Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon Aeternitas » Sa 13. Jun 2009, 04:26

OffTopic: Es wäre nett von euch wenn hier aufhören könntet euch in jedem Zweiten Satz Inkompetenz vorzuwerfen, das würde es für mitlesende wesentlich angenehmer machen euch zu folgen, da es eure Beiträge Qualitativ und Quantitativ wesentlich verbessern würdet.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 10:47

Aeternitas hat geschrieben:OffTopic: Es wäre nett von euch wenn hier aufhören könntet euch in jedem Zweiten Satz Inkompetenz vorzuwerfen, das würde es für mitlesende wesentlich angenehmer machen euch zu folgen, da es eure Beiträge Qualitativ und Quantitativ wesentlich verbessern würdet.


Es würde doch für den Anfang schon reichen, wenn Smalonius sich in seinen Aussagen auf das beschränkt, was er tatsächlich überblickt und es vermeidet, aus ein paar hingeworfenen Sätzen eilige Schlüsse zu ziehen.

Ich erinnere noch einmal an diesen Dialog:

smalonius hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:Die Darwinsche Evolutionstheorie basiert in ihrer ursprünglichen und noch heute gültigen Formulierung (z. B. den bei Mayr vorzufindenden) auf Malthus. Malthus wiederum nahm an, dass sich alle Individuen einer Population möglichst oft vermehren wollen. In die Sprache von Mersch übersetzt heißt das: Die Individuen besitzen alle ein relativ gleich hohes „Reproduktionsinteresse“. Aus diesem Grund kann man es auch in einer ET unberücksichtigt und diese rein auf die Fitness basieren lassen.
Das Problem ist hier das "wollen".

Wenn ein Rüde eine läufige Hündin bespringt, dann nicht eines "Reproduktionsinteresses" wegen, sondern aus Geilheit. Tiere wollen vögeln - und da ist das "wollen" sogar angebracht. Daß mit dem Vögeln dann die Kinder kommen, ist nur geschickt von der Natur so eingerichtet. Nachkommen zu zeugen, liegt bildlich gesprochen vielleicht "im Interesse der egoistischen Gene", es liegt aber bestimmt nicht im Interesse der Individuen.

Sobald Sex nicht mehr zwangsläufig mit Nachkommenschaft einhergeht - so wie beim modernen Menschen -, ändern sich die Verhältnisse. Das geht erst seit 50 Jahren; mal sehen, was evolutiv daraus wird.


Mal abgesehen davon, dass seine Aussage kein Biologe so stehen lassen würde, da Tiere zum Teil erhebliche Aufwände in ihre Nachkommen investieren und speziell Mütter oftmals regelrecht ihr Leben riskieren, um Räuber von ihren Jungen fernzuhalten etc., knallt er hier Mersch einen Sachverhalt um die Ohren, der diesen ja regelrecht zu seiner Theorie veranlasst hat. Was er dort anführt, ist kein Argument gegen Mersch, sondern gegen Dawkins. Doch sonderbarerweise scheint man letzterem manch unsaubere Argumentation zu verzeihen.

Mersch schreibt an einer Stelle in seinem Buch (ist nur eine Stelle, wo er auf die Problematik eingeht):

Individuen müssen nicht notwendigerweise die gleichen Reproduktionsinteressen besitzen, wie die in ihnen wirkenden Gene. Aus Sicht eines Individuums ist die Erbringung der aufwendigen und kräftezehrenden Nachwuchsarbeit alles andere als selbstverständlich; schließlich stirbt es irgendwann, und dann hat es von seinen Kindern nichts mehr. Es könnte sich also stattdessen für ein Leben ohne eigenen Nachwuchs entscheiden und seine zusätzlichen Freiheiten genießen. Die in ihm operierenden Gene hätten dann das Nachsehen. Nüchtern betrachtet haben also vor allem Gene und Populationen ein Interesse an der Reproduktion der Individuen (Reproduktionsinteresse). Damit sich die Individuen als „Überlebensmaschinen“ der Gene oder als „Säulen“ von Populationen trotzdem auf diese für sie kostenintensive Aufgabe einlassen, muss ihr Reproduktionsinteresse ein biologisches Fundament besitzen, welches für eine optimale Vertretung der Interessen von Genen und Populationen sorgt.

Offenbar erfolgt dies zu erheblichen Anteilen über die sexuelle Lust, denn seitdem es moderne Verhütungsmittel gibt, lassen sich Paarungs- und Reproduktionserfolg präzise voneinander trennen: Das Reproduktionsinteresse wird dann zu einer ökonomisch abschätzbaren Größe, die sich der Konkurrenz anderer Interessen des Individuums stellen muss. Auch dieser Zusammenhang macht deutlich, dass die Annahme eines populationsweiten einheitlichen Reproduktionsinteresses keineswegs selbstverständlich ist und im Rahmen einer Systemischen Evolutionstheorie explizit getroffen werden muss.


Hier fällt irgendwo der Satz „Nüchtern betrachtet haben also vor allem Gene und Populationen ein Interesse an der Reproduktion der Individuen“. Tatsächlich macht Mersch in seinem gesamten Buch deutlich, dass niemand ein wirkliches Interesse an irgendwas hat, sondern dass sich hier „Reproduktionsinteressen“ entfalten, die einen evolutionären Vorteil darstellen (ohne die, käme es zum Aussterben). Und diese Interessen sind auf unterschiedliche Weise biologisch implementiert (Sex, Elternliebe, Mutterinstinkt, Zärtlichkeitsbedürfnisse, …).

Ich hätte eigentlich erwartet, dass ein sachlicher Smalonius die Gelegenheit ergriffen hätte, bei dieser Gelegenheit einem Richard Dawkins Scharlatanerie vorzuwerfen. Denn von Kritikern ist bekanntlich immer wieder eingewendet worden, dass es mit den egoistischen Genen nicht so weit her sein könne, wenn der Mensch diesen Egoismus mit der Pille mal so eben abstellen könne. Tatsächlich gibt es genau an der Stelle, wo Smalonius so vehement eingreift ein Problem mit Dawkins, nicht mit Mersch, was letzterer in seinem Buch auch noch sehr ausführlich diskutiert. Auch scheint es mir ohnehin unschön zu sein, von „egoistischen Genen“ zu sprechen, weil nämlich genau das suggeriert, jemand habe tatsächlich ein Interesse an irgendwelchen evolutionären Entwicklungen. Mersch nimmt dagegen nur individuelle Interessen an, die auf ganz unterschiedliche Weise in den Individuen implementiert sein können, bei sexueller Fortpflanzung z. B. ganz anders als bei asexueller. Aufgrund dieser Implementationen verhalten sich die Individuen dann tatsächlich so, als folgten sie einem scheinbaren höheren Interesse.

