Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Mi 12. Mär 2014, 13:05

Gleichheitssucht und Freiheitsangst (von Götz Aly)

Neidgetriebene Menschen sprechen ausgiebig von eigener Benachteiligung, fürchten die Freiheit und neigen zum Egalitarismus. Sie, die andere verächtlich machen, sehen sich als die Schwachen und bevorzugen den Schutz der Gruppe Ähnlichfühlender. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die so ansteckende Parole der Französischen Revolution, nahmen die deutschen Vorkämpfer des demokratischen Fortschritts eigentümlich verdreht auf. Mit der in Frankreich an erster Stelle genannten Freiheit wusste die deutlich weniger anzufangen als mit der Idee der Gleichheit. Später brachte die Deutschen die wichtigsten Theoretiker des Kommunismus und des Sozialismus hervor, sie erfanden die Systeme der Sozialversicherungen, den nationalen Sozialismus Hitlers, die in der DDR beschworene Einheit von Wirtschafts- und Sozilapolitik und die in der Bundesrepublik gepflegte soziale Marktwirtschaft. Deutsche verstümmelten den Begriff der Gesellschaft zum Synonym für Staat und erkoren sich diesen zum „Vater Staat“.
Im Sinne von 1789 bezeichnete Egalité jedoch nicht mehr und nicht weniger als die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Nicht Antisemiten, sondern die überwältigende Mehrheit der Deutschen reduzierten das so wertvolle Prinzip zur Unkenntlichkeit. Sie machten daraus von Staatswegen zu garantierende materielle Gerechtigkeit. Fortan riefen die bei jeder Gelegenheit: „Ungerecht! Wir fordern auch unseren Platz an der Sonne!“ und badeten in den Gefühl der ewig Zukurzgekommenen. Je mehr sich die so verstandene Gleichheit im allgemeine Bewusstsein einnistete, desto ausgeprägter wurde der Differenzaffekt (Arnold Zweig), die Abstoßung nicht gleicher Gruppen, zumal dann, wenn diese Schnelligkeit, Witz, Klugheit und Erfolg auszeichneten. Polar ergänzend gesellt sich zum Differenzaffekt der Zentralitätsaffekt, „die Überbetonung und Wichtigkeit der eigenen Gruppe“.
Zur missverstandenen Gleichheit fügten deutsche Nationalrevolutionäre seit Anbeginn ihr merkwürdig kollektivistisches Verständnis von Freiheit. Schon den Krieg gegen die napoleonische Besatzung nannten sie Freiheitskrieg. Das heißt, viele von ihnen fassten Freiheit nicht als individuelle Möglichkeit, als Ansporn für jeden Einzelnen auf, sondern als Abgrenzungsbegriff, gerichtet gegen tatsächliche oder vermeintliche Feinde. Auf dieser mentalitätsgeschichtlichen Basis veröffentlichte Richard Wagner sein Pamphlet „Das Judentum in der Musik“ 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank; 1912 benutzte der alldeutsche Antisemit Heinrich Claß das Pseudonym Daniel Frymann. Hitler bezeichnete sein politisches Zerstörungswerk früh als „Freiheitsbewegung“ gegen die Fesseln des Versailler Friedensdiktats von 1919. Im Sommer 1922 stellte der spätere Reichskanzler eine grobschlächtige antisemitische Hetzrede unter die Überschrift „Freistaat oder Sklaventum?“. Die Parteizeitung, die der junge Joseph Goebbels 1924 im Ruhrgebiet redigierte, hieß Völkische Freiheit, Ende 1926 gründete er in Berlin den Nationalsozialistischen Freiheitsbund. Von derart definierter gelangten Deutsche Beamte auf direktem Weg zu dem Verwaltungsbegriff „judenfrei“. Hitlers Kriegsreden erschienen unter dem Titel „Der großdeutsche Freiheitskampf“. Die politischen Ziele hießen „Wehrfreiheit“, „Nahrungsfreiheit“ und „Raumfreiheit“, mit anderen Wort: Krieg, Massenmord, Herrschaft über die Kornkammer Ukraine und über solche Länder, die über wichtige Rohstoffe verfügten.
Um 1880 offenbarte die erstarkende antisemitische Bewegung einerseits das Ressentiment gegen Juden, andererseits das noch immer nachwirkende politische Elend der Deutschen: ihre Angst vor Freiheit und eigener Courage, ihre Neigung, das eigene Versagen anderen anzulasten. Der Neidhammel sucht den Sündenbock. Zumal in Krisenzeiten verbanden sie mit Freiheit das Gefühl das Gefühl von Unbequemlichkeit, Ungewissheit und Überforderung, während ihnen Gleichheit, gemütliche Geborgenheit, Daseinsvorsorge und minimiertes individuelles Risiko bedeutete. Das verhindert das politische Erwachsenwerden. Im Schatten der Gemeinschaftswerte verkümmerte die Freiheit. Die Begriffe Gleichheit, Neid und Freiheitsangst ermöglichen es, die Eigenart des deutschen Antisemitismus zu erkennen.

(Götz Aly, Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 – 1933, S.Fischer TB, 2012)



Das spricht für sich, ich will nur darauf hinweisen, in welcher Tradition die großtönenden Hüter der Freiheit zuweilen stehen. Es geht mir hier nicht um die Nazikeule, sondern um die kleingeistige Verkniffenheit, den heimlichen Neid und das latente Gefühl der Bedrohung (durch „Überfremdung“ und „eine linksradikale Medienmafia“), dass die Verkünder der rechten bis rechtsextremen diversen neuen Freiheiten wohl weit stärker auch heute noch umtreibt, als sie selber ahnen.

