Agnostizismus vs. Atheismus

Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Di 16. Sep 2008, 23:22

El Schwalmo hat geschrieben:
sun hat geschrieben:Also Dawkins als Agnostiker zu bezeichnen ist schon etwas grenzwertig.

sehe ich nicht. Für mich ist ein 100%-Atheist ein Atheist, ein 95 + x %-iger Atheist ist für mich das Äquivalent einer 'teilschwangeren Frau'.


Dawkins ist bestenfalls ein Wissensagnostiker (epistemischer Agnostiker), indem er nicht behauptet, mit Sicherheit zu wissen, dass Gott nicht existiert. Aber er ist alles andere als ein Glaubensagnostiker (doxastischer Agnostiker).

"It is worth noting that the 'positive atheist' need not have certainty that God doesn't exist: it is a matter of belief, not knowledge."
(http://www.investigatingatheism.info/definition.html)
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon Myron » Di 16. Sep 2008, 23:36

El Schwalmo hat geschrieben:Agnostizismus ist eine epistemische Position


Der Agnostizismus ist eben nicht nur eine epistemische Position:

Streng genommen, d.h. ihrer Etymologie gemäß, bezieht sich die Bezeichnung "Agnostizismus" nur auf die Wissensebene; doch im allgemeinen Sprachgebrauch erstreckt sie sich auch auf den Glaubensebene. Von daher ist es angebracht, zwischen dem ''Wissensagnostizismus'' ("epistemischer Agnostizismus") und dem ''Glaubensagnostizismus'' ("doxastischer Agnostizismus") zu unterscheiden:

1) Ein Wissensagnostiker ist jemand, der bezüglich der Aussage "A" glaubt, dass man nicht (mit Sicherheit) weiß oder nicht (mit Sicherheit) wissen kann, ob "A" wahr bzw. falsch ist.
2) Ein Glaubensagnostiker ist jemand, der bezüglich der Aussage "A" weder glaubt, dass "A" wahr ist, noch dass "A" falsch ist, und sich somit eines Urteils enthält.

Es gibt Wissensagnostiker, die zugleich Glaubensagnostiker sind, weil sie der glaubensethischen Auffassung sind, dass man nur dasjenige glauben soll, das man (mit Sicherheit) weiß. Aber es gibt auch Wissensagnostiker, die keine Glaubensagnostiker sind. So können ein Theist und ein (positiver) Atheist Wissensagnostiker sein, wenn sie nicht beanspruchen, (mit Sicherheit) zu wissen, dass Gott existiert bzw. nicht existiert.
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon El Schwalmo » Mi 17. Sep 2008, 05:22

Myron hat geschrieben:Streng genommen, d.h. ihrer Etymologie gemäß,

ich dachte immer, dass Begriffe Werkzeuge sind. Nicht jeder hat sich, wie Wiener, als er den Begriff 'Kybernetik' schuf, die Mühe gemacht, vorher zu überlegen, was man alles in einen Begriff etymologisieren könnte.

Myron hat geschrieben:1) Ein Wissensagnostiker ist jemand, der bezüglich der Aussage "A" glaubt, dass man nicht (mit Sicherheit) weiß oder nicht (mit Sicherheit) wissen kann, ob "A" wahr bzw. falsch ist.

Ich gehe eher davon aus, dass er gute Argumente dafür hat. Sobald jemand zeigen kann, dass man etwas weiß, ist ein Agnostiker in diesem Punkt nicht mehr agnostisch.

Myron hat geschrieben:2) Ein Glaubensagnostiker ist jemand, der bezüglich der Aussage "A" weder glaubt, dass "A" wahr ist, noch dass "A" falsch ist, und sich somit eines Urteils enthält.

Wenn Du die Etymologie von 'glauben' berücksichtigst, macht dann Dein Unterschied Sinn?

Myron hat geschrieben:Es gibt Wissensagnostiker, die zugleich Glaubensagnostiker sind, weil sie der glaubensethischen Auffassung sind, dass man nur dasjenige glauben soll, das man (mit Sicherheit) weiß. Aber es gibt auch Wissensagnostiker, die keine Glaubensagnostiker sind. So können ein Theist und ein (positiver) Atheist Wissensagnostiker sein, wenn sie nicht beanspruchen, (mit Sicherheit) zu wissen, dass Gott existiert bzw. nicht existiert.