Doch wie reagiert Dawkins auf genau das Problem? Auch hierzu noch einmal aus Merschs Buch:

Der moderne Mensch hat indirekt auch Richard Dawkins’ Theorie vom „egoistischen Gen“ widerlegt. Die Vorstellung, Individuen seien in erster Linie Überlebensmaschinen ihrer Gene (Dawkins 2007: 63), kann nicht überzeugend erklären, warum Menschen, sobald Kinder gegenüber Alternativen wie beruflichem Erfolg, Automobilen oder Urlaubsreisen ökonomisch aufrechenbar sind, sich ganz häufig für den Beruf, das Auto oder die Urlaubsreise und gegen den eigenen Nachwuchs entscheiden. Unter dem Paradigma des „egoistischen Gens“ dürfte es das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology eigentlich überhaupt nicht geben, und zwar ganz unabhängig davon, ob Menschen Zugriff auf leistungsfähige Mittel zur Familienplanung besitzen oder nicht.

Richard Dawkins entgegnet solchen Einwänden gegen seine Theorie mit den folgenden Argumenten (Dawkins 2007: 334):

Wir haben die Macht, den egoistischen Genen unserer Geburt und, wenn nötig, auch den egoistischen Memen unserer Erziehung zu trotzen. Wir können sogar erörtern, auf welche Weise sich bewusst ein reiner selbstloser Altruismus kultivieren und pflegen lässt – etwas, für das es in der Natur keinen Raum gibt, etwas, das es in der gesamten Geschichte der Welt nie zuvor gegeben hat. Wir sind als Genmaschinen gebaut und werden als Memmaschinen erzogen, aber wir haben die Macht, uns unseren Schöpfern entgegenzustellen. Als einzige Lebewesen auf der Erde können wir uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen.


Und an anderer Stelle (Dawkins 2007: 496):

Wir, das heißt unser Gehirn, sind ausreichend getrennt und unabhängig von unseren Genen, um gegen sie rebellieren zu können. Wie ich bereits sagte, tun wir dies immer dann im Kleinen, wenn wir Empfängnisverhütung betreiben. Nichts spricht dagegen, uns auch im Großen gegen unsere Gene aufzulehnen.


Also ich finde, da argumentiert einer wissenschaftlich stringent (Mersch) und der andere spekulativ religiös (Dawkins).
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon Mark » Sa 13. Jun 2009, 12:58

Die ET versucht nur zu erklären wie die heutigen Lebewesen entstanden und sich nach diesen Mechanismen noch weiter entwickeln. Sie hat überhaupt keinen Anspruch auf die Erklärung soziokultureller Effekte menschlicher Gesellschaften. Erst Dawkins mit seinen Memen (die NICHT zur ET gehören) versucht das anzugehen und zu erklären, und das meiner Meinung nach so pragmatisch und grundlegend, daß man ihn nicht wiederlegen kann. Die ET jedoch kümmert sich um Psychologie nicht die Bohne. Punkt !!!!!!!!!!!!!!
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 13:43

Mark hat geschrieben:Die ET versucht nur zu erklären wie die heutigen Lebewesen entstanden und sich nach diesen Mechanismen noch weiter entwickeln. Sie hat überhaupt keinen Anspruch auf die Erklärung soziokultureller Effekte menschlicher Gesellschaften.


Nun ja, sie versucht immerhin zahlreiche soziokulturelle Erscheinungen in der Natur zu erklären, und zwar unter dem Begriff Verwandtenselektion. Deren populäre Umschreibung lautet „Theorie der egoistischen Gene“. Erklärungsversuche bestehen für die soziale Organisation der sozialen Insekten, für Altruismus und und und. Nicht gelungen ist bislang eine schlüssige Erklärung des Phänomens der Sexualität.

Mark hat geschrieben:Erst Dawkins mit seinen Memen (die NICHT zur ET gehören) versucht das anzugehen und zu erklären, und das meiner Meinung nach so pragmatisch und grundlegend, daß man ihn nicht wiederlegen kann.


Dass man ihn nicht widerlegen kann? Mersch sieht das so ähnlich. Er hält diese Theorie für nicht falsifizierbar und damit für Metaphysik.

Indirekt legt Mersch aber dennoch eine ganze Reihe von Gründen vor, weswegen die Memetik definitiv falsch sein dürfte. Einerseits handelt es sich hierbei um eine völlig unzulässige Übertragung von Gen-Mechanismen auf Kultur (siehe meine obigen Ausführungen). Andererseits unterstellt Dawkins den Memen Eigeninteressen (sie seien bestrebt, die Aufmerksamkeit von möglichst vielen Gehirnen zu erlangen). Mersch macht deutlich, dass zwar Komponisten Eigeninteressen verfolgen, Melodien aber nicht. Die Lappenstarmännchen verfolgen für ihn Eigeninteressen (sie möchten sich gerne fortpflanzen), wenn sie den Weibchen eine neue Melodie vorträllern, die Melodien selbst verfügen aber über so etwas nicht. Die Memetik, die Dawkins ja auch auf das Tierreich anwendet, ist biologisch betrachtet somit Unsinn.

Mark hat geschrieben:Die ET jedoch kümmert sich um Psychologie nicht die Bohne. Punkt !!!!!!!!!!!!!!


Die Systemische ET übrigens auch nicht.

Es bleibt dabei: In den entscheidenden Punkten argumentiert Dawkins unwissenschaftlich. Die ET gemäß Darwin weist allen Individuen egal welcher Art bestimmte Eigenschaften zu, nämlich darum bestrebt zu sein, sich zu vermehren (Malthus) und selbsterhalten (Konkurrenz um Ressourcen). Mersch nennt diese Eigenschaften Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen. Er weist in seiner Systemischen ET diese Eigenschaften allen Akteuren zu, egal um welche Evolution es sich hierbei handelt, d. h. auch den Akteuren der technischen und kulturellen Evolution. Er kommt ganz ohne metaphysische Formulierungen wie „Als einzige Lebewesen auf der Erde können wir uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen“ aus.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon smalonius » Sa 13. Jun 2009, 18:29

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben: Genetische Äquipotenz ist Unsinn. Ich habe zwei Gegenbeispiele genannt, ein drittes wäre die Sichelzellenanemie.

Also bist du gegen die Mehrheitsauffassung der Soziobiologen, oder? Mersch hält genetische Äquipotenz für Unsinn, Voland meint in seinem Buch, die Mehrheit der Soziobiologen geht von einer genetischen Äquipotenz aus.
Dann ist die Mehrheit auf dem Holzweg gewesen.

Ich kenn mich zwar nicht aus mit Evolution und deren Theorie, dafür bin ich aber auf dem Laufenden. :^^:

Recent acceleration of human adaptive evolution
John Hawks, Eric T. Wang, Gregory Cochran, Henry C. Harpending, and Robert K. Moyzis

There is a lot of technical detail in it, but we have accomplished essentially two things:

1. An empirical age distribution for alleles under recent selection, which number in the thousands.

2. A theoretical account of why these new alleles should have been increasing rapidly in numbers during the last 40,000 years.

http://johnhawks.net/weblog/topics/evol ... _2007.html


Siehe auch Pardis Sabeti.
http://anthropology.net/2008/04/24/pard ... f-science/

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Soso. Ein Wandel innerhalb einer Generation kann uns also etwas über die evolutiv veränderte Bevölkerung sagen - und zwar kann man (angeblich) daran sehen, daß die Europäer aufgrund der Emanzipation der Frau allmählich verdummen.