Doch die im ersten Teil angeprangerte Verherrlichung des Sozialen, mitunter zu versuchter wirklicher Gleichmacherei und einem folgenden „Tugendfuror“ (Gauck), kann man ebenfalls kritisieren und ich glaube, dass ein reifes Individuum am besten in die Lage versetzt ist, diese beiden Bewegungen auszubalancieren.

Das allzu Konventionelle, Kitschige und der Sicherheitsfetisch der deutschen Spießer, ist eine Konstante die schon 1913 den hochbegabten (okkulten) Schriftsteller und Satiriker Gustav Meyrink ( https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Meyrink ) zu dem Buchtitel Des deutschen Spießers Wunderhorn inspirierte und die Unabhängig vom politischen Lager ist. Die allzu bequeme Selbstgerechtigkeit ist ein zutiefst unsympathischer Affekt linker Gutmenschen, die meinen mit dem Rückgriff auf „Antifaschismus“ könne man nun alles rechtfertigen, inzwischen hat man dazugelernt.

Und obendrein finde ich Gemütlichkeit auch einen wichtigen Aspekt des Lebens. Kitsch ist gefährlich und schön. Das Behagliche sollte Teil des Lebens sein, ein (eher privater) Rückzugsraum, ein Refugium, aber wo das gänzlich fehlt – auf welche Art auch immer – wir die Wohnung zum Ausstellungsraum, wird auf Privatheit verzichtet, statt sie vehement zu verteidigen.

Das alles sind Aspekte, die für mich in das Thema hineinragen. Ich bin, wie Du vermutlich auch, überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.

So, ich hoffe das taugt für einen lebendigen Thread, das Thema ist ja durchaus vielschichtig.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon provinzler » Mi 12. Mär 2014, 13:46

Vollbreit hat geschrieben:Deutsche verstümmelten den Begriff der Gesellschaft zum Synonym für Staat und erkoren sich diesen zum „Vater Staat“.

Interessant finde ich das, wenn man es im Zusammenhang mit einem Artikel sieht, der kürzlich in der Printausgabe von eigentümlich frei zu finden war. Dabei wurde festgestellt, dass mehr oder wenige alle großen Persönlichkeiten in der Geschichte der SPD entweder komplett vaterlos aufwuchsen, oder ein extrem gestörtes Verhältnis zu ihren Vätern hatten(Bebel, Schröder, Brandt, Gabriel). Das gleiche Muster findet man auch bei etlichen der Nazigrößen (z.B.Hitler und Himmler). Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, durch ihre Phantastereien über einen allgegenwärtigen "Vater Staat", der einem jegliche Verantwortung abnimmt, kompensieren Sozialisten kindliche Traumata.
Vollbreit hat geschrieben: Der Neidhammel sucht den Sündenbock.

Die Häme und Schadenfreude vieler Kommentatoren aktuell über Uli Hoeneß passt wunderbar ins Bild!

Vollbreit hat geschrieben:Das spricht für sich, ich will nur darauf hinweisen, in welcher Tradition die großtönenden Hüter der Freiheit zuweilen stehen.

Ich sehe mich in der geistigen Tradition eines Ludwig von Mises. Und dem halten die Linken heute noch vor, dass er entsprechend seiner lang geübten Gewohnheit, selbst denjenigen (den Nazis) auf deren Todeslisten er ganz ganz oben stand, lautere Motive zu unterstellen. In der verdrehten Logik derer, die damals begeistert in der ersten Reihe gestanden hätten, wird er dadurch zum Nazisympathisanten.
:kopfwand:
Mich fasziniert diese menschliche Größe ehrlich gesagt. Da bin ich persönlich noch weit davon entfernt!

Vollbreit hat geschrieben:
Das alles sind Aspekte, die für mich in das Thema hineinragen. Ich bin, wie Du vermutlich auch, überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.

Was mir inzwischen Spaß macht, ist, durch vermeintliche Spießigkeit mich abzuheben. Einfach mal ganz altmodisch den Kavalier geben, einer Dame in den Mantel helfen , oder die Autotür öffnen (und wenn die Dame "nur" die eigene Oma ist). Und zwar, und das ist der entscheidende Punkt, nicht weil "sich das so gehört", sondern weil ichs gern tue. Freiherr von Knigges Originaltext kann man bei einiger geistiger Flexibilität auch heute noch als Vorlage verwenden. Nur leider wurden seine Ratschläge meist eher in Form starrer Rituale weitergegeben, statt den Sinn zu verstehen. Sie wurden gewissermaßen im Lauf der Zeit bürokratisiert und formalisiert und damit vielfach völlig sinnentleert.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon laie » Mi 12. Mär 2014, 17:56

provinzler hat geschrieben:Was mir inzwischen Spaß macht, ist, durch vermeintliche Spießigkeit mich abzuheben.


Genau, man hat Spass daran, sich durch Abgrenzung zu unterscheiden und gleichzeitig rückt man im Laufe des Lebens immer mehr in die Nähe der Spiesser - Freiheit und Gleichheit gehen hier hand in hand. Was aber, wenn man keine unterscheidenden Lebensstile mehr finden kann oder möchte, wenn man müde ist, sich ständig von anderen abzugrenzen zu müssen?

