Ich hatte das vorher begonnen, dann keine Zeit und Lust gehabt, nun aber fortgesetzt. Es bezieht sich
nicht direkt auf Nannas Text, damit auch kein "Du", aber ich gehe hoffentlich schon auf verschiedene Behauptungen ein.
Im vorliegenden Thema wurde versucht, einen bestimmten Typen von Atheismus zu beschreiben, von dem Vollbreit (und danach Nanna) meinen, er träfe auf mich und andere Atheisten zu. Wenn wir jetzt Schritt für Schritt durchgehen, lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf einen speziellen Typus von Atheismus, der hier „atheistischer Fundamentalismus“ genannt wurde. Wir holen uns die Bedingungen ab, die Vollbreit/Nanna (oder der Artikel) vorgeschlagen haben und müssten dann Atheisten mit den Beschreibungen vergleichen.
Ich sehe zwei wesentliche Aspekte, die als Kritik vorgebracht wurden: zum einen sei eine bestimmte Gruppe von Atheisten dogmatisch oder fundamentalistisch, wobei kein Versuch unternommen wurde, darzustellen, was denn die Dogmata oder das angebliche Fundament sein sollen. Das wäre ein inhaltlicher Kritikpunkt, der von Vollbreit bislang nur als „Szientismus“ oder „Biologismus“ bezeichnet wurde. Wir kommen aber kein Schritt näher, wenn wir ein schlampig beschriebenes Wort durch das nächste austauschen. Der zweite Kritikpunkt ist formaler Natur: diese angeblich dogamtischen Ansichten würden laut, schrill, kämpferisch vertreten. Zuerst mal der erste, inhaltliche Aspekt.
Inhaltliche Kritik: Atheistische Dogmen?KontextDa Vollbreit und Nanna aber genau klingen, wie Vertreter des Akkomationismus (wie Pigluicci), sind die Kritikpunkte eventuell übertragbar. Der Szientismus-Vorwurf wird gerne vor allem gegen Sam Harris‘ „the Moral Landscape“ vorgebracht, das versucht die wissenschaftliche Methode auf Fragen der Moral auszudehnen. Sam Harris meint dazu
(zitiert von Victor Stenger):
Sam Harris hat geschrieben:The Moral Landscape wasn’t a claim that current science, narrowly defined, can answer all our moral questions. It was an argument against moral relativism—the idea that questions of right and wrong have no answers, or that such answers are merely made up, culturally constructed, etc. More generally, the new atheists are not arguing that science covers all of human knowledge. We are saying that in every domain of knowledge there is an important distinction between having good reasons for what one believes and having bad ones. Religion consistently falls on the wrong side of that divide. In fact, it even has a doctrine that appears to justify staying on the wrong side (faith).
[Hervorhebung von mir]
Da zumindest Nanna einräumt, dass es keine “other ways of knowing” gibt, keine “alternativen Wege zum Wissen” also beispielweise durch göttliche Offenbarung, wäre er gezwungen, Sam Harris Diagnose zu unterstützen. Nanna behauptete außerdem, dass er kein Relativist sei, bezog sich dann aber auf „Blickwinkel“ und „herrschende Meinungen“ (in Bezug zu Evolution). Wie gewohnt: man wird von Vollbreit und Nanna im Dunkeln gelassen, was sie meinen. Ihre Allgemeinplätze sind aber weithin bekannt und werden immer dann immer vorgekramt, wenn sie die Illusion erwecken wollen, sie hätten sich doch klar geäußert (einfach mal drauf achten: „[Allgemeinplatz] habe ich dich schon zum hundersten Mal erklärt“). Vollbreits Kontext sollte vielleicht auch noch kurz angeschnitten werden. Er bekundete mystizistische Ansichten und ist Anhänger von Ken Wilber, welcher schreibt:
Ken Wilber hat geschrieben:Maybe the evolutionary sequence really is from matter to body to mind to soul to spirit, each transcending and including, each with a greater depth and greater consciousness and wider embrace. And in the highest reaches of evolution, maybe, just maybe, an individual's consciousness does indeed touch infinity—a total embrace of the entire Kosmos—a Kosmic consciousness that is Spirit awakened to its own true nature.
