Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon El Schwalmo » Do 18. Jun 2009, 11:29

jackle hat geschrieben:Angenommen es stimmt, dass Mersch - wie er behauptet - alle eigendynamischen Evolutionen mit seiner Evolutionstheorie beschreiben und die von ihm genannten offenen Problem lösen kann, hat er dann nicht viel Neues zu bieten?

eher nicht. Er hat auch keine offenen Probleme dessen gelöst, was ich unter 'Evolution' verstehe.

Wie gesagt, der Mensch ist eine Marginalie der Evolution.

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Allerdings ist mir immer deutlicher geworden, dass dieser Eintrag auch meinen Standpunkt wiedergibt (auch wenn ich es anders formulieren würde). Mersch versucht, eine politische Agenda biologistisch zu verbrämen. Der wesentliche Unterschied zum naturalistischen Fehlschluss besteht darin, dass er nicht von der Natur, sondern von seiner abstrakten Evolutionstheorie ausgeht.

Ich weiß weder was das mit Mersch zu tun haben soll noch verstehe ich deinen Punkt. Ist es nicht möglich, einmal ein Argument so zu formulieren, wie das in den Naturwissenschaften üblich ist?

Mein Punkt ist, dass es weniger um Naturwissenschaften als um eine Agenda geht. Beispielsweise um Geschlechterrollen. Mit der Agenda, dass das Ziel, eine Evolution nach den von Mersch erkannten Mechanismen weiterlaufen sollte, selbst wenn die Menschen das gar nicht möchten.

Streng genommen ist Merschs Argumentation eine Version des naturalistischen Fehlschlusses, aber diesmal nicht 'von unten' sondern 'von oben'.

Mersch sagt ja selber, dass er kein Evolutionsbiologe ist, und dass er nicht weiß, wie das, was er abstrakt diskutiert, in der Natur verwirklicht ist. Warum sollte man sich dann naturwissenschaftlich mit seiner Kritik befassen, wenn er nichts diesbezüglich Relevantes schreibt? Mersch argumentiert in Richtung 'Ebene der Selektion', plädiert hier letztendlich für das, was Darwin schreibt, was nicht mit dem übereinstimmt, was Dawkins schreibt, und Mayr ist nach eigenen Aussagen 'whiggish'. Dazu verwendete Mersch lamarckistische Elemente (was meiner Meinung nach durchaus interessant sein könnte, Du hast ja

Jablonka, E.; Lamb, M.J. (2006) 'Evolution in Four Dimensions. Genetic, Epigenetic, Behavioral, and Symbolic Variation in the History of Life' Cambridge, Mass.; London, Bradford Book

erwähnt, es gibt auch schon ältere Ansätze, zumindest in bestimmten Bereichen Lamarckismus zu vertreten, beispielsweise in der Immunologie, sehr interessant ist beispielsweise auch

West-Eberhard, M.J. (2003) 'Developmental Plasticity and Evolution' Oxford; mult., Oxford University Press

oder eigentlich alles, was in Richtung EvoDevo geht). In Jena fand vor ein paar Jahren ein WorkShop über nicht-darwinistische Evolutionstheorien statt, es gibt Bücher wie

Wieser, W.; (Hrsg.) (1994) 'Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA' Heidelberg; Berlin; Oxford, Spektrum

Gutmann, W.F. (1995) 'Die Evolution hydraulischer Konstruktionen. Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung' Frankfurt am Main, Kramer

und und und. Diese Autoren befassen sich mit Evolutionstheorien, auch in dem Sinn, wie Mersch diesen Begriff verwendet. Mersch pickt sich sozusagen ein Detail heraus: den Menschen. Und Dawkins und klassischen Darwinismus, kein Wunder, dass er sich oft auf Mayr stützt, der von sich selber sagt, dass seine Darstellung 'whiggish' sei. Die Evolutionsbiologie ist schon etwas weiter als Darwin, auch wenn das im Darwin-Jahr nicht viele Menschen offen sagen.

Aber der Mensch evolviert eben nicht so, wie der Rest der Organismenwelt, nach Merschs Definition vielleicht gar nicht mehr. Sein Beispiel mit Hard- und Software ist sehr treffend: wenn man den üblichen Darstellungen glaubt, hat sich seit Jahrzehntausenden an der Hardware nichts mehr getan. Es geht schon fast in Richtung 'Kategorienfehler', mit den Mechanismen, die unsere HardWare formten, was zu der Software zu sagen, die die 'Evolution' des Menschen bedingt, egal, ob man das in der Art und Weise von Dawkins, der Evolutionären Psychologie oder auch Mersch macht.

Daher macht es viel mehr Sinn, zu fragen, was Mersch dazu bringt, seine Theorie so zu vertreten, wie er es tut, incl. der Stichwortgeber, die ihm bei Amazon nach dem Mund reden oder sehr aggressiv Menschen fertig machen, die Kritik üben. Und das geht dann in Richtung Agenda. Welche das ist, ist mir inzwischen deutlich geworden.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Do 18. Jun 2009, 12:50

El Schwalmo hat geschrieben: eher nicht. Er hat auch keine offenen Probleme dessen gelöst, was ich unter 'Evolution' verstehe.


Es interessiert doch nicht allein, was du unter Evolution verstehst. Er hat Lösungen für Probleme vorgeschlagen (bzw. die sich aus seiner Theorie automatisch ergeben), die in der Wissenschaftswelt als offen gelten. Außerdem geht es ihm nicht um Evolution, sondern um Evolutionstheorie.

El Schwalmo hat geschrieben: Wie gesagt, der Mensch ist eine Marginalie der Evolution.


Nanu? Gerade eben schriebst du noch in einem anderen Thread:
Man braucht nicht an einen Schöpfer zu glauben, um dem Menschen eine Sonderstellung innerhalb der Natur einzuräumen, die keinem anderen Lebewesen zukommt. Ich habe auch kein Problem damit, diese mit 'höher' zu bezeichnen.


Sehen so Marginalien aus?

Aber es spielt auch keine Rolle. Wenn eine Theorie den Anspruch erhebt, für die gesamte Biologie zu gelten und darin nicht ausdrücklich steht: „gilt nur für Lebewesen vom Typ x“, dann stellt jede einzelne Art, für die diese Theorie nachweislich nicht gilt, eine Falsifikation dar, egal ob die Art eine Marginalie ist oder nicht. So ist das nun einmal in den Wissenschaften.

El Schwalmo hat geschrieben: Mein Punkt ist, dass es weniger um Naturwissenschaften als um eine Agenda geht. Beispielsweise um Geschlechterrollen. Mit der Agenda, dass das Ziel, eine Evolution nach den von Mersch erkannten Mechanismen weiterlaufen sollte, selbst wenn die Menschen das gar nicht möchten.


Das ist doch nur Spekulation, jedenfalls kein sachliches Argument. Und was wollen denn die Menschen? Dawkins bezeichnet im egoistischen Gen den Wohlfahrtsstaat als das größte bekannte altruistische System in der Natur (er schließt also den Menschen mit ein!) und gleichzeitig als in höchstem Maße unnatürlich. Wir können uns in allen Dingen für diese oder jene Richtung entscheiden. Wenn Erkenntnisse auftreten, dass eine eingeschlagene Richtung langfristig problematisch sein dürfte, dann sollte reagiert werden. Es ist absolut unfair, einem Wissenschaftler, der Daten dafür liefert, dass unsere aktuelle Wirtschaftsweise langfristig einen Meeresanstieg um 6 Meter bewirken könnte, unterstellen zu wollen, es ginge ihm lediglich um die Abschaffung des Kapitalismus.

El Schwalmo hat geschrieben: Streng genommen ist Merschs Argumentation eine Version des naturalistischen Fehlschlusses, aber diesmal nicht 'von unten' sondern 'von oben'.


Bitte sachlich argumentieren. So ist das nur Gerede. Was ist an seiner Theorie ein naturalistischer Fehlschluss?

El Schwalmo hat geschrieben: Mersch sagt ja selber, dass er kein Evolutionsbiologe ist, und dass er nicht weiß, wie das, was er abstrakt diskutiert, in der Natur verwirklicht ist. Warum sollte man sich dann naturwissenschaftlich mit seiner Kritik befassen, wenn er nichts diesbezüglich Relevantes schreibt?


Weil Evolution mehr ist als das, was der normale Evolutionsbiologe meint. Warum hat Dawkins im egoistischen Gen ein Kapitel über die kulturelle Evolution, über die Memetik etc. integriert? Weil auch der der Ansicht ist, Evolution ist mehr als nur Genetik.

El Schwalmo hat geschrieben: Mersch argumentiert in Richtung 'Ebene der Selektion', plädiert hier letztendlich für das, was Darwin schreibt, (…) In Jena fand vor ein paar Jahren ein WorkShop über nicht-darwinistische Evolutionstheorien statt,


Ich weiß leider nicht, was das hier zur Sache tut. Mersch zitiert in seinem Buch tonnenweise andere Ansätze. Die sind nur seiner Meinung nach alle am gleichen Punkt gescheitert.

El Schwalmo hat geschrieben: es gibt Bücher wie

Wieser, W.; (Hrsg.) (1994) 'Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA' Heidelberg; Berlin; Oxford, Spektrum

Gutmann, W.F. (1995) 'Die Evolution hydraulischer Konstruktionen. Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung' Frankfurt am Main, Kramer

und und und. Diese Autoren befassen sich mit Evolutionstheorien, auch in dem Sinn, wie Mersch diesen Begriff verwendet.


Diese Ansätze sind alle gescheitert. Auf Gutmann geht Mersch in seinem Buch sogar explizit ein. Er weist auf den entscheidenden Punkt hin: Dies mag eine Vorstellung davon sein, wie Evolution abläuft, aber das ist keine Evolutionstheorie! Ansonsten hat Mersch durchaus gewisse Übereinstimmungen mit Gutmann: Beide gehen eher von einem aktuellen Evolutionsmodell aus. Für beide sind Lebewesen Akteure.

Mit wird mittlerweise immer mehr klar,was eigentlich dein Problem ist: Du verwechselst Evolution mit Evolutionstheorie, und unter Evolution verstehst du rein die biologische Evolution. Das ist eine zu limitierende Sichtweise.

El Schwalmo hat geschrieben: Mersch pickt sich sozusagen ein Detail heraus: den Menschen.