Aber vermutlich geht es hier gar nicht um individuelle Lebensabschnittskrisen, in denen man sich von seinem Umfeld gerade dadurch abhebt, dass man den Habitus und die Attitüden von "benachbarten", aber diametral der eigenen Position gegenüberliegenden Gruppen übernimmt - der Teenager hört auf ein Teenager zu sein, wenn er sich von Teenagern dadurch abhebt, dass er Erwachsene imitiert -, sondern um das jeweilige Staatsverständnis, das in den beiden Begriffen Freiheit und Gleichheit zum Ausdruck kommt. Ich denke, dass wir in Deutschland eine Kultur haben, die einem das Anderssein neidet, vor allem - das macht es wieder harmlos - wenn es um das Geld geht. Auf mehr Geld bin ich nicht neidisch. Andererseits ist es schon traurig, wenn der FDP seit geraumer Zeit nichts anderes einfällt, als von dem von staatlichen Zwängen befreiten, auf dem Markt ungebremst handelnden Individuum zu fabulieren, wenn sie von Freiheit redet ("Die Steuern runter!"). So gesehen sehen wir eine Entwicklungslinie, die von den Befreiungskriegen (Befreiung von der individuellen Freiheit) zu dem verstümmelten Freiheitsbegriff des deutschen Liberalismus führt.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Mi 12. Mär 2014, 19:28

provinzler hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Deutsche verstümmelten den Begriff der Gesellschaft zum Synonym für Staat und erkoren sich diesen zum „Vater Staat“.

Interessant finde ich das, wenn man es im Zusammenhang mit einem Artikel sieht, der kürzlich in der Printausgabe von eigentümlich frei zu finden war. Dabei wurde festgestellt, dass mehr oder wenige alle großen Persönlichkeiten in der Geschichte der SPD entweder komplett vaterlos aufwuchsen, oder ein extrem gestörtes Verhältnis zu ihren Vätern hatten(Bebel, Schröder, Brandt, Gabriel). Das gleiche Muster findet man auch bei etlichen der Nazigrößen (z.B.Hitler und Himmler). Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, durch ihre Phantastereien über einen allgegenwärtigen "Vater Staat", der einem jegliche Verantwortung abnimmt, kompensieren Sozialisten kindliche Traumata.
Selbst wenn man dem zustimmen kann, so ist auch das nur eine Korrelation, die obendrein in dem Verdacht steht, reichlich vorhersehbare Zusammenhänge zu konstruieren, anhand derer man dann seine eigenen Vorurteile erhält. Hier sollen einfach SPD-Größen mit Nazi-Größen zusammengequält werden, um Stimmungen zu erzeugen, das ist so boulevaredesk und vorhersehbar wie die Ströme von Blut und Sperma, die fließen, wenn dienstbeflissene Antitheisten über Religion ablästern und dabei behaupten, sie würde doch auch nur auf die Fakten verweisen und das der eigentliche Skandal ja wohl nicht der Bericht über, sondern das Vergehen selbst sei.

Du erkennst es doch dort, warum nicht hier?
Man kann ja eine konservative Einstellung haben, aber dieses „wir sind die wahren und gerechten Aufklärer (und werden nur unterdrückt)“ Gesülze ist doch genau das Strickmuster, was Aly hier auch anprangert.

provinzler hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: Der Neidhammel sucht den Sündenbock.
Die Häme und Schadenfreude vieler Kommentatoren aktuell über Uli Hoeneß passt wunderbar ins Bild!
Schlechtes Beispiel und auch insoweit verfehlt, als ich bislang wenig schadenfrohe Kommentare gehört habe.

provinzler hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das spricht für sich, ich will nur darauf hinweisen, in welcher Tradition die großtönenden Hüter der Freiheit zuweilen stehen.
Ich sehe mich in der geistigen Tradition eines Ludwig von Mises. Und dem halten die Linken heute noch vor, dass er entsprechend seiner lang geübten Gewohnheit, selbst denjenigen (den Nazis) auf deren Todeslisten er ganz ganz oben stand, lautere Motive zu unterstellen. In der verdrehten Logik derer, die damals begeistert in der ersten Reihe gestanden hätten, wird er dadurch zum Nazisympathisanten.
:kopfwand:
Mich fasziniert diese menschliche Größe ehrlich gesagt. Da bin ich persönlich noch weit davon entfernt!
Ich glaube, dass kaum einer der Menschen, die uns beeindrucken, eine aalglatte Biographie hat. Was Menschen erstaunlich und interessant macht, sind ja die Brüche. Vielleicht nicht nur, aber doch sehr häufig.

provinzler hat geschrieben:Was mir inzwischen Spaß macht, ist, durch vermeintliche Spießigkeit mich abzuheben.
Womit sich aber über andere definiert und so negativ mit den Strom schwimmt oder eben aus Prinzip dagegen.
Die bessere Wahl ist vermutlich sich über die tatsächlichen eigenen Neigungen zu definieren, aber das ist etwas, was man erst einmal selbst entdecken muss.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon provinzler » Do 13. Mär 2014, 00:35

Vollbreit hat geschrieben:Selbst wenn man dem zustimmen kann, so ist auch das nur eine Korrelation, die obendrein in dem Verdacht steht, reichlich vorhersehbare Zusammenhänge zu konstruieren, anhand derer man dann seine eigenen Vorurteile erhält. Hier sollen einfach SPD-Größen mit Nazi-Größen zusammengequält werden, um Stimmungen zu erzeugen,

Ich sehe das eigentlich umgekehrt. Man könnte ein bisschen mehr Verständnis aufbringen für Leute, deren Kindheit, na sagen wir mal suboptimal lief.

Vollbreit hat geschrieben:Schlechtes Beispiel und auch insoweit verfehlt, als ich bislang wenig schadenfrohe Kommentare gehört habe.

Ich verfolge die Thematik über ein nicht vereinsgebundenes Fußballforum. Was da an Hass und Häme abgesondert wurde im letzten Jahr, das passte auf keine Kuhhaut mehr. Und als Fan der Münchner Löwen bin nun alles, aber sicher kein Uli-Hoeneß-Fanboy.