Ist das nicht nur ein hübscher Trick, sich 'Atheist' nennen zu können, obwohl man sich nicht von einem Agnostiker unterscheidet?
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon Myron » Mi 17. Sep 2008, 15:15

El Schwalmo hat geschrieben:Ist das nicht nur ein hübscher Trick, sich 'Atheist' nennen zu können, obwohl man sich nicht von einem Agnostiker unterscheidet?


Agnostiker, d.i. Glaubensagnostiker, sind negative Atheisten, d.i. Nontheisten.
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon ganimed » Mi 17. Sep 2008, 20:02

Ich habe Agnostizismus nochmal nachgeschlagen bei Wikipedia:
"Der grundsätzliche Unterschied zwischen Agnostizismus und Atheismus besteht darin, dass es beim Agnostizismus um die prinzipielle rationale Erkennbarkeit Gottes, beim Atheismus dagegen um den tatsächlichen Glauben an Gott geht."

Also Äpfel und Birnen. Agnostizismus (Apfel) scheint mir eine Spitzfindigkeit in den luftigen Höhen erkenntnistheoretischer Elfenbeintürme zu sein. Ganz nett vielleicht aber eigentlich keine Frage, auf die man eine Antwort finden müsste.

Glaubste an Gott? Das ist ja die klassische Frage. (die Birne)
Und soweit ich verstanden habe, antworten auf diese Frage beide HFRudolph und El Schwalmo gleichartig mit "nee".
Dann sind wir uns ja alle einig.
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon HF******* » Mi 17. Sep 2008, 22:04

@Ganimed: Jeder sucht sich gerade die Definition heraus, die ihm passt, scheint mir.

Einige Christen bezeichnen schlicht alle Gottlosen als Atheisten, andere nur diejenigen, die die Gottesbehauptung leugnen, um alle in einen Topf zu werfen. Einige Agnostiker versuchen dann, sich strikt abzugrenzen, setzen sich dann aber wieder ins Boot mit solchen Leuten, die meinen, das Transzendente lasse sich (höchstens) erahnen, fühlen, glauben. (letzteres vgl. Dev. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG).
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon ganimed » Mi 17. Sep 2008, 22:17

Gibt es denn andere Definitionen von Agnostizismus, die ich kennen sollte?

Ich hätte höchstens noch die folgende: Ein Agnostiker ist ein Atheist, der gerne etwas rumdruckst.

Jeder nach seiner Facon. Oder eben jeder nach seiner Definition.
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon El Schwalmo » Mi 17. Sep 2008, 22:52

ganimed hat geschrieben:Gibt es denn andere Definitionen von Agnostizismus, die ich kennen sollte?

eine recht brauchbare ist die:

Anonymus (1979) 'Neues grosses Volkslexikon. Erster Band' München, Taschenbuch Verlag


Agnostizismus [griech.], die Lehre, daß man von einem absoluten Sein oder Gott nichts wissen könne und daher die Frage nach seinem Dasein unentschieden lassen müsse. Anhänger des A. waren u. a. Comte, Spencer, F. A. Lange. (52f)

Zum Vergleich aus demselben Lexikon:

Atheismus [griech.], Gottlosigkeit, Leugnen des Daseins Gottes oder einer göttl. Weltordnung; früher häufig schon die Ablehnung einer bestimmten Gottesvorstellung. Atheistisch sind die Weltanschauungen z B. der Freidenker, L. Feuerbachs, der Gottlosenbewegung (->Materialismus). Lit. Mauthner: Der A. und seine Gesch. im Abendlande, 4 Bde. (1920-1923); Reding: Der polit. A. (1957). (235)

Nicht ganz uninteressant vielleicht ein Zitat von dem Menschen, der den Begriff prägte (Thomas Huxley):

Continenza, B. (1999) 'Darwin. Ein Leben für die Evolutionstheorie' Heidelberg; Berlin; Oxford, Spektrum