Wie kann man einen Fall des IQs um 9 Punkte thematisieren, aber den Anstieg um 60 Punkte ignorieren? Das nennt man Lügen mit Statistik.

Sollte man bezüglich Bruttosozialprodukt, Arbeitslosenzahlen etc. eine ähnliche Haltung einnehmen?

Du hast meine Frage nicht beantwortet, ob man das mit einer genetischen Veränderung innerhalb einer (!) Generation erklären kann.


jackle hat geschrieben:Auf den Gedanken, dass du das lediglich nicht verstanden hast, bist du noch nicht gekommen, oder? Du beziehst dich auf einen Folienvortrag, der auf wenige Worte das reduziert, was in einem 480-Seiten dickes Buch steht. Nun beginnt hier wieder das sonderbare Gebahren, was auf der einen Seite meint, ein 480 Seiten starkes Buch lese ich erst gar nicht, dennoch erlaube ich mir, die kurzen Sätze in einem Folienvortrag in meinem Sinne zu interpretieren.

Die "Russellsche Antinomie" :lachtot: oder Merschs Aussage über Objektorientierung reichen mir, um ein Urteil zu fällen.

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Vor der Evolution sind sie alle gleich, egal welche Pseudofitness man einführt. :mg:
Einzelpersonen spielen für die Evolution keine Rolle. Mersch spricht von Korrelationen, er argumentiert also statistisch. Aber scheinbar ist seine mathematische Argumentationsweise zu hoch für dich.

Laß ich mal unkommentiert so stehen.

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben: Welches Sozialdarwinismus-Dilemma? Das Dilemma ergibt sich nur, wenn man ein Bild der Evolution hat, das im 19. Jahrhundert gängig war. Mersch erwähnt in seinem PDF 9 mal den Kampf ums Dasein. Niemand, aber auch gar niemand, der eine Ahnung von Evolution hat, verwendet diesen Begriff heute noch.


Ernst Mayr verwendet diesen Begriff ständig in seinem Buch und das ist aus 2005.

Wirklich? Ich hätte gedacht, das steht nur in einem historisierenden Abschnitt.
jackle hat geschrieben:Außerdem ist es genau umgekehrt: Mersch verwendet den Begriff selbst nicht, sondern er verwendet ihn nur im Zusammenhang mit der Darwinschen Evolutionstheorie und speziell dem Sozialdarwinismus.

Ja, eben. Und da sagt er, der Kampf ums Dasein führt zum Sozialdarwinismus. Nur die systemische Evolutionstheorie könne uns davor bewahren in Barbarei zu versinken.

Genug gesagt.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 19:38

smalonius hat geschrieben: Dann ist die Mehrheit auf dem Holzweg gewesen.


Schön. Also einer Meinung mit Mersch. Ist doch mal was.

smalonius hat geschrieben: Ich kenn mich zwar nicht aus mit Evolution und deren Theorie, dafür bin ich aber auf dem Laufenden.


Deine Beispiele bestätigen erneut die Meinung von Mersch.

smalonius hat geschrieben: Du hast meine Frage nicht beantwortet, ob man das mit einer genetischen Veränderung innerhalb einer (!) Generation erklären kann.


Es ist doch gar keine klar abgrenzte Generation. Wenn die Giraffen mit den kürzeren Hälsen mehr Nachkommen haben würden, als die mit den längeren Hälsen, dann würde die durchschnittliche Halslänge der Giraffen sukzessive zurückgehen. Die Frage, ob man so etwas innerhalb einer Generation erklären könne, deutet dann auf mangelhafte mathematische Kenntnisse hin.

smalonius hat geschrieben: Die "Russellsche Antinomie" :lachtot: oder Merschs Aussage über Objektorientierung reichen mir, um ein Urteil zu fällen.


Du solltest mit deinen Urteilen vorsichtiger sein. Bislang waren die zu häufig voreilig oder falsch. Mersch versteht von Objektorientierung sicherlich viel mehr als du.

smalonius hat geschrieben: Laß ich mal unkommentiert so stehen.


Sehr ratsam.

smalonius hat geschrieben:
jackle hat geschrieben: Ernst Mayr verwendet diesen Begriff ständig in seinem Buch und das ist aus 2005.

Wirklich? Ich hätte gedacht, das steht nur in einem historisierenden Abschnitt.


Bei Mersch auch. Er verwendet stattdessen den Begriff „Selbsterhaltungsinteresse“. Wie oft muss ich dies nun noch wiederholen?

smalonius hat geschrieben: Ja, eben. Und da sagt er, der Kampf ums Dasein führt zum Sozialdarwinismus. Nur die systemische Evolutionstheorie könne uns davor bewahren in Barbarei zu versinken.


Das ist falsch. Da sagt er, dass der Sozialdarwinismus auf der dominanten Selektion beruht (populär: Kampf ums Dasein), während in Zivilisationen Selektionen auf der Gefallen-wollen-Kommunikation beruhen. In diesen Zusammenhang (Sozialdarwinismus) zitierte ich bereits Wikipedia und Brockhaus, und die schreiben das Gleiche wie Mersch (inkl. Kampf ums Dasein). Ein weiteres Beispiel, dass du lediglich groß daher redest, aber keinen blassen Schimmer hast.

smalonius hat geschrieben: Genug gesagt.


Sehr ratsam. Denn wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon folgsam » Sa 13. Jun 2009, 19:49

Dieses ständige absprechen irgendwelcher Kompetenzen geht nicht nur mir langsam gewaltig auf den Keks. Stellt das ab oder ich mach den Thread hier auch zu.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 21:42

smalonius hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben: Genetische Äquipotenz ist Unsinn. Ich habe zwei Gegenbeispiele genannt, ein drittes wäre die Sichelzellenanemie.

Also bist du gegen die Mehrheitsauffassung der Soziobiologen, oder? Mersch hält genetische Äquipotenz für Unsinn, Voland meint in seinem Buch, die Mehrheit der Soziobiologen geht von einer genetischen Äquipotenz aus.
Dann ist die Mehrheit auf dem Holzweg gewesen.


Es fällt sehr schwer, deinen Postings zu folgen, weil man nicht weiß, für was oder gegen was du eigentlich argumentierst.

Dies hier ist ein typisches Beispiel. Schlimm an dem Beispiel ist, dass eigentlich im Rahmen dieses Threads schon mehrfach angeführt wurde, warum die Mehrheit der Soziobiologen so etwas annimmt. Leider ignorierst du solche Postings dann aber immer.

