AgentProvocateur hat geschrieben:Unter "Handlungsfreiheit" verstehe ich: jemand kann tun, was er will.
"Perfekte Handlungsfreiheit" wäre: jemand kann immer tun, was er will.
Unter "Entscheidungsfreiheit" verstehe ich: jemand ist fähig dazu, die Umstände einer Situation erkennen, dazu passende Optionen generieren und unter diesen passenden Optionen die im am besten erscheinende auswählen zu können.
"Perfekte Entscheidungsfreiheit" wäre demnach: jemand ist immer in der Lage dazu, eine Situation vollkommen abzuschätzen, alle dazu passenden Optionen generieren zu können und immer die daraus die ihm als beste erscheinende Option auswählen zu können.
Dabei spielte es mE keine Rolle, falls dabei jeweils in einer bestimmten Situation immer eine bestimmte Entscheidung und eine bestimmte Handlung erfolgte. Im Gegenteil sogar: wenn das nicht der Fall wäre, würde ich das als weniger frei ansehen. (Es sei denn, dass mehrere als gleich bewertete Optionen vorlägen, dann wäre es mE egal, welche dieser als gleichwertigen Optionen ausgewählt würden. Und es wäre auch egal, wenn immer dieselbe Option ausgewählt würde.)
Wohlgemerkt: ich behaupte nicht, dass es in dem oben definierten Sinne in unserer Welt perfekte Entscheidungsfreiheit und/oder perfekte Handlungsfreiheit gäbe. Ich behaupte lediglich, dass es auch in einer determinierten Welt eine solche graduelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit geben kann.
Nun meinst Du wohl, dass, wenn es keinen Freiraum in Deinem Sinne gäbe, (= "es hätte nicht anders kommen können"), man Personen nicht frei bezüglich ihrer Entscheidungen und Handlungen nennen könne.
Aber das erscheint mir prima facie unplausibel, denn was wäre mehr Handlungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer das tun könnte, was sie wollte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal das täte, was sie nicht wollte? Aber wieso? Das ist mE nun keineswegs so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst.
Und analog: was wäre mehr Entscheidungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer vollständiges Wissen der relevanten Umstände einer bestimmten Situation hätte, alle möglichen Handlungsoptionen für diese Situation generieren könntge und immer die am für sie beste Option in der Situation auswählen könnte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal eine von ihr als schlechter angesehenen Option auswähle würde?
Dein Einwand hier: ja, aber diese Person tut nie, was sie nicht will, bzw. sie entscheidet sich nie für eine von ihr als schlechter angesehene Option, erscheint mir nun keine plausible Begründung für eine Freiheitseinschränkung dieser Person zu sein.
ganimed hat geschrieben:Zurück zum Mörder, der gestern um 15 Uhr sein Opfer erschoss. Du sprichst ihn schuldig, wenn er die grundsätzliche Fähigkeit hatte, durch Selbstkontrolle nicht zu schießen.
Ja, oder den Steuerhinterzieher oder den Betrüger oder den Vertragsbrecher. Um nicht nur Kapitalverbrechen zu nennen.
ganimed hat geschrieben:Mit deinem Schuldkriterium kann der Richter also genausogut würfeln und einen großen Teil der Prozesskosten sparen, oder?
Es gibt diverse Verfahren, um festzustellen, um jemand schuldfähig ist oder nicht. Diese Verfahren sind zwar weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, jedoch sind sie dennoch unverzichtbar. Es geht dabei mE nicht darum, wie Du anscheinend meinst, festzustellen, ob jemand böse sei oder nicht, sondern es geht vor allem darum, nicht jemanden ungerechtfertigt zu verurteilen. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob eine Verurteilung eines bestimmten Menschen eine positive Auswirkung auf andere hätte; auch falls die Verurteilung eines Unschuldigen eine positive Auswirkung auf die zukünftige Gesellschaftsentwicklung hätte, würde man es als ungerecht ansehen, diesen Menschen derart als Mittel zum Zwecke der zukünftigen positiven Gesellschaftsentwicklung zu verwenden.
ganimed hat geschrieben:Nehmen wir doch lieber mein Kriterium. Das ist klar vorgegeben, sehr einfach anwendbar und man gelangt immer zu einem logisch widerspruchsfreiem Ergebnis: nicht schuldig im Sinne "er hätte (in derselben Situation) auch anders handeln können", denn er konnte gestern um 15 Uhr nicht anders handeln (laut Determinismus).
