Emergentismus und Physikalismus

Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » Sa 22. Nov 2008, 18:46

Falk hat geschrieben:Aber die zugrunde liegende dualistische Intuition ist doch die gleiche. Ich will ja nicht sagen, dass eure Haltung dieselbe sei wie die der Supernaturliasten - nur, dass ich sie für genauso relevant halte.


Die Intuition, dass deine antidualistische "Qualiaphobie" unangemessen sein könnte, hattest du anscheinend (noch) nicht.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon ostfriese » So 23. Nov 2008, 14:05

Myron hat geschrieben:Ein Perspektivwechsel ist gegeben, weil es einen Unterschied macht, ob ich meine Gehirnvorgänge als innerliche Geistesvorgänge wahrnehme oder als Körpervorgänge. Es ist so, wie Fechner sagt (siehe oben):

"Es ist ein Unterschied, ob man mit dem Gehirne denkt, oder in das Gehirn des Denkenden hineinsieht."

Nein. Wir sehen ja nicht "von außen hinein". Sondern rekonstruieren intern aus Projektionen auf unsere sinnliche Peripherie.

Myron hat geschrieben:Ein Verständnisproblem habe ich mit deinem Begriff der "internen Objektrekonstruktion".
Was genau meinst du damit?

Ich bin Anhänger der projektiven Erkenntnistheorie. Das "Weltäußere", was wir "vor" Augen haben, ist ein Entwurf unseres Gehirns, rekonstruiert aus Informationen, die wir über unsere sinnliche Peripherie erhalten. Das Gehirn macht das Bild, wobei es z.B. aus einer zweidimensionalen Projektion einen dreidimensionalen Raum rekonstruiert. Projektiv ist aber nicht nur unsere optische Wahrnehmung, sondern unsere gesamte Erkenntnis, ob sie nun auf sinnlicher Wahrnehmung, Erfahrung oder wissenschaftlichen Theorien beruht.

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Sowohl objektive Eigenschaften als auch subjektive Qualitäten sind durch neuronale Strukturen objektiv repräsentiert.


Hm, meinst du damit, dass die Nervenstrukturen als Informationsträger- und speicher fungieren?

Nicht im Sinne eines einfachen Hardware-Software-Modells. Subjektive Qualitäten bedürfen besonders komplexer Hirnstrukturen, sie sind aber nicht Epiphänomene auf diesen Strukturen, sondern mit ihnen identisch.

Myron hat geschrieben:Was habe ich mir unter einem "uneingeengten" Kausalitätsbegriff vorzustellen?

Einen, der nicht a priori voraussetzt, die Realität sei eine 'physische' (was ist das?), in der genau ein kausaler Mechanismus wirke. Ansonsten: Lies meine Beiträge weiter oben nochmal.

Myron hat geschrieben:Bei rein phyischen "Abwärts"-Verursachungen sind auch nur rein physische Ursachen im Spiel, und die Natur bleibt somit kausal geschlossen. Doch wir reden ja hier über die Frage, wie etwas rein Psychisches als eine Ursache in natürliche kausale Prozesse involviert sein könnte.

Nein, ich weiß gar nicht, was Du mit "rein psychisch" meinst. Ich verneine lediglich, dass es sinnvoll ist, bei der Suche nach Ursachen auf allen Systemebenen nach der gleichen objektiven Struktur (Übertragung einer Erhaltungsgröße) zu fahnden. Eine gänzlich auf diesem Modell beruhende Weltbeschreibung wäre nicht nur vollkommen unverständlich und unpraktikabel, sondern auch unvollständig.

Myron hat geschrieben:only transactions at the level of matter and energy can be causal.

Ein synthetisches Urteil a priori, unbegründet, dogmatisch gesetzt. Abgelehnt.

Myron hat geschrieben:Und wie kann ein psychisches Ereignis allein kraft seiner psychischen Seite ein rein physisches oder ein anderes psychisches Ereignis hervorrufen, wenn es keine psychischen Kräfte oder Energieformen sui generis gibt?

Du klebst an dieser dualistischen Trennung 'physisch' vs. 'psychisch'. An der ist aber nichts Besonderes. Subjektive Qualitäten erscheinen bei realen Sytemen bestimmter Komplexität. Und selbstverständlich können komplexe Systeme weniger komplexe Systeme kausal beeinflussen.

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Auf bestimmten Modellebenen finden wir Strukturen, die wir mit der Kausalität identifizieren, z.B. den Übertrag von Erhaltungsgrößen. Aber auch diese Größen selbst sind wieder nur modellhafte Konstrukte, mit denen wir Charakteristika bestimmter Wechselwirkungen abzubilden versuchen.


Mit scheint, du verwechselst die realen physischen Eigenschaften mit ihren abstrakten mathematischen Repräsentationen.

Im Gegenteil, Du verwechselst sie! Alles, wovon wir hier reden, sind unsere Konstrukte bzw. versuchte Rekonstruktionen. Und bevor Du mich jetzt ins Lager der Positivisten abschiebst: Ich glaube an eine real existierende Welt, und ich glaube auf Basis der evolutionären Erkenntnistheorie (die eine projektive Erkenntnistheorie ist) daran, dass viele unserer Rekonstruktionen hinreichend adäquat sind. Allerdings kann ich nur davor warnen, einige davon für absolut gegeben zu erklären (z.B. ein bestimmtes Modell von Kausalität) und unsere Weltsicht auf diese Weise fundamentalisieren zu wollen. Alle daraus gezogenen Schlüsse wären genauso fragwürdig wie die Grundsteinlegung.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » Mo 24. Nov 2008, 06:23

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Fechner: "Es ist ein Unterschied, ob man mit dem Gehirne denkt, oder in das Gehirn des Denkenden hineinsieht."

Nein. Wir sehen ja nicht "von außen hinein", sondern rekonstruieren intern aus Projektionen auf unsere sinnliche Peripherie.


Ich könnte mir theoretisch den Schädel aufsägen, meine Schädeldecke entfernen und mein Gehirn mithilfe eines Spiegels betrachten. Mein Gehirn würde sich damit selbst betrachten, aber eben nur seine äußerliche, körperliche Seite. Alternativ kann mein Gehirn introspektiv (mit seinem "inneren Auge") seine innerliche, geistige Seite "betrachten".
Das sind die zwei besagten unterschiedlichen Perspektiven:
Ich kann einerseits meine körperliche Seite zum Gegenstand meiner Wahrnehmung, meines Denkens machen und andererseits meine geistig-seelische Seite.

ostfriese hat geschrieben:Ich bin Anhänger der projektiven Erkenntnistheorie. Das "Weltäußere", was wir "vor" Augen haben, ist ein Entwurf unseres Gehirns, rekonstruiert aus Informationen, die wir über unsere sinnliche Peripherie erhalten. Das Gehirn macht das Bild, wobei es z.B. aus einer zweidimensionalen Projektion einen dreidimensionalen Raum rekonstruiert. Projektiv ist aber nicht nur unsere optische Wahrnehmung, sondern unsere gesamte Erkenntnis, ob sie nun auf sinnlicher Wahrnehmung, Erfahrung oder wissenschaftlichen Theorien beruht.


Dazu habe ich folgenden Text im Netz gefunden:

http://www.geocities.com/hoefig_de/LKPh ... nntnis.htm

"Das projektive Modell:
Wie alle Theorien muß auch die projektive Erkenntnistheorie von gewissen Annahmen ausgehen, die ihrerseits zwar vielleicht plausibel sind, aber doch nicht bewiesen werden können. Solche Postulate sind: Existenz einer bewußtseinsunabhängigen, gesetzlich strukturierten und zusammenhängenden Welt, teilweise Erkennbarkeit und Verstehbarkeit dieser Welt durch Wahrnehmung, Erfahrung und eine intersubjektive Wissenschaft."


Noch kein Einwand meinerseits.

