Der Riss im Selbstmodell (Interview mit Thomas Metzinger)

Der Riss im Selbstmodell (Interview mit Thomas Metzinger)

Beitragvon spacetime » Sa 18. Aug 2007, 22:54

http://www.zeit.de/2007/34/M-Seele-Interview

Die Zeit mal wieder mit einer hitzigen Debatte über die "Illusion Seele" in der aktuellen Ausgabe.
Ein interessantes Interview aus der 'Zeit' mit dem Philosoph Thomas Metzinger zum Thema Bewusstsein und Seele.
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Beitragvon LinuxBug » Sa 18. Aug 2007, 23:27

Also ich muss ehrlich sagen, dass ich ohne Steven Pinkers Buch Das unbeschriebene Blatt (genauer, ohne Vorwort) , die Worte nicht verstanden hätte.

Metzinger hat geschrieben:Ein guter Ausgangspunkt könnte die Idee eines »evolutionären Humanismus« sein.

Frage: hält der evolutionäre Humanismus wirklich was er verspricht?
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Beitragvon Myron » So 19. Aug 2007, 01:36

Ein sehr gutes Interview.
Am besten hat mir die folgende Äußerung gefallen:

"Ich bin im Grunde stockkonservativ. Wir müssen die Werte der Aufklärung verteidigen."
(Thomas Metzinger)
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Beitragvon emporda » So 19. Aug 2007, 04:47

Ich fand das, was dann folgt, noch besser
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Ich bin im Grunde stockkonservativ. Wir müssen die Werte der Aufklärung verteidigen. Ich sehe eine Gefahr der Flucht in den Fundamentalismus. Die naturalistische Wende könnte eine Welle der Desäkularisierung, der Gegenaufklärung antreiben. Amerika haben wir schon verloren, ich denke, das ist eigentlich kein westliches Land mehr.
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Es bringt ein bei mir aus Amerika Erfahrung gereiftes Konglomerat von Fakten und Erfahrungen auf den Punkt. Der Unterschied zwischen dem fundamentalistisch islamischem Saudi-Arabien und wesentlichen Teilen Amerikas ist eigentlich nur der Name der Religion.
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Beitragvon spacetime » So 19. Aug 2007, 10:48

Als ich in China einen Vortrag über Neuroethik und Bewusstseinskultur gehalten habe, hat man mich dagegen ausgelacht: »Junge, das ist ein Problem, das nur ihr im Westen habt. Ihr hattet damals schon Theater mit Darwin und der Kirche – wir fanden es einfach interessant, dass wir von Affen abstammen.«

Wenn es doch auch im Westen so wäre... :/
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Beitragvon molosovsky » So 19. Aug 2007, 11:38

In dem »Die Zeit«-Interview mit Metzinger fand auch ich einige wunderschöne Stellen.

Was mich schon lange umtreibt ist ja diese Gradwanderung zwischen
Metzinger hat geschrieben:Realitätsmodelle, die sich durch ganze Populationen propagieren und soziales Mikroverhalten durch eine Makrodynamik versklaven: Ideologien, den Glauben, metaphysische Placebos aller Art

und
Metzinger hat geschrieben:vulgäre{r}Materialismus {…} Wenn die Leute sagen: Das ist ein kaltes, leeres Universum, wir sind eine bessere Art von Bioautomaten, Ego-Maschinen ohne Willensfreiheit, die aus der Evolution entstanden sind. Wir haben keine Seele, sondern Selbstmodelle, und es wird im Jenseits keine Belohnung für gute schauspielerische Leistungen geben. Da könnte sich, lange bevor die wissenschaftlichen und philosophischen Fragen überhaupt geklärt sind, ein primitiver Hedonismus ausbreiten …

Meine Art der Sicht auf dieses ganze "in die Welt geworfen Seins" und "Was bin ich?" usw.-Ding geht ziemlich exakt in diese Richtung:
Metzinger hat geschrieben:Ich frage mich aber, ob es einen dritten Weg gibt, vielleicht eine radikal individualistische, jenseits vom reaktionären Irrationalismus der organisierten Religion liegende Spiritualität, die dezidiert nichts glaubt und für empirische Erkenntnisse offen ist, die aber weiß, dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können.


