stine hat geschrieben:Die Rede von Josef Ratzinger, ...
Das Christentum hat seinen Ursprung in der philosophischen Aufklärung und NICHT in den Religionen!
"Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religionen; er beruht auf Erkenntnis. Er verehrt jenes Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt, dem "wirklchen Gott".
Danke. Wirklich ein Paradebeispiel für den Sophismus à la Ratzinger: Eine philosophische Denkfigur mit völlig anderem Ursprung und Inhalt wird wie selbstverständlich mit einer christlichen identifiziert und somit die christliche parasitär aus den Argumenten für die philosophische ernährt. Das "Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt" ist als solches ein reines Abstraktum, das mit der konkreten Vorstellung "Gott" gar nichts zu tun hat. Mit dem gleichen Recht könnte man es mit jedem Beliebigen identifizieren: den Naturgesetzen, dem Karma, dem rosa Einhorn, Michael Jackson oder Microsoft - alles der gleiche Fehlschluss, weil man es korekterweise mit gar nichts identifizieren kann. Alles irgendwie Identifizierbare wäre bereits "Seiendes", dessen Sein gewissen Bedingungen unterliegt, und nicht mehr "Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt". Soviel zum Inhalt dieser philosophischen Denkfigur. Eine andere Frage ist, wozu sie (außer zu Sophistereien à la Ratzinger?) brauchbar sein könnte? Einen wirklichen Erkenntnisgewinn kann ich darin nicht finden.
Zweite andere Frage: Wer sagt eigentlich, dass ein "wirklicher" Gott nur einer wäre, der mit dem "Sein, das allem Existirenden zugrunde liegt" identifiziert wird? Der Begriff "Gott" hat für die verschiedenen Menschen, die einen (oder mehrere) verehren, ganz verschiedene Bedeutungen mit ganz verschiedenen Bedingungen, die ein "wirklicher" Gott erfüllen muss - mit welchem Recht lässt Ratzinger nur die Bedingung zu, die er selbst stellt?
"Die Verschmelzung von Aufklärung und Glaube, die sich in der Entwicklung der christlichen Mission und im Aufbau der christlichen Theologie vollzog, brachte freilich auch einschneidende Korrekturen am philosophischen Gottesbild hervor, deren vor allem zwei zu nennen sind. Die erste besteht darin, daß der Gott, dem die Christen glauben und den sie verehren, im Unterschied zu den mythischen und politischen Göttern wirklich natura Deus ist; darin liegt die Deckung mit der philosophischen Aufklärung. Aber gleichzeitig gilt nun: non tamen omnis natura est Deus – nicht alles, was Natur ist, ist Gott. Gott ist seiner Natur nach Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott."
Sorry, ich habe Ratzinger mit fremden Federn geschmückt: Das Copyright auf seinen Sophismus gehört schon den Erfindern der christlichen Theologie. Die damit erreichte Instrumentalisierung der Philosophie, die in christlichen Zeiten bekanntlich "Sklavin der Theologie" zu sein hatte, als "Verschmelzung von Aufklärung und Glaube" zu titulieren, ist allerdings ein starkes Stück. Was sich Aufklärung nennt, sollte doch zumindest ein bissel einen emanzipatorischen Anspruch haben, oder? Ales, was es davon in der "vorchristlichen" Philosohie gab, haben die Theologen ratzeputz eliminiert und durch ein Menschenbild ersetzt, das von "Gott" her definiert wird. Und wieder: Was heißt bei diesem Gott "wirklich"? Der Unterschied zu den "mythischen und politischen Göttern" besteht doch nur darin, dass der konkrete mythische und politische Gott der Bibel willkürlich mit einer philosophischen Denkfigur identifiziert wird, die ihrerseits willkürlich ausgewählt wurde. Diese Willkür aufzuzeigen, wäre eigentlich "philosophische Aufklärung". Theologie dient nur dazu, sie gekonnt zu verschleiern.
NS: Vielleicht hieß das Thema auch: Ist der
christliche Glaube vernünftig?
Er ist nur das hierzulande bekanteste Beispiel. Das Thema ist, dass
jeder Glaube, der sich auf diese Weise die Vernunft (bzw. ihre Methoden) dienstbar zu machen versucht, ihr nicht folgt, sondern sie missbraucht.
LG, SpiNat
(ist übrigens - Selbstironie muss sein - die Abkürzung für
Spiritueller
Naturalist: Ich glaube, dass sich all die Gefühle der "Bewunderung und Ehrfurcht", der "heiligen Ergriffenheit", "spirituellen Erfahrung" usw., die von den supernaturalistischen Religionen in eine jenseitige Hinterwelt ausgelagert werden, in Wirklichkeit (d.h. als reale Gefühle und Reaktionen auf real Erlebtes) auf die Natur und die Menschen selbst beziehen und wieder in die Natur zurückgeholt und den Menschen zurückgegeben werden müssen. Also mehr Harris als Dawkins. Natürlich nehme ich dabei eine subjektive Bestimmung vor, was "wirklich" spirituell ist, wie bei Ratzinger & Co, aber mit einem Unterschied: Die Natur gibt es.)