Der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer hat gestern um 15 Uhr so gehandelt, wie er gehandelt hatte. Und, Determinismus vorausgesetzt, hätte es nicht anders kommen können als so, wie es kam. Was jedoch nichts daran ändert, dass die Handlung desjenigen auf seinem Mist gewachsen ist, falls er zurechnungsfähig war. Und was nichts daran ändert, dass seine Handlung gegen bekannte Normen verstieß. Und was auch nichts daran ändert, dass jemand anderes, der damit nichts zu tun hatte, tautologischerweise damit nichts zu tun hatte.
Und weiter? Soll der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer deswegen nicht sanktioniert werden? Was soll mit ihm statt dessen geschehen? Ihn einfach laufen lassen? Und was, wenn darauf jemand Selbstjustiz ausübt und den Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer killt oder übel verletzt? Immer nur müde mit den Schultern zucken und sagen: "niemand kann etwas dafür, was er tut, ist ja alles determiniert"? Oder sagen: "Mord, Steuerhinterziehung, Betrug und Vertragsbruch sind kein Problem, diese sind ja determiniert, daher alternativlos, daher darf das nicht bestraft/sanktioniert werden, aber Selbstjustiz geht gar nicht, daher muss Selbstjustiz bestraft/sanktioniert werden"?
Oder zwar weiter sanktionieren wie bisher, aber fürderhin den Begriff "Strafe" vermeiden und statt dessen z.B. "Sanktion" sagen? Genau dasselbe tun wie bisher, jedoch die Begriffe ändern, also lediglich Sprachkosmetik betreiben?
Falls der juristische Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld" Deiner Ansicht nach fallen gelassen werden soll, was soll an dessen Stelle treten? Niemanden mehr bestrafen/sanktionieren, oder nach völligem Belieben dann sanktionieren, wenn wahrscheinlich ein Nutzen für die Gesellschaft daraus folgte? Also z.B. irgend jemand völlig Beliebigen (z.B. Dich oder Deine Kinder) willkürlich bestrafen/sanktionieren, falls die Präsentation eines Sündenbockes voraussichtlich gute Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte? Weil es in einer determinierten Welt völlig egal wäre, wer bestraft/sanktioniert würde, weil in einer determinierten Welt alle gleichermaßen unschuldig wären und daher entweder ausnahmslos niemand oder völlig beliebige Leute sanktioniert/bestraft werden düften, falls das irgendwie einen voraussichtlichen Nutzen hätte?
Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
stine hat geschrieben:Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
LG stine
Dr Fraggles hat geschrieben:Was ist der Motor der Veränderung (der Person) wenn idealer Weise immer gleich entschieden wird...braucht es da nicht auch trial and error oder andere Faktoren der Unsicherheit?
Dr Fraggles hat geschrieben:Ein Beispiel: Ich erfülle alle Bedingungen um als zurechnungsfähig eingeschätzt zu werden (im heutigen Strafrecht werden diese wohl im Kontext des indeterministischen Freiheitsbegriffs erruiert). Das heisst ich weiss um mein Tun und kann deren Folgen abschätzen etc., dummer Weise bin ich sehr eifersüchtig und schädige meine Freundin nach ertapptem Fremdgehen. Kurzum: der Schaden ist grösser als gewollt oder intendiert. Ich wusste zwar was ich tat, schätzte die Folgen evtl. etwas falsch ein, aber unter dem Strich werde ich eine heftige Strafe dafür bekommen. Rückblickend erscheint mir das Ganze als determinierte Abfolge, bedingt durch Motive und zufällige Randbedingungen. Ich bereue zutiefst die Folgen für alle (nicht weil ich mich schuldig weiss, sondern weil ich die Folgen als so nicht gewollt und das verursachte Leid wahrnehme. Reue kann sich durchaus einfach auf das spezifische Determiniertsein beziehen), und denke auch: wenn ich doch nur anders gehandelt hätte, mich mehr unter Kontrolle gehabt hätte (=anders gewollt hätte).
Dr Fraggles hat geschrieben:Dies illustriert eine Situation, in welcher das Bedürfnis nach "anders handeln können unter gleichen Bedingungen" verständlich ist: wären meine Motive und Affekte doch andere gewesen, oder hätte ich sie unter Kontrolle gehabt etc. Ja: hier wollte ich tatsächlich was ich tat (auch wenn nicht in seinen Folgen), aber zugleich wollte ich es nicht!