Wieso das? Genauso könnte man sagen: Einstein greift sich ein Detail heraus, nämlich die Bewegung mit Geschwindigkeiten nahe Licht. Einstein hat sich dieses Detail herausgegriffen, weil es hier zu Widersprüchen kam. Genau das gleiche macht Mersch: Beim Menschen führt Darwin zu Widersprüchen. Also hat er Darwins Theorie so erweitert, dass sie nun für Pflanzen, Tiere und Menschen passen würde. Das ist wissenschaftlicher Standard.

El Schwalmo hat geschrieben: Und Dawkins und klassischen Darwinismus, kein Wunder, dass er sich oft auf Mayr stützt, der von sich selber sagt, dass seine Darstellung 'whiggish' sei. Die Evolutionsbiologie ist schon etwas weiter als Darwin, auch wenn das im Darwin-Jahr nicht viele Menschen offen sagen.


Dann sag du es mal offen. Werden die Prinzipien Variation, Reproduktion und Selektion in Frage gestellt? Wird die Darwinsche Theorie von den Evolutionsbiologen auf dieser Ebene kritisiert? Die wütende Auseinandersetzung zwischen Kutschera et al. und Bauer ist mir noch geläufig. Was wurde da diskutiert?

El Schwalmo hat geschrieben: Aber der Mensch evolviert eben nicht so, wie der Rest der Organismenwelt, nach Merschs Definition vielleicht gar nicht mehr. Sein Beispiel mit Hard- und Software ist sehr treffend: wenn man den üblichen Darstellungen glaubt, hat sich seit Jahrzehntausenden an der Hardware nichts mehr getan.


Wie bitte?

El Schwalmo hat geschrieben: Es geht schon fast in Richtung 'Kategorienfehler', mit den Mechanismen, die unsere HardWare formten, was zu der Software zu sagen, die die 'Evolution' des Menschen bedingt, egal, ob man das in der Art und Weise von Dawkins, der Evolutionären Psychologie oder auch Mersch macht.


Das ist reine Spekulation. Genauso könntest du sagen, es grenzt schon an einen Kategorienfehler, mit den Mechanismen, die die Bewegung unserer Autos beschreiben, auch die Bewegung von Gestirnen beschreiben zu wollen.

El Schwalmo hat geschrieben: Daher macht es viel mehr Sinn, zu fragen, was Mersch dazu bringt, seine Theorie so zu vertreten, wie er es tut,


Kann es vielleicht sein, dass er daran selbst glaubt? Warum soll jemand, der entdeckt hat, dass die Erde keine Scheibe ist, dies nicht auch energisch vertreten?

El Schwalmo hat geschrieben: incl. der Stichwortgeber, die ihm bei Amazon nach dem Mund reden oder sehr aggressiv Menschen fertig machen, die Kritik üben.


Wie bitte? Da ist unlautere Kritik von Konkurrenten geäußert worden. Unter seinen Fürsprechern befinden sich sehr erfahrene Rezensenten, eine Person hat aktuell Rezensionsrang 25, eine andere 74. Hast du mal gesehen, mit welcher Aggressivität die Bauer-Leute dort vorgehen, z. B. die Mersch-Rezensentin „BB“, mit welch peinlichen Argumenten dort hantiert wird? Auf alle sachlichen Anfragen kommen dort – gerade von Mersch selbst – stets sehr geduldige Antworten.

El Schwalmo hat geschrieben: Und das geht dann in Richtung Agenda. Welche das ist, ist mir inzwischen deutlich geworden.


Was kein sachliches Argument ist.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon smalonius » Do 18. Jun 2009, 19:15

jackle hat geschrieben:Ist es nicht möglich, einmal ein Argument so zu formulieren, wie das in den Naturwissenschaften üblich ist?
Soll ich wirklich? Es heißt immer, jede Formel senkt den Leserkreis um 10%. :blush2:

Das Kernproblem bei Mersch ist, daß er ein "Reproduktionsinteresse" einführt und diesen Parameter von der Fitness trennt.

Ich will auch gar nicht lange darauf herumreiten, daß es besser "Reproduktionsvermögen" heißen sollte, weil "Interesse" alleine nicht hinreichend ist, weder für eine erfolgreiche Balz noch für eine erfolgreiche Fortpflanzung.

smalonius hat geschrieben:Nehmen wir an ich habe 1000 Murmeln unterschiedlicher Größe. Täglich entnehme ich die 100 größten Murmeln. Vom Rest nehme ich 100 und kopiere sie, wobei sich ein kleiner Fehler im Durchmesser einschleichen kann. Danach habe ich erneut 1000 Murmeln. Wiederholen wir das eine Woche oder einen Monat lang.

In welche Richtung wird sich die "Murmel-Population" entwickeln?

Vielleicht hätte ich statt einer umgangssprachlichen Darstellung ein paar Formeln posten sollen. Im Wesentlichen geht es um zwei Gleichungen.

Der Name der ersten - "Fundamentalgleichung" - ist bezeichnend für ihren Stellenwert.

Fisher's fundamental theorem aus dem Jahre 1930.

Bild

Es besagt, so wie ich es verstanden habe, daß eine Eigenschaft/ein Gen mit einer Fitness von 2 sich auch doppelt schon schnell in einer Population verbreitet als eins mit Fitness 1.

Fisher war übrigens derjenige, der uns den Begriff der Nullhypothese beschert hat, das Maximum-Likelyhood-Verfahren populär gemacht und sonst noch einiges für die Statistik getan hat. Außerdem war er Mitglied einer Eugenics-Society. (siehe mein Zitat von ihm weiter oben.)


Gleichung von Price

Bewiesen wurde das Fundamentaltheorem 1967 als ein Spezialfall der Gleichung von Price.

Bild

z ist hier eine Eigenschaft eines Individums (oder einer Gruppe von Individuen). Also zum Beispiel Rothaarigkeit oder besonderns scharfe Augen oder ein besonders scharfer Verstand. Oder auch besonders scharfes Aussehen. :mg:

w ist die Fitness, die mit der Eigenschaft z einhergeht. Das Ganze für die Individuen i. (Man kann auch Individuen/Gruppen i, j damit beschreiben.)

Nun zeugen n Individuen mit der Fitness w insgesamt n' Nachkommen. Mit anderen Worten: Fitness wird gemessen als w = n'/n. Damit hat man eine Festlegung, was Fitness ist. Das ist die Beste bisher bekannte Definition von Fitness; da braucht es kein zusätzliches, mißverständliches Reproduktionsinteresse.

Würde mich interessieren, ob Mersch sowas auch erwähnt. Ich argwöhne, er kennt das nicht - oder er verschweigt es geflissentlich. Beides spräche nicht für ihn. Falls ich mich irre, werde ich meinen Standpunkt gerne überdenken, abhängig davon, was er dazu sagt.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Do 18. Jun 2009, 20:08

smalonius hat geschrieben: Das Kernproblem bei Mersch ist, daß er ein "Reproduktionsinteresse" einführt und diesen Parameter von der Fitness trennt.


Ja, da das Reproduktionsinteresse unabhängig von der Fitness auch sozial und nichtgenetisch reguliert werden kann. Die Verwandtenselektion nimmt so etwas übrigens auch ein wenig an. Sie glaubt, dass das individuelle Reproduktionsinteresse durch Verwandtschaftsverhältnisse in einem gewissen Sinne verändert werden kann. Individuen reduzieren dann etwa bewusst oder unbewusst ihr eigenes Reproduktionsinteresse, weil sie per Unterstützung von Verwandten mehr eigene Gene weiterbringen können als allein. Das lässt sich angeblich sogar formelmäßig darstellen. Das Mersch'sche Reproduktionsinteressenkonzept ist aber viel allgemeiner gefasst. Es überschreibt meines Erachtens die Verwandtenselektion, zumal es auch Verhältnisse mitumfasst, in denen Verwandtschaft nicht die Basis ist.

smalonius hat geschrieben: Ich will auch gar nicht lange darauf herumreiten, daß es besser "Reproduktionsvermögen" heißen sollte, weil "Interesse" alleine nicht hinreichend ist, weder für eine erfolgreiche Balz noch für eine erfolgreiche Fortpflanzung.


Das ist gemäß Mersch völlig falsch. Siehe dazu den Thread auf Amazon, den ich schon einmal gepostet habe. Hier erläutert er gleich zu Beginn den Unterschied zwischen Reproduktionsinteresse und Reproduktionsfähigkeit, und zwar wie ich finde absolut überzeugend.

http://www.amazon.de/review/R3JKNUFLPQG311/ref=cm_cr_dp_cmt?ie=UTF8&ASIN=3837057925&nodeID=299956#wasThisHelpful

An einer anderen Stelle hat Mersch auch seine Motivation dafür mitgeteilt: Er komme aus der Unternehmenswelt, und in Unternehmen gäbe es permanente Diskussionen, welche Fähigkeiten Kernkompetenzen sind und welche nicht, welche Funktionen man also outsourcen (auslagern) kann und welche nicht. Wie er ausführte, gibt es angeblich Unternehmen (Nike soll dazu gehören), die im Grunde bis auf das Management alles ausgelagert haben, zum Teil sogar die Entwicklung. Sie besitzen folglich kaum mehr etwas anderes als bestimmte strategische Fähigkeiten , Koordination und das erforderliche Selbsterhaltungs/Reproduktionsinteresse.

Viren haben sogar den Metabolismus ausgelagert, Männchen die Fortpflanzungsfunktionalität an die Weibchen. Der Begriff des Reproduktionsinteresses ist also viel zentraler als der der Reproduktionsfähigkeit. Fähigkeiten kann man auslagern, Eigeninteressen nicht. Deshalb fordert die Systemische Evolutionstheorie auch lediglich, dass die Individuen Zugang zu einem Reproduktionsprozess besitzen. Ob der in ihnen selbst drin ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

smalonius hat geschrieben: (…) Vielleicht hätte ich statt einer umgangssprachlichen Darstellung ein paar Formeln posten sollen. Im Wesentlichen geht es um zwei Gleichungen. (…)

Fisher's fundamental theorem aus dem Jahre 1930.

(…)

Gleichung von Price

Bewiesen wurde das Fundamentaltheorem 1967 als ein Spezialfall der Gleichung von Price.

(…)

Nun zeugen n Individuen mit der Fitness w insgesamt n' Nachkommen. Mit anderen Worten: Fitness wird gemessen als w = n'/n. Damit hat man eine Festlegung, was Fitness ist. Das ist die Beste bisher bekannte Definition von Fitness; da braucht es kein zusätzliches, mißverständliches Reproduktionsinteresse.