Der Grund für die Annahme der Soziobiologen wird indirekt auch von Voland erwähnt: Es ist das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology. Das Problem dabei ist nämlich: Wenn schon nicht das zentralste Prinzip der gesamten Biologie auf den Menschen übertragbar ist (und sich dort von der Richtung sogar umkehrt!), wie soll es dann irgendeine andere Erkenntnis, die aus dem Tierreich gewonnen wurde, sein? Anders gesagt: Das Central Theoretical Problem untergräbt das gesamte Geschäftsmodell der Humansoziobiologie.

Würde man die beobachtete Entwicklung (Central Theoretical Problem) seitens der Soziobiologie als ernstes Problem bzw. gar als mögliche Fehlentwicklung darstellen, dann würde man sich dort des Sozialdarwinismus verdächtig machen. Denn auch in der Soziobiologie hat längst eine Spezies die Oberhand gewonnen, die im gesamten Internet (und auch bei den Brights) ihr Unwesen treibt: der Gutmensch. Und dieser Gutmensch fand dann sehr schnell eine Umgehungslösung: In menschlichen Gesellschaften besteht – anders als im Tierreich – eine genetische Äquipotenz unter den Individuen. Gene spielen also keine Rolle mehr, sondern nur noch die sozialen Verhältnisse. Der Mensch wäre damit aus der Evolution ausgetreten. Zwar wäre damit die Soziobiologie auch wieder bedeutungslos, aber da konnte man zu Recht hoffen, dass dies keiner merken würde, denn bei Gutmenschenmeinungen merkt sowieso nie einer etwas. Da kann man sagen was man will, ohne dass es Nachteile hat.

In Wirklichkeit ist das Central Theoretical Problem leicht lösbar, und diese Lösung ist Mersch gelungen: sozialer Erfolg (bzw. Bildung) korreliert deshalb negativ mit Fortpflanzungserfolg, weil sich die Menschen mit zunehmendem sozialen Erfolg (bzw. Bildung, IQ etc.) weniger Kinder wünschen!

Leider kam auch in diesem Fall wieder eine sonderbare Reaktion von dir. Mit Inbrunst wirfst du Mersch vor, dass es da ein Problem mit dem "wollen" gäbe. Dann stellst du als neue Erkenntnis dar, dass der Mensch seinen Fortpflanzungserfolg dank Pille kontrollieren könne, und nun wolle er keine Kinder mehr. Merschs Theorie wäre also falsch. Dabei übersiehst du, dass es ja mehr oder weniger genau die von dir angeführten Gründe waren, die Mersch überhaupt erst auf die Idee brachten, dass die ET spätestens beim Menschen neben der Fitness noch eine weitere Variable benötigt, nämlich das Fortpflanzungsinteresse. Du wirfst ihm hier Unkenntnis in einer Sache vor, deren Berücksichtigung erst seine Theorie hervorgebracht hat: Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man es als Groteske betrachten.

Ja und dann überhaupt deine Behauptung, Fortpflanzung habe nur etwas mit Sex zu tun. Wenn man sieht, wieviele Paare verzweifelt von den Errungenschaften der Reproduktionsmedizin Gebrauch machen, dann wird unmittelbar klar: Sex ist nicht die einzige Triebfeder, die Kinder hervorbringt. Das ist aber in den Wissenschaften auch längst bekannt, wieso dir eigentlich nicht?

Ich finde es schade, dass es heute kaum noch Menschen gibt, die einmal in der Lage sind, eine ganz einfache sachliche Diskussion zu führen. Irgendjemand behauptet x, und dann fragt man erst einmal genauer nach, um zu schauen, ob man x überhaupt verstanden hat. Dann bringt man seine Einwände vor. Die Gegenargumente zu den Einwänden hört man sich auch wieder an.

Aber hier wird von vornherein politische Hetze betrieben. Es wird erst gar nicht versucht, zu verstehen, was die Systemische Evolutionstheorie eigentlich ist. Dazu hat es bislang auch noch so gut wie keine Nachfrage gegeben. Ganz typisch auch die von Mersch bei der philosophia naturalis eingereichte Arbeit. Die ablehnende Stellungnahme greift sich zwei Anmerkungsseiten heraus, und nörgelt dann daran herum. Die eigentliche Theorie hat sie aber überhaupt nicht interessiert.

Ich bin der Auffassung, dass wir zurzeit einem massiven Kulturverlust ausgesetzt sind. Diskussionen wie diese hier zeigen das in aller Deutlichkeit. Ich wage deshalb auch zu prognostizieren, dass die zukünftige deutsche Gesellschaft eine islamische Gesellschaft sein wird. Mit Leuten, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, sich gegen irgendetwas abzugrenzen, kann man leider keinen Staat machen.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 21:48

folgsam hat geschrieben:Dieses ständige absprechen irgendwelche Kompetenzen geht nicht nur mir langsam gewaltig auf den Keks. Stellt das ab oder ich mach den Thread hier auch zu.


Wenn solche Hinweise zeitlich endlich dann einmal kommen würden, wenn die eigentlichen Auslöser auf den Plan treten, dann wäre schon die Hälfte gewonnen. So hat man weiterhin den Eindruck, hier gäbe es eine Zweiklassengesellschaft: Die einen werfen Inkompetenz ohne Argumente vor, anschließend kommen detaillierte Gegenargumente mit Zitaten etc. und der Inkompetenz-Retourkutsche, und dann ist es auf einmal störend.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon El Schwalmo » Sa 13. Jun 2009, 22:53

jackle hat geschrieben:Die einen werfen Inkompetenz ohne Argumente vor, anschließend kommen detaillierte Gegenargumente mit Zitaten etc. und der Inkompetenz-Retourkutsche, und dann ist es auf einmal störend.

sagen wir mal so: es gibt eine Evolutionsbiologie. Wie schon der Name besagt, kommt der Mensch darin eher am Rande vor. Nun gibt es Menschen wie Dawkins, die die Denke der Biologie auf die Menschheit übertragen wollen. Und dann gibt es Menschen wie Mersch, die 'top down' argumentieren zu müssen meinen. Wenn nun ein Mensch wie Mersch zeigen kann, dass Dawkins nicht Recht hat, dann folgt daraus nichts darüber, dass Mersch Recht hat.

Das, was ich von Mersch bisher kenne, überzeugt mich genauso wenig wie das, was ich von Dawkins weiß.

Lange Rede, kurzer Sinn: wenn es um Kompetenz geht, sollte man vorher genau danach schauen, um welche Kompetenz in welchem Bereich es geht. Dawkins ist wenigstens heftig umstritten, während Mersch, soweit ich sehe, erst noch so bekannt werden muss, dass man sich mit ihm befasst.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 13. Jun 2009, 23:10

El Schwalmo hat geschrieben: sagen wir mal so: es gibt eine Evolutionsbiologie. Wie schon der Name besagt, kommt der Mensch darin eher am Rande vor. Nun gibt es Menschen wie Dawkins, die die Denke der Biologie auf die Menschheit übertragen wollen. Wenn nun ein Mensch wie Mersch zeigen kann, dass Dawkins nicht Recht hat, dann folgt daraus nichts darüber, dass Mersch Recht hat.