Vollbreit]Ich glaube, dass kaum einer der Menschen, die uns beeindrucken, eine aalglatte Biographie hat. Was Menschen erstaunlich und interessant macht, sind ja die Brüche. Vielleicht nicht nur, aber doch sehr häufig.
[/quote]
Das glaube ich auch. Deswegen lese ich unglaublich gern Biographien über solche Menschen. Ob Warren Buffett, Ludwig von Mises oder Karl May, die ich, deren Schriften mich, so unterschiedlich sie auch sein mögen, im Laufe der Jahre beeindruckt haben, sie alle hatten ihre Brüche.
[quote="Vollbreit hat geschrieben:
Womit sich aber über andere definiert und so negativ mit den Strom schwimmt oder eben aus Prinzip dagegen.
Die bessere Wahl ist vermutlich sich über die tatsächlichen eigenen Neigungen zu definieren,
aber das ist etwas, was man erst einmal selbst entdecken muss.


Ich würde solche Dinge nicht tun, wenn ich sie nicht auch so gern tun würde. Die Provokation, die damit verbunden ist, stellt für mich dann eher das Sahnehäubchen auf der Obsttorte dar.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon ujmp » Do 13. Mär 2014, 07:58

Vollbreit hat geschrieben:Gleichheitssucht und Freiheitsangst (von Götz Aly) ...

Zweifellos eine professionelle Polemik. Aber ob das alles so simpel ist, bezweifle ich. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit kann man nicht einfach als Neid abtun, sowenig wie man das Bedürfnis nach Sicherheit als Freiheitsansgt abtun kann. In dem Augenblick, wo man konkret wird, wo man fragt, worauf der gute Mann sich da eigentlich konkret bezieht, entpuppt sich das ganze doch als untaugliche schwarz-weiß-Malerei. Aber schön, dass wir mal drüber geredet haben. Der Autor freut sich.
Zuletzt geändert von ujmp am Do 13. Mär 2014, 08:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon stine » Do 13. Mär 2014, 08:23

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin ... überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.
Wie alt musstest du werden, um diese Erkenntnis zu erlangen?
Diese Erkenntnis ist jene, die ich so jedem Erwachsenen unterstellen würde. Viele Menschen brauchen diverse Umwege, um aber am Ende auch ganau dort hin zu kommen und ich gebe zu, dass ich auch lange gebraucht habe und viele Umwege gegangen bin, bis ich wieder auf dem Boden der nüchternen Tatsachen landen konnte. Die Erkenntnis, dass wir alle soziale Wesen sind und uns gegenseitig brauchen, blöderweise auch dann, wenn man das nicht möchte und mit anderen Lebensentwürfen so seine Probleme hat, ist so banal wie richtig.
Ich beneide alle, die mit weniger Philosophie und Aufwand das selbe Ziel schneller erreichen und deswegen zielorientierter an ihrem persönlichen Erfolg und am Erfolg aller arbeiten können.

Das praktische Leben gestaltet sich mit weniger philosophischem Aufwand manchmal durchaus etwas leichter. :wink:

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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon provinzler » Do 13. Mär 2014, 15:09

ujmp hat geschrieben:Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit kann man nicht einfach als Neid abtun, sowenig wie man das Bedürfnis nach Sicherheit als Freiheitsansgt abtun kann.

Neid bezeichnet den Wunsch der neidenden Person, selber über mindestens als gleichwertig empfundene Güter (materieller oder nichtmaterieller Art) wie die beneidete Person zu verfügen.
(wikipedia)
Der Ruf nach "Gerechtigkeit" ist dann die moralische Verbrämung des Ganzen. 99 von 100 die nach "Gerechtigkeit" schreien, meinen damit, dass andre mehr abdrücken sollen (St.Florians-Prinzip), was man auch erfährt wenn man nur nachbohrt, beispielsweise mal nachfragt ab wann denn jemand reich sei, und stärker besteuert werden sollte. In nahezu jedem Fall liegt dieser Betrag so 10-20% über dem was sich der Betreffende für die nächsten paar Jahre für sich selbst als Einkommen vorstellen kann. Der Neid wird zwar fast immer geleugnet, ist aber nichtsdestotrotz sehr real...
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Do 13. Mär 2014, 17:11

provinzler hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Selbst wenn man dem zustimmen kann, so ist auch das nur eine Korrelation, die obendrein in dem Verdacht steht, reichlich vorhersehbare Zusammenhänge zu konstruieren, anhand derer man dann seine eigenen Vorurteile erhält. Hier sollen einfach SPD-Größen mit Nazi-Größen zusammengequält werden, um Stimmungen zu erzeugen,
Ich sehe das eigentlich umgekehrt. Man könnte ein bisschen mehr Verständnis aufbringen für Leute, deren Kindheit, na sagen wir mal suboptimal lief.
Warum schreibt man dann nicht einen Artikel zu diesem Thema?
Wäre in der Sache auch interessant, zumal auch Stalin eine große Unsicherheit bezüglich seiner väterlichen Herkunft hatte.

provinzler hat geschrieben:Ich verfolge die Thematik über ein nicht vereinsgebundenes Fußballforum. Was da an Hass und Häme abgesondert wurde im letzten Jahr, das passte auf keine Kuhhaut mehr.
Was erwartest Du da auch anderes?

provinzler hat geschrieben:Ich würde solche Dinge nicht tun, wenn ich sie nicht auch so gern tun würde. Die Provokation, die damit verbunden ist, stellt für mich dann eher das Sahnehäubchen auf der Obsttorte dar.
Okay, ein bisschen Provokation ist manchmal nicht verkehrt.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Do 13. Mär 2014, 17:16

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich bin ... überhaupt kein Freund des Konventionellen, habe es aber inzwischen geschafft meine Verachtung in eine echte Einsicht in die Notwendigkeit zu verändern und muss und kann zugeben, dass das Gefühl eines zumindest zwischenzeitlichen (wo und wie kann man sich aussuchen) Dazugehörens auch nicht schlecht ist und ich glaube, wenn man die Bewegungen selbst bestimmt und merkt wo man eintauchen kann und wo man sich stillschweigend oder laut widersprechend distanziert, ist viel gewonnen.
Wie alt musstest du werden, um diese Erkenntnis zu erlangen?
Diese Erkenntnis ist jene, die ich so jedem Erwachsenen unterstellen würde.