Würde mich interessieren, ob Mersch sowas auch erwähnt. Ich argwöhne, er kennt das nicht - oder er verschweigt es geflissentlich. Beides spräche nicht für ihn. Falls ich mich irre, werde ich meinen Standpunkt gerne überdenken, abhängig davon, was er dazu sagt.


Mersch kennt natürlich diese Gleichungen, da es darüber auch schon Diskussionen gab. In seinem Buch erwähnt er sie nach meiner Erinnerung nicht (ich habe aber auch nicht jede Fußnote gelesen), doch er diskutiert ziemlich breit die von dir gezogenen Konsequenzen. Die lauten nämlich gemäß Kutscheras „Evolutionsbiologie“: Fitness wird annäherungsweise gleichgesetzt mit relativem Fortpflanzungserfolg. Die obige Darstellung von dir sagt nichts anderes:

Nun zeugen n Individuen mit der Fitness w insgesamt n' Nachkommen. Mit anderen Worten: Fitness wird gemessen als w = n'/n.


Mersch hält dem entgegen, dass damit die Evolutionstheorie zu einer Tautologie degradiert wurde, weil der Teil verlustig ging, der sich auf den Lebensraum bezieht. Eigentlich sollen die Evolutionsprinzipien beschreiben, wie es biologischen Arten gelingt, sich an verändernde Lebensbedingungen, die möglicherweise durch sie selbst beeinflusst werden, fortlaufend anzupassen. Wie schafft es also die Natur, sich hier quasi selbst zu optimieren? Gemäß Darwin dadurch, dass diejenigen, die besser angepasst (fitter) waren, durchschnittlich etwas mehr Nachkommen hinterließen, als die weniger fitten. Diese Anpassung kommt aber in deiner Definition gar nicht mehr vor. Die Population könnte sich gemäß diesem Fitnessbegriff auch von einer Anpassung an den Lebensraum entfernen. Mersch hat in seinem Buch mehrere wunderschöne Simulationsbeispiele (mit Kugeln und anderen Objekten), die das eindrucksvoll demonstrieren.

Was du machst, ist der Umkehrschluss: Die Fitteren sind die, die mehr Nachkommen hinterlassen. In unserer Gesellschaft hieße das: Sozialhilfeempfänger sind besonders fit.

Das Problem der beiden Gleichungen ist, dass sie implizit von einem einheitlichen Reproduktionsinteresse für alle Individuen ausgehen (ohne dass sie das explizit erwähnen, es wird einfach implizit angenommen). Insoweit decken die beiden Gleichungen gemäß Mersch lediglich Spezialfälle von Evolution ab. Diesen Gleichungen fehlt eindeutig die zusätzliche Variable Reproduktionsinteresse. Deshalb sind sie für allgemeine Evolutionsprozesse nicht gültig, für menschliche Gesellschaften sowieso nicht.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Fr 19. Jun 2009, 20:19

smalonius hat geschrieben:Bewiesen wurde das Fundamentaltheorem 1967 als ein Spezialfall der Gleichung von Price.

Bild

(...)

Nun zeugen n Individuen mit der Fitness w insgesamt n' Nachkommen. Mit anderen Worten: Fitness wird gemessen als w = n'/n. Damit hat man eine Festlegung, was Fitness ist. Das ist die Beste bisher bekannte Definition von Fitness; da braucht es kein zusätzliches, mißverständliches Reproduktionsinteresse.

Würde mich interessieren, ob Mersch sowas auch erwähnt.


Ich habe dazu noch einmal mit Mersch gemailt.

Gemäß ihm steckt das Problem der Price-Gleichung in der Annahme, die in Wikipedia lautet
Die Fitness von Gruppe i sei nun definiert als das Verhältnis der Größen von Kind- zu Elterngeneration:


w(i) = n'(i)/n(i)

In diesem Fall ist w(i) aber lediglich der Fortpflanzungserfolg. Gemäß vielen Autoren (Manfred Eigen, Bernd-Olaf Küppers etc.) wäre die natürliche Selektion dann eine Tautologie. Mersch schließt sich dieser Ansicht in seinem Buch an.

Seine Vorstellung ist in etwa die:

Reproduktionserfolg = w(i) = f(i)*e(i)
f(i) steht dabei für die durchschnittliche Fitness der Gruppe i und e(i) für das durchschnittliche Reproduktionsinteresse in der Gruppe i (e steht für Egoismus).

Fitness wäre dann die Division von Reproduktionserfolg durch Reproduktionsinteresse:

f(i) = w(i)/e(i)

Das Reproduktionsinteresse wird dabei als ein Faktor angenommen, beispielsweise e = Kinderwunsch/2. Irgendwo in seinem Buch soll Mersch jedoch schreiben, dass die einfache Division seiner Meinung nach zu einfach ist. Im Allgemeinen müsste man eher eine generelle Funktion mit bestimmten Eigenschaften annehmen: f(i) = F(w(i), e(i)). Das würde aber im Rahmen des Beispiels zu weit führen.

Gemäß dem bereits Gesagten wäre dann f(i) = w(i)/e(i) = n’(i)/(n(i) * e(i))

Genügt eine Population den Prinzipien der Systemischen Evolutionstheorie, dann bleibt die Price-Gleichung dennoch annäherungsweise gültig. Denn eine Randbedingung der Systemischen Evolutionstheorie (für Evolution) ist, dass eine nichtnegative Korrelation zwischen Fitness und Reproduktionsinteresse besteht.

Mit anderen Worten: Ist f(i) >= f(j), dann wäre im Allgemeinen auch e(i) >= e(j) und damit natürlich auch w(i) = f(i)*e(i) >= w(j) = f(j)*e(j): Eine größere Fitness bewirkt einen höheren Reproduktionserfolg. Stark vereinfacht könnte man in diesem Falle folglich wieder sagen: w(i) = f(i), d.h. die Variable w drückt die Fitness aus. Die Price-Gleichung wäre ungefähr gültig (es würden keine systematischen Fehler entstehen, lediglich Ungenauigkeiten).

Interessant wäre es, ob man die Price-Gleichung so verallgemeinern kann, dass sie die Systemische Evolutionstheorie direkt, und nicht nur indirekt unterstützt.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 12:42

Ich möchte noch ein paar Ergänzungen zur Price-Gleichung
Bild
machen, weil sich daran sehr gut die Auffassungsunterschiede zwischen der üblichen Evolutionsbiologie und Mersch deutlich machen lassen. Mersch (der selbst Mathematiker ist) schickte mir dazu noch ein email.

In der Pricegleichung wird ein Fitness-Begriff verwendet, der mit relativem Fortpflanzungserfolg gleichgesetzt werden kann. Obwohl sehr viele Autoren (teilweise Nobelpreisträger) darauf hingewiesen haben, dass auf diese Weise aus der natürlichen Selektion eine Tautologie würde, verwendet die Evolutionsbiologie in der Regel genau diesen Fitnessbegriff, siehe z. B. Kutschera "Evolutionsbiologie" oder Wikipedia: Fitness. Auf der Wikipedia-Seite zur Price-Gleichung wird das bei Formel (4) genau so getan. All dies ist gemäß Mersch problematisch, ich komme noch dazu.

Nehmen wir einmal an, der IQ beim Menschen wäre vollständig genetisch bedingt und es würde weiterhin das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology (Vining 1986) gelten, d.h. es bestünde eine negative Korrelation zwischen Fortpflanzungserfolg und IQ. Nehmen wir ferner an, der mittlere IQ innerhalb der jeweiligen Gruppen würde sich von Generation zu Generation nicht verändern (da das Merkmal erblich ist). Letzteres würde dazu führen, dass der hintere Teil der Price-Gleichung = 0 wäre, er könnte also entfallen. Das wird auf der Wikipedia-Seite gleich zu Beginn angemerkt:
Der letzte Term (der Erwartungswert) ist nur dann ungleich null, wenn sich der Wert der Eigenschaft beim Übergang von einer Generation zur nächsten ändern kann.


Wir hätten es also in diesem Fall mit der vereinfachten Price-Gleichung zu tun:
Bild

In unserem Fall wäre die Kovarianz negativ. Das ist genau das, was letztlich das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology besagt. Dies würde dann aber auch die linke Seite der Price-Gleichung negativ machen. Mit anderen Worten: Die Differenz zwischen dem mittleren IQ der Folgegeneration und der aktuellen Generation wäre negativ. Oder anders gesagt: Der mittlere IQ der Bevölkerung würde von Generation zu Generation sinken. Die Bevölkerung würde sozusagen immer dümmer. Das ist das, was zurzeit in den Industrienationen, wo das Central Theoretical Problem of Human Sociobiology gilt, auch zu beobachten ist (siehe etwa Teasdale et al.).

Gemäß Mersch fängt das ganze Problem mit dem problematischen Fitness-Begriff der Evolutionsbiologie an, der keinen Bezug mehr zur Umwelt nimmt, und sich nur noch auf den Fortpflanzungserfolg bezieht.

Er fasst Fitness stattdessen als die Fähigkeit auf, aus dem Lebensraum Ressourcen zu erlangen (was die Abwehr von Fressfeinden, Mikroben etc. mit einschließt). Das Problem dabei ist, dass diese Fähigkeit meist gar nicht messbar ist, sondern nur indirekt über den Fortpflanzungserfolg. Für Letzteres haben sich die Evolutionsbiologen entschieden, sie mussten dann dafür aber davon ausgehen, dass alle Individuen ein relativ einheitliches Reproduktionsinteresse besitzen. Genau das kann bei asexueller Fortpflanzung und bei fehlender Bildung von sozialen Gemeinschaften grundsätzlich angenommen werden. Für Laborexperimente ist ein solcher Fitnessbegriff folglich geradezu ideal.

Problematisch wird es immer dann, wenn das individuelle Reproduktionsinteresse einen entscheidenden Einfluss auf den Fortpflanzungserfolg (die Fitness der Evolutionsbiologen) nehmen kann. Dann können im Extremfall solche Effekte entstehen, wie sie in modernen menschlichen Gesellschaften zu beobachten sind.