Das ist einerseits richtig. Nun ist aber eines der Resultate von Mersch: Für biologische Populationen (ungleich Mensch) folgt die Darwinsche Evolutionstheorie (= ET) als Spezialfall aus der Systemischen Evolutionstheorie.

El Schwalmo hat geschrieben: Das, was ich von Mersch bisher kenne, überzeugt mich genauso wenig wie das, was ich von Dawkins weiß.


Was heißt das? Überzeugt dich die ET nicht. Oder überzeugen dich einzig die Mersch'schen Annahmen und Aussagen zu menschlichen Gesellschaften nicht, also etwa seine Behauptung, dass in menschlichen Gesellschaften neben der Fitness noch das Reproduktionsinteresse bei Evolutionen zu berücksichtigen ist?

El Schwalmo hat geschrieben: wenn es um Kompetenz geht, sollte man vorher genau danach schauen, um welche Kompetenz in welchem Bereich es geht.


Jedenfalls ist Mersch in dem Bereich, wo seine Änderungen zur ET wirklich greifen (menschliche Gesellschaften, Demografie, Technologie etc.) tatsächlich Experte (mehrere Demografieexperten haben seine demografischen Bücher lobend gewürdigt), Dawkins bzgl. des Anwendungsspektrums der Memetik dagegen nicht. Die Darwinsche ET basiert auf Malthus, die von Mersch auf der modernen Demografie.

El Schwalmo hat geschrieben:Dawkins ist wenigstens heftig umstritten, während Mersch, soweit ich sehe, erst noch so bekannt werden muss, dass man sich mit ihm befasst.


Ist das nicht auch eine Antinomie: Mersch muss erst noch bekannt werden, bevor er bekannt werden kann. Etwa so?
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon El Schwalmo » So 14. Jun 2009, 05:28

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: sagen wir mal so: es gibt eine Evolutionsbiologie. Wie schon der Name besagt, kommt der Mensch darin eher am Rande vor. Nun gibt es Menschen wie Dawkins, die die Denke der Biologie auf die Menschheit übertragen wollen. Wenn nun ein Mensch wie Mersch zeigen kann, dass Dawkins nicht Recht hat, dann folgt daraus nichts darüber, dass Mersch Recht hat.

Das ist einerseits richtig. Nun ist aber eines der Resultate von Mersch: Für biologische Populationen (ungleich Mensch) folgt die Darwinsche Evolutionstheorie (= ET) als Spezialfall aus der Systemischen Evolutionstheorie.

da ich davon ausgehe, dass die Darwinsche Evolutionstheorie (welche eigentlich? Myron hat Dich schon darauf hingewiesen, dass das ein Theorienbündel ist) unvollständig ist, wäre es für mich eher ein Argument gegen Mersch, wenn Darwins Theorie daraus als Spezialfall folgen würde.

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: Das, was ich von Mersch bisher kenne, überzeugt mich genauso wenig wie das, was ich von Dawkins weiß.

Was heißt das? Überzeugt dich die ET nicht.

Mich überzeugt Evolution als historische Tatsache, ich gehe von einer Deszendenz aus, und die Mechanismen werden zurzeit erforscht.

jackle hat geschrieben:Oder überzeugen dich einzig die Mersch'schen Annahmen und Aussagen zu menschlichen Gesellschaften nicht, also etwa seine Behauptung, dass in menschlichen Gesellschaften neben der Fitness noch das Reproduktionsinteresse bei Evolutionen zu berücksichtigen ist?

Ich habe die Präsentation von Mersch gelesen, und Teile des Vorworts. Das, von dem ich ausgehe, dass es zutrifft, war mir bekannt. Der Rest bezieht sich auf Bereiche, die mich eher nicht interessieren.

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: wenn es um Kompetenz geht, sollte man vorher genau danach schauen, um welche Kompetenz in welchem Bereich es geht.

Jedenfalls ist Mersch in dem Bereich, wo seine Änderungen zur ET wirklich greifen (menschliche Gesellschaften, Demografie, Technologie etc.) tatsächlich Experte (mehrere Demografieexperten haben seine demografischen Bücher lobend gewürdigt),

Kannst Du bitte Quellen benennen?

jackle hat geschrieben:Dawkins bzgl. des Anwendungsspektrums der Memetik dagegen nicht. Die Darwinsche ET basiert auf Malthus, die von Mersch auf der modernen Demografie.

Es spielt keine Rolle, worauf eine Theorie basiert, sondern das, was sie erklären kann. Zudem vermute ich, dass 'moderne Demographie' im Bereich der nicht-menschlichen Lebenswelt eher keine Rolle spielt. Was wiederum bedeutet, dass Mersch dazu nichts beiträgt. Dann sind wir bei den übrigen Themen, zu denen Mersch schon Bücher geschrieben hat, und man kann sich fragen, wie das alles zusammenhängt.

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Dawkins ist wenigstens heftig umstritten, während Mersch, soweit ich sehe, erst noch so bekannt werden muss, dass man sich mit ihm befasst.

Ist das nicht auch eine Antinomie: Mersch muss erst noch bekannt werden, bevor er bekannt werden kann. Etwa so?

Nein. Sein Ansatz muss so bedeutsam sein, dass sich Menschen mit diesem überhaupt befassen. Dazu reicht es nicht, ein Buch im Selbstverlag zu schreiben oder irgendwelche Vorträge zu halten oder gar in Foren zu werben.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 10:39

El Schwalmo hat geschrieben: da ich davon ausgehe, dass die Darwinsche Evolutionstheorie (welche eigentlich? Myron hat Dich schon darauf hingewiesen, dass das ein Theorienbündel ist) unvollständig ist, wäre es für mich eher ein Argument gegen Mersch, wenn Darwins Theorie daraus als Spezialfall folgen würde.


Nun muss Myron - trotz Hinweise - darin ja nicht unbedingt ein Experte sein. Üblicherweise wird unter der Darwinschen Evolutionstheorie heute die Selektionstheorie verstanden, und dafür wird er auch gefeiert. Und auch nur dazu gab es die Überlappung mit Wallace. Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Darwinismus

Deine Schlussfolgerung zu Darwin als Speziellfall ist eine sehr extreme, die in der Biologie wohl von kaum jemandem geteilt wird. Auf der Wikipediaseite wird übrigens auch ein "Universeller Darwinismus" beschrieben, der sehr stark auf Dawkins und Dennett zurückgeht. Mersch behauptet hier: Die dort genannten Prinzipien sind nicht hinreichend. Er führt stattdessen die Prinzipien Reproduktion, Variation und Reproduktionsinteresse ein und einen systemtheoretischen Hintergrund. Die Argumente für seinen Ansatz scheinen mir - im Vergleich zur bei Wikipedia präsentierten Alternative - sehr überzeugend zu sein.