Dr Fraggles hat geschrieben:Unter dem Strich ist der Sachverhalt der Folgende: solange es Menschen gibt welche solche Bedürfnisse haben (anders wollen können als sie es faktisch tun), diese nicht als völlig unverständlich und irrational aufgewiesen werden können (und da sehe ich kein einziges valides Argument bei dir und grundsätzlich nicht wie dies, gegen das gegenteilige Empfinden von Menschen, begründet werden könnte), kann ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff nicht beanspruchen jedermanns diesbezügliche Bedürfnisse abdecken zu können.
Dr Fraggles hat geschrieben:Und analog: was wäre mehr Entscheidungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer vollständiges Wissen der relevanten Umstände einer bestimmten Situation hätte, alle möglichen Handlungsoptionen für diese Situation generieren könntge und immer die am für sie beste Option in der Situation auswählen könnte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal eine von ihr als schlechter angesehenen Option auswähle würde?
Siehe oben: beste Option etc., da müsste wahrlich viel argumentiert werden um zu wissen was "das Beste" sein soll oder gar ist (kann es da nur ein Kriterium geben? Ist das Beste immer das objektiv Beste oder das nur subjektiv als das Beste interpretierte? etc. etc.).
Dr Fraggles hat geschrieben:Es geht darum das Gefühl eigenen Determiniertseins - unter Umständen auch dort wo man wollte was man tat! - nicht in Einklang bringen zu können mit meiner angeblichen Verantwortlichkeit. Dass ich einen Bruch empfinde zwischen meinen Handlungen und deren zu tragenden Konsequenzen (im Guten wie im Schlechten).
Dr Fraggles hat geschrieben:Eine Fähigkeit ist in genau dem Umfang grundsätzlich wie sie auch aktualisiert wird.
Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.
Dr Fraggles hat geschrieben:Zudem redest du "von auf seinem Mist" gewachsen...hier weichst du vom Eigenerleben des Menschen ab und negierst damit, dass "anders handeln können auf einer zweiten Stufe" subjektiv dem Menschen zum Bedürfnis werden kann.
Dr Fraggles hat geschrieben:Des weiteren redest du davon, dass nicht ein anderer die Tat beging (was nur zuallererst eine zu klärende Frage ist), dies scheint mir aber im Widerspruch mit einem Determinismus zu stehen. Aus Sicht eines konsequent durchgedachten Determinismus fang Ich (pure Illusion im Kontext der Freiheitsfrage) ja nicht erst mit meinem Geboren werden an zu existieren. Ich bin das Produkt einer bis zum Urknall reichenden Kette von Verursachungen.
Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, jenseits von Sprachkosmetik der Realität ins Auge schauen: dass der Zusammenhang Schuld-Strafe ein nur sehr bedingter ist, dass wirkliche Schuld ein "anders handeln können" voraussetzen würde.
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass Strafen aber eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, will eine solche ihr Dasein sichern etc.
ujmp hat geschrieben:stine hat geschrieben:Das ist ein interessantes Thema und ganz bestimmt einen eigenen Thread wert. Warum reagieren wir oft so animalisch und worin liegt der Vorteil sich zu kultivieren?Dr Fraggles hat geschrieben:...insofern unsere natürliche Einstellung die dann abtrainiert wird?
LG stine
Gute Idee, Vorschlag: "Es steckt viel Tier im Menschen..."
Konrad Lorenz zitiert gern Laotse (glaub ich): "Es steckt viel Tier im Menschen, aber kein Mensch im Tier."
(Ein sehr gutes Buch zum Thema ist "Die Rückseite des Spiegels" von Konrad Lorenz.)
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Was ist der Motor der Veränderung (der Person) wenn idealer Weise immer gleich entschieden wird...braucht es da nicht auch trial and error oder andere Faktoren der Unsicherheit?