Vermutlich stimmt das, nur darf man Erwachsensein nicht mit Volljährigkeit verwechseln.

stine hat geschrieben:Viele Menschen brauchen diverse Umwege, um aber am Ende auch ganau dort hin zu kommen und ich gebe zu, dass ich auch lange gebraucht habe und viele Umwege gegangen bin, bis ich wieder auf dem Boden der nüchternen Tatsachen landen konnte.
Nüchterne Tatsachen?
Ist aber auch nur ein Teil, der seine Berechtigung hat, nicht so umfänglich wie man zuweilen hört, ansonsten sehe ich das immer noch eher als Kümmervariante des Lebens.

stine hat geschrieben:Die Erkenntnis, dass wir alle soziale Wesen sind und uns gegenseitig brauchen, blöderweise auch dann, wenn man das nicht möchte und mit anderen Lebensentwürfen so seine Probleme hat, ist so banal wie richtig.
So betrachtet, kann ich da mitgehen.

stine hat geschrieben:Ich beneide alle, die mit weniger Philosophie und Aufwand das selbe Ziel schneller erreichen und deswegen zielorientierter an ihrem persönlichen Erfolg und am Erfolg aller arbeiten können.
Ich überhaupt nicht.

stine hat geschrieben:Das praktische Leben gestaltet sich mit weniger philosophischem Aufwand manchmal durchaus etwas leichter. :wink
Das mag sogar sein, aber das praktische Leben ist nun auch nicht so der Brüller.
Ich finde die konventionellen Ziele nicht so wahnsinnig erstrebenswert, aber das wäre dann wohl schon wieder ein anderes Thema.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon provinzler » Fr 14. Mär 2014, 06:59

Vollbreit hat geschrieben:Was erwartest Du da auch anderes?

Ich weiß nicht. Krankhafter Neid und Hass sind mir anscheinend derart fremde Wesenszüge, dass mich das immer wieder schockiert. Jetzt ist ja das Urteil gesprochen und ich finde es bezeichnend. Es ist in Deutschland aus Justizsicht schlimmer Steuern zu hinterziehen, als aus purer Langeweile jemanden zu Tode zu prügeln oder im Suff jemanden zu Tode zu fahren. Land der pathologischen Neidhammel halt...
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon stine » Fr 14. Mär 2014, 08:12

Herr Trittin bezeichnet die hohe Strafe für Uli Hoeneß als "einen Erfolg für Rot/Grün".
Ja danke, kann ich da nur sagen. Ich weiß letztlich nicht, was asozialer ist: Hilfen abgreifen, die man nicht wirklich brauchen würde, wenn man sein Leben selbst in die Hand nähme, jährlich beim Steurausgleich schummeln, in der Hoffnung dass die Beamten das nicht merken oder seine bereits versteuerten Gewinne ins Ausland schaffen.
Letztlich geht es (nur) um die Kapitalertragssteuer. Ich denke, dass das die meisten der Brüller gar nicht verstanden haben.

provinzler hat geschrieben:Der Ruf nach "Gerechtigkeit" ist dann die moralische Verbrämung des Ganzen. 99 von 100 die nach "Gerechtigkeit" schreien, meinen damit, dass andre mehr abdrücken sollen...
Ich denke, das ist richtig. Die Selbsteinschätzung liegt ja oft völlig daneben. Das ist übrigens auch eine Folge davon, dass hier nichts so geheim gehalten wird, wie das monatliche Einkommen. Niemand weiß wirklich, wo er selber steht und kann nicht einschätzen, ob er besser oder schlechter gestellt ist. Nicht jeder der die Puppen tanzen lässt ist wirklich reich und nicht jeder, der sich in seine vier Wände verkriecht ist arm (finanziell gesehen).

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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon stine » Fr 14. Mär 2014, 08:14

Vollbreit hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Das praktische Leben gestaltet sich mit weniger philosophischem Aufwand manchmal durchaus etwas leichter. :wink
Das mag sogar sein, aber das praktische Leben ist nun auch nicht so der Brüller.
:erschreckt:

Soll ich auf einen Tee vorbei kommen? :wink:

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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Mär 2014, 08:47

provinzler hat geschrieben:Es ist in Deutschland aus Justizsicht schlimmer Steuern zu hinterziehen, als aus purer Langeweile jemanden zu Tode zu prügeln oder im Suff jemanden zu Tode zu fahren. Land der pathologischen Neidhammel halt...

Dazu möchte ich drei Dinge sagen.

Erstens, empfinde ich den von Dir angesprochenen Punkt ähnlich wie Du. Es ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar, dass Gewalt gegen Menschen, die dann selbst oft für den Rest ihrer Lebens psychisch und körperlich gezeichnet sind, mitunter wie eine Bagatelle erscheint, insbesondere wenn man sogenannte Intensivtäter anschaut, denen unser Rechtssystem fast ohnmächtig gegenübersteht. Doch das ist ein eigenes Thema.

Zweitens, werden bestimmte Delikte verfolgt, nicht weil da Frau Müller Herrn Meier etwas angetan hat, sondern, weil Frau Müller die Art und Weise, wie wir zusammenleben wollen attackiert hat. Darum müssen bestimmte Delikte strafrechtliche verfolgt werden, auch wenn der Einzelne das nicht will und darum ergeht das Urteil „im Namen des Volkes“.