"Schon jeder Wahrnehmungsakt ist eine versuchte interne Rekonstruktion äußerer Objekte aus reichlich chaotischen Sinneseindrücken. (...)
Die projektive Erkenntnistheorie deutet Sinneseindrücke als Projektionen realer Strukturen auf unsere Peripherie, auf unsere Ober-»Fläche«, auf die »Ebene« unserer Sinnesorgane. Unser Bemühen um Erkenntnis ist dann umgekehrt der Versuch, diese realen Strukturen in unserem Gehirn zurückzugewinnen, also isomorphe Modelle davon zu bilden. (...)
Der Erkenntnisprozeß besteht demnach in einer gestuften Rekonstruktion einer hypothetisch postulierten Realität, einer schrittweisen Befreiung von den Fesseln unserer Sinnesorgane (des Aufnahmeschirms oder Weltbildapparates). Dieser Weg verläuft in genau umgekehrter Richtung wie die Projektion. Freilich stellt die Deutung eines Bildes als Projektion eines Objekts eine Annahme dar, die sich bewähren kann, aber keineswegs zwingend ist. Die Interpretation der Projektion bleibt somit grundsätzlich hypothetisch."


Wenn ich zum Beispiel mein Fahrrad sehe, sehe ich dann der projektiven Erkenntnistheorie zufolge mein Fahrrad oder eine kognitive "Rekonstruktion", d.h. ein mentales Modell oder ein mentales 3D-Bild desselben?

Falls Letzteres zutreffend sein sollte und wir dementsprechend angeblich niemals die Wirklichkeit "an sich" wahrnehmen, sondern immer nur interne Repräsentationen derselben, dann habe ich Einwände.

"Winning through to natural realism is seeing the needlessness and the unintelligibility of a picture that imposes an interface between ourselves and the world. It is a way of completing the task of philosophy, the task that John Wisdom once called a 'journey from the familiar to the familiar'."

(Putnam, Hilary. The Threefold Cord: Mind, Body, and World. New York: Columbia University Press, 1999. p. 41)

ostfriese hat geschrieben:Einen, der nicht a priori voraussetzt, die Realität sei eine 'physische' (was ist das?), ...


Hast du etwa einen unterschwelligen Hang zum Idealismus?

"[Idealism] is a metaphysical theory about the nature of reality, and thus presupposes a distinction between appearance and reality, drawn in an other than common-sense way. It maintains in general that what is real is in some way confined to or at least related to the contents of our own minds."

("Idealism, philosophical." In The Oxford Companion to Philosophy, edited by Ted Honderich. Oxford: Oxford University Press, 1995.)

ostfriese hat geschrieben:... in der genau ein kausaler Mechanismus wirke.


Glaubst du als Naturalist an kausale Nexus in der Natur, bei denen die Ursachen ihre Wirkungen vermöge nichtphysischer Kräfte hervorrufen?

ostfriese hat geschrieben:ich weiß gar nicht, was Du mit "rein psychisch" meinst.


"ohne physische Aspekte"

ostfriese hat geschrieben:Ich verneine lediglich, dass es sinnvoll ist, bei der Suche nach Ursachen auf allen Systemebenen nach der gleichen objektiven Struktur (Übertragung einer Erhaltungsgröße) zu fahnden. Eine gänzlich auf diesem Modell beruhende Weltbeschreibung wäre nicht nur vollkommen unverständlich und unpraktikabel, sondern auch unvollständig.


Du missverstehst mich, es geht überhaupt nicht darum, dass die Welt und alles, was darin geschieht, nur noch in der Sprache der Physik (oder gar der Mikrophysik) beschrieben und erklärt werden sollen.
In der Sprache der Psychologie oder der Soziologie ausgedrückte Beschreibungen oder Erklärungen haben durchaus ihre Berechtigung und ihren Wert; doch die Gretchenfrage ist, von welcher Art die grundlegenden, eigentlichen Wirkmechanismen in der Natur sind.
Gibt es in der Natur gänzlich nichtphysische Ereignisse oder nichtphysische Eigenschaften von physischen Ereignissen, die kausal effektiv bzw. relevant sind oder nicht?

"Most philosophers nowadays repudiate immaterial minds, but the problem of mental causation has not gone away. Instead, focus has shifted to mental properties. How could mental properties be causally relevant to bodily behavior? How could something mental qua mental cause what it does?"
(http://plato.stanford.edu/entries/mental-causation)

This is the very question!

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Gerald Edelman: "only transactions at the level of matter and energy can be causal."

Ein synthetisches Urteil a priori, unbegründet, dogmatisch gesetzt. Abgelehnt.


Dieses Urteil wird immerhin von den Erkenntnissen der Physik untermauert und ist somit keineswegs bloß "dogmatisch gesetzt".

ostfriese hat geschrieben:Du klebst an dieser dualistischen Trennung 'physisch' vs. 'psychisch'. An der ist aber nichts Besonderes. Subjektive Qualitäten erscheinen bei realen Sytemen bestimmter Komplexität. Und selbstverständlich können komplexe Systeme weniger komplexe Systeme kausal beeinflussen.


Die entscheidende Frage, welche eine gewaltige Tragweite hat, ist und bleibt, ob die "subjektiven Qualitäten" spezielle physische Eigenschaften oder psychische Eigenschaften sui generis sind, welche physischen Dingen oder Ereignissen ein besonderes nichtphysisches Wirkungsvermögen verleihen oder nicht.
(Dritte Möglichkeit, die ich hier vertrete: Psychische Eigenschaften sind keine physischen Eigenschaften, aber epiphänomenal, d.i. kausal impotent, irrelevant.)
Wenn man, wie Naturalisten dies typischerweise tun, die Existenz nichtphysischer Naturkräfte oder Energieformen verneint, dann erscheint es absolut mysteriös, wie etwas Psychisches allein kraft seiner Psychizität innerhalb des physischen Universums irgendetwas bewirken könnte.
Das heißt, wenn die einzelnen psychischen Eigenschaften nicht mit einzelnen physischen Eigenschaften identisch sind, und sich das Verursachungsproblem somit in Wohlgefallen auflöst (da die kausale Relevanz physischer Eigenschaften außer Frage steht), dann überträgt sich das uralte (und bisher ungelöste sowie wohl auch praktisch unlösbare) substanzdualistische Grundproblem der Interaktion psychischer und physischer Substanzen auf das eigenschaftsdualistische Grundproblem der Effektivität bzw. kausalen Relevanz psychischer Eigenschaften in einer physischen Welt.

Sei gewarnt: Das "Gespenst" des Epiphänomenalismus lauert in der Philosophie des Geistes beim Thema psychische Verursachung hinter jeder Ecke! :bat2:
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon ostfriese » Mo 24. Nov 2008, 17:47

Myron hat geschrieben:mein Gehirn mithilfe eines Spiegels betrachten. Mein Gehirn würde sich damit selbst betrachten, aber eben nur seine äußerliche, körperliche Seite.

Nein. Du würdest nur "von innen her" die Bilder "betrachten", die Dein Gehirn entwirft. Genauer: Du nimmst das Feuern derjenigen neuronalen Strukturen wahr, welche die Abbildung repräsentieren und auf die Dein Bewusstsein Aufmerksamkeit lenkt (Gammawellensynchronisation als Korrelat).

Der einzig bedeutsame Unterschied ist, dass jene hochkomplexen Strukturen, die Bewusstsein hervorbringen, sich selbst nicht verlustfrei abbilden können; ein Foto des Gehirns (z.B.) enthielte jedenfalls nicht mehr die wesentlichen Informationen über die zur Bewusstseinserzeugung erforderliche Struktur.

Myron hat geschrieben:Falls Letzteres zutreffend sein sollte und wir dementsprechend angeblich niemals die Wirklichkeit "an sich" wahrnehmen, sondern immer nur interne Repräsentationen derselben, dann habe ich Einwände.

Welche?

Myron hat geschrieben:"Winning through to natural realism is seeing the needlessness and the unintelligibility of a picture that imposes an interface between ourselves and the world. It is a way of completing the task of philosophy, the task that John Wisdom once called a 'journey from the familiar to the familiar'."

'Needlessness?' Oh, da ist aber einer erkenntnistheoretisch nicht im Bilde! Sämtliche unserer kognitiven Fehlleistungen und Sinnestäuschungen sind eigentlich nur unter einer Prämisse vernünftig zu deuten: Das Gehirn entwirft unser Weltbild!!"