Es ging hier um Wiederholungen immer wieder exakt derselben Situation; um ein Gedankenexperiment, das etwas beschreibt, was in unserer Welt niemals vorkommt und daher völlig unerheblich für die tatsächliche Entwicklung einer Person ist.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Ein Beispiel: Ich erfülle alle Bedingungen um als zurechnungsfähig eingeschätzt zu werden (im heutigen Strafrecht werden diese wohl im Kontext des indeterministischen Freiheitsbegriffs erruiert). Das heisst ich weiss um mein Tun und kann deren Folgen abschätzen etc., dummer Weise bin ich sehr eifersüchtig und schädige meine Freundin nach ertapptem Fremdgehen. Kurzum: der Schaden ist grösser als gewollt oder intendiert. Ich wusste zwar was ich tat, schätzte die Folgen evtl. etwas falsch ein, aber unter dem Strich werde ich eine heftige Strafe dafür bekommen. Rückblickend erscheint mir das Ganze als determinierte Abfolge, bedingt durch Motive und zufällige Randbedingungen. Ich bereue zutiefst die Folgen für alle (nicht weil ich mich schuldig weiss, sondern weil ich die Folgen als so nicht gewollt und das verursachte Leid wahrnehme. Reue kann sich durchaus einfach auf das spezifische Determiniertsein beziehen), und denke auch: wenn ich doch nur anders gehandelt hätte, mich mehr unter Kontrolle gehabt hätte (=anders gewollt hätte).
Solche Situationen, bei denen wir nachträglich sehr bedauern, wie wir gehandelt haben und wünschten, wir hätten das anders gemacht, kennen wir wohl alle mehr oder weniger.
Allerdings wäre es wohl ziemlich merkwürdig, wenn jemand deswegen die Verantwortung für seine Handlung leugnen würde. "Ich wollte das, ja, und ich habe es gemacht, aber jetzt bedauere ich das und wollte, ich hätte das nicht getan, also bin ich nicht verantwortlich für meine Handlung" hörte sich wohl nicht nach einer akzeptablen Entschuldigung an.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Dies illustriert eine Situation, in welcher das Bedürfnis nach "anders handeln können unter gleichen Bedingungen" verständlich ist: wären meine Motive und Affekte doch andere gewesen, oder hätte ich sie unter Kontrolle gehabt etc. Ja: hier wollte ich tatsächlich was ich tat (auch wenn nicht in seinen Folgen), aber zugleich wollte ich es nicht!
Nein, der Mensch im Beispiel wollte es damals sehr wohl, aber heute bereut er es. Daher ist es falsch, zu sagen, er wollte es und wollte es zugleich nicht.
Und leider können wir die Vergangenheit nicht ändern. Dabei spielt es jedoch überhaupt keine Rolle, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, wir könnten die Vergangenheit so oder so nicht ändern, egal, wie sehr wir unser Verhalten nachträglich bedauern. Und inkompatibilistische Freiheit beinhaltet hoffentlich nicht die Fähigkeit, die Vergangenheit ändern zu können.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Unter dem Strich ist der Sachverhalt der Folgende: solange es Menschen gibt welche solche Bedürfnisse haben (anders wollen können als sie es faktisch tun), diese nicht als völlig unverständlich und irrational aufgewiesen werden können (und da sehe ich kein einziges valides Argument bei dir und grundsätzlich nicht wie dies, gegen das gegenteilige Empfinden von Menschen, begründet werden könnte), kann ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff nicht beanspruchen jedermanns diesbezügliche Bedürfnisse abdecken zu können.
Ich habe nicht behauptet, dass ein kompatibilistischer Freiheitsbegriff alle Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich abdecken kann, (das kann er mE nicht), mir reicht es jedoch völlig, wenn er die meisten dieser Bedürfnisse/Auffassungen diesbezüglich hinreichend abdeckt. Jedoch hat dieser Dissens mit Deinem Beispiel nichts zu tun, sondern mit einer anderen Auffassung von Freiheit, (nämlich: "anders handeln können in ein- und derselben Situation"). Die anscheinend jedoch anscheinend weder plausibel erläutert werden kann, noch kann erläutert werden, wieso das als notwendige Voraussetzung für Freiheit sein soll, noch kann belegt werden, dass das eine landläufige Ansicht sei.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Beispiel bezieht sich nun auf etwas anderes, auf Willensschwäche. Dann kann man nicht tun, was man eigentlich für richtig hält. Das ist weder unverständlich, noch irrational, das ist dann tragisch. Was wäre nun Deiner Ansicht nach der Wunsch von Menschen, die oft unter Willensschwäche leiden? Dass sie öfter so entscheiden können, wie sie es für richtig halten? Oder dass sie in ein und derselben Situation mal so und mal so entscheiden und handeln? Wenn Du ihnen als gute Fee beide Optionen anbieten würdest, welche würden sie Deiner Ansicht nach wählen?