Drittens, und auf den Text von Aly bezogen: Zum eine kritisiert er die Interpretation von Gleichheit in der deutschen Lesart (bis 1933) und das ist der Punkt, in dem Du Dich sicher in vollem Umfang wiederfindest. Zum andere kritisiert er aber, dass es eine ebenso abgespeckte Variante der Freiheit gibt, in der das Individuum eben nicht seinen selbstbestimmten Weg geht, sondern immer wieder im Kollektiven und Völkischen ankommt. Die ressentimentgeleiteten Pamphlete der Neuen Rechten spielen heute alle damit, dass die Linken doch eigentlich Rechtsextremen und Schlimmen sind, beschwören damit aber genau jenen Geist der auf das „wir gegen die“ nicht verzichten kann und vor allem sagt er „Ungerecht!“. Wenn man aus der gefühlten Position des Schuldigen auf die angeblich noch Schlimmeren verweist, kommt man aus dieser Selbstfesselung nicht raus. Das ist m.E. die Brücke in die Gegenwart, die Dir weiter hilft, immer nur zu wiederholen, was Du längst weißt bringt keinen Fortschritt.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Mär 2014, 09:22

stine hat geschrieben:Ich weiß letztlich nicht, was asozialer ist: Hilfen abgreifen, die man nicht wirklich brauchen würde, wenn man sein Leben selbst in die Hand nähme, jährlich beim Steurausgleich schummeln, in der Hoffnung dass die Beamten das nicht merken oder seine bereits versteuerten Gewinne ins Ausland schaffen.
Letztlich geht es (nur) um die Kapitalertragssteuer.

Ja, ist das eine kleine Schummelei, wie wenn man früher die Hausaufgaben abgeschrieben hat?
Es ist doch eigentümlich wie schnell sich die Rhetorik verändert, wenn man sich identifizieren oder nicht identifizieren kann.
Da wird noch auf verschlungensten Pfaden, gerne mal wider die empirischen Daten, behauptet auf Kinderkrippen müsse nun unweigerlich die soziale Katastrophe folgen, während die läppischen 28 Millionen doch bitte nicht so aufzubauschen seien.
Wie vielen Kindern hätte man von dem Geld wohl ein etwas besseres Leben ermöglichen können?
Und warum soll man sich hier – habt ihre alle euren Watzlawick nicht gelesen? - immer nur zwischen zwei vermeintlichen Übeln entscheiden können: Bist Du für den illegalen Bezug von Sozialleistungen oder für Steuerhinterziehung?

stine hat geschrieben:Das ist übrigens auch eine Folge davon, dass hier nichts so geheim gehalten wird, wie das monatliche Einkommen. Niemand weiß wirklich, wo er selber steht und kann nicht einschätzen, ob er besser oder schlechter gestellt ist. Nicht jeder der die Puppen tanzen lässt ist wirklich reich und nicht jeder, der sich in seine vier Wände verkriecht ist arm (finanziell gesehen).
Das ist ja schon selbst wieder ein Symptom. Bohr doch hier mal weiter.
Dass Geld allein nicht glücklich macht, ist eine Binse, aber das erfahren nur die, die genug davon haben. Aber was dann und warum merkt das keiner?
Und wenn auch ein demonstrativ protziges Leben bei dem einen oder anderen weniger Neid als vielleicht Mitleid auslöst, für viele ist das: Haben und zeigen, dass man hat, das Ziel um was es im Leben geht.

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Das praktische Leben gestaltet sich mit weniger philosophischem Aufwand manchmal durchaus etwas leichter. :wink
Das mag sogar sein, aber das praktische Leben ist nun auch nicht so der Brüller.
:erschreckt:

Soll ich auf einen Tee vorbei kommen? :wink:

Zum trösten? Nein, brauch ich nicht (ansonsten gerne), wo ich leide, da sicher nicht daran konventionellen Wunschvorstellungen nicht zu entsprechen.
Aber hier würde ich gerne weitermachen, denn die Ambivalenz des Konventionellen ist durchaus eines meiner Themen, die mich durchs Leben begleiten.
Hast Du denn das Gefühl gehabt, dass Du bei dem einen oder anderen Thema, in der Mitte der Gesellschaft angekommen, tief zufrieden warst?

Ich sehe das als Etappenziel an, wenn man – falls man es nicht ist oder war – nun endlich auch wie die anderen ist, aber als Ziel des Lebens?
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon stine » Fr 14. Mär 2014, 11:03

Vollbreit hat geschrieben:Hast Du denn das Gefühl gehabt, dass Du bei dem einen oder anderen Thema, in der Mitte der Gesellschaft angekommen, tief zufrieden warst?

Ich hatte noch nie das Gefühl in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Ich gehöre zu denen, die nie Teil einer Clique waren, die von den Lehrern geflissentlich übersehen wurden und die sich schon immer zu allem ihre eigenen Gedanken gemacht haben. Mein Lebensziel war und ist mitnichten, so zu sein, wie das, was man "die Masse" nennt.
Und weil das niemand möchte, hält sich jeder Einzelne innerhalb der "Masse" für etwas ganz Besonderes und keiner ist von sich der Überzeugung, dass er sich durch nichts vom Anderen unterscheiden würde. Würde ich dich hier in der Innenstadt zufällig sehen, dann würde mir an dir sicher nicht auffallen, dass du hochintelligente Posts bei den Brights schreiben kannst, viele viele Bücher gelesen hast und philosophische Qualitäten mit dir herumträgst. Weil am Ende sind wir doch alle Teil der "Masse" ohne das zu wollen und ohne sich so zu fühlen.
In der Mitte der Gesellschaft sind wir längst angekommen, wenn wir durch nichts mehr auffallen und da spielt es keine Rolle, wie das eigene Befinden ist. Das sieht nämlich keiner.