Den Begriff "Agnostizismus" prägte Julian [sic] Huxley, um diese spezielle Haltung gegenüber religiösen Fragen zu bezeichnen, die sich von jeder Art von "Gnosis" (religiöser Erkenntnis) distanzien. In einer Abhandlung mit dem Titel Agnostizismus schrieb Huxley 1889: "Als ich intellektuelle Reife erlangte und mich zu fragen begann, ob ich ein Atheist, ein Theist oder ein Pantheist, ein Materialist oder ein Idealist, ein Christ oder ein Freidenker sei, stellte ich fest, daß ich, je mehr ich lernte und reflektierte, desto weniger eine Antwort geben konnte, bis ich endlich zu dem Schluß gelangte, daß ich mich mit keiner von diesen Bezeichnungen identifizieren konnte, ausgenommen die letzte. Die einzige Sache, in der all die braven Leute übereinstimmten, war die Sache, in der ich mich von ihnen unterschied. Sie waren sich alle ziemlich sicher, eine bestimmte gnosis erworben zu haben - mehr oder weniger erfolgreich das Problem der Existenz gelöst zu haben, während ich ziemlich sicher war, es nicht gelöst zu haben und vielmehr sehr stark davon überzeugt war, daß dieses Problem unlösbar sei. Und mit Hume und Kant auf meiner Seite glaubte ich, auch nicht überheblich zu sein, wenn ich an meiner Meinung festhielt." (63)
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon Myron » Mi 17. Sep 2008, 23:12

ganimed hat geschrieben:Ich habe Agnostizismus nochmal nachgeschlagen bei Wikipedia:
"Der grundsätzliche Unterschied zwischen Agnostizismus und Atheismus besteht darin, dass es beim Agnostizismus um die prinzipielle rationale Erkennbarkeit Gottes, beim Atheismus dagegen um den tatsächlichen Glauben an Gott geht."

Also Äpfel und Birnen. Agnostizismus (Apfel) scheint mir eine Spitzfindigkeit in den luftigen Höhen erkenntnistheoretischer Elfenbeintürme zu sein. Ganz nett vielleicht aber eigentlich keine Frage, auf die man eine Antwort finden müsste.


Vergiss Wikipedia hier!
Fakt ist, dass die meisten unter einem Agnostiker einen Glaubensagnostiker verstehen.
Warum glaubt ein G-Agnostiker weder an die Existenz Gottes/von Göttern noch an die Nichtexistenz Gottes/von Göttern?

Drei mögliche Hauptgründe:
1.1 Weil es keine Hinweise/Beweise geben kann, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.
1.2 Weil es de facto keine Hinweise/Beweise gibt (aber geben könnte), die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.
2. Weil es de facto zwar Hinweise gibt, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch Hinweise, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen, aber diese einander aufheben, sodass keine vernünftige Entscheidung getroffen werden kann.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Mi 17. Sep 2008, 23:24

"Agnosticism, the position of neither believing nor disbelieving that God exists, is often contrasted with atheism. However, this common opposition of agnosticism to atheism is misleading. Agnosticism and positive atheism are indeed incompatible: if atheism is true, agnosticism is false and conversely. But agnosticism is compatible with negative atheism in that agnosticism entails negative atheism. Since agnostics do not believe in God, they are by definition negative atheists. This is not to say that negative atheism entails agnosticism. A negative atheist might disbelieve in God but need not.
Elsewhere I have evaluated the main arguments for agnosticism. Here I will explore what is at issue between positive atheism and agnosticism. An agnostic, one might suppose, is skeptical that good grounds exist, whereas an atheist is not. However, this is not the only way the difference between these positions can be construed. An agnostic might think that there are good grounds for disbelieving that God exists but also believe that there are equally good grounds for believing that God exists. These opposing reasons would offset one another, leaving no overall positive reason to believe or disbelieve.
Let us call the view that there are no good reasons for believing that God exists and none for believing that God does not exist skeptical agnosticism and the view that there are equally good reasons for believing both theism and atheism that offset one another cancellation agnosticism.
Arguments that are intended to establish both negative and positive atheism refute both skeptical and cancellation agnosticism. Showing that negative atheism is justified undermines cancellation agnosticism, for it assumes that both atheism and theism have good grounds that cancel each other out, and negative atheism entails that there are no good grounds for theistic belief. Moreover, arguments showing that there are good grounds for the nonexistence of God undermine skeptical agnosticism since skeptical agnosticism assumes that there are no good grounds for either atheism or theism."