Denn wenn etwa der IQ mit der Fähigkeit korreliert, Ressourcen zu beschaffen (= Geld zu verdienen), dann würde mit dem langfristigen Sinken des IQs auch die Fähigkeit sinken, Ressourcen zu beschaffen. Die Gesellschaft würde im Grunde immer ärmer. Sie würde an Anpassung (Fitness) im klassischen (und Merschschen) Sinne verlieren. Auch dazu gibt es eine bekannte Untersuchung:
IQ and the Wealth of Nations

In der Natur ist das Fitness-Problem weit bekannt. Männchen könnten den Weibchen etwas vorgaukeln. Sie könnten es sich bequem machen und sich rein auf die Fortpflanzung spezialisieren. Auch für Menschen wäre so etwas denkbar: "Warum sollte ich beruflichen Erfolg anstreben? Wenn ich meine Gene möglichst breit streuen möchte, kommt es nur darauf an, mit möglichst vielen Frauen im Bett zu landen."

Bedauerlicherweise haben sich die Weibchen nicht lange täuschen lassen. In Arten mit sexueller Selektion richten sie sich an sog. fälschungssicheren Fitness-Indikatoren aus, die Aufschluss über die wirkliche Fitness (Erlangung von Ressourcen) des jeweiligen Männchens geben. Die bekannten Theorien von Trivers oder Zahavi dazu sind mittlerweile allseits akzeptiert.

Viele Evolutionsbiologen nehmen heute bzgl. der Richtung der Evolution einen bewusst neutralen Standpunkt ein. Sie würden bei den obigen Anpassungsverlusten lediglich sagen: „Nun, dann führt das eben zu verringerter Anpassung und die Art stirbt ggf. aus. Das ist in der Natur immer wieder vorgekommen. Die Natur reguliert das von selbst. Es können nur die Arten überleben, die sich langfristig anpassen können. Wenn man darin eingreifen wollte, dann machte man sich des Naturalistic Fallacy, des Humesschen Gesetzes, des Sozialdarwinismus und ggf. noch viel Schlimmerem schuldig.“

Wenn sich also in menschlichen Gesellschaften ein Central Theoretical Problem of Human Sociobiology einstellt, dann könnte man sich demgemäß ruhig zurücklehnen und sagen: „Ist egal. Auf Dauer reguliert sich das von selbst.“ Nur leider hätten die Folgegenerationen dann dieses Selbstregulieren auszuhalten.

Mit einer solchen Haltung könnte man sich auch bei allem anderen entspannt zurücklehnen: „Artensterben, Abholzen der Regenwälder, Plünderung der fossilen Rohstoffquellen, Klimawandel, Meeresanstieg, Umweltverschmutung, Atomunfälle, Staatsverschuldung? Alles kein Problem. Die Natur hat sich selbst nach schwersten Meteoriteneinschlägen oder Vulkanausbrüchen immer wieder regenerieren können. Nach uns die Sintflut!“

Das ist zwar eigentlich wieder eine politische Aussage. Doch ich finde schon, dass wir es den nächsten Generationen schuldig sind, auf offenkundige Fehlentwicklungen, die sie massiv benachteiligen könnten (Stichwort: Generationengerechtigkeit), zu reagieren. Und das obige IQ-Beispiel zur Price-Gleichung zeigt klipp und klar: Aktuell geht es in Richtung geringerer Anpassung. Und verantwortlich daran sind soziale Verhältnisse, die für eine ungünstige Beeinflussung des individuellen Reproduktionsinteresses sorgen. Dieses korreliert nämlich in unserer Gesellschaft negativ mit der Fitness.

Meines Erachtens ist die Merschsche Argumentation in der Hinsicht zwingend. Er hat eine Variable entdeckt, die m. E. viel entscheidender ist, als das was z. B. bei der Verwandtenselektion diskutiert wird. Auch kann man damit m. E. viel plausibler die Staatenbildung z. B. bei Insekten erklären.

Die Evolutionstheorie muss m. E. zwingend überarbeitet werden. Sie geht von einem zu einfachen Modell aus, was vielleicht für Pflanzen zutreffend sein mag, für viele tierische soziale Gemeinschaften und insbesondere den Menschen aber sicherlich nicht unbedingt.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon Mark » Sa 20. Jun 2009, 13:11

Hahaha...

Schaffen = grundsätzliches können * auch wirklich wollen ??

Na, das leih ich mir mal in die Physik aus :lachtot:
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 13:42

Mark hat geschrieben:Hahaha...

Schaffen = grundsätzliches können * auch wirklich wollen ??

Na, das leih ich mir mal in die Physik aus :lachtot:


Schön, dass dir gerade der entscheidende Unterschied zwischen dem Leben und der toten Physik klargeworden ist. Bei manchen dauert so etwas halt länger. Aber lieber zu spät, als gar nicht.

Leben verfolgt Eigeninteressen. Lebewesen können nicht nur etwas, sondern sie "wollen" auch etwas. Sie können nicht nur essen, sondern sie sind auch bestrebt, dies zu tun. Ich halte diese Spezifikation, die Mersch in seinem Buch gibt, letzlich auch aus systemtheoretischer Sicht für besser, als etwa Humberto Maturanas Lebensdefinition der Autopoiesis: "Lebewesen machen sich selbst". Die Merschsche Beschreibung scheint mir viel eleganter und allgemeiner zu sein: "Lebewesen sind bestrebt, die eigenen Kompetenzen gegenüber ihrer Umwelt zu erhalten." Interpretiert man Gene etwa als die Speicherrepräsentanz gewisser (genetisch bedingter) Kompetenzen, dann umfasst seine Defintion auch die Verwandtenselektion.

Ich hatte eigentlich gehofft, wir könnten auf dem Niveau, was durch den ernsthaften Beitrag von El Schwalmo geschaffen wurde, weiterdiskutieren. Scheint schwer möglich zu sein.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 14:48

jackle hat geschrieben:Die Merschsche Beschreibung scheint mir viel eleganter und allgemeiner zu sein: "Lebewesen sind bestrebt, die eigenen Kompetenzen gegenüber ihrer Umwelt zu erhalten." Interpretiert man Gene etwa als die Speicherrepräsentanz gewisser (genetisch bedingter) Kompetenzen, dann umfasst seine Defintion auch die Verwandtenselektion.


Interessant dürfte in diesem Zusammenhang auch das Phänomen der Eusozialität sein. Wikipedia schreibt dazu:

Für echte Eusozialität müssen vier Bedingungen erfüllt sein. Dies sind

- kooperative Brutpflege durch mehrere Tiere
- gemeinsame Nahrungsbeschaffung und auch -verteilung
- Teilung des Verbandes in fruchtbare und unfruchtbare Tiere
- Zusammenleben mehrerer Generationen


Entscheidend für das Folgende ist vor allem die dritte Bedingung. Offenbar besitzen die Individuen solcher Sozialverbände unterschiedliche "Reproduktionsinteressen", die nichts mit Fitness (Anpassung) zu tun haben müssen, also genau das, was Mersch annimmt. Die Individuen sind möglicherweise alle reproduktionsfähig, halten sich aber ggf. freiwillig oder gezwungenermaßen mit der Reproduktion zurück.

Meist wird versucht, dieses Phänomen über die Verwandtenselektion zu erklären. Durch die spezifischen Verwandtschaftsverhältnisse könnten auch rein helfende Individuen ihre eigenen Gene ausreichend verbreiten. Nun scheint aber so etwas beim Menschen keine entscheidende Rolle mehr zu spielen. Auch scheint es echte eusoziale Organisationen in der Natur zu geben, die sich einer Erklärung mittels der Verwandtenselektion entziehen.

Die Systemische Evolutionstheorie gemäß Mersch behauptet in diesem Zusammenhang lediglich deutlich abgeschwächt: Voraussetzung dafür, dass soziale Gemeinschaften weiterhin evolvieren und sich somit als soziale Gemeinschaften erhalten können, ist, dass das Reproduktionsinteresse ihrer Individuen nicht negativ mit der Fitness korreliert.

Ich denke, das dürfte in allen eusozialen Staatengemeinschaften der Fall sein. Und auch die gelegentlich bei Hunden beobachtete Alpha-Tier-Paarung ist damit kompatibel.

Mir scheint, hier hat jemand nicht eine andere, sondern vor allem auch eine bessere Erklärung gefunden.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon Mark » Sa 20. Jun 2009, 14:50

jackle hat geschrieben:Leben verfolgt Eigeninteressen. Lebewesen können nicht nur etwas, sondern sie "wollen" auch etwas..


Der "Wille" ist doch nur ein Produkt ! Und zwar ein komplexes. Und hier wohl auch im übertragenen Sinne gemeint. Und spätestens da entpuppt sich doch das ganze als reines Wagnis !
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 15:05

Mark hat geschrieben:Der "Wille" ist doch nur ein Produkt ! Und zwar ein komplexes. Und hier wohl auch im übertragenen Sinne gemeint. Und spätestens da entpuppt sich doch das ganze als reines Wagnis !


Das wurde hier nun wirklich bis zum Erbrechen diskutiert. Wenn du jedes Mal das Gleiche vorbringst, als sei irgendeine Platte übergesprungen, nur um hier die Diskussion zu stören, möchte ich dich bitten, in anderen Threads mit einfacheren Themen weiter zu diskutieren.

Richard Dawkins schreibt im egoistischen Gen, S. 327f., z. B.:
So wie es sich als brauchbar erwiesen hat, dass wir uns die Gene als aktive Handlungsträger vorstellten, die zielbewusst auf ihr eigenes Überleben hinarbeiten, könnte es vielleicht nützlich sein, sich die Meme ebenfalls so vorzustellen. ... Wir haben Bezeichnungen wie "eigennützig" und "rücksichtslos" auf die Gene angewandt und waren uns dabei völlig im Klaren darüber, dass es sich lediglich um eine Sprachfigur handelt.


So, und wenn Mersch gewisse innere Funktionalitäten eines Lebewesens, die nichts mit den nach Außen gerichteten Kompetenzen des Individuums zu tun haben, und die in vielen Fällen nicht einmal genetisch, sondern sozial bestimmt werden, als Reproduktionsinteressen bezeichnet, dann darf er das genauso wie Dawkins in seinem Millionenseller von Egoismus reden kann. Er sagt doch klar, dass er darunter auch Automatismen bzw. einfache Homöostasen versteht, aber sich für einen einheitlichen Begriff entschieden hat, weil man spätestens bei getrenntgeschlechtlicher Fortpflanzung bei Tieren definitiv von Interessen in unserem Sinne sprechen muss. Wir haben nun mal nur diese Sprache und müssen Dinge mit den Mitteln unserer Sprache ausdrücken. Dabei sind hier und da Kompromisse erforderlich.