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Siehe oben: beste Option etc., da müsste wahrlich viel argumentiert werden um zu wissen was "das Beste" sein soll oder gar ist (kann es da nur ein Kriterium geben? Ist das Beste immer das objektiv Beste oder das nur subjektiv als das Beste interpretierte? etc. etc.).
Meine Frage hier war die: was kann der Freiheitsbegriff der Inkompatibilisten zu diesem (ins Extreme getriebene [in unserer Welt nicht vorkommenden] kompatibilistischen Freiheit) Wesentliches/Unverzichtbares hinzufügen? Diese Frage hast Du, so wie ich das sehe, bisher nicht beantwortet. Aber es wäre wichtig, diese Frage zu beantworten, davon hängt nämlich die Plausibilität der inkompatibilistischen Position ab. Denn der Inkompatibilist behauptet ja, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff ungenügend sei, da etwas Wesentliches und Unverzichtbares hinzukommen müsse, um von echter Freiheit sprechen zu können. Und dieses Wesentliche/Unverzichtbare für echte Freiheit sollte der Inkompatibilist einfach mal benennen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Es geht darum das Gefühl eigenen Determiniertseins - unter Umständen auch dort wo man wollte was man tat! - nicht in Einklang bringen zu können mit meiner angeblichen Verantwortlichkeit. Dass ich einen Bruch empfinde zwischen meinen Handlungen und deren zu tragenden Konsequenzen (im Guten wie im Schlechten).
Ich empfinde dann wohl nicht das, was Du empfindest. Und ich kann keine Empfindungen/Gefühle widerlegen, ich kann lediglich Argumente widerlegen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Eine Fähigkeit ist in genau dem Umfang grundsätzlich wie sie auch aktualisiert wird.
Nein, ich kann z.B. englisch sprechen, obgleich ich jetzt nicht englisch spreche.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.
Inwiefern?
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Des weiteren redest du davon, dass nicht ein anderer die Tat beging (was nur zuallererst eine zu klärende Frage ist), dies scheint mir aber im Widerspruch mit einem Determinismus zu stehen. Aus Sicht eines konsequent durchgedachten Determinismus fang Ich (pure Illusion im Kontext der Freiheitsfrage) ja nicht erst mit meinem Geboren werden an zu existieren. Ich bin das Produkt einer bis zum Urknall reichenden Kette von Verursachungen.
Inwiefern steht es im Widerspruch zum Determinismus, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen jemandem, der eine Tat begangen hat (juristisch/moralisch schuldig ist) und jemandem, der die Tat nicht begangen hat (juristisch/moralisch unschuldig ist)?
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, jenseits von Sprachkosmetik der Realität ins Auge schauen: dass der Zusammenhang Schuld-Strafe ein nur sehr bedingter ist, dass wirkliche Schuld ein "anders handeln können" voraussetzen würde.
"Anders handeln können" ist nach wie vor undefiniert und was Undefiniertes kann keine Voraussetzung für irgendwas anderes, z.B. Schuld im strafrechtlichen Sinne sein. Das wäre so, als wie wenn Du behauptetest, dass kljdfhoiufzoifhrph notwenige Vorausetzung für irgendwas sei. Wäre sicher wenig nachvollziehbar.
AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Dass Strafen aber eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, will eine solche ihr Dasein sichern etc.
Wer soll und darf bestraft werden? Ist es z.B. okay, Dich zu bestrafen, wenn jemand getötet wurde, obgleich Du nichts damit zu tun hattest, wiewohl es gute Folgen für die Gesellschaft hätte, wenn ein Sündenbock, in dem Falle: Du, präsentiert werden könnte? Und wenn nicht: warum nicht? Ob Du oder der Täter getötet hätte, wäre Deiner Ansicht nach doch irrelevant, weil Ihr beide genauso determiniert wäret, oder? Und dann wäre es völlig egal, wer bestraft wird, jeder wäre ja gleichermaßen unschuldig, weil determiniert.
