüngsten antisemitischen Parolen denkt – dazu hilft Empathie zunächst einmal gar nichts, und selbst ein im jüdischen Glauben aufgewachsener Beobachter wird keine Tiefenschärfe erzielen, wenn er die historische Situation nur vom Hörensagen kennt.
Das kulturell Fremde, das längst Vergangene, nicht zuletzt auch das Psychotische, das eine Gesellschaft ebenso ergreifen kann, wie den einzelnen – sie markieren die äußeren Grenzen, die dem empathischen Vermögen gezogen sind. Doch es gibt auch eine innere Grenze, die viel schwerer auszumachen ist: die Grenze zur unbeherrschten Identifikation. Wer sie überschreitet, wird nicht etwa mehr, sondern in aller Regel weniger verstehen. Es kann hilfreich sein, sich identifiziert zu haben, und die intellektuelle und emotionale Anstrengung, die es kostet, sich aus diesem Zustand der distanzlosen Verehrung wieder freizumachen, ist gerade für den Kafkabiographen nicht die schlechteste Vorübung. Auch gehört die Fähigkeit, sich gleichsam probeweise zu identifizieren, zu den unabdingbaren Voraussetzungen für jeden, der ein fremdes Leben erkundet. Doch gerade diese Nähe einer scheinbar leicht zu erlangenden Befriedigung, die wir uns doch versagen müssen, ist eine beständige Versuchung: eine lockende Essenz, von der wir nur kosten sollten.
Empathie stillt den Schmerz des Nichtwissens. Das Nichtwissen selbst vermag sie nicht zu tilgen. Es gibt Monate im Leben Kafkas, über die wir keinerlei Dokumente besitzen, in denen es gleichsam Nacht wird über dem Strom der Überlieferung. Welchen Sinn hätte es, mit romanhaften Phantasien diese Abwesenheit überbrücken oder gar verschleiern zu wollen? Es gibt andrerseits Tage, an denen wir sein Leben fast von Stunde zu Stunde rekonstruieren können, und es zählt zu den lustvollsten Augenblicken biographischer Arbeit, wenn die Dichte der Überlieferung wenigstens die Umrisse einer szenischen Vergegenwärtigung ermöglicht – die Lust des detektivischen Erfolgs. Doch was heißt das bei einem Menschen, dessen Leben sich in der „Tiefe“, in einer so überwältigenden inneren Intensität erfüllt? Immer wieder verbrachte Kafka halbe Tage im Bett, auf irgendeinem Sofa, träge, unzugänglich, tagträumend – er hat es oft genug beklagt, so oft, dass man darüber Buch führen könnte. Doch was wissen wir darüber? Wir wissen, dass etliches von dem, was dort geträumt wurde, später einigen Millionen Menschen den Atem nahm.
Selbst der methodische gewiefteste Biograph kommt über das Bild eines Bildes nicht hinaus: die Stimmung, die Farbe des Augenblicks, die Assoziationen, die latenten Ängste und Lüste, die ihn erfüllen, Mimik und Gestik, Stimmen, Geräusche, Gerüche … alles könnte ein wenig anders gewesen sein, als wir glauben, es uns vorstellen müssen. Unendlich facettenreicher war es ohnehin: Selbst die präziseste, mit Wissen und Empathie bewaffnete Einbildungskraft, ja die perfekte innere Verfilmung des historischen Materials bleibt schattenhaft, gemessen daran, wie es wirklich war. Den Schmerz des Nichtwissens, das fortschreitende Verblassen aller Erinnerungen, das unwiderrufliche Vergangensein des Vergangenen vermag keine Imagination aufzuheben, auch die mächtigste nicht. Alles, was sie kann, ist: Evidenz zu erzeugen, die Konturen zu schärfen, die Auflösung des Bildes zu erhöhen. Alles, was sie sagen kann, ist: So dürfte, Könnte, so müsste es gewesen sein.“
(Reiner Stach, Kafka – Die Jahre der Entscheidung, S. Fischer Verlag, 2002, S. X - XV)
Nun das andere Extrem, zwischen denen wir uns bewegen:
"Misstrauen ist das sinnfälligste Merkmal des Paranoikers. Für ihn sind die Dinge nicht so, wie zu sein scheinen. Er lässt sich nicht von scheinbar unverfänglichen Tatsachen täuschen, sondern glaubt, ihre wahre Bedeutung zu kennen. Unaufhörlich sucht er nach verborgenen Bedeutungen, nach Hinweisen auf die Feinde, von denen er weiß, dass die draußen lauern. Indem er seine Wahrnehmungen nach vorgefassten Ideen und im voraus gezogene Schlüssen interpretiert, indem er solchermaßen sein Denken auf den Kopf stellt, stürzt er sich auf den winzigsten Hinweis, der seine Verschwörungstheorie untermauert. Auch wenn die Belege einer Verschwörung noch so stark widersprechen - er schiebt sie als Blendwerk beiseite, allein dazu gedacht, ihn in falscher Sicherheit einzulullen. Denn dafür wähnt sich der Paranoiker viel zu schlau, für ihn beweisen die anscheinend widersprüchlichen Tatsachen nur, wie gerissen und finster seine Feinde sind. Er "weiß" schließlich, dass er von Gefahren