Verdammt! :kopfwand:
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon smalonius » Sa 20. Jun 2009, 17:19

jackle hat geschrieben:Mersch kennt natürlich diese Gleichungen, da es darüber auch schon Diskussionen gab.

Linky?
jackle hat geschrieben:In seinem Buch erwähnt er sie nach meiner Erinnerung nicht (ich habe aber auch nicht jede Fußnote gelesen), doch er diskutiert ziemlich breit die von dir gezogenen Konsequenzen.

Sehr merkwürdig. Die Gleichung von Price ist so allgemein, das sie für jedes selbstreplizierende System gilt. Sie vereinheitlicht verschiedene Arten von Evolution, und leistet damit genau das, was Mersch für sich als Pionierleistung verbucht.

Wie gesagt: sehr ungewöhnlich - ein Konkurrenzmodell nicht zu erwähnen, das als grundlegend für ein Fachgebiet angesehen wird.

jackle hat geschrieben:w(i) = n'(i)/n(i)

In diesem Fall ist w(i) aber lediglich der Fortpflanzungserfolg. Gemäß vielen Autoren (Manfred Eigen, Bernd-Olaf Küppers etc.) wäre die natürliche Selektion dann eine Tautologie. Mersch schließt sich dieser Ansicht in seinem Buch an.

Ich sehe jede mathematische Gleichung als Tautologie, schließlich steht auf der linken Seite der Gleichung wie das Gleiche wie auf der rechten - aber das ist ein anderes Thema.

Was die natürliche Selektion betrifft: Ein Schneehuhn trägt im Winter weiße Federn und im Sommer felsgraue. Ist das auch eine Tautologie?
jackle hat geschrieben:Seine Vorstellung ist in etwa die:

Reproduktionserfolg = w(i) = f(i)*e(i)
f(i) steht dabei für die durchschnittliche Fitness der Gruppe i und e(i) für das durchschnittliche Reproduktionsinteresse in der Gruppe i (e steht für Egoismus).

Fitness wäre dann die Division von Reproduktionserfolg durch Reproduktionsinteresse:
f(i) = w(i)/e(i)

Sehen wir uns diese zwei Behaptungen genauer an:
Code: Alles auswählen
f(i) = w(i)/e(i)

Aha. Das heißt auf deutsch folgendes für den Merschschen Fitnessbegriff:

Wenn mein Reproduktionsinteresse steigt, dann sinkt meine Fitness.
Wenn mein Reproduktionsinteresse sinkt, dann steigt meine Fitness.
Wenn mein Reproduktionsinteresse gegen null geht, dann steigt meine Fitness ins Unendliche.

Ob das so beabsichtigt war? Ich glaube nicht.

Was für einen Beruf hat der Gute noch mal?

jackle hat geschrieben:Im Allgemeinen müsste man eher eine generelle Funktion mit bestimmten Eigenschaften annehmen: f(i) = F(w(i), e(i)). Das würde aber im Rahmen des Beispiels zu weit führen.

Tja, Vorhersagen sind halt schwierig, besonders wenn sie sich auf die Zukunft oder auf Details beziehen. :pfeif:

Ich argwöhne, Mersch hat selbst keine Vorstellung dieser F(w(i), e(i)), sonst hätte er bestimmt eine konkretere Aussage gemacht.

Code: Alles auswählen
Reproduktionserfolg = w(i) = f(i)*e(i)

Setzen wir folgendes ein:
jackle hat geschrieben:Denn eine Randbedingung der Systemischen Evolutionstheorie (für Evolution) ist, dass eine nichtnegative Korrelation zwischen Fitness und Reproduktionsinteresse besteht.

Korrelation darf ich auch so schreiben: Fitness ist eine Konstante mal dem Reproduktionsinteresse: f = ke. Oder auch andersrum e = kf.

Eingesetzt in Merschs Formel ergbiet sich für positive Korrelation:

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k > 0

Nachdem k konstant ist, unterscheidet sich diese Aussage nicht wirklich von der herkömmlichen Schreibweise. Immer noch hängt die Zahl der Nachkommen von einer einzigen Variable ab, und nicht von zweien. Wir haben also nichts neues gelernt.

Nimmt man an, Fitness und Reproduktionsinteresse würden negativ korrelieren, landet man bei einem Widerspruch. Dann wäre

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k < 0

Was nicht geht, weil w immer null oder positiv ist. Für diesen Fall ist die Definition von Fitness und Reproduktionsinteresse sogar unsinnig.

Mersch's "Randbedingung" ergiebt also weder linksrum noch rechtsrum einen Sinn. Die Variablen, die er einführt, halten nicht mal einer "Analyse" mit Elftklässler-Mathematik stand.

jackle hat geschrieben:Interessant wäre es, ob man die Price-Gleichung so verallgemeinern kann, dass sie die Systemische Evolutionstheorie direkt, und nicht nur indirekt unterstützt.

Oh je, was habe ich angerichtet? Das taucht jetzt bestimmt in der nächsten Auflage auf. :mg:
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon El Schwalmo » Sa 20. Jun 2009, 17:35

Eigentlich wollte ich zu dieser Diskussion nichts mehr beitragen, vor allem nachdem ich die Rezensionen und die Diskussion bei Amazon gelesen habe. Dabei fiel mir nämlich auf, dass ich mit einer der dort sehr aktiven Personen schon an anderer Stelle diskutiert habe, und mir daher eigentlich klar sein musste, dass Mersch zu dem, was mich an Evolution interessiert, wenig sagt, und das auch klar ausdrückt.

Was ich unter der Evolution verstehe, habe ich hier etwas näher ausgeführt. Daher kann mir eigentlich das, was Mersch vertritt, eher egal sein.

Es macht auch wenig Sinn, mir gegenüber Dawkins zu kritisieren, denn der verfolgt schon mit seinen innerbiologischen Auffassungen eine Agenda, die ich hier etwas näher ausgeführt habe, und weder von egoistischen Genen noch von Soziobiologie, die als 'Evolutionäre Psychologie' auf Menschen angewendet wird, halte ich irgendetwas. Mustergültig hat die Kritik an diesem Ansatz

Dupré, J. (2006) 'Darwin's Legacy. What Evolution Means Today [2003]' Oxford, Oxford University Press


formuliert, dem möchte ich nichts hinzufügen. Auch zu Bauers Buch, das in der Diskussion immer wieder auftaucht, habe ich mich schon das eine oder andere Mal geäußert, beispielsweise hier. Inzwischen habe ich das Buch mehrfach und sehr genau gelesen, den Ansatz von Bauer finde ich durchaus einer näheren Überprüfung wert, sobald er diesen gelegentlich konkret durchformuliert. Seine Polemik an Dawkins und anderen Autoren ist wenig berechtigt.

Dawkins und Mersch machen in meinen Augen genau denselben Fehler, allerdings 'von unten' und 'von oben': sie übertragen Betrachtungen aus dem Bereich der Natur auf menschliche Gemeinschaften. Dawkins erfreulicherweise unter dem Gesichtspunkt, dass wir nicht so leben müssen oder gar sollen, während ich bei Mersch eher eine Agenda sehe (dazu weiter unten mehr).

An Mersch habe ich im Bereich der Naturwissenschaften nichts auszusetzen, außer dass sein Ansatz bei weitem nicht die Bedeutung hat, die ihm einige Menschen unter Berufung auf Mersch zuschreiben. Er dreht ein ganz kleines Rädchen im HighEnd-Bereich, in dem er möglicherweise einen Beitrag leisten kann (einen Artikel bei Philosophia Naturalis einzureichen war durchaus sinnvoll, denn mit Naturwissenschaften hat er ja nichts zu tun, wäre vermutlich noch besser gewesen, eine Veröffentlichung in einer soziologischen Zeitschrift zu versuchen, denn da passt das, was er schreibt, vermutlich am besten hin).

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: eher nicht. Er hat auch keine offenen Probleme dessen gelöst, was ich unter 'Evolution' verstehe.

Es interessiert doch nicht allein, was du unter Evolution verstehst.

'Nicht allein' ist ein hübscher Euphemismus. Im Gegenteil, er bekämpft sogar derartige Fragen als Holzweg in Richtung Kreationismus. Er argumentiert auf einer höheren Ebene und interessiert sich nicht für die tieferen, kann sein, dass er sie gar nicht für lösbar hält. Das hat aber Konsequenzen.

jackle hat geschrieben:Er hat Lösungen für Probleme vorgeschlagen (bzw. die sich aus seiner Theorie automatisch ergeben), die in der Wissenschaftswelt als offen gelten.

Wenn man unter 'Wissenschaft' die Soziobiologie versteht, könnte er Recht haben. Seine Idee, dass es möglich ist, dass 'Fitness' mehrere Komponenten hat, die dann dazu führen können, dass 'Fitness' im einen Bereich sich negativ auf 'fitness' in einem anderen auswirkt, könnte Sinn machen.

Letztendlich ist das natürlich die Frage nach dem Tautologie-Vorwurf, der Darwins 'survival of the fittest' gemacht wird. Wenn Du evolutionstheoretische Arbeiten vergleichst, wirst Du merken, dass es mindestens zwei Richtungen gibt. Eine Richtung räumt diesen Vorwurf ein, erklärt ihn aber für unbedeutend. Andere suchen eine Lösung. Einer der ersten war meines Wissens Stegmüller

Stegmüller, W. (1978) 'Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Band 1. 6. Auflage' Stuttgart, Kröner


(ich kann Dir die Belegstelle heraussuchen, falls es Dich interessiert), der darauf hinwies, dass 'Fitness' zwar als Fortpflanzungserfolg gemessen wird, aber etwas anderes bedeutet (meine Formulierung). Es ist kein Zufall, dass Evolutionsbiologen von 'Darwin-Fitness' reden und das genau präzisieren. Wenn man das genauer überlegt, merkt man, dass das in Richtung 'book-keeping' geht, was Gould in

Gould, S.J. (2002) 'The Structure Of Evolutionary Theory' Cambridge, Mass; London, Belknap


am Beispiel von Dawkins und vor allem der STE deutlich gemacht hat. Was interessiert sind aber die Mechanismen, und genau das ist die Ebene, die Mersch gar nicht interessiert, wohl aber beispielsweise Bauer und natürlich auch die Evolutionsbiologen. Das läuft dann auf die alte Kritik an Darwin hinaus, der den 'survival of the fittest' untersuchte, aber den entscheidenden Punkt, eben den 'arrival of the fittest' nie klären konnte. Die STE war konsequenterweise eine reine Transmissionsgenetik, und man kann zeigen, dass in diesem Weltbild die Entstehung von Neuheiten ein 'Non-Problem' war, denn diese entstehen sozusagen als 'Nebenläufigkeiten'. Kann sein, dass Mersch das genauso sieht, weil ihn diese Frage gar nicht interessiert. Aber schon Goldschmidt plädierte für eine 'physiologische Genetik', die heute im Gewand von EvoDevo durchaus wieder in den Vordergrund rücken könnte.