(Martin, Michael, ed. The Cambridge Companion to Atheism. Cambridge: Cambridge University Press, 2007. pp. 2-3)

Remark:
Martin's distinction between skeptical and cancellation agnosticism corresponds to Drange's distinction between zero-data agnosticism and data-vs.-data agnosticism:

“Zero-data agnostics, who allow that it is possible to know whether or not God exists, but no one does in fact know it for the simple reason that there is zero data regarding the matter. Although no one at present has any relevant data, it is possible that some may come along in the future.

Data-vs.-data agnostics, who concede that there is evidence relevant to the issue of God's existence, but who have judged it to be perfectly balanced. That is, the evidence presently available in support of God's existence is exactly matched by evidence presently available against God's existence. They could be called 'knife-edge agnostics,' since they view the positive evidence for God's existence as so perfectly balanced by negative evidence that it is as if they were balanced on the edge of a knife without falling to one side or the other."


(http://www.infidels.org/library/modern/ ... ition.html)

Die ganze Klassifikation von Drange (auf Deutsch in seinen und meinen Worten):

1. Unknowability agnostics:
"Es ist grundsätzlich unmöglich zu entscheiden, ob die Aussage, dass Gott existiert, wahr oder zumindest wahrscheinlich ist, weil es niemals irgendwelche Beweise oder Indizien geben kann, die dafür bzw. dagegen sprechen. Aus diesem Grund enthalte ich mich des Urteils, d.h. ich behaupte weder, dass sie wahr oder zumindest wahrscheinlich ist, noch, dass sie unwahr oder zumindest unwahrscheinlich ist."

2. Zero-data agnostics:
"Es ist nicht grundsätzlich unmöglich zu entscheiden, ob die Aussage, dass Gott existiert, wahr oder zumindest wahrscheinlich ist; aber es liegen derzeit (noch) keinerlei Beweise oder Indizien vor, die ein objektives Urteil erlauben würden. Aus diesem Grund enthalte ich mich des Urteils, d.h. ich behaupte weder, dass sie wahr oder zumindest wahrscheinlich ist, noch, dass sie unwahr oder zumindest unwahrscheinlich ist."

3. Data-vs.-data agnostics:
"Es liegen Indizien vor, die einesteils für die Annahme sprechen, dass Gott existiert, und andernteils dagegen; aber diese wiegen einander gänzlich auf. Aus diesem Grund erachte ich die Aussagen, dass Gott existiert, und, dass Gott nicht existiert, für gleichwahrscheinlich; und entsprechenderweise behaupte ich weder, dass erstere wahrscheinlicher ist als letztere, noch, dass letztere wahrscheinlicher ist als erstere."

4. Data-vs.-principle agnostics:
"Es liegen Indizien vor, die für die Annahme sprechen, dass Gott existiert; aber diese reichen nicht aus, um die festgesetzte Beweisschwelle zu überschreiten. Aus diesem Grund erachte ich die Aussage, dass Gott existiert, für nicht wahrscheinlich genug, um ein bejahendes Urteil zu rechtfertigen. Aber ich erachte sie auch nicht für unwahrscheinlich genug, um ein verneinendes Urteil zu rechtfertigen."

(basiert auf: http://www.infidels.org/library/modern/ ... ition.html)
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon El Schwalmo » Mi 17. Sep 2008, 23:28

Myron hat geschrieben:Fakt ist, dass die meisten unter einem Agnostiker einen Glaubensagnostiker verstehen.

was meinst Du mit 'die meisten'? Philosophen? Religionskritiker? Den Mann auf der Straße?

Myron hat geschrieben:Warum glaubt ein G-Agnostiker weder an die Existenz Gottes/von Göttern noch an die Nichtexistenz Gottes/von Göttern?

Drei mögliche Hauptgründe:
1.1 Weil es keine Hinweise/Beweise geben kann, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.

Das wäre dann doch ein Wissensagnostiker?
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon Myron » Mi 17. Sep 2008, 23:43

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Fakt ist, dass die meisten unter einem Agnostiker einen Glaubensagnostiker verstehen.

was meinst Du mit 'die meisten'? Philosophen? Religionskritiker? Den Mann auf der Straße?


Die meisten von denen, die den Begriff "Agnostiker" in Bezug auf die Gottesfrage auf sich oder andere anwenden.

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Warum glaubt ein G-Agnostiker weder an die Existenz Gottes/von Göttern noch an die Nichtexistenz Gottes/von Göttern?
Drei mögliche Hauptgründe:
1.1 Weil es keine Hinweise/Beweise geben kann, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.