umgeben ist. Seine Suche gleicht der des Wissenschaftlers, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Um die Wahrheit herauszufinden, geht der Wissenschaftler sowohl deduktiv als auch induktiv vor, er sucht nach Erklärungen für seine Beobachtungen. Der Wissenschaftler testet seine Hypothesen. Sollten die Beobachtungen gegen sie sprechen, ist er bereit, sie wieder fallenzulassen. Anders der Paranoiker, er kennt die "Wahrheit" bereits im voraus und sucht nach Bestätigung. Seine Schlussfolgerung steht schon fest, er braucht nur noch die Beweise. Der Paranoiker will also keine Hypothese bestätigen oder falsifizieren. Er zweifelt nicht daran, dass er bei genügender Anstrengung schon Beweise für seinen Verdacht finden wird. So greift er nur jene "Belege" heraus, die seinen Schluss, es drohe Gefahr, bestätigen. Mit geschärfter Aufmerksamkeit für das Detail interpretiert der Paranoiker - oft mit großen Scharfsinn - alle Tatsachen weg, die nicht zu seinen Täuschungen passen: In jedem Ereignis und in jeder Bemerkung spürt er Hinweise und "wirkliche Bedeutungen" auf. Seine Suche ist strikt zweckgerichtet. In der Weltsicht des Paranoikers geschehen Ereignisse nicht einfach, sie sind bewusst von jemandem verursacht worden. Für den Paranoiker gibt es keinen Zufall. Alles geschieht nach einem Plan. Er ist besessen von dem Gedanken, die Bedeutung, den Plan hinter den scheinbar zufälligen Ereignissen aufzudecken. Begegnet der Paranoiker derselben Person an zwei aufeinander folgenden Tagen in der U-Bahn, so bedeutet das für ihn, dass er beschattet wird. Nickt die Person gar einer anderen zu, so ist klar, dass es ein Netz von Überwachern gibt. Inder Welt des Paranoikers existieren keine Schattierungen, kein Platz für Ungewissheit. Mehrdeutigkeit wird nicht toleriert. Alles wird tendenziell in Entweder-Oder-Kategorien gesteckt. Gut oder Böse, Freund oder Feind. Einen großen Teil seiner intellektuellen Findigkeit verwendet der Paranoiker darauf Ungewissheit aufzulösen. Obwohl sein Urteilsvermögen getrübt ist, obwohl er Tatsachen nicht gegeneinander abwägt, kann man dem Paranoiker nicht absprechen, durch und durch logisch vorzugehen: was falsch ist, sind seine Prämissen. Er ist ein großartiger Faktensammler, doch er sammelt nur jene Fakten, die sich seinem logischen System einfügen. So gesehen ist die Paranoia die intellektuellste unter den Geistesstörungen, jene, die sich am leichtesten mit einer komplexen politischen Ideologie verbinden kann. Menschen sind ihrem Wesen nach räsoniernde Tiere, und der Paranoiker treibt das Räsonieren auf die Spitze. Das Problem liegt nicht im Nachdenken an sich, viel mehr entspringt es der vorgegebenen falschen Prämisse, das Gefahr lauere. Die besondere psychische Logik des Paranoikers wurde paläologisch genannt, um ihre primitive Natur zu unterstreichen. Diese psychische Logik entspricht der eines Kindes, oder eines Naturvolkes, das dem Unbegreiflichen einen Sinn verleihen möchte. Sie funktioniert nach einem Prinzip, das Eilhard von Domarus zum ersten Mal formuliert hat, ein Wissenschaftler, der das Wahnsystem paranoider Schizophrener systematisch untersucht hat. Während der Normale Identität nur auf der Grundlage identischer Subjekte annimmt, akzeptiert die paläologische Logik auch die Identität der Prädikate. Gemäß dieser Logik können zwei Dinge, die ein gemeinsames Merkmal teilen, identisch sein. Wenn ein kleiner Junge, zum Erstaunen seiner Mutter, einem Fremden mit dem Ruf "Papa" entgegenspringt, dann wendet er folgende Logik an: "Papa trägt eine Hose; dieser Mann trägt auch eine Hose; also ist die Mann mein Papa." Die paranoide Täuschung, man sei die Jungfrau Maria, basiert auf derselben schrägen Logik: "Ich bin eine Jungfrau; Maria war auch eine Jungfrau; also bin ich die Jungfrau Maria." Diese logische Verknüpfung erklärt, warum der Paranoiker der räumliche oder zeitlichen Gleichzeitigkeit zweier unverbundener Ereignisse eine Bedeutung unterlegt. Die Politik ist reich an dieser paläologischen Logik. Wenn mein Großvater vor 50 Jahren von Moslems ermordet wurde, dann sind alle Moslems Mörder und müssen dementsprechend behandelt werden. Wenn ein Bankier mich übers Ohr gehauen hat, sind alle Kapitalisten Diebe, und der Kapitalismus muss vernichtet werden. Für den Paranoiker gibt es keine zufälligen Tragödien oder Unglücksfälle."
(Robert S. Robins, Jerold M. Post, Die Psychologie des Terrors - Vom Verschwörungsdenken zum politischen Wahn, Droemer, 1997, dt.2002, S. 242ff)