Vollbreits Ansichten wurden bisher nicht weiter diskutiert, darum weiß ich nicht, ob Vollbreit dies alles unterschreibt (und sollte auch nicht hier stattfinden). Es ist aber erkennbar ein Problem für ihn, dass manche auf empirische Belege bestehen und unbelegte Wunschvorstellungen als
deutlich unwahrscheinlicher ansehen.
WahrscheinlichkeitenIch gehe selten von „wahr“ oder „falsch“ aus, sondern von Wahrscheinlichkeiten und setze diese nach Art eines intuitiven Bayestheorems ein. Ich nehme Universum A mit bestimmten Eigenschaften und vergleiche es mit Universum B mit bestimmten (anderen) Eigenschaften, wobei es einen beliebig kleinen Unterschied zwischen beiden geben muss. A und B setze ich in Bezug zu den Fakten. Auch die Fakten selbst können bei Nahsicht in verschiedene Interpretationen aufgeschlüsselt werden. Gehört beispielsweise ein dunkler Fleck auf einem Stein zu der versteinerten Knochenstruktur?
Nun sind von allen möglichen Interpretationen manche ähnlicher zueinander. Beispielsweise könnte es sein, dass, egal, ob der Fleck ein Knochen ist, oder nicht, es bei den allermeisten Interpretationen keinen Einfluss auf den Befund hat. Nehmen wir an, wir hätten mehrere Hypothesen. Der Fleck könnte ein abgeplatzter Knochen sein. Es könnte eine Wucherung sein. Es könnte ein fremder Knochen von einem anderen Tier sein. Obwohl ich nicht weiß, welche der Interpretationen stimmt, haben alle gemeinsam, dass sich mein übergreifender Befund – die Einordnung des Fossils in ein bestimmtes Taxon – nicht ändert. Die Wahrscheinlichkeiten für jede Möglichkeit addieren sich zumindest auf, wenn es darum geht, das Fossil zu identifizieren, selbst wenn ich gleichzeitig nicht weiß, welche der Möglichkeiten stimmt („wahr“ ist). Die Serie der gegenläufigen Interpretationen wären all jene, wo der Knochen die taxonomische Einteilung verändern würde, z.B. wenn sich herausstellt, dass es ein Horn oder eine Rückenflosse oder ähnliches ist. Da diese Möglichkeiten für gering wahrscheinlich befunden wurden, kann ich mit einer hohen Sicherheit davon ausgehen, dass das Fossil richtig identifiziert wurde.
In der Wissenschaft gibt einige solcher Fälle. Zum Beispiel die Abiogenese – die Entstehung des Lebens. Niemand weiß, wie das Leben entstanden ist. Aber gleichzeitig haben wir verschiedene plausible Möglichkeiten. Obwohl wir derzeit nicht wissen, welche stimmt, können wir die natürlichen Ursprünge des Lebens mit Übernatürlichen vergleichen, für die es garkeine brauchbaren Hypothesen gibt. Wir können uns also sehr sicher sein, dass das Leben natürlichen Ursprungs ist, ohne zu wissen, welche der verschiedenen Möglichkeiten die richtige ist, denn der natürliche Ursprung ist allen wahrscheinlichen Hypothesen gemein. Für die übernatürlichen haben wir hingegen keinerlei Belege und auch keine brauchbaren Ansätze, folglich können wir diese Möglichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Ebenso wissen wir nicht, ob das Universum mehr wie im Big Bang Modell oder im Big Crunch Modell funktioniert. Wir wissen nicht welche der String-Theorien die zutreffenste ist. Auch in diesem Bereich sind Wissenschaftler eher noch zu harmlos und folgen üblicherweise einer präzisen, dem Alltagsverständnis manchmal widersprechende Ausdrucksweise. Sie sagen (korrekt) sie wissen es nicht, und die Gläubigen haben dann Hoffnungen, dass ihre übernatürlichen Ideen vielleicht noch im Rennen sind. In Wirklichkeit wissen wir aber durchaus genug, um die Klasse an Theorien mit übernatürlichen Elementen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Auch hier nimmt die Öffentlichkeit den Stand der Dinge zugunsten von Religion und Glaube verzerrt wahr.
