Fisherman's Fellow hat geschrieben:Sisyphos hat geschrieben:Ein aufgeklärter Geist macht keinen Unterschied zwischen fundamental verstandenen Religionen und politischen Ideologien. Beide streben sie etwas Absolutes an (Himmelreiche, tausendjährige Reiche, Ende der Geschichte) und opfern Menschenleben und Lebensglück in der Gegenwart (Kreuzzüge und Weltkriege, Ketzerverbrennung und Konzentrationslager, Höllenangst und Stasi-Kontrolle etc.).
100%ige Übereinstimmung.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Dort wurden ideologisierte, intolerante, kreuzzüglerische Atheisten illustriert.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Mit anderen Worten: Es taugt nicht viel, wenn man Hitlers propagandistischen Äußerungen von 1920 auf den Leim geht und ihm darauf aufbauend Religiosität unterstellt.
Sisyphos hat geschrieben:Ich denke nicht, dass einer der angesprochenen Wissenschaftler oder Philosophen gegenüber igendeiner Person intolerant auftritt. Wenn jemand den Glauben ablehnt und gegen seine unwissenschaftlichen und z.T. unmenschlichen Ausprägungen argumentiert, lässt sich daraus keine Intoleranz ableiten.
Sisyphos hat geschrieben:Zumindest kann man ihm keine Nicht-Religiosität unterstellen.
Sisyphos hat geschrieben:Was ist mit den weiteren von mir oben angeführten Argumenten in diesem Zusammenhang?
Dazu zitiere ich aus den 10 Angeboten des evolutionären Humanismus (Schmidt-Salomon: 2006): "Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten - es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen! Wer in der Nazidiktatur nicht log, sondern der Gestapo treuherzig den Aufenthaltsort jüdischer Familien verriet, verhielt sich im höchsten Maße unethisch - im Gegensatz zu jenen, die Hitler durch Attentate beseitigen wollten, um Millionen von Menschenleben zu retten. Ethisches Handeln bedeutet keineswegs, blind irgendwelchen moralischen Geboten oder Verboten zu folgen, sondern in der jeweiligen Situation abzuwägen, mit welchen positiven und negativen Konsequenzen eine Entscheidung verbunden wäre."
Wenn sich heute noch Christen für den Religionsunterricht aussprechen, um durch Werteindoktrination einen neuen Nationalsozialismus zu verhindern, ist das ein Treppenwitz der Geschichte.
Fishermans schrieb:
… Umgekehrt haben die sich atheistischen Regimes, welche eine bestimmte Ethik favorisierten, nicht gerade als besonders flexibel bei deren Weiterentwicklung erwiesen. …
HFRudolph hat geschrieben:Den meisten Religionen ist bezüglich der weichen Werte eine gewisse Intoleranz eigen.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:In einem anderen Thread wurde erwähnt, dass Hitchens einen Krieg zur Ausrottung aller vernagelten Gottesgläubigen führen will (...)
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nein, aber aus dem zitierten Statement läß sich keinerlei Religiosität Hitlers ableiten, da es sich um eine taktische Vereinnahmung handelt.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Was immer Hitlers Religiosität gewesen sein soll (offiziell ist er glaubich nie aus der katholischen Kirche ausgetreten), christlich scheint sie jedenfalls nicht gewesen zu sein. AFAIK war er persönlich von Nietzsche (und natürlich seinen WK1-Erfahrungen) geprägt.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber im Atheismus läßt sich keine Ethik, und sei sie noch so humanistisch, als allgemeiner Maßstab (und schon gar nicht in solch einer gesellschaftlichen Extremsituation wie dem Nazi-Totalitarismus) begründen.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das einzige, mir bekannte, wenigstens einigermaßen plausible Argument für verbindliche atheistische Richtwerte besteht darin, sich auf gewisse fatale geschichtlichen Erfahrungen zu berufen. Die aber wurden während des 3.Reiches erst gemacht!
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn sich heute noch Christen für den Religionsunterricht aussprechen, um durch Werteindoktrination einen neuen Nationalsozialismus zu verhindern, ist das ein Treppenwitz der Geschichte.
Wenn es das wirklich geben sollte, dann gäbe ich Dir recht.
Die Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland haben nach dem Zusammenbruch des atheistischen Naziregimes mit den Grundrechten ein “Nie wieder” in der Verfassung verankert. Die Grundrechte bestimmen u.a. auch den Religionsunterricht nach Art. 7, Abs.3 des Grundgesetzes als ordentliches Lehrfach.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber ich glaube weder, dass der Religionsunterricht einen neuen Nationalsozialismus verhindern könnte, noch, dass dort Werte indoktriniert weden sollen. Das ist schlicht nicht die Aufgabe des Religionsunterrichts - und ein Lehrer, der so agieren würde, riskiert genausogut einen "call" zum Direx aufgrund aufgebrachter Eltern wie ein Ethiklehrer, der in seinem Fach versucht, religiöse Auffassungen zu diskreditieren.