Das wäre dann doch ein Wissensagnostiker?


Der G-Agnostizismus kann freilich w-agnostisch begründet werden, und er wird auch üblicherweise so begründet. Allerdings bedarf es zusätzlich der glaubensethischen Regel, dass man im Falle einer unentscheidbaren Aussage, deren Wahrheit bzw. Falschheit nicht wissbar ist, weder an deren Wahrheit noch an deren Falschheit glauben soll. Denn ohne diese Regel kann ich in Bezug auf die Gottesfrage W-Agnostiker sein und mich trotzdem entweder zum Theismus oder (positiven) Atheismus bekennen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Do 18. Sep 2008, 18:46

Myron hat geschrieben:Weil es keine Hinweise/Beweise geben kann, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.

Also die Begründungen für Agnostizismus kaufe ich noch nicht so ganz. Das scheint mir eher theoretische Wortklauberei.
Denn real gesehen leben wir in einer Welt mit Milliarden Hinweisen und Informationsschnippseln. Und keiner davon ist einerseits überprüfbar oder haltbar und weist andererseits auf die Existenz von Göttern hin.
Wenn ich also in Milliarden von Hinweisen keinen einzigen auf Gott finde, dann nenne ich das einen fetten Hinweis auf seine Nichtexistenz.
(Oder falls er existierte, dann wechselwirkte er nicht mit unserer Welt).

Agnostizismus ist deshalb in meinen Augen eine theoretische Spielerei mit Worten aber keine praktische Haltung.
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Re: Brights: Angriff verboten

Beitragvon Myron » Do 18. Sep 2008, 19:21

El Schwalmo hat geschrieben:Anonymus (1979) 'Neues grosses Volkslexikon. Erster Band' München, Taschenbuch Verlag:

Agnostizismus [griech.], die Lehre, daß man von einem absoluten Sein oder Gott nichts wissen könne und daher die Frage nach seinem Dasein unentschieden lassen müsse. Anhänger des A. waren u. a. Comte, Spencer, F. A. Lange. (52f)


Darin sind der Wissens- und der Glaubensagnostizismus kombiniert; doch sie sind nicht notwendigerweise miteinander verbunden. Was sie aneinander koppelt, ist, wie gesagt, das normative Urteil, dass man nur das glauben soll, was man weiß oder zumindest wissen kann.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Do 18. Sep 2008, 19:49

ganimed hat geschrieben:Also die Begründungen für Agnostizismus kaufe ich noch nicht so ganz. Das scheint mir eher theoretische Wortklauberei.
Denn real gesehen leben wir in einer Welt mit Milliarden Hinweisen und Informationsschnippseln. Und keiner davon ist einerseits überprüfbar oder haltbar und weist andererseits auf die Existenz von Göttern hin.
Wenn ich also in Milliarden von Hinweisen keinen einzigen auf Gott finde, dann nenne ich das einen fetten Hinweis auf seine Nichtexistenz.


Ein wichtiger Punkt zur Frage der Rechtfertigung:

Ich zitiere mich selbst:

"1.1 Weil es keine Hinweise/Beweise geben kann, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.
1.2 Weil es de facto keine Hinweise/Beweise gibt (aber geben könnte), die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch keine, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen.
2. Weil es de facto zwar Hinweise gibt, die für die Existenz Gottes/von Göttern sprechen, und auch Hinweise, die für die Nichtexistenz Gottes/von Göttern sprechen, aber diese einander aufheben, sodass keine vernünftige Entscheidung getroffen werden kann."

1.1 wird von Theodore Drange "Unwissbarkeits-Agnostizismus", 1.2 "Null-Daten-Agnostizismus" und 2 "Daten-vs.-Daten-Agnostizimus" genannt. Und Michael Martin's Unterscheidung zwischen dem "skeptical agnosticism" ("skeptischen A.") und dem "cancellation agnosticism" (etwa "Aufhebungs-A.") entspricht 1.2 bzw. 2.

"Arguments that are intended to establish both negative and positive atheism refute both skeptical and cancellation agnosticism. Showing that negative atheism is justified undermines cancellation agnosticism, for it assumes that both atheism and theism have good grounds that cancel each other out, and negative atheism entails that there are no good grounds for theistic belief. Moreover, arguments showing that there are good grounds for the nonexistence of God undermine skeptical agnosticism since skeptical agnosticism assumes that there are no good grounds for either atheism or theism."