Manche Leute scheinen sich sehr für jede kleine philosophische Verästelung zu interessieren. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich beobachte es auch bei Dawkins und anderen Atheisten, dass sie darauf nicht sonderlich viel geben. Und genau das scheint das Problem für die Obskurantisten, Theologen und Philosophen zu sein, die auf ein bestimmtes Pferd setzen und dann enttäuscht sind, dass Dawkins und Co. die Pferdewette mit ihnen garnicht erst eingeht. Es wird dann vorgeworfen, sie würden sich nicht hinreichend mit ihrer arkanen Disziplin auseinandersetzen, wobei allen Neuen Atheisten gemein ist, dass sie Übernatürlichem eine geringste Wahrscheinlichkeit beimessen und es deshalb egal ist, auf welches Pferd ein bestimmter Theologe, Philosoph setzt.
Aber auch verschiedene philosophische, oder theologische Modelle lassen sich auf die oben genannte Weise (Fossilienbeispiel) handhaben ohne das ich auf irgendein Pferd setzen muss. Ich kann mir eine Sammlung anschauen und sie mit einer anderen vergleichen. Das ist der angebliche Szientismus – das einzige fundamentalistische daran ist, dass eine wie auch immer geartete Realität angenommen wird, die jenseits unserer Sinne liegt, auf die wir (als Spezies) jedoch evolutionär angepasst sind und die wir studieren können. Und diese Sichtweise ist nicht fundamentalistisch, sondern entspricht dem besten Wissen was wir derzeit haben. Auch wird gerne übersehen, dass die ganzen Fakten und Theorien zusammenpassen, jeweils unabhängig überprüft werden und sich dann auf wundersame Weise einfügen. Deshalb sind solche Behauptungen wie Evolution sei nur eine Frage des Blickwinkels (Nanna) umso bizarrer, da hier Physiologie, Mikrobiologie, Anatomie und Genetik (meistens) dieselbe Geschichte erzählen.
„Blickwinkel“ und andere post-moderne Ideen sind Unsinn. Jenseits der trivalen Einsicht, dass ein Elefant von verschiedenen Seiten betrachtet immer anders aussieht, gibt es keine tiefere Wahrheit in Nannas Ansichten. Es sind Allgemeinplätze. Die Blickwinkel auf den Elefanten lösen sich damit auf, dass der Elefant ein dreidimensionales Objekt ist, das einige Eigenschaften bei der Projektion auf zweidimensonale Flächen (beispielsweise die Netzhaut) verliert. Wir sind allesamt Menschen und haben sehr vergleichbare Gehirne, sehen sowohl die zweidimensionalen Flächen, und haben prinzipiell denselben Zugang zum dreidimensionalen Objekt. Die Wunschvorstellung vom Vorrecht der Kultur ist nachweislich falsch. Möchte Nanna oder Vollbreit auf Fundamentalismus bestehen, müssen sie jetzt nachweisen, inwiefern die Annahme einer wie auch immer gearteten studierbaren Realität gleich „fundamentalistisch“ ist.