El Schwalmo hat geschrieben: Mich überzeugt Evolution als historische Tatsache, ich gehe von einer Deszendenz aus, und die Mechanismen werden zurzeit erforscht.


Nanu? Damit gehörst du heute einer absoluten Minderheitsposition an. Und bei der Einstellung hätte auch ID wieder eine Chance.

El Schwalmo hat geschrieben: Ich habe die Präsentation von Mersch gelesen, und Teile des Vorworts. Das, von dem ich ausgehe, dass es zutrifft, war mir bekannt. Der Rest bezieht sich auf Bereiche, die mich eher nicht interessieren.


Ok, dich interessieren menschliche Gesellschaften, die Evolution der Technik und der Wissenschaften halt nicht. Andere, die die aufkommende Katastrophe noch gerne verhindern möchten, wollen die Mechanismen verstehen, unter denen sich das alles zurzeit entwickelt.

El Schwalmo hat geschrieben: Kannst Du bitte Quellen benennen?


Auf einem seiner Bücher äußert sich Kaufmann („Schrumpfende Gesellschaft“), der zu den bedeutendsten Nachkriegsexperten zum Thema gehört. Auf einer seiner Websites behauptet er, dazu noch ein längeres, sehr positives Anschreiben zu besitzen. Gleiches scheint wohl auch seitens Meinhard Miegel („Das Ende des Individualismus“) vorzuliegen, jedenfalls behauptet er das dort. Auf Amazon wird eines seiner Bücher äußerst positiv von Volkmar Weiss besprochen, der zweifellos ein Demografieexperte ist. Das tun diese Leute trotz Books on Demand.

El Schwalmo hat geschrieben: Es spielt keine Rolle, worauf eine Theorie basiert, sondern das, was sie erklären kann. Zudem vermute ich, dass 'moderne Demographie' im Bereich der nicht-menschlichen Lebenswelt eher keine Rolle spielt. Was wiederum bedeutet, dass Mersch dazu nichts beiträgt. Dann sind wir bei den übrigen Themen, zu denen Mersch schon Bücher geschrieben hat, und man kann sich fragen, wie das alles zusammenhängt.


Ja und für heutige Demografen ist Malthus ein Nogo. Darwins Theorie entstand aus einem bestimmten historischen Kontext heraus. Darwin selbst hatte 10 Kinder. Merschs Theorie integriert soziale Neuerungen, an die Darwin überhaupt nicht denken konnte, die aber für heutige Demografen entscheidend sind. Das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology existiert real (!) und hat in der Demografie den Namen “ökonomisch-demografisches Paradoxon”. Darwin hat seine Theorie selbst auf den Menschen ausgeweitet. Er wäre diesbezüglich wohl viel vorsichtiger (auch was seine restliche Theorie angeht) geworden, wenn er die heutigen menschlichen Rahmenbedingungen gekannt hätte. Ich kann es nur immer wieder betonen: In modernen menschlichen Gesellschaften besteht bzgl. Selektion eine umgekehrte Relation wie die, die Darwin mit seiner Theorie prognostiziert. Das ist ein bedeutendes Ereignis, was man nicht mit einer Handbewegung (oder genetischer Äquipotenz) wegwischen kann!!!

El Schwalmo hat geschrieben: Nein. Sein Ansatz muss so bedeutsam sein, dass sich Menschen mit diesem überhaupt befassen. Dazu reicht es nicht, ein Buch im Selbstverlag zu schreiben oder irgendwelche Vorträge zu halten oder gar in Foren zu werben.


Falsch. Sein Ansatz muss nicht bedeutsam sein, sondern er muss bekannt sein, oder eine Theorie vorstellen, die im Interesse von irgendwem ist. Wenn seine Theorie nicht nur Erkenntnis verspricht, sondern Milliardengewinne, dann ist es egal, wo er publiziert und wie er heißt. Geht es um den reinen Erkenntnisgewinn, dann ist es so, dass Dawkins absurde Theorien entwickeln kann, über die ganze Kongresse abgehalten werden, während seine Jünger mehr oder weniger unverhohlen Merschs wissenschaftliche Arbeiten (trotz eines positiven Gutachtens eines namhaften Experten) an der Veröffentlichung hindern können. Denn wie ist es denn, wenn seine Arbeit jemand zu lesen bekommt, der gerade ein Buch und einen Kongress zur Memetik plant? Wie leicht kann hier die Intention entstehen: "Weg mit dem Mist"? Heute gibt es das Bischof-Worcester-Problem direkt in den Wissenschaften selbst: "Wir wollen hoffen, dass das nicht stimmt - aber wenn es wahr ist, dann wollen wir beten, dass es nicht bekannt wird." Das ist kein Witz, sondern darüber sind bereits ganze Bücher verfasst worden.

Ich bin erstaunt über die hier dargelegte Kritiklosigkeit und Autoritätshörigkeit. Im Grunde ist das sogar ein offen zu Tage getragener Sozialdarwinismus. Dann spricht eigentlich auch nichts dagegen, wenn irgendwelche Unternehmen den Amazonas-Urwald platt machen, weil die darin lebenden Indios und Tiere wohl einfach nur zu schwach waren. Sie hätten sich ja vorher in den einschlägigen Zeitungen und TV-Sendern Gehör verschaffen können. Da ihnen das nicht gelungen ist, war ihre Meinung sicherlich nicht zutreffend, jedenfalls nicht relevant.

Du hast ein wirklich sonniges Gemüt bzgl. der Funktionsweise der heutigen Gesellschaft inkl. den Wissenschaften.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 11:03

El Schwalmo hat geschrieben:Nein. Sein Ansatz muss so bedeutsam sein, dass sich Menschen mit diesem überhaupt befassen.


Sandra Mitchell schreibt dazu in "Komplexitäten", 2008, S. 136:

Aufgrund dieser Befunde erklären manche Wissenschaftssoziologen (Collins 1982, 1985; Latour 1988; Woolgar 1988), das Ziel der Wissenschaft sei nicht mehr die Wahrheitsfindung oder die Frage, warum man eine Theorie gegenüber einer anderen bevorzugt, sondern Autorität und Macht in den gesellschaftlichen Wissenschaftsinstitutionen.


Wie sollte es auch sonst sein? Und man kann dies auch wunderschön an diesem Forum verifizieren. Früher gab es die Machthierarchien in den Kirchen, die darüber bestimmten, was wahr und was falsch zu gelten hatte, heute sind es ganz wesentlich die Machthierarchien in den Wissenschaften. Die dann z. B. mit ähnlich absurden Formulierungen wie "Selbstverlag" kommen. Das ist kein wissenschaftliches Argument, sondern eins der Macht. Und die Vasallen tragen das dann schön durch alle Instanzen hindurch, weil sie sich dadurch selbst ein wenig erhöhen können.