Myron hat geschrieben:Hast du etwa einen unterschwelligen Hang zum Idealismus?

Nein. Und auch nicht zum Konstruktivismus, bevor Du fragst. :^^:

Myron hat geschrieben:Glaubst du als Naturalist an kausale Nexus in der Natur, bei denen die Ursachen ihre Wirkungen vermöge nichtphysischer Kräfte hervorrufen?

Was ist 'physisch'? Was sind 'Kräfte'? Ich glaube, wie gesagt, dass es sinnvoll ist, den Begriff 'Kausalität' nicht a priori einzuengen auf einen ganz bestimmten Mechanismus.

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:ich weiß gar nicht, was Du mit "rein psychisch" meinst.


"ohne physische Aspekte"

:explodieren: :lachtot: Zum wievielten Male drehen wir jetzt dieselbe Pirouette?

Myron hat geschrieben:doch die Gretchenfrage ist, von welcher Art die grundlegenden, eigentlichen Wirkmechanismen in der Natur sind.

Es gibt keine 'eigentlichen' oder 'uneigentlichen' 'Wirkmechanismen'. Wir beschreiben die Natur mit Hilfe von Modellen, von denen wir hoffen, dass sie gewisse reale Strukturen isomorph abbilden. Alle diese Modelle haben bisher einen eingeschränkten Gültigkeitsbereich, die 'Weltformel' ist nach wie vor ein unerfüllter Traum. Aber selbst, wenn wir sie hätten, würde das niemals alle anderen theoretischen Konstrukte obsolet machen.

Bei Deinem Modell von Kausalität kommst Du von der Intuition her, dass irgendwo zwischen zwei realen (du würdest wahrscheinlich schreiben: 'physischen') Objekten 'Kräfte' wirken müssen, damit sie einander kausal beeinflussen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kennst Du alle Kräfte, denen ein Objekt ausgesetzt ist (unmöglich in einem verschränkten Universum!) -- dann brauchst Du den Begriff 'Kausalität' überhaupt nicht mehr; oder Du beschränkst Dich auf die wichtigsten Einflussgrößen, die das Verhalten des fraglichen Objekts hinreichend genau erklären (bzw. vorhersagen) und zusammen die Ursache formieren -- dann bist Du bereits von den 'eigentlichen' Wirkmechanismen abgewichen. Nichts anderes tun Emergentisten auch: Sie beschreiben Ursachen als hinreichend adäquate Modelle.

Myron hat geschrieben:Dieses Urteil wird immerhin von den Erkenntnissen der Physik untermauert.

Die Physik kann nicht den Philosophen vorschreiben, was sie unter Kausalität zu verstehen haben. Wenn überhaupt, dann umgekehrt: Die Philosophen können die Physiker auf die Suche schicken nach realen Strukturen, die denen des theoretischen Konstrukts entsprechen. Und ich bestreite ja gar nicht, dass die Kausalitäts-Findung teilweise erfolgreich war. Beim Kernzerfall tappen wir noch völlig im Dunkeln, ebenso bei Wechselwirkungen hochkomplexer Systeme. Aber in der klassischen, mechanistischen Physik sind wir mit dem herkömmlichen, linearen Kausalitätsmodell sehr weit gekommen.

Myron hat geschrieben:Wenn man, wie Naturalisten dies typischerweise tun, die Existenz nichtphysischer Naturkräfte oder Energieformen verneint, dann erscheint es absolut mysteriös, wie etwas Psychisches allein kraft seiner Psychizität innerhalb des physischen Universums irgendetwas bewirken könnte.

Naturalisten trennen typischerweise gar nicht erst so beharrlich zwischen 'Psychischem' und 'Physischem'. In der Hinsicht bin ich eher bei Falk als bei Dir.

Myron hat geschrieben:Sei gewarnt: Das "Gespenst" des Epiphänomenalismus lauert in der Philosophie des Geistes beim Thema psychische Verursachung hinter jeder Ecke! :bat2:

Ich glaube nicht an Gespenster, ich bin Naturalist! :santagrin:
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » Di 25. Nov 2008, 21:05

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:mein Gehirn mithilfe eines Spiegels betrachten. Mein Gehirn würde sich damit selbst betrachten, aber eben nur seine äußerliche, körperliche Seite.

Nein. Du würdest nur "von innen her" die Bilder "betrachten", die Dein Gehirn entwirft. Genauer: Du nimmst das Feuern derjenigen neuronalen Strukturen wahr, welche die Abbildung repräsentieren und auf die Dein Bewusstsein Aufmerksamkeit lenkt (Gammawellensynchronisation als Korrelat).


Zunächst muss ich in Bezug auf mein obiges Beispiel anmerken, dass wenn ich mein Gehirn im Spiegel betrachten würde, dies eine indirekte Wahrnehmung wäre, da ich ja nur ein Spiegelbild meines Gehirns sähe.

Wenn ich jedoch z.B. mein Fahhrad wahrnehme, dann ist der direkte Gegenstand meiner Wahrnehmung nichts anderes als das Fahrrad selbst. Des Feuerns der neuronalen Strukturen, die dem Wahrnehmungsgvorgang zugrunde liegen, werde ich dabei nicht gewahr.

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Falls Letzteres zutreffend sein sollte und wir dementsprechend angeblich niemals die Wirklichkeit "an sich" wahrnehmen, sondern immer nur interne Repräsentationen derselben, dann habe ich Einwände.

Welche?


Da gibt es eine ganze Reihe. Ich verweise dazu auf den folgenden Text:

Arguments Against Direct Realism and How to Counter Them (pdf)

Ich will hier nur eines der Hauptargumente gegen den direkten Realismus herausgreifen, auf das sich auch die projektive Erkenntnistheorie Vollmers zumindest implizit zu berufen scheint, und zwar dasjenige, das Searle "the argument from science" nennt und wovon er sagt: "I think the argument most likely to convince most people in the history of this subject is the argument from science." (Searle 2004, p. 262)

"The Causal Argument [The Argument from Science]:
First Premise: Direct Realists hold that external physical objects or events can be immediate or direct objects of perception.
Second Premise: But perception involves a long and complex causal series of events. For instance, light quanta are reflected or emitted from an external object, the light quanta then travel through an intervening medium (e.g., air and/or water), they then hyperpolarize retinal cells by bleaching rhodopsin photopigment molecules, and then a very complex series of physiological processes takes place in the eye and in the brain eventuating in perception.
Conclusion: Direct Realism is false. Given this long and complex causal series, physical objects or events cannot be immediate or direct objects of perception.
The proponent of this kind of argument usually then proceeds to claim that something else (a sense-datum, or sensum, or idea, or sensation, or image, or quality-instance, or species) is the immediate object of perception."

(Quelle: siehe obige pdf)

Dem entgegnet Searle:

"Science does refute naive [direct] realism. To say that because we can give a causal account of how it comes about that we see the real world, it follows that we do not see the real world, is to commit a famous fallacy. It is called the genetic fallacy. (...)
[T]he form of the genetic fallacy in the theory of perception goes as follows. We can show that when you apparently see your hand in front of your face, what is actually happening is that light reflected from the hand is causing you to have a visual experience, which you take to be a visual experience of your hand. Because we can explain why you think you are seeing a hand, we can show that you did not really see a hand in front of your face but only the visual experience, which was the effect of the neurobiological processes.
So stated, I hope it is obvious that this is a fallacy. The causal account of how I come to see my hand in front of my face does not show that I do not really see my hand in front of my face."


(Searle, John. Mind: A Brief Introduction. New York: Oxford University Press, 2004. p. 270-1)

ostfriese hat geschrieben:Sämtliche unserer kognitiven Fehlleistungen und Sinnestäuschungen sind eigentlich nur unter einer Prämisse vernünftig zu deuten: Das Gehirn entwirft unser Weltbild!!"


Daraus, dass sinnliche Illusionen und Halluzinationen vorkommen, d.h. dass Dinge, die existieren, manchmal anders erscheinen, als sie sind, und wir manchmal Dinge wahrzunehmen scheinen, die gar nicht da sind, folgt nicht, dass wir niemals direkt wirkliche Dinge wahrnehmen.