Im englischen gibt es noch den Ausdruck des „open minded“ sein, der für nicht-fundamentalistisch steht. Religiöse, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker und so fort haben dieses „Ideal“ mittlerweile gekapert und umgewertet. Neuerdings bedeutet „open minded“ zu sein, nicht etwa bei Auftauchen neuer Belege eine Ansicht zu ändern, sondern es meint nun im Gegenteil, ihre jeweilige Fantastik als „möglich“ anzuerkennen, obgleich es garkeine Belege dafür gibt. Wer nicht an UFOs, Kristallstrahlen, Seelenwanderung oder Gott glaubt, der sei „closed minded“. Es sollte aber erkennbar sein, dass solche Leute eigentlich „closed minded“ sind, denn nichts kann sie von ihrer fantastischen Sichtweise abbringen. Leider ist es so, dass Nanna und Vollbreit das unterstützen. Mitlerweile wurde der Begriff aufgegeben und heißt dazu: „Keep an open mind – but not so open that your brain falls out“. Diese Umwertung von Themen, die positiv besetzt sind, ist typisch für Marketing, PR und Propaganda (was alles gemeinsame Wurzeln hat). Wenn man will, kann man jeden Schund mit ein wenig Biegen an positive Werte heften, zum Beispiel auch — wie eine Zigarettenmarke — wahlweise Freiheit, Mut und Entschlossenheit mit Einatmen von Teer.
Anders als wirkliche Fundamentalisten, haben Neue Atheisten keine Loyalitäten, schwören auf keine Bücher, und uns fällt auch kein Zacken aus der Krone sollte morgen Jesus auftauchen und eine Pressekonferenz geben. Das tatsächliche Auftauchen des Übernatürlichen wäre ein riesen Einschnitt in das Weltgeschehen und fast alle Menschen lägen mit ihrer Privatansicht falsch. Ich kann mir guten Gewissens erlauben, dann auch falsch gelegen zu haben.
Formelle Kritik: zu kämpferisch?Dann gäbe es noch einen zweiten Aspekt, der vielleicht bei Nanna und Vollbreit überwiegt. Neben der inhaltlichen Kritik (Szientismus etc), dass die Ansichten fundamentalistisch oder dogmatsich seien, wird von Akkommodationisten immer wieder formale Kritik laut. Kurzum, „fundamentalistische Atheisten“ hätten dogmatische Ansichten die sie zu laut, provozierend, schrill, kämpferisch, militant, „stridend“ usw. vortrügen. Zunächst einmal könnte man sagen: „So what?“.
Wenn eine Gruppierung keinerlei Argumente hat, sich auf Wunschdenken und bronzezeitliche Märchengeschichten beruft, andere entmenschlicht, indem ihnen moralische Fähigkeiten abgesprochen werden (die angeblich von der präferierten Gottheit gestiftet wurden), und allgemein Ansichten haben, die man wohlwollend als „sich einen Reinspinnen“ bezeichnen könnte, dann finde ich es durchaus angebracht das mit einer gewissen (längst überfälligen) Deutlichkeit zu sagen. Deutlichkeit hat mit „Anbrüllen“ nichts zu tun. Solche Zuschreibungen basieren auf reiner Meinungsmache derjenigen, die nicht mehr weiter wissen und deshalb auf Förmlichkeiten ausweichen. Victor Stenger schreibt dazu passend:
Victor Stenger hat geschrieben:The new atheists question whether faith, which is belief despite the absence of evidence or even in the presence of contrary evidence, has any moral or intellectual authority. New Atheism recognizes religion for what it is—a set of unfounded superstitions that have been the greatest hindrance to human progress that ever existed on this planet.
Damit fliegt dann einerseits der Vorwurf des anti-modernen aus dem Fenster, der sich im Fundamentalismus Begriff verbirgt und andererseits gibt es gute Gründe
deutlich zu sein. Wir können uns eingedenk der technologischen Möglichkeiten keinen Aberglauben mehr erlauben. Ich bin lieber
deutlich, als das wegen abergläubischer Ansichten Menschen sterben müssen.
Schließlich wundert mich, dass Nanna und Vollbreit und Religiöse ausgerechnet an (ansonsten harmlosen) Atheisten Anstoß nehmen, nicht aber an dem, was im Namen von Religionen passiert. Das ist die bekannte Mechanik: Jemand zeichnet Cartoons. Die Moderaten aller Lager verurteilen kurz die Gewalt und Todesdrohungen, nicht aber um direkt anzufügen, dass man Glaube nicht provozieren dürfe. Und es geht dann vornehmlich darum, ob man Cartoons malen darf. Die Feindlichkeit gegen andersdenkende in vielen Religionen provoziert niemanden. Cartoons aber schon.