Lange Rede, kurzer Sinn: Mersch kann von seinem Ansatz zu den meiner Meinung nach entscheidenden Fragen der Evolution gar nichts beitragen, und er will es auch nicht. Aber das bedeutet auch, dass sich wohl kaum jemand aus diesem Bereich mit Gewinn mit seinem Ansatz befassen wird.

Noch ein Beispiel: Mersch schreibt was zur Bedeutung der 'Sexualität' (genauer: Fortpflanzungssystemen). Zur Entstehung der Sexualität kann er so nichts beitragen.

Gerade ist ein Beitrag zu diesem Thema erschienen

Zimmer, C. (2009) 'On the Origin of Sexual Reproduction' Science 324:1254-1256


Zimmer ist Wissenschaftsjournalist, aber er hat einen sehr guten Ruf, und Science ist kein Provinzblättchen. Schau mal, was Zimmer dort diskutiert, und was in der Evolutionsbiologie zur Entstehung der Sexualitiät diskutiert wird und schau, ob der Ansatz von Mersch (platt formuliert'männliches Geschlecht für die Evolution, weibliches für das Überleben') zu dieser Frage beitragen kann, wenn Du davon ausgehst, dass die ersten sexuellen Formen wohl Isogameten waren, bei denen irgendwelche Partnerwahlen kein Thema waren.

jackle hat geschrieben:Außerdem geht es ihm nicht um Evolution, sondern um Evolutionstheorie.

Eben, und man muss sich fragen, ob das, was Mersch als 'Evolutionstheorie' bezeichnet, irgendwas mit dem zu tun haben könnte, was Menschen wie ich unter 'Evolution' verstehen. 'Veränderung eines Systems im Lauf der Zeit, okay, aber dann evolviert mein Gartenzaun auch, wenn er rostet.

Nun nur noch kurz ein paar Details aus der letzen Mail:

jackle hat geschrieben:
jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, der Mensch ist eine Marginalie der Evolution.

Nanu? Gerade eben schriebst du noch in einem anderen Thread:


Man braucht nicht an einen Schöpfer zu glauben, um dem Menschen eine Sonderstellung innerhalb der Natur einzuräumen, die keinem anderen Lebewesen zukommt. Ich habe auch kein Problem damit, diese mit 'höher' zu bezeichnen.


jackle hat geschrieben:Sehen so Marginalien aus?


Man kann durchaus eine Sonderstellung innerhalb der Natur einnehmen, wenn man eine Marginalie der Evolution ist. Anbetrachts der Dauer der Evolution auf diesem Planeten sind die paar Jährchen, die der Mensch seine Sonderstellung auskostet, eher vernachlässigbar.
[ ... ]

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: Streng genommen ist Merschs Argumentation eine Version des naturalistischen Fehlschlusses, aber diesmal nicht 'von unten' sondern 'von oben'.

Bitte sachlich argumentieren. So ist das nur Gerede. Was ist an seiner Theorie ein naturalistischer Fehlschluss?

An seiner Theorie nichts. Aber wenn man aus einer Evolutionstheorie (Sein) ein Sollen (man muss eine Gesellschaft so organisieren, dass die 'fitness' die 'Darwin-Fitness' nicht beeinträchtigt), läuft das auf einen Schluss vom Sein auf das Sollen hinaus.

[ ... ]

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: Und Dawkins und klassischen Darwinismus, kein Wunder, dass er sich oft auf Mayr stützt, der von sich selber sagt, dass seine Darstellung 'whiggish' sei. Die Evolutionsbiologie ist schon etwas weiter als Darwin, auch wenn das im Darwin-Jahr nicht viele Menschen offen sagen.

Dann sag du es mal offen. Werden die Prinzipien Variation, Reproduktion und Selektion in Frage gestellt? Wird die Darwinsche Theorie von den Evolutionsbiologen auf dieser Ebene kritisiert? Die wütende Auseinandersetzung zwischen Kutschera et al. und Bauer ist mir noch geläufig. Was wurde da diskutiert?

Diskutiert wird die Frage, ob man mit der Mikroevolution die Makroevolution erklären kann. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es eine ganz Reihe derartiger Begriffspaare, die alle dasselbe besagen, zum ersten Mal übrigens bei Lamarck, der schon vor Darwin die erste Evolutionstheorie aufstellte, die diesen Namen verdiente. Die Selektionstheorie, ob Du nun 'Darwinismus' oder 'STE' dazu sagst, ist zwingend auf eine bestimmte Art der Generation der Variation angewiesen, sonst funktioniert sie nicht. Die Frage ist, ob die Variation diese Anforderungen erfüllt.

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: Aber der Mensch evolviert eben nicht so, wie der Rest der Organismenwelt, nach Merschs Definition vielleicht gar nicht mehr. Sein Beispiel mit Hard- und Software ist sehr treffend: wenn man den üblichen Darstellungen glaubt, hat sich seit Jahrzehntausenden an der Hardware nichts mehr getan.

Wie bitte?

Man bezeichnet schon den Cro Magnon-Menschen als 'anatomisch modernen Menschen'. Wenn Du von einer Generationsdauer von 20 Jahren ausgehst, siehst Du auf den ersten Blick, dass eine Evolution via Rekombination von Genen wohl kaum das erklären kann, was in den letzten 200 Jahren ablief.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 19:18

smalonius hat geschrieben: Sehr merkwürdig. Die Gleichung von Price ist so allgemein, das sie für jedes selbstreplizierende System gilt. Sie vereinheitlicht verschiedene Arten von Evolution, und leistet damit genau das, was Mersch für sich als Pionierleistung verbucht.


1. Nein, die Price-Gleichung kennt nur die Fitness, kein separates Reproduktionsinteresse. So allgemein ist sie also nicht.
2. Wie ließe sie sich auf die Evolution der Technik anwenden? Und was wären hier die Individuen?

smalonius hat geschrieben: Wie gesagt: sehr ungewöhnlich - ein Konkurrenzmodell nicht zu erwähnen, das als grundlegend für ein Fachgebiet angesehen wird.


Die Gleichung von Price ist kein Konkurrenzmodell, sondern eine Gleichung. Die Konkurrenzmodelle lauten Darwinsche Evolutionstheorie und in Erweiterung dazu ( Kin Selection) die Theorie der egoistischen Gene bzw. für Kultur die Memetik.

smalonius hat geschrieben: Ich sehe jede mathematische Gleichung als Tautologie, schließlich steht auf der linken Seite der Gleichung wie das Gleiche wie auf der rechten - aber das ist ein anderes Thema.


Ich höre gerade die Mathematiker in schallendes Gelächter ausbrechen.

smalonius hat geschrieben: Was die natürliche Selektion betrifft: Ein Schneehuhn trägt im Winter weiße Federn und im Sommer felsgraue. Ist das auch eine Tautologie?


Das ist keine Tautologie. Der Satz, ein Schimmel ist weiß, wenn Schimmel als weißes Pferd definiert wird (und nicht über andere Merkmale), ist dagegen eine Tautologie. Der Satz: „Die fitteren hinterlassen mehr Nachkommen als die weniger fitten, wobei die Fitteren diejenigen sind, die in Relation zum Rest der Population mehr Nachkommen hinterlassen“ ist gleichfalls eine Tautologie. Sollte man wissen, wenn man bright sein will.

smalonius hat geschrieben: Sehen wir uns diese zwei Behaptungen genauer an:
Code: Alles auswählen
f(i) = w(i)/e(i)

Aha. Das heißt auf deutsch folgendes für den Merschschen Fitnessbegriff:

Wenn mein Reproduktionsinteresse steigt, dann sinkt meine Fitness.
Wenn mein Reproduktionsinteresse sinkt, dann steigt meine Fitness.
Wenn mein Reproduktionsinteresse gegen null geht, dann steigt meine Fitness ins Unendliche.

Ob das so beabsichtigt war? Ich glaube nicht.

Was für einen Beruf hat der Gute noch mal?


Welchen Beruf hast du noch gleich? Denn das war ganz fürchterlich. Wenn das Reproduktionsinteresse gemäß der genannten Gleichung steigt, dann sinkt die Fitness nur dann, wenn der Fortpflanzungserfolg nicht mitgestiegen ist. Hast du das nicht mitbekommen?

Im Übrigen war Mersch sowieso gegen eine solche einfache Multiplikation, wie ich schrieb. Er sieht sie eher als Verdeutlichung der Überlegungen an. Für ihn steht die Fitness für sich allein und lässt sich nicht aus dem Fortpflanzungserfolg direkt ermitteln, eher aus der Fähigkeit, Ressourcen zu erlangen.

smalonius hat geschrieben:Ich argwöhne, Mersch hat selbst keine Vorstellung dieser F(w(i), e(i)), sonst hätte er bestimmt eine konkretere Aussage gemacht.


Hat er auch nicht. Er ist eher der Meinung, dass man die Fitness auf diese Weise nicht errechnen kann, sondern dass dies höchstens etwas für mathematische Modellrechnungen zur Verdeutlichung realer Situationen ist. Fitness steht für ihn allein. Sie ist keine Funktion aus den beiden anderen Variablen.

smalonius hat geschrieben: Korrelation darf ich auch so schreiben: Fitness ist eine Konstante mal dem Reproduktionsinteresse: f = ke.


Sag mal, wann hattest du dich zuletzt mit Mathematik beschäftigt? Im Kindergarten? Was ist eine Korrelation? Eine Konstante?

smalonius hat geschrieben: Oder auch andersrum e = kf.


Kreisch! Nicht einmal einfaches Dividieren wird beherrscht!

smalonius hat geschrieben: Eingesetzt in Merschs Formel ergbiet sich für positive Korrelation:

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k > 0

Nachdem k konstant ist, unterscheidet sich diese Aussage nicht wirklich von der herkömmlichen Schreibweise. Immer noch hängt die Zahl der Nachkommen von einer einzigen Variable ab, und nicht von zweien. Wir haben also nichts neues gelernt.