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du Strafe als nützlich befürwortest, aber nicht unterscheiden willst zwischen schuldig und unschuldig, dann kannst Du auch logischerweise nicht unterscheiden zwischen der Bestrafung eines Schuldigen und eines Unschuldigen. Dann wäre die Bestrafung eines Schuldigen ebenso legitim wie die Bestrafung eines Unschuldigen. Und das ist eine, öhm, sehr, sehr ungewöhnliche Position, weil überhaupt nicht nachvollziehbar. Denn das bedeutete, dass jeder jederzeit bestraft werden könnte für etwas was er nicht getan hätte, falls das nur irgendwie einen Nutzen für die Gesellschaft brächte. Was auf Willkür hinausliefe, (aber natürlich nicht "Willkür" genannt würde, sondern: "gesellschaftliche Notwendigkeit"), niemand könnte sich mehr seiner Rechte sicher sein, egal, was er auch immer täte, es läge nicht mehr in seiner Hand, an ihm und seinem Verhalten, wie mit ihm umgegangen würde. Ade, Rechtstaat, willkommen schöne neue determinierte Welt.
Dr Fraggles hat geschrieben:Angenommen ich erkenne deutlich schon beim handeln, dass ich getrieben werde so zu handeln, die Handlung selbst geschieht in schärfster Ambivalenz: es tun wollen/müssen und zugleich es nicht tun wollen/dürfen.
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff zu kurz greift, zeigt sich wohl fast immer bei Handlungen mit extremen Konsequenzen...und dies macht auch sein fehlendes Gewicht aus.
Dr Fraggles hat geschrieben:Wir müssen nicht debattieren ob ein freier Wille Sinn macht, aber in diesem Beispiel ist klar, dass ein zusätzlicher Faktor zu einem anderen Entscheid führen würde (der ebenso gewollt war!), der gravierend schlechte Konsequenzen vermeiden würde und dem weitsichtigeren Willen des betreffenden mehr entspräche.
Dr Fraggles hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Dr Fraggles hat geschrieben:Und was nichts daran ändert, dass deine Argumente zweierlei vermischen: erstens eine Strafpraxis welche einen Unterschied macht zwischen gewollten Handlungen und erzwungenen (=unzurechenbaren) Handlungen (Alkohol, Drogen, psychische Verfasstheit etc.). Dies wird einem Eigenerleben des Menschen auf einer ersten Stufe gerecht nicht aber auf einer zweiten.
Inwiefern?
Hab den Kontext nicht mehr im Sinn, aber wohl weil auf einer zweiten Stufe, jede Handlung in genau gleicher Weise determiniert war.?
Dr Fraggles hat geschrieben:Der Widerspruch läge allenfalls darin, dass eine Kausalkette willkürlich herausgeschnitten wird aus seinem Ihn determinierenden Kontext.
Dr Fraggles hat geschrieben:Ich handle letztlich nur auf Grund der Tatsache, dass alles so ist wie es ist. Warum nicht zugleich meine Eltern und meine Umwelt für meine Handlungen zu Rechenschaft ziehen? Weil es inpraktikabel ist und weil der Mensch irgendwann glaubte, er könnte sich von solchen Kontexten lösen, und jetzt kommt die Pointe: auf Grund eines freien Willens!
Dr Fraggles hat geschrieben:Nun ja, Strafen verfolgen unterschiedliche Ziele. Praktikabler Weise muss natürlich der bestraft werden der Unrecht begangen hat, einfach weil er auf eine Weise determiniert ist die der Gesellschaft schädlich werden kann. Mich an seine Stelle bestrafen: nein, mittelfristig hätte das katastophale Konsequenzen für eine Gesellschaft wenn Sündenböcke herhalten müssten, da ginge jegliche Rechtssicherheit verloren etc.
Dr Fraggles hat geschrieben:Auch wenn niemand schuldig ist im Sinne , dass er eine Wahl gehabt hatte anders zu handeln, so gibt es natürlich den Unterschied von Handelnden welche so oder so handeln. Dass es willkürlich ist, oder kulturellen Zufälligkeiten geschuldet (!) ist, dass man Individuen ihre Handlungen zurechnet, mag sein, so ist es aber bestimmt nicht irrational: sperrte man irgendwen für irgendwas ein, dann würde keine Gesellschaft lange Bestand haben (und das will ja jede Strafpraxis vermeiden). Nirgends habe ich gesagt, dass auf Grund fehlenden indeterministischen freien Willens und der Tatsache dass jeder im selben Ausmass determiniert ist, eine Zurechenbarkeitspraxis völlig absurd sei. Ich sage lediglich, dass es reichlich ungerecht ist (auf einer zweiten Ebene), auf einer ersten Ebene aber notwendig und auch nachvollziehbar...wenn auch selbst hier die Bandbreite an Strafreformen noch recht weit gehen könnten, würde der Mensch sich z.B. lösen können von urtümlichen Vergeltungstrieben etc.