Natürlich entwirft unser Gehirn auch Bilder, Vorstellungen der Welt; doch die Wahrnehmung der Außenwelt besteht im Normalfall nicht in der Wahrnehmung von Bildern äußerer Dinge, sondern in der Wahrnehmung der Dinge selbst.

ostfriese hat geschrieben:Was ist 'physisch'? Was sind 'Kräfte'?


Jetzt stell dich doch nicht naiver, als du bist!

ostfriese hat geschrieben:Ich glaube, wie gesagt, dass es sinnvoll ist, den Begriff 'Kausalität' nicht a priori einzuengen auf einen ganz bestimmten Mechanismus.


Hast du eine Idee, mittels welchem nichtphysischen Mechanismus ein psychisches Ereignis ein physisches Ereignis verursachen könnte?

ostfriese hat geschrieben:Bei Deinem Modell von Kausalität kommst Du von der Intuition her, dass irgendwo zwischen zwei realen (du würdest wahrscheinlich schreiben: 'physischen') Objekten 'Kräfte' wirken müssen, damit sie einander kausal beeinflussen.


Wenn ein Ereignis ein anderes verursacht, dann muss es zwischen den beiden Ereignissen ein Art von kausalem Nexus geben, d.h. eine bestimmte Verbindung, mittels deren die Verursachung realisiert wird. Eine bloße statistische Korrelation ist dafür nicht hinreichend, zumal bekanntlich nicht jede Korrelation einer Kausation entspricht.
Auch kontrafaktische Abhängigkeiten begründen für sich betrachtet noch keine realen Kausalnexus.
Das können in der Natur nur physische Kausalprozesse und die darin wirkenden physischen Kräfte.

ostfriese hat geschrieben:Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kennst Du alle Kräfte, denen ein Objekt ausgesetzt ist (unmöglich in einem verschränkten Universum!) (...)


Die zeitgenössische Physik kennt bekanntlich vier fundamentale Naturkräfte und verschiedene Energieformen. Es mag sein, dass in der Zukunft zusätzliche Kräfte oder Energieformen entdeckt werden; doch die wären dann ja auch rein physischer Natur, sodass selbst dadurch keine psychische Kausation sui generis erklärbar wäre.

ostfriese hat geschrieben:Beim Kernzerfall tappen wir noch völlig im Dunkeln, ebenso bei Wechselwirkungen hochkomplexer Systeme. Aber in der klassischen, mechanistischen Physik sind wir mit dem herkömmlichen, linearen Kausalitätsmodell sehr weit gekommen.


Schön und gut, doch von irgendeiner nichtphysischen Kraft oder Form von Energie fehlt weiterhin jede Spur. Es scheint nach wie vor keinerlei kausale Löcher in der Natur zu geben, die von etwas Transphysischem gestopft werden können.

ostfriese hat geschrieben:Naturalisten trennen typischerweise gar nicht erst so beharrlich zwischen 'Psychischem' und 'Physischem'.


Wie du vielleicht bemerkt hast, sind psychische Ereignisse (Vorgänge) meiner Meinung nach physische Ereignisse, d.h. jedes einzelne psychische Ereignis ist mit einem einzelnen physischen Ereignis token-identisch.
Es bleibt also nur noch die Frage, ob psychische Eigenschaften physische Eigenschaften sind oder nicht.
Den nichtreduktionistischen Physikalisten zufolge, zu denen die Emergentisten gehören, sind psychische Eigenschaften von physischen Eigenschaften verschieden und nicht auf diese reduzierbar. Zugleich verneinen sie die Epiphänomenalität psychischer Eigenschaften. Somit stehen jene Herrschaften vor dem folgenden, äußerst vertrackten Grundproblem, das du—nix für ungut—in seiner Tragweite noch nicht so richtig erfasst zu haben scheinst:

"Most philosophers nowadays repudiate immaterial minds, but the problem of mental causation has not gone away. Instead, focus has shifted to mental properties. How could mental properties be causally relevant to bodily behavior? How could something mental qua mental cause what it does?"
(http://plato.stanford.edu/entries/mental-causation)
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon stine » Mi 26. Nov 2008, 07:59

@Myron und Ostfriese:
Wie erklärt ihr euch physische Krankheitsbilder, die eine psychische Ursache haben?
Tod eines nahen Angehörigen, (finanzielle) Sorgen, Sorge um den Arbeitsplatz, Sorge um ein besonderes Kind, usw.
All diese abstrakten Ursachen können den Körper krank machen, oft mehr, als physische Einwirkungen (Unfälle zB).

Kann es sein, dass wir körperlichen Missständen nur eine Ursache zuschieben? Frei nach dem Motto, wo etwas ist, muß es auch einen Grund geben?
Oder lösen missliche Umstände, die wir gehirntechnisch nicht verarbeiten können, tatsächlich Krankheiten aus?

LG stine
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » Mi 26. Nov 2008, 17:36

stine hat geschrieben:Wie erklärt ihr euch physische Krankheitsbilder, die eine psychische Ursache haben?


Eine psychische Ursache ist eben nie eine rein psychische Ursache, sondern immer eine psychophysische Ursache.
(Die Aufteilung in Psychologie und Psychosomatik ist von daher eigentlich unsinnig.)
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon ganimed » Mi 26. Nov 2008, 19:49

Genau: "Sorge um den Arbeitsplatz" ist kein nur psychisches Phänomen. im Gehirn bewertet das limbische System, oder wie die Dinger heißen, irgendeinen Aspekt so, dass da hin und wieder leicht erhöhte Angstzustände entstehen, d.h. in Angstzentren erhöhte Akivität resultiert. Dort werden dann irgendwelche Hormone ausgeschüttet und Regelkreise beeinflusst. Und ist man zu lange und zu oft besorgt, leiden irgendwann irgendwelche Organe oder Körperfunktionen unter den erhöhten Hormonen oder anderen Auswirkungen.

Äh, ich habe eigentlich zu wenig Ahnung, um zu garantieren, dass auch nur einer dieser genannte Begriffe ganz genau richtig ist. Aber die Richtung sollte stimmen. Die Experten könnten heute vermutlich recht genau sagen, wie sich "Sorge um den Arbeitsplatz" im Gehirn darstellt. Jedes psychische Erleben hat seine physikalische Entsprechung in neuronalen Mustern und hormonellen, botenstoffigen, nervlichen etc. Wirkungen.

stine hat geschrieben:All diese abstrakten Ursachen können den Körper krank machen

Stimmt. Nur sind es keine abstrakten Ursachen sondern ganz konkrete. Zuviel Stresshormone ausgeschüttet über längere Zeiträume hinweg, dazu noch eine genetische Empfindlichkeit, und schon gibt es all diese Magen-Darm-Entzündungen oder Reizblasen oder was auch immer.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon ostfriese » Do 27. Nov 2008, 20:01

Sorry, ich steckte die letzten Tage in einem Berg von Arbeit und musste mir deshalb strikte Foren-Abstinenz verordnen...

Myron hat geschrieben:John Searle: "So stated, I hope it is obvious that this is a fallacy. The causal account of how I come to see my hand in front of my face does not show that I do not really see my hand in front of my face."

Gar nichts ist "obvious", da hat sich wieder mal einer im eigenen Zirkel verfangen. Was ist denn "die Hand"? Was bedeutet denn "sehen"? Das sind doch wieder nur modellhafte Begriffe! In einer legitimen Umkehrung kann man auch sagen: Ein reales Objekt XY ist, wenn wir Glück haben, als Modell isomorph zu jener Struktur, die wir als XY bezeichnen. Per defintionem sind ja dem theoretischen Konstrukt XY bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Und diese Merkmale kann auch das reale Objekt tatsächlich aufweisen, aber wir werden es niemals mit endgültiger Gewissheit feststellen können. Der Begriff "Hand" bezieht seine Bedeutung nicht direkt aus realen Händen, sondern aus unseren modellhaften internen Rekonstruktionen realer Hände in the first place. Wir nennen "Hand", was uns in ganz bestimmter Weise erscheint!