Ja wenn man nicht einmal die einfachsten Mathematikgrundlagen kennt, kann man in der Hinsicht auch nichts Neues lernen.

smalonius hat geschrieben: Nimmt man an, Fitness und Reproduktionsinteresse würden negativ korrelieren, landet man bei einem Widerspruch. Dann wäre

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k < 0

Was nicht geht, weil w immer null oder positiv ist. Für diesen Fall ist die Definition von Fitness und Reproduktionsinteresse sogar unsinnig.


Kreisch! Wie kommst du darauf, einen solchen Unfug zu posten? Das hat nicht einmal Realschulniveau.

smalonius hat geschrieben: Mersch's "Randbedingung" ergiebt also weder linksrum noch rechtsrum einen Sinn. Die Variablen, die er einführt, halten nicht mal einer "Analyse" mit Elftklässler-Mathematik stand.


Dann solltest du versuchen, Elftklässler-Niveau zu erreichen. So ist das unglaublicher Bull-Shit.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 20:12

El Schwalmo hat geschrieben: Eigentlich wollte ich zu dieser Diskussion nichts mehr beitragen, (…) und mir daher eigentlich klar sein musste, dass Mersch zu dem, was mich an Evolution interessiert, wenig sagt, und das auch klar ausdrückt.


Andere können keine Rücksicht darauf nehmen, dass du Evolution nicht verstanden hast.

El Schwalmo hat geschrieben: Was ich unter der Evolution verstehe, habe ich hier etwas näher ausgeführt. Daher kann mir eigentlich das, was Mersch vertritt, eher egal sein.


Und diesbezüglich bin ich der Ansicht: Du hast Evolution nicht verstanden, und drückst dies in dem Artikel weitschweifig aus.

El Schwalmo hat geschrieben: Es macht auch wenig Sinn, mir gegenüber Dawkins zu kritisieren, denn der verfolgt schon mit seinen innerbiologischen Auffassungen eine Agenda, die ich (url) etwas näher ausgeführt habe, und weder von egoistischen Genen noch von Soziobiologie, die als 'Evolutionäre Psychologie' auf Menschen angewendet wird, halte ich irgendetwas.


O.k., du bist der Gott der Evolutionsbiologie. Du hältst weder von Dawkins, noch von Soziobiologie noch von Evolutionärer Psychologie noch von Mersch etwas. Aber ausgerechnet dein kleines bescheidenes Artikelchen soll ich ernst nehmen? Lachhaft.

El Schwalmo hat geschrieben: Mustergültig hat die Kritik an diesem Ansatz (Buch) formuliert, dem möchte ich nichts hinzufügen.


Aha. Wie interessant!?

El Schwalmo hat geschrieben: Auch zu Bauers Buch, das in der Diskussion immer wieder auftaucht, habe ich mich schon das eine oder andere Mal geäußert,


Na, wie wunderbar, dass du dich schon ein paar Mal dazu geäußert hast. Das war vermutlich abschließend und für alle Wissenschaften verbindlich. Ich verbeuge mich vor dem großen Meister der Evolutionsbiologie.

El Schwalmo hat geschrieben: Inzwischen habe ich das Buch mehrfach und sehr genau gelesen, den Ansatz von Bauer finde ich durchaus einer näheren Überprüfung wert, sobald er diesen gelegentlich konkret durchformuliert. Seine Polemik an Dawkins und anderen Autoren ist wenig berechtigt.


Aha. Gott Schwalmo hat gesprochen.

El Schwalmo hat geschrieben: Dawkins und Mersch machen in meinen Augen genau denselben Fehler, allerdings 'von unten' und 'von oben': sie übertragen Betrachtungen aus dem Bereich der Natur auf menschliche Gemeinschaften. Dawkins erfreulicherweise unter dem Gesichtspunkt, dass wir nicht so leben müssen oder gar sollen, während ich bei Mersch eher eine Agenda sehe (dazu weiter unten mehr).


Mersch überträgt nichts. Er hat eine Theorie aufgestellt, so wie Darwin.

El Schwalmo hat geschrieben: An Mersch habe ich im Bereich der Naturwissenschaften nichts auszusetzen, außer dass sein Ansatz bei weitem nicht die Bedeutung hat, die ihm einige Menschen unter Berufung auf Mersch zuschreiben. Er dreht ein ganz kleines Rädchen im HighEnd-Bereich, in dem er möglicherweise einen Beitrag leisten kann


Nun, immerhin hat er ein neues Weltbild geschaffen. Zum ersten Mal hat einer die Grundprinzipien beschrieben, wie die gesamte uns umgebende biologische Vielfalt (inkl. menschliche Gesellschaften) entstehen konnte.

El Schwalmo hat geschrieben: (einen Artikel bei Philosophia Naturalis einzureichen war durchaus sinnvoll, denn mit Naturwissenschaften hat er ja nichts zu tun, wäre vermutlich noch besser gewesen, eine Veröffentlichung in einer soziologischen Zeitschrift zu versuchen, denn da passt das, was er schreibt, vermutlich am besten hin).


Die Biologie ist keine Naturwissenschaft mehr? Die Melodienevolution bei den neuseeländischen Lappenstaren beschreibt er schlüssiger als Dawkins. Die menschliche Evolution natürlich auch.

El Schwalmo hat geschrieben: 'Nicht allein' ist ein hübscher Euphemismus. Im Gegenteil, er bekämpft sogar derartige Fragen als Holzweg in Richtung Kreationismus. Er argumentiert auf einer höheren Ebene und interessiert sich nicht für die tieferen, kann sein, dass er sie gar nicht für lösbar hält. Das hat aber Konsequenzen.


Er geht davon aus, dass dies die jeweiligen Fachdisziplinen tun. Auch Darwin ist doch damit gut gefahren. Er hat seine Selektionstheorie sogar schon ohne Kenntnisse der Gene formuliert. Man muss bei Evolution nicht in diese Klein-Klein-Ebene gehen, sondern kann sich auf die logischen Grundprinzipien beschränken, wie das Darwin gleichfalls getan hat.

El Schwalmo hat geschrieben: Wenn man unter 'Wissenschaft' die Soziobiologie versteht, könnte er Recht haben. Seine Idee, dass es möglich ist, dass 'Fitness' mehrere Komponenten hat, die dann dazu führen können, dass 'Fitness' im einen Bereich sich negativ auf 'fitness' in einem anderen auswirkt, könnte Sinn machen.


Reproduktionsinteresse ist nicht fitness. Fitness bezieht sich auf den Lebensraum.

El Schwalmo hat geschrieben: Letztendlich ist das natürlich die Frage nach dem Tautologie-Vorwurf, der Darwins 'survival of the fittest' gemacht wird. Wenn Du evolutionstheoretische Arbeiten vergleichst, wirst Du merken, dass es mindestens zwei Richtungen gibt. Eine Richtung räumt diesen Vorwurf ein, erklärt ihn aber für unbedeutend. Andere suchen eine Lösung. Einer der ersten war meines Wissens Stegmüller

Stegmüller, W. (1978) 'Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Band 1. 6. Auflage' Stuttgart, Kröner


(ich kann Dir die Belegstelle heraussuchen, falls es Dich interessiert), der darauf hinwies, dass 'Fitness' zwar als Fortpflanzungserfolg gemessen wird, aber etwas anderes bedeutet (meine Formulierung).


Damit kann auch Mersch leben, schreibt er in seinem Buch auch. Fitness kann man schlecht messen, also versucht man es indirekt über den Fortpflanzungserfolg. Das setzt aber zwingend voraus (ich wiederhole es jetzt leider zum zehnten Mal, und irgendwann bin ich es leid), dass man ein mehr oder weniger fitnessneutrales Reproduktionsinteresse innerhalb der Population annimmt. Beim Menschen ist das definitiv nicht der Fall. Dort kann man deshalb auch Fitness nicht über den Fortpflanzungserfolg messen.

El Schwalmo hat geschrieben: Es ist kein Zufall, dass Evolutionsbiologen von 'Darwin-Fitness' reden und das genau präzisieren.


Nö, sie präzisieren gar nichts. Sie schaffen dadurch eine Tautologie.

El Schwalmo hat geschrieben: Wenn man das genauer überlegt, merkt man, dass das in Richtung 'book-keeping' geht, …


Nein. Darwin-Fitness wird als relativer Fortpflanzungserfolg definiert. Kutschera macht dies in seinem Buch sogar am Beispiel der Kinderzahl von Darwin und Haeckel deutlich. Dies ist aber eindeutig unsinnig.

El Schwalmo hat geschrieben: Was interessiert sind aber die Mechanismen, und genau das ist die Ebene, die Mersch gar nicht interessiert, wohl aber beispielsweise Bauer und natürlich auch die Evolutionsbiologen.


Die Gen-Mechanismen interessieren Mersch genauso wenig wie Darwin sie interessiert haben. Mersch geht es um Evolutionstheorie (wie Darwin) und nicht um die untersten Ebenen der Genmanipulation und Variationserzeugung. Das ist ein kleiner, wichtiger Aspekt der Evolution, hat aber mit der uns umgebenden Welt schon fast nichts mehr zu tun. Dies kommt selbst bei Dawkins klar zum Ausdruck, weshalb dieser die Memetik entwickelte.

El Schwalmo hat geschrieben: Das läuft dann auf die alte Kritik an Darwin hinaus, der den 'survival of the fittest' untersuchte, aber den entscheidenden Punkt, eben den 'arrival of the fittest' nie klären konnte. Die STE war konsequenterweise eine reine Transmissionsgenetik, und man kann zeigen, dass in diesem Weltbild die Entstehung von Neuheiten ein 'Non-Problem' war, denn diese entstehen sozusagen als 'Nebenläufigkeiten'. Kann sein, dass Mersch das genauso sieht, weil ihn diese Frage gar nicht interessiert. Aber schon Goldschmidt plädierte für eine 'physiologische Genetik', die heute im Gewand von EvoDevo durchaus wieder in den Vordergrund rücken könnte.


Das sind sicherlich interessante Spezialaspekte der Evolutionsbiologie. Mit Evolutionstheorie hat das nichts zu tun.