Dr Fraggles hat geschrieben:[...]...nur: die kompatibilistische Freiheit bietet die Basis für moralische und rechtliche Urteile, die mit Gerechtigkeit oder Moral nichts zu tun haben. [...]
AgentProvocateur hat geschrieben:"Die Welt ist determiniert, also gibt es keine Verantwortung". Halte ich zwar für falsch, aber noch nicht für unlogisch.
Jürgen Habermas hat geschrieben:Diese logische Kluft zwischen Handeln und Geschehen wird oft metaphorisch überspielt. Ein für neurowissenschaftliche Darstellungen nicht untypisches Beispiel ist die rhetorische Angleichung von Gründen an Ursachen – etwa die Assimilation des „Wettbewerbs“ der unbewusst wirkenden Variablen, die der neurologischen Beobachtung zugänglich sind, an das Muster des Wettbewerbs von Argumenten, welche die Stellungnahmen von Personen zu Geltungsansprüchen ausdrücken. Der nach logisch-semantischen Regeln beurteilte Wettbewerb um das bessere Argument verlangt eine andere Beschreibung als die kausale Folge von Zuständen im limbischen System: „Der verkannte Unterschied liegt darin, dass es im Fall des Hin und Her von Gründen einen semantisch beschreibbaren Konflikt gibt […] einen Widerstreit zwischen Urteilen im Hinblick auf das, was wahr oder falsch, bzw. richtig oder falsch ist. Ein solcher Wechsel ist etwas anderes als ein Wechsel von körperlichen Zuständen. Diese können sich nicht widersprechen.“ (Wingert, 2006)
(Jürgen Habermas, Das Sprachspiel verantwortlicher Urherberschaft und das Problem der Willensfreiheit, in Kritik der Vernunft, Suhrkamp 2009, S. 298f)
Klingt kompatibilistisch, oder?Jürgen Habermas hat geschrieben:Allgemein verstehe ich unter Willensfreiheit den Modus der Selbstbindung des Willens auf der Basis von einleuchtenden Gründen. Willensfreiheit charakterisiert eine Seinsweise – die Art, wie handelnde Personen im Raum der Gründe existieren und wie sie sich von kulturell überlieferten und gesellschaftlich institutionalisierten Gründen affizieren lassen. Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft eröffnet einen Horizont, innerhalb dessen sich das ganze Spektrum der Willensfreiheit zwischen „freiem Willen“ und „Willkür“ erstreckt – vom angesonennen reflektierten Gebrauch bis zur normalen oder eingewöhnten Ausübung der Willensfreiheit.
(ebd. S. 282f)
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun, da frage ich mich, was denn der Inkompatibilist, insbesondere der Harte Determinist, der Freiheit leugnet, an Gerechtigkeit und Moral anzubieten hat, ohne dass sich seine Ansicht unwiderruflich in ein kleines rosa Logik-Wölkchen auflöst. Es ist schlicht vollkommen absurd, auf der einen Seite Verantwortung und Moral zu leugnen und auf der anderen Seite dennoch moralische Forderungen an andere stellen zu wollen.
Gut, man mag dem entkommen, indem man behauptet, man täte das nur, weil man dazu determiniert sei, das hätte keine Bedeutung, weil es ebenso auch völlig anders sein könne, man auch die gegenteilige Forderung aufstellen könnte oder gar keine oder was auch immer, das läge außerhalb jeglicher Kontrolle, sei lediglich durch äußere Umstände determiniert, wie bei jedem Menschen. Aber das würde dann wohl ziemlich die Überzeugungskraft der moralischen Appelle an die Verantwortlichkeit entkräften, nicht wahr?
Mag aber nun auch sein, dass der Harte Determinist noch die unbennbare, mystische und geheimnisvolle indeterministische Freiheit in der Hinterhand hat, die, falls sie benannt würde, die kompatibilistische Freiheit weit in den Schatten stellen würde, die aber nicht benannt werden darf, weil das ein Geheimnis sei, das keinem Unbedarften offenbart werden dürfe, weil dann die Welt zugrunde ginge oder gar noch Schlimmeres geschähe. Mag sein. Höhö, klar, klingt ja auch voll logisch.
Vollbreit hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:"Die Welt ist determiniert, also gibt es keine Verantwortung". Halte ich zwar für falsch, aber noch nicht für unlogisch.
Es ist wohl doch auch ein wenig unlogisch:
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