Myron hat geschrieben:Daraus, dass sinnliche Illusionen und Halluzinationen vorkommen, d.h. dass Dinge, die existieren, manchmal anders erscheinen als sie sind und wir manchmal Dinge wahrzunehmen scheinen, die gar nicht da sind, folgt nicht, dass wir niemals direkt wirkliche Dinge wahrnehmen.

Doch, mittelbar schon. Denn in solchen Situationen merken wir, dass unser Weltbild nicht da draußen ist und durch Fenster zu uns herein kommt, sondern dass unser Gehirn es (re)konstruiert. Ja, es gibt eine Realität. Nein, sie ist nicht das, was uns in nüchternem Zustand "vorschwebt".

Myron hat geschrieben:Natürlich entwirft unser Gehirn auch Bilder, Vorstellungen der Welt; doch die Wahrnehmung der Außenwelt besteht im Normalfall nicht in der Wahrnehmung von Bildern äußerer Dinge, sondern in der Wahrnehmung der Dinge selbst.

Wenn ich ein (nicht selbstleuchtendes) Objekt "sehe", dann fällt Licht in mein Auge, dass von diesem Körper gestreut wurde. Was ich eigentlich wahrnehme, ist also Licht, es ist nicht der Körper selbst. Aus den Informationen, die das Licht trägt, (re)konstruiert das Gehirn schließlich ein Bild des Objekts.

Und wenn ich das Ding anfasse? Dann wirken zwischen den zwei Oberflächen Kräfte, Teilchen werden ausgetauscht und Nervenzellen in der Haut zum Feuern angeregt. Aus den einkommenden Signalen rekonstruiert das Gehirn das Gefühl von undurchdringlicher "Massivität". Dies ist aber gar keine reale Objekteigenschaft, sondern in diesem Fall ein gänzlich subjektabhängiges Merkmal: Wir (unsere Körperzellen) können ein Kristallgitter nicht durchdringen.

Ich könnte jetzt alle fünf Sinne durchexerzieren, aber ich denke, diese beiden Beispiele sollten genügen.

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Was ist 'physisch'? Was sind 'Kräfte'?


Jetzt stell dich doch nicht naiver, als du bist!

Nee, Myron, das ist genau die Stelle, an der sich Deine Katze in den Schwanz beißt. Du tust so, als seien 'Kräfte' reale Objekte und als sei 'physisch' eine Eigenschaft, die jedem realen Objekt zukommt. Aber wir wissen erst dann, was wir unter Kraft verstehen, wenn wir ein Modell davon haben. Das Kraftmodell eines Laien unterscheidet sich ganz erheblich von dem eines Quantenphysikers, und die Behauptung, beide "meinten" "eigentlich" das gleiche reale Objekt, bleibt genau so lange inhaltsleer, bis definiert ist, woran "es" "eigentlich" zu identifizieren sei. Definieren können wir aber immer nur analytisch, nicht synthetisch.

Myron hat geschrieben:Hast du eine Idee, mittels welchem nichtphysischen Mechanismus ein psychisches Ereignis ein physisches Ereignis verursachen könnte?

Nochmal: Ich lehne diese quasidualistische A-priori-Trennung ab.

Myron hat geschrieben:Es mag sein, dass in der Zukunft zusätzliche Kräfte oder Energieformen entdeckt werden; doch die wären dann ja auch rein physischer Natur, sodass selbst dadurch keine psychische Kausation sui generis erklärbar wäre.

s.o. (Hervorhebungen von mir)

Myron hat geschrieben:Es scheint nach wie vor keinerlei kausale Löcher in der Natur zu geben, die von etwas Transphysischem gestopft werden können.

Nochmal: Kausalität ist ein theoretisches Konstrukt, mit dem wir Naturvorgänge aus anderen erklären. Es ist kein Band, an dem die Natur aufgehängt ist. Welche Modelle wir der Kausalität zuordnen, wird einzig durch den Erklärungserfolg (oder Retrodiktions- oder Prognose-Erfolg) von Theorien entschieden. Meine erfolgreiche Theorie, dass Staus alle sich auf gleicher Spur nähernden Fahrzeuge zum Bremsen zwingen (systemtheoretisch ein klarer Fall von 'downward causation'), gibt dem von mir in diesem Fall angesetzten Kausalitätsmodell recht. Eine aus Erklärung Nr. 2 abgeleitete Theorie ("Bremsende Autos zwingen nachfolgende Autos zum Bremsen") wäre bereits sehr viel weniger erfolgreich (man kann ja überholen), dieses ebenengleiche Kausalitätsmodell demnach weniger tauglich. Und aus den Erklärungen 4. bis 6. ließe sich schließlich überhaupt keine Theorie mehr gewinnen, das hier jeweils verwendete Kausalitätsmodell scheitert völlig, gerade weil es so stark reduziert ist.

Dies ist keinesfalls ein Plädoyer für einen generellen Verzicht auf Reduktion, sondern lediglich eine Warnung vor naivem Optimismus. Physiker beschreiben und erklären bisher nur sehr, sehr einfache Systeme halbwegs erfolgreich!

Myron hat geschrieben:Den nichtreduktionistischen Physikalisten zufolge, zu denen die Emergentisten gehören, sind psychische Eigenschaften von physischen Eigenschaften verschieden und nicht auf diese reduzierbar.

Wenn Du unter 'Eigenschaften' Prädikate verstehst, die wir in unserem Beschreibungen theoretischen Konstrukten zuordnen, dann stimmt das. Aber nimm bitte zur Kenntnis, dass Emergentisten nirgends im realen Geschehen irgendwelche Sphären abtrennen. Alle Abgrenzungen existieren nur zwischen den sprachlichen Ebenen, mit denen das reale Geschehen modellhaft erfasst werden soll. Und der vernünftige Grund, hierbei Trennlinien einzuziehen, ist die Tatsache, dass komplexe Strukturen Merkmale aufweisen, welche ihren Komponenten fehlen.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » Sa 29. Nov 2008, 20:58

ostfriese hat geschrieben:Gar nichts ist "obvious", da hat sich wieder mal einer im eigenen Zirkel verfangen. Was ist denn "die Hand"? Was bedeutet denn "sehen"? Das sind doch wieder nur modellhafte Begriffe!


Meine Hand und mein Sehen meiner Hand sind keine Begriffe, sondern ein reales Ding beziehungsweise ein realer Vorgang.
Begriffe repräsentieren Eigenschaften bzw. geben vor, dies zu tun.

ostfriese hat geschrieben:In einer legitimen Umkehrung kann man auch sagen: Ein reales Objekt XY ist, wenn wir Glück haben, als Modell isomorph zu jener Struktur, die wir als XY bezeichnen. Per defintionem sind ja dem theoretischen Konstrukt XY bestimmte Eigenschaften zugeordnet.


Ein reales Objekt ist aber weder ein mentales Modell noch ein mentales Konstrukt.
Die Realität besteht nicht aus Repräsentationen und unsere Wahrnehmung der Realität beschränkt sich nicht auf Repräsentationen derselben.

Ich empfehle dir wärmstens Freges genialen Aufsatz "der Gedanke", worin er den Idealismus entkräftet:

"Entweder ist der Satz falsch, dass nur das Gegenstand meiner Betrachtung sein kann, was meine Vorstellung ist; oder all mein Wissen und Erkennen beschränkt sich auf die Bühne meines Bewusstseins. In diesem Falle hätte ich nur eine Innenwelt, und ich wüsste nichts von anderen Menschen. (...)
Nicht alles ist Vorstellung, was Gegenstand meines Erkennens sein kann. Ich selbst bin als Träger von Vorstellungen nicht selber eine Vorstellung."


Statt "ich" hätte Frege genauso gut "mein Gehirn" schreiben können.

ostfriese hat geschrieben:Und diese Merkmale kann auch das reale Objekt tatsächlich aufweisen, aber wir werden es niemals mit endgültiger Gewissheit feststellen können.