"Argumente, die darauf abzielen, die Wahrheit sowohl des negativen als auch des positiven Atheismus aufzuzeigen, widerlegen sowohl den skeptischen als auch den Aufhebungs-Agnostizismus. Der Nachweis, dass der negative Atheismus gerechtfertigt ist, unterminiert den Aufhebungs-Agnostizismus, denn dieser nimmt an, dass sowohl der Atheismus als auch der Theismus gute Gründe vorweisen können, die einander aufheben; und der negative Theismus impliziert, dass es keine guten Gründe für den theistischen Glauben gibt. Außerdem unterminieren Argumente, die zeigen, dass es gute Gründe für die Nichtexistenz Gottes gibt, den skeptischen Agnostizismus, da der skeptische Agnostizismus annimmt, dass es weder für den Atheismus noch für den Theismus gute Gründe gibt."
[meine Übers.]

(Martin, Michael, ed. The Cambridge Companion to Atheism. Cambridge: Cambridge University Press, 2007. pp. 2-3)
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Do 18. Sep 2008, 20:35

Myron hat geschrieben:"Argumente, die darauf abzielen, die Wahrheit sowohl des negativen als auch des positiven Atheismus aufzuzeigen, widerlegen sowohl den skeptischen als auch den Aufhebungs-Agnostizismus. Der Nachweis, dass der negative Atheismus gerechtfertigt ist, unterminiert den Aufhebungs-Agnostizismus, denn dieser nimmt an, dass sowohl der Atheismus als auch der Theismus gute Gründe vorweisen können, die einander aufheben; und der negative Theismus impliziert, dass es keine guten Gründe für den theistischen Glauben gibt. Außerdem unterminieren Argumente, die zeigen, dass es gute Gründe für die Nichtexistenz Gottes gibt, den skeptischen Agnostizismus, da der skeptische Agnostizismus annimmt, dass es weder für den Atheismus noch für den Theismus gute Gründe gibt."
[meine Übers.]

(Martin, Michael, ed. The Cambridge Companion to Atheism. Cambridge: Cambridge University Press, 2007. pp. 2-3)


Es gilt, einem möglichen Missverständnis vorzubeugen:
Mit "negativer Atheismus"/"Nontheismus" kann einerseits die bloße Abwesenheit des Glaubens an die Existenz Gottes/von Göttern gemeint sein und andererseits der Glaube, dass es keine objektiven Gründe für den Glauben an die Existenz Gottes/von Göttern gibt. Die bloße psychologische Tatsache des Nichtglaubens ist von dessen epistemologischer Rechtfertigung oder Begründung zu unterscheiden.
Sowohl skeptische als auch Aufhebungs-Agnostiker sind Nontheisten im ersten Sinn, da ihnen der Glaube an Götter fehlt; aber nur der skeptische Agnostiker ist auch ein Nontheist im zweiten Sinn, da ein Aufhebungs-Agnostiker durchaus glaubt, dass es objektive Gründe für den Glauben an die Existenz Gottes/von Göttern gibt (sowie gleich starke Gründe dagegen).
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon tore354 » Do 23. Okt 2008, 04:41

Ich denke mir, wenn ein Atheist sagt, er GLAUBT, Gott existiere nicht, dann widerspricht er doch sich selber? Glauben ist was für die Kirche nebenan, oder so sollte er zumindest denken! Die meisten Atheisten, die mir so über den Weg laufen, und ich selbst zweifle teilweise ob ich nicht dazugehöre, sind Agnostiker bzw. Deisten. Was ich ja auch ok finde, ich finde alle 3 dieser Positionen total vertretbar. Unvertretbar wird es für mich dann, wenn man einer bestimmten Religion angehört.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Do 23. Okt 2008, 15:24

tore354 hat geschrieben:Die meisten Atheisten, die mir so über den Weg laufen, und ich selbst zweifle teilweise ob ich nicht dazugehöre, sind Agnostiker bzw. Deisten.


Agnostiker sind nur negative Atheisten, d.i. Nontheisten, und Deisten sind überhaupt keine Atheisten.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Sa 25. Okt 2008, 03:33

Thomas Huxley selbst hat den Wissens- und den Glaubensagnostizismus vermengt:

"[Agnosticism] simply means that a man shall not say he knows or believes that which he has no scientific grounds for professing to know or believe."