Grüße
Alex / molo
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Beitragvon Falk » So 19. Aug 2007, 12:20

Meine Art der Sicht auf dieses ganze "in die Welt geworfen Seins" und "Was bin ich?" usw.-Ding geht ziemlich exakt in diese Richtung:
Metzinger hat Folgendes geschrieben:
Ich frage mich aber, ob es einen dritten Weg gibt, vielleicht eine radikal individualistische, jenseits vom reaktionären Irrationalismus der organisierten Religion liegende Spiritualität, die dezidiert nichts glaubt und für empirische Erkenntnisse offen ist, die aber weiß, dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können.

Hmm, was meint Herr Metzinger denn hier mit "Spiritualität"? Seiner Beschreibung nach ist das doch einfach eine skeptizistische Grundhaltung. Ich verstehe nicht, wozu man den Begriff "Spiritualität" braucht. :ka:
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Beitragvon PoppersFan » Mo 20. Aug 2007, 11:49

Falk hat geschrieben:
Metzinger hat geschrieben:Ich frage mich aber, ob es einen dritten Weg gibt, vielleicht eine radikal individualistische, jenseits vom reaktionären Irrationalismus der organisierten Religion liegende Spiritualität, die dezidiert nichts glaubt und für empirische Erkenntnisse offen ist, die aber weiß, dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können.

Hmm, was meint Herr Metzinger denn hier mit "Spiritualität"? Seiner Beschreibung nach ist das doch einfach eine skeptizistische Grundhaltung. Ich verstehe nicht, wozu man den Begriff "Spiritualität" braucht. :ka:

Die Spiritualität braucht man für das Wissen darum, "dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können", d.h. für unsere nicht empirisch bewährbaren Weltbildinhalte. Man muss nämlich z.B. auch moralische Positionen vertreten können. Obwohl diese Dinge durchaus rational diskutierbar sein können, wir können also schon über sie reden: Da geht anscheinend der Materialist in Metzinger mit ihm durch, der ausschließlich Naturwissenschaft wirklich ernst nehmen kann. Ich finde mich in Metzingers "Drittem Weg" aber sehr gut wieder.

Enttäuschend ist Folgendes:

Metzinger hat geschrieben:Ich glaube, wir werden in den nächsten 20 bis 50 Jahren zumindest das globale Korrelat von Bewusstsein im Hirn ganz gut eingrenzen können.

Und vielleicht auch:

Metzinger hat geschrieben:In den nächsten 200 Jahren werden Teile der Neurotechnologie fließend in Bewusstseinstechnologie übergehen.

Mein Lieblingsphilosoph Popper nennt so etwas "Versprechenden Materialismus", und man findet es in naturalistischen Argumentationen immer wieder: "Eines Tages werden wir Seele/Geist/Bewusstsein vollständig materialistisch/reduktionistisch, eben naturalistisch erklärt haben". (Für mich klingt das stets wie: "Eines Tages wird Jesus auf die Erde hinabsteigen und sein Königreich errichten".) Darauf kann man als methodisch sauber denkender Mensch immer nur antworten: Gehe hin, tue es, komm wieder - und dann schaue ich's mir noch mal an... (Siehe dazu Poppers Kritik des Materialismus in Das Ich und sein Gehirn.)
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Beitragvon Falk » Mo 20. Aug 2007, 12:02

Oh, Prof. Metzinger geht hin und tut es, da muß man keine Bedenken haben, schätze ich. Wenn man solche Aussagen als rhetorische Figuren auffaßt, anstatt sie unsinnigerweise wörtlich zu nehmen, dann sind sie nicht wirklich problematisch.