Ich denke nicht, dass man sagen kann, es sei ungewiss, ob ein Fußball tatsächlich rund ist.

ostfriese hat geschrieben:Doch, mittelbar schon. Denn in solchen Situationen merken wir, dass unser Weltbild nicht da draußen ist und durch Fenster zu uns herein kommt, sondern dass unser Gehirn es (re)konstruiert. Ja, es gibt eine Realität. Nein, sie ist nicht das, was uns in nüchternem Zustand "vorschwebt".


Wie gesagt, ein reales Objekt mag unter Umständen anders beschaffen sein, als es uns erscheint; doch das bedeutet nicht, dass das uns Erscheinende nicht das reale Objekt selbst ist, sondern bloß ein Bild davon.

ostfriese hat geschrieben:Wenn ich ein (nicht selbstleuchtendes) Objekt "sehe", dann fällt Licht in mein Auge, dass von diesem Körper gestreut wurde. Was ich eigentlich wahrnehme, ist also Licht, es ist nicht der Körper selbst. Aus den Informationen, die das Licht trägt, (re)konstruiert das Gehirn schließlich ein Bild des Objekts.


Das ist der Fehlschluss, den Searle aufzeigt, und auf den auch Pierre Le Morvan eingeht:

"In holding that external objects or events are immediate or direct objects of perception, Direct Realists deny that perception of these external objects or events must be mediated by a prior awareness of causal intermediaries in the causal series eventuating in perception. Even if, say, the photoisomerisation of rhodopsin photopigment molecules in one’s eyes is a nomically necessary intermediary event in one’s visual perception of external objects or events, it does not follow, on Direct Realism, that one must be aware of that event (or any other intermediary event or object) when one perceives external physical objects or events.
In this light, consider the following two claims:

(i) perception is indirect in the sense that it involves a series of causal intermediaries between the external object (or event) and the percipient;
and
(ii) perception is indirect in the sense of involving a prior awareness of something other than the external object (or event).

Claims (i) and (ii) thus distinguished, Direct Realists can argue that it does not follow from the fact that perception is indirect in the sense of (i) that it is indirect in the sense of (ii). What the Causal Argument establishes is only the causal indirectness of perception in the sense of (i), not the cognitive indirectness in the sense of (ii). Hence, this argument does not refute Direct Realists not committed to denying the indirectness of perception in the sense of (i). Thus, lest they fall prey to this argument, Direct Realists should be careful to distinguish between causal indirectness and cognitive indirectness."


(http://www.tcnj.edu/~lemorvan/DR_web.pdf)


ostfriese hat geschrieben:
Und wenn ich das Ding anfasse? Dann wirken zwischen den zwei Oberflächen Kräfte, Teilchen werden ausgetauscht und Nervenzellen in der Haut zum Feuern angeregt. Aus den einkommenden Signalen rekonstruiert das Gehirn das Gefühl von undurchdringlicher "Massivität". Dies ist aber gar keine reale Objekteigenschaft, sondern in diesem Fall ein gänzlich subjektabhängiges Merkmal: Wir (unsere Körperzellen) können ein Kristallgitter nicht durchdringen.
Ich könnte jetzt alle fünf Sinne durchexerzieren, aber ich denke, diese beiden Beispiele sollten genügen.


Die natürlichen Eigenschaften realer Objekte sind gänzlich geistesunabhängig.
Es ist zu unterscheiden zwischen Eigenschaften von Wahrnehmungen und Eigenschaften von wahrgenommenen Gegenständen.
Es gelingt den Naturwissenschaftlern durchaus, objektive Eigenschaften natürlicher Objekte festzustellen.
Es gibt auch objektive dispositionale Eigenschaften realer Objekte wie z.B. diejenige, sich bei Berührung fest anzufühlen.

ostfriese hat geschrieben:Nee, Myron, das ist genau die Stelle, an der sich Deine Katze in den Schwanz beißt. Du tust so, als seien 'Kräfte' reale Objekte und als sei 'physisch' eine Eigenschaft, die jedem realen Objekt zukommt. Aber wir wissen erst dann, was wir unter Kraft verstehen, wenn wir ein Modell davon haben. Das Kraftmodell eines Laien unterscheidet sich ganz erheblich von dem eines Quantenphysikers, und die Behauptung, beide "meinten" "eigentlich" das gleiche reale Objekt, bleibt genau so lange inhaltsleer, bis definiert ist, woran "es" "eigentlich" zu identifizieren sei.


Natürlich wird der Kraftbegriff in der Physik in einem spezielleren und präziseren Sinne gebraucht als in der Alltagssprache.
Ganz allgemein gesprochen ist Kraft die Fähigkeit von etwas, etwas anderes zu beeinflussen. Kräfte sind also keine selbstständigen Dinge. (Dieser irrtümliche Eindruck mag entstehen, wenn von Kraftfeldern die Rede ist, die so gar nicht "dinghaft" erscheinen; dennoch sind in diesem Fall eben die Felder die Kraftträger—oder womöglich die jenen zugrunde liegende Raumzeit selbst.)

ostfriese hat geschrieben:Nochmal: Ich lehne diese quasidualistische A-priori-Trennung ab.


Zur Geschichte dessen, was in der Naturwissenschaft als wirkungsfähig angesehen wurde und wird:

"Modern Science and Causal Influence"

In der zeitgenössischen Naturwissenschaft ist die Idee einer Seelenkraft oder -energie längst ad acta gelegt worden, sodass dem Naturalisten nur eine Alternative in Bezug auf die psychischen Phänomene bleibt: Entweder Reduzibilität plus Effektivität oder Irreduzibilität minus Effektivität, d.i. plus Epiphänomenalität.
Die Emergentisten wählen weder das eine noch das andere, was die Frage nach der logischen Kohärenz ihrer Position aufwirft.

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Es scheint nach wie vor keinerlei kausale Löcher in der Natur zu geben, die von etwas Transphysischem gestopft werden können.

Nochmal: Kausalität ist ein theoretisches Konstrukt, mit dem wir Naturvorgänge aus anderen erklären. Es ist kein Band, an dem die Natur aufgehängt ist.


Es geht um reale Prozesse, durch die ein Ereignis ein anderes hervorbringen kann.
Kausalität erfordert irgendeine Art von "Nexus", und es spricht alles dafür, dass ausschließlich physische Prozesse imstande sind, solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge herzustellen.

ostfriese hat geschrieben:Und aus den Erklärungen 4. bis 6. ließe sich schließlich überhaupt keine Theorie mehr gewinnen, das hier jeweils verwendete Kausalitätsmodell scheitert völlig, gerade weil es so stark reduziert ist.
Dies ist keinesfalls ein Plädoyer für einen generellen Verzicht auf Reduktion, sondern lediglich eine Warnung vor naivem Optimismus. Physiker beschreiben und erklären bisher nur sehr, sehr einfache Systeme halbwegs erfolgreich!


Wie schon gesagt, es geht nicht darum, alle biologischen, psychologischen und soziologischen Erklärungen in die Sprache der Physik oder gar der Mikrophysik zu übersetzen, sondern um die Frage, was in der Raumzeitwelt fundamental wirkungsfähig ist und aufgrund welcher Art von Eigenschaften.

"[Ontological physicalism consists in] the claim that material particles and their aggregates distributed over spacetime exhaust all of concrete reality. There are to be no spirits (which some supposed necessary to explain mentality) and no vital forces or 'entelechies' (which, according to neo-vitalists, made biological phenomena possible). As we ascend to higher levels from the level of basic physical particles, no new entities or forces make their appearance; we only find increasingly complex structures and configurations of the basic particles."

"Der ontologische Physikalismus [Materialismus] besteht in der These, dass sich die konkrete Wirklichkeit in materiellen Teilchen und deren über die Raumzeit verteilten systematischen Zusammenballungen erschöpft. Es gibt keine Geister (die einige für notwendig hielten, um die psychischen Phänomene zu erklären) und keine Lebenskräfte oder 'Entelechien' (die den Neovitalisten nach biologische Phänomene ermöglicht haben). Wenn wir von der Ebene der elementaren physischen Teilchen auf höhere Ebenen emporsteigen, treten keine neuen Dinge oder Kräfte auf. Wir stoßen lediglich auf zunehmend komplexe Strukturen und Konfigurationen der Elementarteilchen."