Indoktrination (von lateinisch: doctrina - "Belehrung") bedeutet die gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten. Dabei geht es insbesondere um Propaganda. Die Form der Informationsdarbietung ist hier einseitig verzerrt, die Gesamtheit der verfügbaren Informationen wird zensiert, die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten, deren Äußerung mit diskreten Benachteiligungen oder konkreten Strafen bedroht. Die Möglichkeiten, ein entsprechendes Informationsmonopol über eine große Menschenmenge zu erreichen, sind vor allem in Diktaturen gegeben. Aber auch eine unkontrollierte Monopolisierung der Massenmedien und autoritäre oder religiös motivierte Erziehungsformen können Indoktrination fördern.
Gerechterweise muss man hier schon erwähnen, dass das nicht auf alle Religionslehrer zutrifft. Es mag tendenziell so sein, aber gerad bei unserem denk ich mir manchmal, wenn der die Sachen eh weiß und sie uns sagt, wie kann er noch Christ bzw. Katholik sein kann. Einige Sachen werden durchaus kontrovers behandelt. Explizite Religionskritik ist mir aber noch nicht untergekommen.Sisyphos hat geschrieben:gesteuerte Auswahl von Informationen / Informationsdarbietung ist hier einseitig verzerrt / die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten --> Im Religionsunterricht überwiegen Materialien und Texte, die dazu geeignet sind, den Glauben zu bestätigen und zu festigen. Viele in Gesellschaft und Wissenschaft kontroverse Themen werden nicht kontrovers dargestellt bzw. es wird die christliche Position hervorgehoben. Religionskritische Materialien kommen nicht gleichwertig (Quantität, Qualität) zum Einsatz.
Sisyphos hat geschrieben:Eine taktische Vereinnahmung ist sehr plausibel. Sicher muss man da differenzieren. Aber aus welchem Grund half die katholische Kirche noch nach dem Krieg verschiedenen Nazifunktionären bei ihrer Flucht nach Lateinamerika?
Sisyphos hat geschrieben:Ein ideologisches Amalgam: Rassenideologie, germaische Mythologie, christliche Versatzstücke, ein fehlinterpretierter Nietzsche ... Jedenfalls hatte das Ergebnis die Wirkung einer fundamental verstandenen Religion. Und da sind wir bei unserer schon oben festgestellten Übereinstimmung.
Sisyphos hat geschrieben:Ich zitiere aus einem Briefwechsel zwischen uns und dem Erzbischof von Bamberg. Ludwig Brütting (Lts. Schulamtsdirektor i.K., Ordinatsrat) stellt zur Rechtfertigung des Religionsunterrichts folgenden Zusammenhang her:Die Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland haben nach dem Zusammenbruch des atheistischen Naziregimes mit den Grundrechten ein “Nie wieder” in der Verfassung verankert. Die Grundrechte bestimmen u.a. auch den Religionsunterricht nach Art. 7, Abs.3 des Grundgesetzes als ordentliches Lehrfach.
Indoktrination (von lateinisch: doctrina - "Belehrung") bedeutet die gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten. Dabei geht es insbesondere um Propaganda. Die Form der Informationsdarbietung ist hier einseitig verzerrt, die Gesamtheit der verfügbaren Informationen wird zensiert, die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten, deren Äußerung mit diskreten Benachteiligungen oder konkreten Strafen bedroht. Die Möglichkeiten, ein entsprechendes Informationsmonopol über eine große Menschenmenge zu erreichen, sind vor allem in Diktaturen gegeben. Aber auch eine unkontrollierte Monopolisierung der Massenmedien und autoritäre oder religiös motivierte Erziehungsformen können Indoktrination fördern.
Was trifft auf den Religionsunterricht zu?
gezielte Manipulation / ideologische Absichten --> Religionsunterricht ist Teil der religiösen Sozialisation, in der Kindern der Glauben ihrer Eltern vermittelt wird. Ohne gefragt zu werden, erfolgt die Taufe und Schritt und für Schritt die Vermittlung und Festigung von Glaubensinhalten. Kinder werden ohne Glauben geboren, sollen diesen aber entwickeln. Religionsunterricht verfolgt die Absicht, eine Weltanschauung und ihre Werte zu vermitteln.
gesteuerte Auswahl von Informationen / Informationsdarbietung ist hier einseitig verzerrt / die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten --> Im Religionsunterricht überwiegen Materialien und Texte, die dazu geeignet sind, den Glauben zu bestätigen und zu festigen.