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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon provinzler » Fr 14. Mär 2014, 11:44

Vollbreit hat geschrieben:Zweitens, werden bestimmte Delikte verfolgt, nicht weil da Frau Müller Herrn Meier etwas angetan hat, sondern, weil Frau Müller die Art und Weise, wie wir zusammenleben wollen attackiert hat. Darum müssen bestimmte Delikte strafrechtliche verfolgt werden, auch wenn der Einzelne das nicht will und darum ergeht das Urteil „im Namen des Volkes“.

Wobei ich da gewisse Vorbehalte dagegen habe, das per Mehrheit zu bestimmen, wie "wir" zusammenleben wollen. Sonst sind wir wieder beim Schaf und den beiden Wölfen, die übers Abendessen abstimmen.
Vollbreit hat geschrieben: Zum andere kritisiert er aber, dass es eine ebenso abgespeckte Variante der Freiheit gibt, in der das Individuum eben nicht seinen selbstbestimmten Weg geht, sondern immer wieder im Kollektiven und Völkischen ankommt.

Aus meiner Sicht, hat das mit Freiheit nix zu tun. Das ist der gleiche Kollektivismus wie bei den Linken auch. Nur dass sich Aggression stärker nach außen als nach innen richtet.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Mär 2014, 11:55

stine hat geschrieben:Ich hatte noch nie das Gefühl in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Ich gehöre zu denen, die nie Teil einer Clique waren, die von den Lehrern geflissentlich übersehen wurden und die sich schon immer zu allem ihre eigenen Gedanken gemacht haben. Mein Lebensziel war und ist mitnichten, so zu sein, wie das, was man "die Masse" nennt. Und weil das niemand möchte, hält sich jeder Einzelne innerhalb der "Masse" für etwas ganz Besonderes und keiner ist von sich der Überzeugung, dass er sich durch nichts vom Anderen unterscheiden würde.
Sehr richtig.

stine hat geschrieben:Würde ich dich hier in der Innenstadt zufällig sehen, dann würde mir an dir sicher nicht auffallen, dass du hochintelligente Posts bei den Brights schreiben kannst, viele viele Bücher gelesen hast und philosophische Qualitäten mit dir herumträgst. Weil am Ende sind wir doch alle Teil der "Masse" ohne das zu wollen und ohne sich so zu fühlen.
Und das hat auch was Beruhigendes. Aber es ist eben ambivalent. Wie Du schon sagst, keiner will ein Mr. Smith sein, ein Grauer und Grauen, man möchte ein wenig auffallen.
Aber, zumindest was mich angeht, hat dieser Wunsch seine frühen Grenzen. Ein Promi zu sein, in dem Sinne unter öffentlicher und medialer Dauerbeobachtung zu stehen, das wäre die Höchststrafe für mich. Bestenfalls wäre ich noch als Local Hero im Sinne eines Fachkompetenten, den in der Öffentlichkeit niemand erkennt, zu gebrauchen, aber auch da habe ich keinen sonderlichen Ehrgeiz oder keine Eignung.
Das Internet als ziemlich anonymes Medium bei der sich eine Gruppe Gleichgesinnter trifft die sich um ein Thema gruppieren, ist wie für mich gemacht.
Schön finde ich auch, dass die verschiedenen Welten in denen wir uns alle bewegen mitunter so voneinander getrennt sind. In der Öffentlichkeit des Internets ist man auf eigenartige Weise sehr privat, denn niemand aus meinem Umfeld nimmt Kenntnis davon und ich denke, so wird es den meisten anderen hier auch gehen.

stine hat geschrieben:In der Mitte der Gesellschaft sind wir längst angekommen, wenn wir durch nichts mehr auffallen und da spielt es keine Rolle, wie das eigene Befinden ist. Das sieht nämlich keiner.
Naja, gerade am inneren Befinden kann man ja dann jede Menge festmachen, was die Menschen eben gerade dann unterscheidet, wenn sie auf den ersten Blick nicht zu unterschieden sind.
Man kann jederzeit in die Masse abtauchen und dann wieder da sein, als Individuum, wenn man a) nicht gezwungen ist, aus Prinzip anders zu sein, weil man es in keiner Weise ertragen kann, einer von vielen zu sein und b) es gelernt hat im Einzelfall und wenn man will, auch gegen den Strom zu schwimmen und sich nicht immer der aktuellen Stimmungslage anzupassen.
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Gandalf » Fr 14. Mär 2014, 20:14

provinzler hat geschrieben:Ich sehe mich in der geistigen Tradition eines Ludwig von Mises. Und dem halten die Linken heute noch vor, dass er entsprechend seiner lang geübten Gewohnheit, selbst denjenigen (den Nazis) auf deren Todeslisten er ganz ganz oben stand, lautere Motive zu unterstellen. In der verdrehten Logik derer, die damals begeistert in der ersten Reihe gestanden hätten, wird er dadurch zum Nazisympathisanten.
:kopfwand:
Mich fasziniert diese menschliche Größe ehrlich gesagt. Da bin ich persönlich noch weit davon entfernt!.

DoppelPlus!
Vollbreit hat geschrieben:Drittens, und auf den Text von Aly bezogen: Zum eine kritisiert er die Interpretation von Gleichheit in der deutschen Lesart (bis 1933) und das ist der Punkt, in dem Du Dich sicher in vollem Umfang wiederfindest. Zum andere kritisiert er aber, dass es eine ebenso abgespeckte Variante der Freiheit gibt, in der das Individuum eben nicht seinen selbstbestimmten Weg geht, sondern immer wieder im Kollektiven und Völkischen ankommt. Die ressentimentgeleiteten Pamphlete der Neuen Rechten spielen heute alle damit, dass die Linken doch eigentlich Rechtsextremen und Schlimmen sind, beschwören damit aber genau jenen Geist der auf das „wir gegen die“ nicht verzichten kann und vor allem sagt er „Ungerecht!“. Wenn man aus der gefühlten Position des Schuldigen auf die angeblich noch Schlimmeren verweist, kommt man aus dieser Selbstfesselung nicht raus. Das ist m.E. die Brücke in die Gegenwart, die Dir weiter hilft, immer nur zu wiederholen, was Du längst weißt bringt keinen Fortschritt.