[© meine Übers.]

(Kim, Jaegwon. Philosophy of Mind. 2nd ed. Boulder, CO: Westview, 2006. p. 291+)

Das heißt, wenn wir von einfachen zu immer komplexeren Systemen übergehen, dann tauchen nicht ab einer bestimmten Komplexitätsstufe auf einmal neuartige Kräfte oder Energieformen auf, die den komplexeren Systemen eine transphysische Art von kausaler Potenz bescheren, welche den einfacheren Systemen abgeht.

Psychologische Verhaltenserklärungen bedienen sich zwar nicht des physikalischen Vokabulars, sondern benutzen Begriffe wie "Motiv" ("Beweggrund"), aber das bedeutet nicht, dass sich die tatsächlichen Wirkungshervorbringungen nicht auf der physikalischen Ebene vollziehen, d.h. dass die eigentlichen "Beweger", die unser Verhalten anstoßen, keine physischen Zustände und Ereignisse sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns dieser als physischen Ursachen bewusst sind oder nicht.

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Den nichtreduktionistischen Physikalisten zufolge, zu denen die Emergentisten gehören, sind psychische Eigenschaften von physischen Eigenschaften verschieden und nicht auf diese reduzierbar.

Wenn Du unter 'Eigenschaften' Prädikate verstehst, die wir in unserem Beschreibungen theoretischen Konstrukten zuordnen, dann stimmt das. Aber nimm bitte zur Kenntnis, dass Emergentisten nirgends im realen Geschehen irgendwelche Sphären abtrennen. Alle Abgrenzungen existieren nur zwischen den sprachlichen Ebenen, mit denen das reale Geschehen modellhaft erfasst werden soll.


Eigenschaften sind nichts Sprachliches, während Prädikate sprachlicher Natur sind.
Es ist plausibel anzunehmen, dass nicht jedes Prädikat für eine (reale) Eigenschaft steht, wobei nicht a priori entscheidbar ist, welche Prädikate sich auf natürlicherweise vorhandene Eigenschaften beziehen und welche nicht.

Nun ist zwischen dem Prädikatsdualismus und dem Eigenschaftsdualismus zu unterscheiden (siehe: http://plato.stanford.edu/entries/dualism/#VarDuaOnt).
Ersterer wird von allen Physikalisten, den reduktionistischen und den nichtreduktionistischen gleichermaßen, akzeptiert: Die Vokabulare der nichtphysikalischen Wissenschaften lassen sich nicht auf das Vokabular der Physik reduzieren, sprich durch dieses ersetzen.
Doch die Emergentisten scheinen auch den Eigenschaftsrealismus sowie den Eigenschaftsdualismus zu vertreten. Die emergenten psychischen Eigenschaften bilden für sie einen eigenen Typ von Eigenschaft, der von den physischen Eigenschaften verschieden ist. Auf der ontologischen Ebene besteht für sie also keine Typenidentität, die lediglich auf der linguistischen Ebene in physikalische und psychologische Prädikate (Begriffe) aufgespalten wird.

ostfriese hat geschrieben:Und der vernünftige Grund, hierbei Trennlinien einzuziehen, ist die Tatsache, dass komplexe Strukturen Merkmale aufweisen, welche ihren Komponenten fehlen.


Wenn das nicht mehr besagen soll, als dass ein Ganzes Eigenschaften haben kann, die nicht Eigenschaften seiner Teile sind, dann ist dem insoweit voll und ganz zuzustimmen.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » So 30. Nov 2008, 20:33

Betrachtet die folgenden Prinzpien:

1. Eigenschaftsdualismus:
Die psychischen Eigenschaften eines physischen Objektes oder Systems sind von dessen physischen Eigenschaften verschieden und nicht darauf reduzierbar.

2. Prinzip der kausalen Potenz psychischer Eigenschaften:
Psychische Ereignisse können vermöge ihrer psychischen Eigenschaften Ursachen physischer (und anderer psychischer) Ereignisse sein.

3. Prinzip der kausalen Geschlossenheit des physischen Reiches:
Wenn ein physisches Ereignis zum Zeitpunkt t eine Ursache hat, dann hat es zum Zeitpunkt t eine hinreichende physische Ursache.

4. Prinzip des kausalen Ausschlusses:
4.1 Wenn ein Ereignis e zum Zeitpunkt t eine hinreichende Ursache u hat, dann kann zum Zeitpunkt t kein von u verschiedenes Ereignis eine Ursache von e sein (es sei denn, es handelt sich um einen echten Fall von kausaler Überbestimmung). [*
(4.1* Wenn der Besitz der Eigenschaft F für das Eintreten eines Ereignisses e kausal hinreichend ist, dann ist keine von F verschiedene Eigenschaft für das Eintreten von e kausal relevant.)
4.2 Eine systematische kausale Überbestimmung physischer Ereignisse durch psychische Ursachen kommt nicht vor.

[* Ein echter Fall von kausaler Überbestimmung ("causal overdetermination") liegt beispielsweise vor, wenn ein Soldat auf dem Schlachtfeld im selben Moment von zwei Kugeln tödlich getroffen wird. Das heißt, das Erschossenwerden des Soldaten ist durch die beiden tödlichen Treffer kausal überbestimmt, weil er auch dann getötet worden wäre, wenn ihn nur eine der beiden Kugeln getroffen hätte.]

Diese vier Prinzipien vertragen sich jedoch nicht miteinander!
Was tun?

"[G]iven the causal closure of the physical, the four theses of nonreductive physicalism—and the corresponding four doctrines of emergentism—form an inconsistent set. The nonreductive physicalist and the emergentist must reject at least one of the four.

[1] The emergentist appears to have two choices to consider. First, she can opt to abandon physical causal closure. Given the overall orientation of emergentism, that seems like the most natural direction to take. For the emergentist, ontological physicalism may be physicalism enough. Whether or not the rejection of physical causal closure can be justified is an independent question, a question that the emergentist must take seriously. This is so especially because this principle in itself does not imply physical monism. As far as it is concerned, there could well be nonphysical domains; its only imperative is that there be no causal interference in the physical domain from outside. Thus, one cannot simply invoke one's antiphysicalist sympathies to reject physical causal closure. A second alternative is to reject mind-body supervenience. However, this falls far short of a full solution for the emergentist. The reason is that the exclusion argument, which is at odds with downward causation, does not invoke mind-body supervenience as a premise; it is the supervenience argument that does. Downward causation is an essential component of emergentism, something without which emergentism would lose its rationale. It seems, then, that the emergentist has no choice but to disavow physical causal closure.

[2] For the nonreductive physicalist, choices are more limited. Abandoning physical causal closure or mind-body supervenience is not an option. That would take physicalism out of nonreductive physicalism. The options, therefore, are now reduced to giving up one of the remaining two theses: the irreducibility of the mental or mental causal efficacy. If you abandon the first, you embrace reductionism; if you let go of the second, you embrace epiphenomenalism."


"Unter Annahme der kausalen Geschlossenheit des Physischen bilden die vier Thesen des nichtreduktionistischen Physikalismus—und die entsprechenden vier Lehrsätze des Emergentismus—eine inkonsistente Menge. Der nichtreduktionistische Physikalist und der Emergentist müsen mindestens eine davon zurückweisen.