Und deshalb lässt sich auch abschließend die Frage dieses Threads beantworten:
Ja, der Evolutionsglaube ist eine Religion, nämlich einer Religionsgemeinschaft mit dem Namen Wissenschaft.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon platon » So 14. Jun 2009, 11:43

jackle hat geschrieben:Ja, der Evolutionsglaube ist eine Religion, nämlich einer Religionsgemeinschaft mit dem Namen Wissenschaft.

Das mag die Privatmeinung von Herrn jackle/Mersch sein und er soll seinem Evolutionsglauben auch weiterhin anhängen dürfen. Eine allgemein akzeptierte Meinung ist das allerdings nicht.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 13:26

platon hat geschrieben: Das mag die Privatmeinung von Herrn jackle (...) sein und er soll seinem Evolutionsglauben auch weiterhin anhängen dürfen. Eine allgemein akzeptierte Meinung ist das allerdings nicht.


Die wurde aber hier herausgearbeitet durch zu viele Sektenargumente (Books on Demand ...).
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 14:32

El Schwalmo hat geschrieben: Nein. Sein Ansatz muss so bedeutsam sein, dass sich Menschen mit diesem überhaupt befassen. Dazu reicht es nicht, ein Buch im Selbstverlag zu schreiben oder irgendwelche Vorträge zu halten ...


Betrachten wir im Vergleich dazu einmal das "offizielle" Wissen, siehe Wikipedia zum Universellen Darwinismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Darwinismus

Das Konzept des universellen Darwinismus verallgemeinert das Konzept des Darwinismus auf Gebiete auch außerhalb der Biologie. Dabei wird folgendes Schema genutzt:

Reproduktion/Vererbung: Eine Anzahl von Einheiten, sogenannte Replikatoren, müssen fähig sein, Kopien von sich selbst anzufertigen oder andere Einheiten zu veranlassen, entsprechende Kopien zu erzeugen. Die Kopien müssen ebenfalls reproduktionsfähig sein und müssen Eigenschaften erben. Dabei werden verschiedene Variationen rekombiniert.

Variation: Es muss eine Bandbreite von verschiedenen Merkmalen in der Population der Einheiten gegeben sein. Es muss einen Mechanismus geben, der neue Variationen in die Population einführt. Diese Varianten können zum Beispiel durch ungenaue Replikation entstehen.

Selektion: Vererbte Merkmale müssen (auf längere Sicht gesehen) die Reproduktionsfähigkeit der Einheiten beeinflussen, entweder durch Überlebensfähigkeit (natürliche Selektion) oder die Fähigkeit, für die Reproduktion notwendige Partner zu finden (sexuelle Selektion). Die Überlebensfähigkeit kann sich dabei auf die konkrete Umgebung beziehen, einschließlich anderer entsprechender Systeme. Selektionsursachen können zum Beispiel Ressourcenknappheit oder die Möglichkeit zu Kooperation sein.


Vergleicht man dies mit der Systemischen Evolutionsvortrag von Mersch gemäß dessen Vortrag http://www.mersch.com/cmscontent/fileupload/newZ1new_fileupload_url2Z273401Z3mersch_evolution_abensberg.pdf, dann stellt man zunächst fest, dass Mersch deutlich allgemeiner (systemtheoretisch) formuliert. Er hat scheinbar nicht nur Pflanzen und Tiere im Kopf. Ansonsten ist seine Systemische Evolutionstheorie in den ersten beiden Punkten identisch mit der obigen universellen ET. Der Unterschied besteht im Prinzip Selektion, welches bei ihm Reproduktionsinteresse heißt. Die unter Selektion erwähnten Unterselektionen natürliche und sexuelle Selektion ersetzt er verallgemeinernd durch Kommunikationsprinzipien: dominante Kommunikation versus Gefallen-wollen-Kommunikation.

Alles in allem ist seine Theorie viel humaner, schließlich entstammt sie einem humanen Umfeld und nicht der ungezügelten wilden Natur. Er redet nämlich nicht von Selektionen, sondern er verlangt für Evolution lediglich, dass alle Individuen ihre Eigeninteressen (Selbsterhalt, Reproduktion) ihrer Fitness entsprechend frei entfalten können, und sie z. B. nicht mit zunehmender Fitness daran systematisch bzw. überproportional gehindert werden. Natürlich kann es bei der Entfaltung von Eigeninteressen zu Konflikten kommen (z. B. beim Zugriff auf lebensnotwendige Ressourcen oder Fortpflanzungspartnern). Diese werden gemäß Mersch durch die dominante oder Gefallen-wollen-Kommunikation aufgelöst und damit einer Selektion zugeführt. In modernen menschlichen Gesellschaften ist für ihn fast ausschließlich die Gefallen-wollen-Kommunikation zulässig, bei den See-Elefanten geht dagegen praktisch alles dominant zu.

Selektion ist gemäß Mersch somit kein Selektionsprinzip, sondern sie ergibt sich ganz zwanglos aus tieferliegenden Prinzipien. Seine Theorie führt bei Übertragung auf menschliche Gesellschaften im Gegensatz zum Darwinismus nicht zum Sozialdarwinismus.

Seine Theorie ist meines Erachtens ein bedeutender intellektueller Durchbruch für das generelle Verständnis von Evolution. Demgegenüber wirkt die Wikipedia-Seite geradezu einfältig, obwohl diese den Stand der aktuellen Forschung relativ präzise wiedergibt.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 14:51

jackle hat geschrieben:
Selektion: Vererbte Merkmale müssen (auf längere Sicht gesehen) die Reproduktionsfähigkeit der Einheiten beeinflussen, entweder durch Überlebensfähigkeit (natürliche Selektion) oder die Fähigkeit, für die Reproduktion notwendige Partner zu finden (sexuelle Selektion). Die Überlebensfähigkeit kann sich dabei auf die konkrete Umgebung beziehen, einschließlich anderer entsprechender Systeme. Selektionsursachen können zum Beispiel Ressourcenknappheit oder die Möglichkeit zu Kooperation sein.


Auch dazu noch eine Anmerkung. Mersch weist darauf hin, dass die bekannteste Alternative (bzw. Ergänzung) zur sexuellen Selektion nicht die natürliche Selektion ist, sondern die Haremsbildung (wie etwa bei den See-Elefanten).

Wikipedia schreibt zur sexuellen Selektion:
In seinem Buch von 1871 „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ beschreibt Darwin eine weitere Art der Selektion, da er Beispiele von Merkmalsausprägungen gefunden hatte, die für den Merkmalsträger in seiner Umwelt eigentlich nachteilig waren und nicht durch sein Konzept der natürlichen Selektion erklärt werden konnten:

Die sexuelle Selektion ist nach Darwin eine Auslese von Männchen mit bestimmten Merkmalen durch die Weibchen derselben Art. Diese Merkmale verhelfen den Männchen in der Konkurrenz um die Weibchen zu einem Vorteil gegenüber ihren Geschlechtsgenossen hinsichtlich der Fortpflanzung.


