Myron hat geschrieben:Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nein. Aus rationaler Perspektive ist darüber überhaupt keine Aussage möglich.
Die Theologen schweigen aber nicht, sondern sie machen seit Ewigkeiten derartige Aussagen über ihren Gott.
Jepp, aber nicht aus einer rein rationalen Perspektive heraus, sondern einer Glaubensperspektive, dh auf dem Boden einer ganz anderen Erfahrungsgrundlage.
Darum lässt sich auch fast alles, was Dawkins so über die Bibel von sich gibt, in die gleiche Ablage werfen.
Wer glaubt, weiß, wo er mit dem Lesen der Bibel anfangen muss, und er muss nicht erst, wie Dawkins, nach einem weltanschaulich neutralen, übergeordneten Kriterium suchen, um die Erbsen aus der Asche zu lesen. Er kommt mir da ein wenig so vor wie einer, dessen Smartphone nicht geht, und der sich auf der Suche nach dem Handbuch vergriffen hat ... so kann das nichts werden.
Myron hat geschrieben:Und schließlich ist die Frage, ob der "Grund des Seins" ein bewusster, persönlicher Geist ist oder nicht, die alles entscheidende Frage im Streit zwischen den Theisten und den Atheisten.
Wie schon mehrfach erwähnt lässt sich auf einer rein rationalen Ebene eine solche Aussage gar nicht treffen.
Ein (von seinem Sein her) "persönlicher Gott" wäre, wie Dawkins richtig feststellte, nicht das Ende des Regresses, weil er von irgendetwas anderem abgeleitet sein müsste. Darum kann ein
seinsmäßig "persönlicher Gott" nur entweder ein Gedankengötze von Menschen oder aber ein Demiurg sein.
Nicht, dass dadurch grundsätzlich ausgeschlossen wäre, dass Gott ein persönlicher wäre - es ist einfach keine rationale Seinsaussage möglich.
Ein Theologe, der - sozusagen erfüllt von der Überlegenheit der Kraft Gottes - behauptet, dass Gott auch auf der Ebene rational-wissenschaftlicher Argumentation eine intelligente Persönlichkeit
sei, macht sich eigentlich nur lächerlich.
Für mich wäre dies der "Anti-Dawkins-Fall", und ich kann dazu nur sagen: NOMA - "Schuster, bleib bei deinen Leisten!"
Myron hat geschrieben:Natürlich kann auch ich als Atheist das natürliche Universum personifizierend verklären, indem ich von "Mutter Natur" (statt von "Vater Gott") spreche. Doch wenn ich das tue, dann bin ich mir stets dessen bewusst, dass dies lediglich eine metaphorische Redeweise ist, die nicht der Wirklichkeit entspricht, da "Mutter Natur" realiter eben keine Person ist.
Weil für Dich die objektivierende Rede der Königsweg oder vielleicht sogar der einzige Weg zum Erschließen von "Wirklichkeit" ist.
Dies ist jedoch aufgrund der Kontingenz wissenschaftlicher Erkenntnis keineswegs sicher. Bei Deiner Präferenz handelt es sich also um eine Art Glaubensüberzeugung. Sie mag plausibel erscheinen, ist aber nicht im strengen Sinn rational. Man muss sich ihr nicht anschließen - auch nicht als rational denkender Mensch.
Ich versuche mal einen anderen Ansatz zu illustrieren. Nichts streng logisches (weil sich rational keinerlei Aussagen über Gott treffen lassen und weil der Versuch, "Glaubensperspektive" woandershin zu übersetzen, nie mehr werden kann als eine Eselsbrücke).
Mythisch-religiöse Erfahrungsvoraussetzungen beruhen nicht auf analytischer, objektivierender Erkenntnis, sondern gehen von der Subjekthaftigkeit des Menschen aus. Kernfrage ist nicht, was wie 'objektiv da' ist, sondern wie mein Leben gelingt.
Wenn man überhaupt etwas sicher sagen kann, dann: "Da sind Wahrnehmungen". Mag sein, dass die Außenwelt, das Ich, Gott nur Maya, Illusionen sind, aber die Sinnesreize lassen sich kaum leugnen.
Nun ist ein Subjekt aber nicht nur eine Art Messgerät, sondern es nimmt sich selbst auch als handelnd wahr (das definiere ich jetzt einfach).
Schwieriger wird es mit der Frage, ob ein Subjekt Intentionen haben muss. Vor Jahren hatte ich mit El Schwalmo darüber eine längere Diskussion. Es ging um Spinnenweibchen und ihre Männchen und darüber, was sie sich dabei denken, wenn die Weibchen ihre Männchen fressen. Auch wenn man bei manchen Männchen gewisse Strategien beobachten kann, diesem dummen Nebeneffekt des angestrebten Geschlechtsverkehrs zu entgehen - denken sie sich wirklich etwas dabei? Sind Spinnenmännchen überhaupt noch als "Subjekte" zu bezeichnen?