"Der Agnostizismus bedeutet einfach, dass ein Mensch nicht sagen soll, er wisse oder glaube dasjenige, bei dem es ihm an wissenschaftlichen Gründen für die Kundgebung fehlt, dass er es wisse oder glaube."


(Quelle: http://aleph0.clarku.edu/huxley/UnColl/ ... gnAnn.html)

Huxley fomuliert den Agnostizismus hier als normatives Prinzip:

Auf Aussagen, die nicht wissenschaftlich begründet bzw. begründbar sind, soll weder ein Wissensanspruch erhoben werden noch sollen sie überhaupt geglaubt werden.

Diesem Grundsatz zufolge dürfen allerdings die Philosophen und insbesondere die Metaphysiker eigentlich an keine ihrer Theorien ernsthaft glauben. Das geht mir zu weit; denn die Metaphysik ist kein reines Begriffsspiel.

Interessant ist überdies folgender Satz:

"Agnosticism simply says that we know nothing of what may be beyond phenomena."

"Der Agnostizismus sagt einfach, dass wir nichts über dasjenige wissen, das jenseits der Erscheinungen sein mag."


(Quelle: siehe oben)

Mit "Erscheinungen" sind offensichtlich die der Erfahrung/Wahrnehmung zugänglichen Erscheinungen gemeint, d.i. die empirischen Phänomene.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon sprechweise » So 25. Jan 2009, 20:47

Ich habe Dawkins "Gotteswahn" gelesen.
Insgesamt habe aus dem Buch herausgenommen, meine atheistische Position offensiver zu vertreten, (was auch manchem hier nicht gefällt).
Ein Stück enttäuscht war ich, dass er in seiner 7 Punkte umfassenden Liste über Wahrscheinlichkeit argumentiert und sich selbst bei 6+ (7 = stark atheistisch) einordnete.

Die gestellte Frage lautet doch:

Existiert Gott?

Es sind ja nur zwei Worte. Nur was sollen sie bedeuten?
"Gott" ist ja nur ein Name, oder mathematisch ein Platzhalter!

Die Frage müßte sich also genau so beantworten lassen wie die Frage
"Existiert X". Offensichtlich ist diese Frage so Unfug.
So gesehen, würde ich den Agnostikern recht geben, eine unsinnige Frage ist auch eine unentscheidbare Frage.

Damit die Frage sinnvoll wird, müssen wir sie als Frage interpretieren,
ob etwas mit "göttlichen Eigenschaften" existiert.
Und hier fängt der Schlamassel an, denn jedes Glaubenssystem unterstellt X/Gott andere Eigenschaften.
Hier gebe ich C.R.Popper Unrecht, der eine Klärung der Begriffe für sinnlos hielt

Im Grunde kann nur bewiesen/widerlegt werden, ob ein Glaubenssystem denkbar ist oder nicht.
Damit muss die Frage mindestens ergänzt werden um

Existiert ein X, mit den Eigenschaften A,...?

Allmächtigkeit, Allwissenheit können leicht widerlegt werden. Ich behaupte, dass alle Eigenschaften die mit "All-" beginnen zu Widersprüchen führen.

Sehr einfach widerlegt ist das christliche Dogma der Dreifaltigkeit.
Vater=Gott Sohn=Gott Geist=Gott
Vater != Sohn != Geist != Vater
(Die Transitivität der Äquivalenz ist verletzt)

Das ist offensichlich ein Widerspruch. Entweder gibt es diesen Gott nicht, oder er steht jenseits der Logik.
Wenn letzteres angenommen wird, können keinerlei Aussagen zu Gott gemacht werden, da diese ja wieder die Logik benutzen.
Im Grunde können dann überhaupt keine Aussagen getroffen werden, den Gott könnte ja jederzeit die Logik ausser Kraft setzen.
Selbst seine eigene Existenz könnte er aufheben.

Es ist daher logisch zwingend, dass dieser Gott nicht existieren kann.
Logisch kann ich jedoch nicht ausschliessen, das irgendjemand seinen existierendes X (z.B.Teddybär, Katze, Fussball, Onkel Otte, Tante Frieda) Gott nennt.


Aus diesen Gründen bin ich überzeugter Atheist (7+ :mg:)
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