Bei der sexuellen Selektion gemäß Darwin sowie bei der Haremsbildung findet eine Selektion im männlichen Geschlecht statt: Einige Männchen bekommen viele Weibchen, andere ggf. gar keine. Mersch weist nun darauf hin, dass der eigentliche Unterschied ein kommunikativer ist: Einmal erlangen die Männchen die Weibchen dominant (Harem), ein anderes Mal durch Gefallen-wollen.

Bei der Erlangung von Nahrungsressourcen geht es dabei in der Natur i. d. R. dominant zu. Erst auf menschlichen Märkten sieht das etwas anders aus.

Warum hat Darwin nicht auch noch die Haremsbildung gleichwertig neben die sexuelle und natürliche Selektion gestellt? Antwort: Weil er die Zusammenhänge noch nicht richtig verstanden hatte. Die erschließen sich erst mit einem systemtheoretischen Background.

Ich kann mich deshalb nur wiederholen: Mersch argumentiert viel präziser, als dies aktuell im Rahmen von Evolutionstheorien der Fall ist.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon El Schwalmo » So 14. Jun 2009, 17:04

jackle hat geschrieben:Seine Theorie ist meines Erachtens ein bedeutender intellektueller Durchbruch für das generelle Verständnis von Evolution. Demgegenüber wirkt die Wikipedia-Seite geradezu einfältig, obwohl diese den Stand der aktuellen Forschung relativ präzise wiedergibt.

welchen Sinn macht es, den Stand eines Forschungsbereichs am Inhalt einer Wikipedia-Seite festzumachen?

Einen 'intellektuellen Durchbruch' vermag ich in Merschs Ansatz, zumindest in dem Bereich, in dem ich kompetent bin, nicht zu erkennen. Wenn ich es richtig sehe, wendet sich Mersch gegen die Übertragung der Selektionstheorie durch Dawkins und andere Autoren auf den Menschen. Hier bin ich mit Mersch in der Kritik einig. Aber dann trennen sich unsere Wege. Mersch will die Menschheit retten, ich Evolution verstehen. Das sind zwei Paar Stiefel.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » So 14. Jun 2009, 19:01

El Schwalmo hat geschrieben: welchen Sinn macht es, den Stand eines Forschungsbereichs am Inhalt einer Wikipedia-Seite festzumachen?


Nun, dort finden sich bei relativ harmlosen (und nicht politisch umkämpften) Themen oft gute Zusammenfassungen des aktuellen Stands der Forschung. Hast du einen anderen Stand, als was da steht? Der ist nämlich recht ähnlich zu dem, was auch in der Literatur steht (Wuketits, Lenzen, Mayr, Dawkins, Blackmore, Dennett, Nüsslein-Volhard, ...).

El Schwalmo hat geschrieben: Einen 'intellektuellen Durchbruch' vermag ich in Merschs Ansatz, zumindest in dem Bereich, in dem ich kompetent bin, nicht zu erkennen. Wenn ich es richtig sehe, wendet sich Mersch gegen die Übertragung der Selektionstheorie durch Dawkins und andere Autoren auf den Menschen. Hier bin ich mit Mersch in der Kritik einig. Aber dann trennen sich unsere Wege. Mersch will die Menschheit retten, ich Evolution verstehen. Das sind zwei Paar Stiefel.


Im Vorwort zu seinem Buch schreibt er, dass es ihm darum ging, die nichtbiologischen Evolutionen zu verstehen.

Ich denke, Mersch hat in einer Weise Evolution verstanden, wie dies vor ihm noch keinem gelungen ist. Seine wichtigste Grundannahme ist (und über seine Akteursannahme gab es hier bereits eine längliche Diskussion):

Damit auf der Erde „aus dem Nichts“ fortlaufend und sich entwickelnd Ordnung entstehen kann, bedarf es Systemen (Ordnungszuständen), die fortlaufend darum bestrebt sind, ihre eigene Ordnung (d. h. ihre biologische Information) zu erhalten. Für diesen Erhalt benötigen sie Ressourcen aus ihrer Umgebung. Das gemeinsame Streben verschiedener Individuen in einer gemeinsamen Umgebung bewirkt dann den Wettbewerb um die Ressourcen.

Mersch behauptet also hier: Evolution wird maßgeblich von Akteuren vorangetrieben, die ständig darum bemüht sind, ihre biologische Information (ihren Ordnungszustand) zu erhalten. Dieses Streben stellte einen evolutionären Vorteil dar, denn wer das nicht besaß, der verschwand. Er sagt auch, dass er darunter nichts Psychologisches versteht. Im einfachsten Fall können das Automatismen oder homöostatische Funktionen sein.

Nebenbei sagt er damit aber auch: Nur Populationen, deren Individuen über lebensähnliche Eigenschaften verfügen (die also Akteure sind), können evolvieren. Populationen etwa aus Melodien können für ihn deshalb nicht evolvieren. Es kann deshalb keine Memetik geben. Melodien sind Produkte von Akteuren und evolvieren gemäß seiner Theorie im Rahmen der Evolution der sie produzierenden Akteure mit, so wie Äpfel mit den sie produzierenden Apfelbäumen mitevolvieren.

Sollte dies so stimmen, dann ist dies m. E. eine der bedeutendsten naturphilosophischen Erkenntnisse der letzten 100 Jahre. Die Tragweite der Erkenntnis ist kaum zu überschätzen. Auch legt er mit seiner Systemischen Evolutionstheorie zum ersten Mal eine Evolutionstheorie vor, die erklärt, wie buchstäblich alles auf dieser Erde aus dem Nichts entsteht, also nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern bis zum Kreditinstitut oder zum Automobil eben alles.

Und wenn dann solche Theorien und Erkenntnisse in naturphilosophischen wissenschaftlichen Zeitschriften nicht publizierbar sind, und diese in Brights-Foren, deren Mitglieder angeblich einer naturphilosophischen Grundeinstellung folgen, nicht diskutierbar geschweige denn vermittelbar sind, dass also dort absolut niemand aufsteht und sagt: „Hoppla, kann da vielleicht etwas dran sein?“, dann muss ich leider sagen, ist in dieser Welt absolut überhaupt nichts mehr vermittelbar, weil sich alle nur noch mit ihrem eigenen Kram beschäftigen. Über was sollte man sich sonst hier unterhalten? Über das Liebesleben der Maikäfer?

Ich habe heute erst wieder auf die unterschiedliche Auffassung von Mersch bzgl. der sexuellen Selektion gegenüber der gesamten Evolutionsbiologie hingewiesen. Seine Argumente sind für mich absolut schlagend. Er argumentiert hier quasi von einem ganz anderen Niveau aus. Und das interessiert niemanden? Die Erkenntnis, dass die sexuelle Selektion gar keine separate Selektion ist, sondern nur ein alternatives Kommunikationsverfahren zur Erlangung von Ressourcen, interessiert niemanden? Ups!
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