Ich weis nicht auf was Du hinauswillst.

"Neurechts" ist ja der innerlinken Polemik geschuldet, die auf der deutschen (und derzeit nur dort) Wikipedia bei Soziologiethemen Einzug gehalten hat. Es hat nichts mit nationalem oder völkischem Sozialimsus zu tun, sondern drückt einfach das Unverständnis der linksgegenderten (deutschen) Schwachmat_innen aus jenseits einer kollektivistischen Gesellschaftsordnung (Sozialismus) überhaupt eine intellektuelle Geisteshaltung erkennen oder für möglich halten zu können. Klassischer Liberalismus existiert für Kollektivisten schlicht nicht, da sie den absoluten Herrschaftsanspruch, den sie für sich einnehmen, stets anderen unterstellen. Götz Aly hat das ja im Eingangszitat treffend und umfasend beschrieben.

Ayn Rand, die nach dieser pseudointellektuell beschränkten Weltsicht "extrem Rechts" steht: " Die kleinste Minderheit ist das Individuum" - und "Wer für das Individuum kämpft, kämpt für alle"

Und das ist der Punkt: Das individuum ist die Kleinste Einheit- also eine absolute Bezugsgröße. - Alles andere was die Kollektivisten veranstalten sind willkürliche (psuedowissenschaftlich: wie z.B. der Genderismus) Gruppendefinitionen die nicht dem Zusammenhalt, sondern der Spaltung der Gesellschaft dienen. Nur wenn man aus Individuum Gruppen 'erfinden' kann, kann man sich auch als Sprecher und Führer der Gruppen gerieren und Macht beanspruchen. (Siehe dazu auch die derzeitige Überdehnung des Rassismusbegriffes über das Biologische hinausgehend)

Teile und herrsche - war schon immer das Konzept der politisch mächtigen Habenichtse um das produktive Individuum auszuplündern.

Robin Hood must die! (Ragnar Danneskjöld)
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Re: Gleichheitssucht und Freiheitsangst

Beitragvon Nanna » Fr 14. Mär 2014, 22:17

provinzler hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Zweitens, werden bestimmte Delikte verfolgt, nicht weil da Frau Müller Herrn Meier etwas angetan hat, sondern, weil Frau Müller die Art und Weise, wie wir zusammenleben wollen attackiert hat. Darum müssen bestimmte Delikte strafrechtliche verfolgt werden, auch wenn der Einzelne das nicht will und darum ergeht das Urteil „im Namen des Volkes“.

Wobei ich da gewisse Vorbehalte dagegen habe, das per Mehrheit zu bestimmen, wie "wir" zusammenleben wollen. Sonst sind wir wieder beim Schaf und den beiden Wölfen, die übers Abendessen abstimmen.

Auf der theoretischen Ebene habe ich dafür ein gewisses Verständnis, auf der praktischen muss man aber irgendwann trotzdem mal zu Potte kommen und akzeptieren, dass man in einer Gesellschaft lebt, in der es Konventionen und Praktiken gibt, in die man hineingeworfen wird und die man nur begrenzt mitbestimmen kann. Wie Vollbreit in einem anderen Thread schon klar machte: Von der psychologischen Seite her ist es wichtiger, dass der Mensch überhaupt Regeln hat, als dass er perfekte Regeln hat. Über die persönliche Kränkung, dass die Welt sich selten an die eigenen Präferenzen anpasst, sondern es durch die Schwerfälligkeit des sozial Etablierten meist eher andersherum läuft, muss man an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung auch mal drüber wegkommen. Sonst dreht man sich im Kreis und kann vor lauter Beschäftigung mit seinem eigenen Ärger nicht mal die kleinen Anstöße umsetzen, zu denen man in einer Gesellschaft sehr wohl in der Lage ist.

Vollbreit hat geschrieben:Und das hat auch was Beruhigendes. Aber es ist eben ambivalent. Wie Du schon sagst, keiner will ein Mr. Smith sein, ein Grauer und Grauen, man möchte ein wenig auffallen.

Komplettes irrelevantes Offtopic, aber du gehörst einfach zur falschen Generation. :wink:

Gandalf hat geschrieben:Und das ist der Punkt: Das individuum ist die Kleinste Einheit- also eine absolute Bezugsgröße. - Alles andere was die Kollektivisten veranstalten sind willkürliche (psuedowissenschaftlich: wie z.B. der Genderismus) Gruppendefinitionen die nicht dem Zusammenhalt, sondern der Spaltung der Gesellschaft dienen. Nur wenn man aus Individuum Gruppen 'erfinden' kann, kann man sich auch als Sprecher und Führer der Gruppen gerieren und Macht beanspruchen. (Siehe dazu auch die derzeitige Überdehnung des Rassismusbegriffes über das Biologische hinausgehend).

Menschen haben immer schon Gruppen gebildet, bilden fleißig Gruppen und werden vermutlich auch immer Gruppen bilden. Du schreibst ja hübsche Polemiken (wobei ich mich frage, ob du eine persönliche Strichliste führst, wie viele abwertende Begriffe du in einem Satz kriegst), aber das Wegdefinieren einer doch recht grundlegenden menschlichen Verhaltensweise (Gruppen und Hierarchien zu bilden) wird halt auch irgendwann alt.

In diesem Sinne:
Ding dong, the witch is dead! :veg:
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