Viele in Gesellschaft und Wissenschaft kontroverse Themen werden nicht kontrovers dargestellt bzw. es wird die christliche Position hervorgehoben. Religionskritische Materialien kommen nicht gleichwertig (Quantität, Qualität) zum Einsatz.
deren Äußerung mit diskreten Benachteiligungen (...) bedroht --> Das passiert auf zwischenmenschlicher Ebene. An meiner alten Schule berichteten mir Religionsschüler von mehreren Vorkommnissen.
Informationsmonopol über eine große Menschenmenge zu erreichen --> Die Kirchen halten auch deshalb so vehement am Religionsunterricht fest, um langfristig die Deutungshoheit in ethischen Fragen zu behalten und zu sichern.
religiös motivierte Erziehungsformen --> Bildung und Erziehung im Religionsunterricht ist religiös motiviert.
schließlich richtet sich der Religionsunterricht vorzugsweise an die Anhänger des betreffenden Glaubens.
Sisyphos hat geschrieben:Mit welchem Recht werden Kinder in einem Alter, in dem sie noch gar nicht selbstständig darüber befinden können, zu einem Glauben erzogen? Wäre es nicht viel fairer und vernünftiger den Kindern gegenüber, sie erst in einem Alter vor die Wahl bezüglich verschiedener Weltanschuungen zu stellen, in dem sie frei darüber entscheiden können?
Sisyphos hat geschrieben:Warum ist bekenntnisorientierter Religionsunterricht an der staatlichen Schule überhaupt notwendig, ....
wenn angeblich nur über Religion informiert werden soll (was Ethik auch tut),
Sisyphos hat geschrieben:wenn christliche Glaubensinhalte bei einer Abiturientenbefragung möglicherweise gar nicht vorhanden wären,
Sisyphos hat geschrieben:wenn gläubige Schüler ein viel besseres Angebot religiöser Erziehung in ihrer Gemeinde erfahren und
Sisyphos hat geschrieben:wenn Religionslehrer sich angeblich fast alle weltanschaulich neutral verhalten (was in Ethik auch der Fall ist)?
Sisyphos hat geschrieben:Was bleibt dann noch übrig als Rechtfertigung für den Religionsunterricht?
Sisyphos hat geschrieben:Und dass der Staat die Deutungshoheit an staatlichen Schulen besitzt (Fächerkanon, Stundentafel, Lehrpläne), das ist ja wohl das Mindeste, das ich von einem säkularen, weltanschaulich neutralen Staat erwarten kann.
Sisyphos hat geschrieben:Mit welchem Recht werden Kinder in einem Alter, in dem sie noch gar nicht selbstständig darüber befinden können, zu einem Glauben erzogen?
Sisyphos hat geschrieben:Wäre es nicht viel fairer und vernünftiger den Kindern gegenüber, sie erst in einem Alter vor die Wahl bezüglich verschiedener Weltanschuungen zu stellen, in dem sie frei darüber entscheiden können?
HFRudolph hat geschrieben:...
Unter „Spiritiualität“ kann man zwischen zwischen abergläubigem Wahnsinn und Besinnung auf die eigenen Emotionen so ziemlich alles verstehen.
Schreibt doch einfach mal konkreter, das verhindert Missverständnisse.
peppermind hat geschrieben:Nun habe ich mehrfach den Begriff Wahrheit ins Spiel gebracht. Wahrheit, bzw. "absolute Wahrheit" existiert für mich - als theoretischen Physiker - auf keinen Fall im Denken. Alles, was ein Menschen denken kann, ist - da an Worte gebunden (Gefühle würde ich da nicht als etwas besseres sehen) - per Definition nicht absolut wahr. Die Frage ist dann, ob es so etwas wie absolute Wahrheit überhaupt geben kann.
peppermind hat geschrieben:Nun habe ich mehrfach den Begriff Wahrheit ins Spiel gebracht. Wahrheit, bzw. "absolute Wahrheit" existiert für mich - als theoretischen Physiker - auf keinen Fall im Denken. Alles, was ein Menschen denken kann, ist - da an Worte gebunden (Gefühle würde ich da nicht als etwas besseres sehen) - per Definition nicht absolut wahr. Die Frage ist dann, ob es so etwas wie absolute Wahrheit überhaupt geben kann.
peppermind hat geschrieben:Unter "Spiritualität" würde ich gern verstehen, daß man eine absolute Wahrheit im Innern findet und nicht im Äußeren sucht.
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