Um all dem zu entgehen lege ich fest: Ein Objekt ist etwas Erkanntes. Ein Subjekt ist etwas, das Sinnesreize empfängt, und zwar von sich selbst (handelnd) als auch von "außen" oder "innen".
Was wirkt auf es ein? Objekte? Nein, denn wenn man "Objekte" als etwas Erkanntes definiert, dann entstehen sie erst im Bewußtsein des Menschen. Bleiben also noch Subjekte. Dawkins hat angesichts gewisser Computerkapriolen gezeigt, wie sehr wir dazu neigen, nicht-intentionale Dinge zu personifizieren, dh etwas als Subjekt wahrzunehmen... und zwar, um so mehr es (anscheinend) selbstständig agiert und vor allem auch re-agiert, dh genauso wie auch ich als Subjekt, mich selbst als empfindend und auch handelnd erlebe.
Nun kommt noch ein zweiter Aspekt hinzu: Ich nehme all diese anderen Subjekte nicht etwa völlig unabhängig voneinander wahr, als ob jedes in seinem Privatuniversum sitzen würde, sondern irgendwie miteinander verbunden, als Teil eines übergreifenden Zusammenhangs. Im Rahmen objektivierender Erkenntnis würde ich es vielleicht "Welt" oder "Weltgrund" nennen, aber ich
erlebe es als
absolutes Subjekt. Ich denke, hierin liegt die Wurzel des Theismus.
Unabhängig davon, ob es ("an sich") zutrifft oder nicht (diese Frage ist empirisch gar nicht zu klären): Menschen erkannten in diesem "absoluten Subjekt" Subjektsmerkmale wie Reaktionen auf eigenes Handeln und vielleicht sogar bewusste Intentionalität. Sie werteten diese Wahrnehmugen also als Gotteserfahrung bzw Gottesoffenbarung.
Dieser Gott konnte gute oder böse Absichten hegen oder auch den Subjekten gleichgültig gegenüber stehen. An seiner Subjekthaftigkeit änderte das nichts.
Erst die analytische Trennung von Intention/Geist und Materie und der Beginn einer objektivierenden Betrachtung ermöglichten es, dieses absolute Subjekt gleichsam als Automaten anzusehen, als Objekt, das gewissen Regeln gehorcht - oder eben als reinen Geist, welcher, subjekthaft und über-intelligent, seine Absichten verfolgt.
Mehr lässt sich in rationaler Perspektive, denke ich, kaum sagen, als dass es diese Varianten gibt und dass es letztlich nicht zu klären ist, ob es sich "wirklich" nur um einen Automaten handelt oder um ein 'echtes' Subjekt, das sich jedem menschlichen Subjekt individuell offenbart, vorausgesetzt, er ist "auf Empfang".
Myron hat geschrieben:Fisherman's Fellow hat geschrieben:Einen anderen Ansatz vertrat zB Karl Barth vor 80 Jahren.
Dessen "Einführung in die evangelische Theologie" habe ich unter Qualen gelesen, da dieses Buch in meinen Augen praktisch unlesbar ist. Als jemand, der in der Tradition der Analytischen Philosophie steht, erachte ich die meisten seiner Aussagen für wirr und unverständlich.
"Der Gegenstand evangelischer Theologie ist Gott in der Geschichte seiner Taten. In ihr gibt er sich selbst kund. In ihr ist er aber auch der, der er ist. In ihr hat und beweist er miteinander seine Existenz und seine Essenz: ohne Präzedenz der einen oder der anderen! Er, der Gott des Evangeliums, ist also weder ein Ding, eine Sache, ein Objekt, noch eine Idee, ein Prinzip, eine Wahrheit oder eine Summe von vielen Wahrheiten oder der personale Exponent einer solchen Summe (...)"(Barth, Karl.
Einführung in die evangelische Theologie. 2. Aufl. Gütersloh: GTB, 1977. S. 13)
Das verstehe, wer will; aber eines steht fest: auch der Barth'sche Gott ist offenkundig eine handelnde Person. (Sich offenbaren heißt handeln! Barth spricht ja auch ausdrücklich von "der Geschichte seiner Taten".)
Als handelndes, absolutes Subjekt gewissermaßen.
Mich stört der Satz: "In ihr (der Offenbarung!) ist er aber auch der, der er ist." Das ist der alte, weiche Barth, der nun durchaus spekulative Rückschlüsse von der Selbstkundgabe Gottes auf rational-wissenschaftlich aufzufassende Ontologien zu gestatten scheint. In jungen Jahren hatte er solche "Anknüpfungspunkte" radikal und konsequent bestritten.
Ansonsten erklärt sich die für einen analytischen Philosophen unverständliche und vielleicht schwachsinnige Sprache durch die unterschiedlichen Erfahrungsbedingungen rationaler bzw religiös-mythischer Erkenntnis: Barth war ja kein Universitätstheologe, sondern Landpfarrer gewesen, bevor sie ihn wieder zurück an den Lehrstuhl schleppten.
Grüßle,
FF