sharif hat geschrieben:Dann komme ich mal wieder zu einem anderen Problem, was ist Natur und was ist physisch/materiell?
Über die Bedeutung der Begriffe "Natur", "Physizität" und "Materialität" sind die Philosophen wie immer geteilter Meinung.
Unter Natur verstehe ich den physischen Kosmos, d.i. die Raumzeit plus Materie plus Energie plus alle daraus hervorgehenden und davon abhängenden Gebilde.
Der Begriff der Materialität bezieht sich ursprünglich auf die harten, massigen Körper der alten Atomisten. Doch die moderne Physik beschäftigt sich auch mit anderen Objekten, die weitaus weniger "substanziell" erscheinen, wie z.B. Felder oder die Raumzeit selbst. Deshalb bevorzugen heute viele Philosophen die Bezeichnung "Physikalismus" gegenüber "Materialismus", weil sie sich namentlich vom veralteten, naiv-primitiven mechanistischen Materialismus abgrenzen und die Komplexität des zeitgenössischen physikalischen Forschungsbereichs betonen wollen.
Doch eigentlich spricht nichts dagegen, die Wörter "physisch" und "materiell" synonym zu gebrauchen, solange man sich dessen bewusst ist, dass mit letzterem "materiell
im weiteren Sinne" gemeint ist. Dann kann man auch Felder ruhig als materielle Entitäten bezeichnen.
Kurzum: Ich gebrauche beide Wörter synonym.
Nun zu deren Bedeutung:
Hier zwei Definitionen zweier bekannter Philosophen:
"A physical property is a property expressible in the vocabulary of physics.""Eine physische Eigenschaft ist eine im Vokabular der Physik ausdrückbare Eigenschaft." [meine Übers.]
(Fodor, Jerry A. "Making Mind Matter More." In
The Philosophy of Mind: Classical Problems, Contemporary Issues, edited by Brian Beakley and Peter Ludlow, 151-168. Cambridge, MA: MIT Press, 1992. p. 151+)
"A physical property is a property canonically expressible in physicalistic vocabulary.""Ein physische Eigenschaft ist eine im physikalistischen Vokabular kanonisch ausdrückbare Eigenschaft." [meine Übers.]
(Block, Ned. "Max Black's Objection to Mind-Body-Identity." In
Consciousness, Function, and Representation [Collected Papers, Vol. 1], 435-498. Cambridge, MA: MIT Press, 2007. p. 461)
Das "kanonische" Vokabular der Physik findest Du hier:
http://physics.nist.gov/cuu/Units/units.html(Ein physisches/materielles Objekt ist einfach eines mit physischen/materiellen Eigenschaften, wobei eine Eigenschaft freilich nicht im selben Sinn materiell ist wie ein materielles Objekt. Ein materielles Objekt kann 100kg wiegen, wohingegen die materielle Eigenschaft, 100kg zu wiegen, selbst überhaupt kein Gewicht hat. Im Englischen gibt es nur das eine Wort, "physical", während wir im Deutschen zwei Wörter, "physisch" und "physikalisch" zur Verfügung haben, zwischen denen allerdings oft auch kein Unterschied gemacht wird. Aber man kann eben einen machen, und so zwischen "physische Dinge" und "physikalische Eigenschaften", statt "physische Eigenschaften", unterscheiden, um den besagten Sinnunterschied zu verdeutlichen.)
Manche meinen, dass diese Definitionen den Nachteil haben, dass die Menge der physischen Eigenschaften dadurch nicht endgültig festgelegt ist, da das Vokabular der Physik (d.i. die Menge der physikalischen (Basis-)Prädikate) ja nicht für alle Zeiten gleich bleiben muss. Es könnte ja sein, dass es von den Physikern aufgrund neuer Erkenntnisse irgendwann in der Zukunft erweitert wird.
Auf diese Kritik könnte man erwidern, dass bereits die Kenntnis des derzeitig gegebenen physikalische Vokabulars ein ausreichendes, praxistaugliches Verständnis des Begriffs der Physizität vermittelt.
Eine ganz anders geartete Definition bietet der Religionsphilosoph Richard Swinburne an:
"I understand by a 'physical property' one such that no individual has necessarily a means of discovering that it is instantiated that is not available to any other individual. Physical properties are public; there is no privileged access to them." "Unter einer 'physischen Eigenschaft' verstehe ich eine dergestalt, dass kein Individuum notwendigerweise über ein Mittel verfügt zu entdecken, dass sie exemplifiziert ist, über welches kein anderes Individuum verfügen kann. Physische Eigenschaften sind öffentlich; es gibt keinen privilegierten Zugang zu ihnen." [meine Übers.]
(Swinburne, Richard.
The Christian God. Oxford: Oxford University Press, 1994. p. 16+)
Abschließend präsentiere ich eine der Swinburne'schen ähnliche Definition:
"Eine Eigenschaft ist genau dann eine physische/materielle Eigenschaft im weitesten Sinn, wenn sie in Welten ohne Subjekte, d.h. ohne Objekte in subjektiven Zuständen, exemplifiziert werden kann."(In einer subjektfreien Welt gibt es keine geistig-seelischen Erscheinungen, d.h. keine Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Absichten, Begierden, Gedanken oder Vorstellungen; und folglich auch keine intersubjektiven Erscheinungen wie gesellschaftliche Institutionen.)
(P.S.: Hier noch ein Link zum Thema:
http://plato.stanford.edu/entries/physicalism/#9)