Die Spiritualität braucht man für das Wissen darum, "dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können", d.h. für unsere nicht empirisch bewährbaren Weltbildinhalte. Man muss nämlich z.B. auch moralische Positionen vertreten können. Obwohl diese Dinge durchaus rational diskutierbar sein können, wir können also schon über sie reden: Da geht anscheinend der Materialist in Metzinger mit ihm durch, der ausschließlich Naturwissenschaft wirklich ernst nehmen kann. Ich finde mich in Metzingers "Drittem Weg" aber sehr gut wieder.

Da mißverstehst du ihn aber, meine ich. Ethik wird er mit diesen "Dingen" wohl nicht gemeint haben. Der Hinweis ist mE in Zusammenhang mit seinen mehrfach wiederholten Aussagen, daß die Wissenschaft Gott nicht widerlegen könne, zu verstehen. Und dazu braucht es eigentlich nur das Zweifeln, keine Spiritualität.
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Beitragvon PoppersFan » Mo 20. Aug 2007, 13:11

Falk hat geschrieben:Oh, Prof. Metzinger geht hin und tut es, da muß man keine Bedenken haben, schätze ich. Wenn man solche Aussagen als rhetorische Figuren auffaßt, anstatt sie unsinnigerweise wörtlich zu nehmen, dann sind sie nicht wirklich problematisch.

"Unsinnigerweise", "nicht wirklich problematisch"? Na, ich weiß nicht - ich neige eben zu einer dualistischen Auffassung (womit ich nicht meine, dass man nicht so weit als möglich forschen sollte), und die wird durch "rhetorische Figuren" dieser Art ziemlich vom Tisch gewischt, ohne das tatsächlich ein Argument vorgebracht worden wäre. Mein Vertrauen in Prof. Metzinger ist nun mal leider nicht so groß!

Falk hat geschrieben:Da mißverstehst du ihn aber, meine ich. Ethik wird er mit diesen "Dingen" wohl nicht gemeint haben. Der Hinweis ist mE in Zusammenhang mit seinen mehrfach wiederholten Aussagen, daß die Wissenschaft Gott nicht widerlegen könne, zu verstehen. Und dazu braucht es eigentlich nur das Zweifeln, keine Spiritualität.

Kann sein, allerdings ist der Begriff "Spiritualität" für Naturalisten ziemlich negativ besetzt, ich würde also annehmen, dass er sich bei seiner Verwendung etwas gedacht hat...
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Beitragvon Falk » Mo 20. Aug 2007, 16:10

Kann sein, allerdings ist der Begriff "Spiritualität" für Naturalisten ziemlich negativ besetzt, ich würde also annehmen, dass er sich bei seiner Verwendung etwas gedacht hat...

Hehe, mir ist klar, daß er sich bei seinen Aussagen wohl etwas gedacht hat. Ich frage bloß was.

Na, ich weiß nicht - ich neige eben zu einer dualistischen Auffassung (womit ich nicht meine, dass man nicht so weit als möglich forschen sollte), und die wird durch "rhetorische Figuren" dieser Art ziemlich vom Tisch gewischt, ohne das tatsächlich ein Argument vorgebracht worden wäre. Mein Vertrauen in Prof. Metzinger ist nun mal leider nicht so groß!

Du hingegen scheinst dir nicht so sicher zu sein, ob sich Prof. Metzinger bei seiner Rhetorik irgendwas denkt. :^^:

Jedenfalls kann ich dir versichern, daß Herr Metzinger in den zahlreichen von mir besuchten Lehrveranstaltungen niemals zu radikalen Positionen neigte. Es ist nunmal so, daß die Neurowissenschaft wie auch die Philosophie des Geistes aktuell keine signifikanten Hinweise darauf hat, daß ein monistischer Ansatz falsch sein könnte. Zwischen Poppers Drei-Welten-Theorie und der aktuellen Debatte liegen eben auch schon einige Jahrzehnte der Forschung. Natürlich macht das seinen Ansatz nicht falsch oder uninteressant - ebensowenig wie eine dualistische Erklärung ausgeschlossen werden könnte. Und genau das betont Herr Metzinger ja auch im Interview mehrfach. Insofern kann ich dir nicht folgen.
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