[1] Für den Emergentisten scheinen zwei Wahlmöglichkeiten in Betracht zu kommen. Erstens, er kann sich dafür entscheiden, die kausale Geschlossenheit des Physischen aufzugeben. Angesichts der Gesamtausrichtung des Emergentismus erscheint es am natürlichsten, diesen Weg einzuschlagen. Es mag sein, dass der ontologische Physikalismus dem Emergentisten als Physikalismus ausreicht. Ob die Zurückweisung der kausalen Geschlossenheit des Physischen zu rechtfertigen ist, ist eine unabhängige Frage, eine Frage, die der Emergentist ernst nehmen muss; und zwar insbesondere deswegen, weil dieser Grundsatz an sich nicht den physikalischen Monismus impliziert. Soweit es ihn betrifft, könnte es durchaus nichtphysische Sphären geben. Er setzt nur fest, dass es keine kausalen Eingriffe in das physische Reich von außerhalb gibt. Man kann die kausale Geschlossenheit des Physischen also nicht einfach zurückweisen, indem man sich auf seine Sympathien für den Antiphysikalismus beruft. Eine zweite Möglichkeit ist die Zurückweisung der Geist-Körper-Supervenienz. Damit kommt der Emergentist jedoch nicht an eine volle Lösung heran. Der Grund dafür ist, dass das Ausschluss-Argument, das der Abwärts-Verursachung in die Quere kommt, die Geist-Körper-Supervenienz nicht als Prämisse einbezieht. Es ist das Supervenienz-Argument, bei dem dies der Fall ist. Die Abwärts-Verursachung ist ein wesentlicher Bestandteil des Emergentismus, etwas, ohne das der Emergentismus seinen Daseinsgrund verlöre. Dem Emergentisten scheint also letztlich nichts anderes übrig zu bleiben, als der kausalen Geschlossenheit des Physischen abzuschwören.

[2] Die Wahlmöglichkeiten des nichtreduktionistischen Physikalisten sind noch begrenzter. Das Aufgeben der kausalen Geschlossenheit des Physischen oder der Geist-Körper-Supervenienz kommt nicht infrage. Dadurch würde der Physikalismus aus dem nichtreduktionistischen Physikalismus herausgenommen. Die Alternativen beschränken sich folglich auf das Aufgeben einer der zwei übrig bleibenden Thesen: die Irreduzibilität des Psychischen oder die kausale Potenz des Psychischen. Wenn man Ersteres aufgibt, schließt man sich den Reduktionisten an; und wenn man Letzteres aufgibt, schließt man sich den Epiphänomenalisten an."

[© meine Übers.]

(Kim, Jaegwon. Philosophy of Mind. 2nd ed. Boulder, CO: Westview, 2006. pp. 298-9)

Und noch einmal Kim, der das Problem auf den Punkt bringt:

"The problem of mental causation: Causal efficacy of mental properties is inconsistent with the joint acceptance of the following four claims: (i) physical causal closure, (ii) causal exclusion, (iii) mind-body supervenience, and (iv) mental/physical property dualism—the view that mental properties are irreducible to physical properties.

Physical causal closure and mind-body supervenience are, or should be, among the shared commitments of all physicalists. The exclusion principles are general metaphysical constraints, and I don't see how they can be successfully challenged. This leaves mind-body property dualism as the only negotiable item. But to negotiate it away is to embrace reductionism. This will cause a chill in those physicalists who want to eat the cake and have it too—that is, those who want both the irreducibility and causal efficacy of the mental. I believe that the question no longer is whether or not those of us who want to protect mental causation find mind-body reductionism palatable. What has become increasingly clear after three decades of debate is that if we want robust mental causation, we had better be prepared to take reductionism seriously, whether we like it or not. But even if you are ready for reductionism, it doesn't necessarily mean that you can have it. For reductionism may not be true."


"Das Problem der psychischen Kausalität: Die kausale Wirksamkeit psychischer Eigenschaften ist mit der gemeinsamen Akzeptierung der folgenden vier Behauptungen unvereinbar: (i) kausale Geschlossenheit des Physischen, (ii) kausaler Ausschluss, (iii) Geist-Körper-Supervenienz, und (iv) psychisch-physischer Eigenschaftsdualismus—die Ansicht, dass sich psychische Eigenschaften nicht auf physische Eigenschaften reduzieren lassen.

Die kausale Geschlossenheit des Physischen und die Geist-Körper-Supervenienz gehören zu den gemeinsamen Überzeugungen aller Physikalisten oder sollten dazu gehören. Bei den Ausschluss-Prinzipien handelt es sich um allgemeine metaphysische Einschränkungen, und ich sehe nicht, wie sie erfolgreich infrage gestellt werden können. Damit bleibt der Geist-Körper-Eigenschaftsdualismus als einziger verhandelbarer Punkt. Aber ihn wegzuverhandeln heißt den Reduktionismus zu befürworten. Das wird bei denjenigen Physikalisten einen Schauer auslösen, die ihren Kuchen sowohl aufessen als auch aufbewahren wollen—das heißt, diejenigen, die sowohl die Irreduzibilität als auch die kausale Wirksamkeit des Psychischen wollen. Ich glaube, die Frage ist nicht länger, ob diejenigen von uns, die die psychische Kausalität schützen wollen, den Geist-Körper-Reduktionismus akzeptabel finden oder nicht. Was nach drei Jahrzehnten des Debattierens immer klarer geworden ist, ist, dass wenn wir eine kraftvolle psychische Kausalität haben wollen, wir besser bereit sein sollten, den Reduktionismus ernst zu nehmen, ob es uns gefällt oder nicht. Aber selbst wenn man bereit ist für den Reduktionismus, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass er zu haben ist. Denn es ist möglich, dass der Reduktionismus nicht wahr ist."

[© meine Übers.]

(Kim, Jaegwon. Physicalism, or Something Near Enough. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2005. pp. 21-2)


Was meine Wenigkeit anbelangt, so bin ich ins Lager der Epiphänomenalisten, genauer der Eigenschafts-Epiphänomenalisten übergelaufen.
Denn wenn Kim recht hat (und als einer der weltweit führenden Philosophen des Geistes, der mit sämtlichen auf dem philosophischen Markt angebotenen Theorien zu dieser Thematik bestens vertraut ist, weiß er ganz genau, wovon er spricht), dann muss das ehrgeizige Projekt eines sowohl nichtreduktionistischen als auch nichtepiphänomenalistischen Physikalismus/Materialismus als endgültig gescheitert betrachtet werden—und damit auch der Emergentismus!
(Aber natürlich gibt es Kollegen von Kim, die sein defätistisches Urteil nicht teilen und dieses Projekt noch nicht gänzlich abgeschrieben haben: http://plato.stanford.edu/entries/menta ... on/#AutSol + http://plato.stanford.edu/entries/menta ... on/#InhSol)
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Myron » So 30. Nov 2008, 20:58

Myron hat geschrieben:Kim: "It seems, then, that the emergentist has no choice but to disavow physical causal closure."
"Dem Emergentisten scheint also letztlich nichts anderes übrig zu bleiben, als der kausalen Geschlossenheit des Physischen abzuschwören."


Zur Erinnerung:

"Naturkausalität, Prinzip der geschlossenen: das Postulat, die Kausalreihe der physischen Prozesse nirgends zu durchbrechen, die Ansicht, daß physische Prozesse wieder nur in physischen Prozessen ihre Ursachen haben, ohne Hereinspielen einer fremdartigen, geistigen Kausalität."
(http://www.textlog.de/4706.html)

Ein Emergentist, der sich von diesem Grundsatz lossagt, verabschiedet sich in meinen Augen praktisch vom Naturalismus, weil er dann wohl kaum umhinkommt, irgendeine eigenartige Seelenkraft zu postulieren, wovon die Physik nichts weiß.
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Re: Emergentismus und Physikalismus

Beitragvon Aeternitas » Do 4. Dez 2008, 09:37

Ein sehr schöne Diskussion, jedoch habe ich das Gefühl das ihr beginnt aneinander Vorbeizureden.

@ ostfriese: Was ich nicht wirklich Verstehe ist warum die physikalität des psichyschen die Evolution des Geistes irgendwie Unzureichend erklärt?

Persöhnlich glaube ich nicht das es für diese Diskusion hilfreich ist sich über die Wahrnehmbarkeit der Realiät zu streiten, wobei ich da ganz auf Ostfriese seite bin. Klar dürfte wohl sein das unsere Wahrnemung sehr begrenzt ist.

@ ostfriese: Was ich auch nicht so ganz nachvollziehen kann ist was du gegen Myron´s Geschlossenen Naturkausalität hasst bzw. deren Definition?

Sorry für Rechtschreibung bin gerade in der Schule und hab keine Zeit zur Überprüfung
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