El Schwalmo hat geschrieben: Lange Rede, kurzer Sinn: Mersch kann von seinem Ansatz zu den meiner Meinung nach entscheidenden Fragen der Evolution gar nichts beitragen, und er will es auch nicht. Aber das bedeutet auch, dass sich wohl kaum jemand aus diesem Bereich mit Gewinn mit seinem Ansatz befassen wird.


Mersch beschäftigt sich mit Evolutionstheorie. Hast du das noch immer nicht verstanden. Auch bei den Darwinschen Prinzipien Variation, Selektion, Reproduktion muss ich von EvoDevo, Hox-Genen, springenden Genen etc. nichts verstehen.

El Schwalmo hat geschrieben: Noch ein Beispiel: Mersch schreibt was zur Bedeutung der 'Sexualität' (genauer: Fortpflanzungssystemen). Zur Entstehung der Sexualität kann er so nichts beitragen.


Muss er das? Wäre das nicht die Aufgabe der Evolutionsbiologen? Müsste Mersch auch zur Entstehung des Aktienrechts etwas sagen, wenn er sich zur Evolution der Technik äußert? Oder wäre das nicht eine Frage der Fachdisziplinen?

El Schwalmo hat geschrieben: Gerade ist ein Beitrag zu diesem Thema erschienen

Zimmer, C. (2009) 'On the Origin of Sexual Reproduction' Science 324:1254-1256


Zimmer ist Wissenschaftsjournalist, aber er hat einen sehr guten Ruf, und Science ist kein Provinzblättchen. Schau mal, was Zimmer dort diskutiert, und was in der Evolutionsbiologie zur Entstehung der Sexualitiät diskutiert wird und schau, ob der Ansatz von Mersch (platt formuliert'männliches Geschlecht für die Evolution, weibliches für das Überleben') zu dieser Frage beitragen kann, wenn Du davon ausgehst, dass die ersten sexuellen Formen wohl Isogameten waren, bei denen irgendwelche Partnerwahlen kein Thema waren.


Wird das von irgendjemand bestritten? Es ist und bleibt nur leider eine Tatsache, dass die sexuelle Selektion ein Prinzip ist, was schon Darwin als wesentlich erkannte, und es praktisch gleichbedeutend neben die natürliche Selektion stellte, in einigen Texten sogar darüber. Und da spielt die Partnerwahl keine Rolle???

El Schwalmo hat geschrieben: Eben, und man muss sich fragen, ob das, was Mersch als 'Evolutionstheorie' bezeichnet, irgendwas mit dem zu tun haben könnte, was Menschen wie ich unter 'Evolution' verstehen. 'Veränderung eines Systems im Lauf der Zeit, okay, aber dann evolviert mein Gartenzaun auch, wenn er rostet.


Es interessiert nicht die Bohne, was du unter Evolution verstehst, da du die nicht verstanden hast.

El Schwalmo hat geschrieben: Nun nur noch kurz ein paar Details aus der letzen Mail:

(…)

Man kann durchaus eine Sonderstellung innerhalb der Natur einnehmen, wenn man eine Marginalie der Evolution ist. Anbetrachts der Dauer der Evolution auf diesem Planeten sind die paar Jährchen, die der Mensch seine Sonderstellung auskostet, eher vernachlässigbar.


Nur muss diese Sonderstellung dann ggf. auch in der Evolutionstheorie seinen Ausdruck finden. Die Kin Selection war ja scheinbar auch notwendig, um Insektensozialstaaten erklären zu können, was mit Darwin so einfach nicht ging. Nun gibt es den Menschen, und da müssen wir nun wieder die Evolutionstheorie erweitern.

El Schwalmo hat geschrieben: An seiner Theorie nichts. Aber wenn man aus einer Evolutionstheorie (Sein) ein Sollen (man muss eine Gesellschaft so organisieren, dass die 'fitness' die 'Darwin-Fitness' nicht beeinträchtigt), läuft das auf einen Schluss vom Sein auf das Sollen hinaus.


Das ist in den Naturwissenschaften üblich. Wer ein Raumschiff zum Mars schicken möchte, muss bei den physikalischen Gesetzen vom Sein auf das Sollen schließen. Wer möchte, dass unsere Gesellschaft nicht vollständig geistig degeneriert (wie man das überall feststellen kann), dann muss man die Evolutionsprinzipien ernst nehmen. Falsch war der Sozialdarwinismus, der vom Kampf ums Dasein ausging. Aber auch das hat Mersch klären können.

El Schwalmo hat geschrieben: Diskutiert wird die Frage, ob man mit der Mikroevolution die Makroevolution erklären kann. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es eine ganz Reihe derartiger Begriffspaare, die alle dasselbe besagen, zum ersten Mal übrigens bei Lamarck, der schon vor Darwin die erste Evolutionstheorie aufstellte, die diesen Namen verdiente. Die Selektionstheorie, ob Du nun 'Darwinismus' oder 'STE' dazu sagst, ist zwingend auf eine bestimmte Art der Generation der Variation angewiesen, sonst funktioniert sie nicht. Die Frage ist, ob die Variation diese Anforderungen erfüllt.


Ja, ist ein wunderbares Spezialthema der Evolutionsbiologie. Ist wichtig, sollte gelöst werden. Spielt aber keine Rolle auf dem Abstraktionsniveau, auf dem sich Mersch befindet oder Darwin befand. Oder meinetwegen auch selfish gene.

Diskutiert Mersch die Frage, wie es zu einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis kommt, zu einem Geistesblitz? Nein, er geht davon aus, dass es diese Variationsprozesse irgendwie gibt und dass die Mechanismen möglicherweise nie alle beschreibbar sind. Spielt für seine Theorie aber eine untergeordnete Rolle.

Du machst hier den großen Fehler, dass du Evolution ganz limitiert aus deiner engen Fachbrille aus betrachtest und alle Fragestellungen auf die Fragestellungen deines Fachgebiets reduzierst. Selbst die Soziobiologie, die sich mit Kommunikationen zwischen Lebewesen beschäftigt, ist für dich irrelevant. Damit schließt du dich automatisch als kompetenter Diskussionspartner aus, weil das eine Extremposition ist, die wohl von niemandem sonst geteilt wird, und zudem auch extrem egoistisch ist, weil sie alles, was den Rand deines Suppentellers verlässt, als unwichtig erachtet. Ich halte dies für einen extremen Dogmatismus und somit für unwissenschaftlich.

El Schwalmo hat geschrieben: Man bezeichnet schon den Cro Magnon-Menschen als 'anatomisch modernen Menschen'. Wenn Du von einer Generationsdauer von 20 Jahren ausgehst, siehst Du auf den ersten Blick, dass eine Evolution via Rekombination von Genen wohl kaum das erklären kann, was in den letzten 200 Jahren ablief.


Das wäre dann schon fast wieder Orginaltext Mersch. Nur liegt das ja außerhalb deines Suppentellers, bei dem es um variationserzeugende Genveränderungen geht.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 20:17

smalonius hat geschrieben:Korrelation darf ich auch so schreiben: Fitness ist eine Konstante mal dem Reproduktionsinteresse: f = ke. Oder auch andersrum e = kf.

Eingesetzt in Merschs Formel ergbiet sich für positive Korrelation:

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k > 0

Nachdem k konstant ist, unterscheidet sich diese Aussage nicht wirklich von der herkömmlichen Schreibweise. Immer noch hängt die Zahl der Nachkommen von einer einzigen Variable ab, und nicht von zweien. Wir haben also nichts neues gelernt.

Nimmt man an, Fitness und Reproduktionsinteresse würden negativ korrelieren, landet man bei einem Widerspruch. Dann wäre

w(i) = k*e(i)*e(i) mit k < 0

Was nicht geht, weil w immer null oder positiv ist. Für diesen Fall ist die Definition von Fitness und Reproduktionsinteresse sogar unsinnig.


Ich bin ja mal gespannt, ob noch jemand anderes den Mut besitzt, hierzu etwas zu sagen, oder ob bright mal wieder konform bedeutet ... :lachtot:
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon folgsam » Sa 20. Jun 2009, 20:20

Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild - nicht mehr, nicht weniger.

Unterlasse also deine Provokationen!
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 20:46

El Schwalmo hat geschrieben:An seiner Theorie nichts. Aber wenn man aus einer Evolutionstheorie (Sein) ein Sollen (man muss eine Gesellschaft so organisieren, dass die 'fitness' die 'Darwin-Fitness' nicht beeinträchtigt), läuft das auf einen Schluss vom Sein auf das Sollen hinaus.


Du hast selbst die Price-Gleichung hier ins Spiel gebracht. Von smalonius wurde sie sogar als die universelle Evolutionstheorie hochgelobt.

Und diese Price-Gleichung macht nun leider die Voraussage, dass unter der Voraussetzung einer wesentlichen Erblichkeit des IQs (man nennt heute dabei meist Werte um die 75%) und dem Vorhandensein des Central Theoretical Problems of Human Sociobiology der mittlere IQ einer Bevölkerung von Generation zu Generation sinken wird, was aktuell in praktisch allen Industrienationen beobachtbar ist.

Das wäre vernachlässigbar, wenn nicht IQ auch noch maßgeblich mit Bildung und sozialem Erfolg korrelieren würde.

Man hat hier also eine klare Prognose, die unmittelbar aus der Evolutionstheorie folgt.

Was würdest du vorschlagen, in dem Falle zu tun? Was würdest du vorschlagen, wenn eine andere naturwissenschaftliche Prognose zu dem Ergebnis kommt, in 100 Jahren würde bei unveränderter Lebensweise der Meeresspiegel um 6 Meter ansteigen?

Ist das etwas, wo man nicht vom Sein auf das Sollen schließen kann?

Mersch macht nur eine einzige Aussage: Die oben beschriebenen Effekte (Deevolutionen) können zustande kommen, wenn das Reproduktionsinteresse negativ mit der Fitness korreliert. Er meint deshalb, Gesellschaften seien so zu organisieren, dass dies nicht passieren kann.

Er hat sogar einen Vorschlag unterbreitet, wie man das bei uns sicherstellen könnte. Den kann man verwerfen und einen eigenen unterbreiten. Was man aber meines Erachtens nicht tun sollte, ist, zu behaupten, die aktuelle Entwicklung sei Gott gegeben oder natürlich. Das ist sie nicht. Weiß Gott nicht.
Zuletzt geändert von jackle am Sa 20. Jun 2009, 20:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon jackle » Sa 20. Jun 2009, 20:49

folgsam hat geschrieben:Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild - nicht mehr, nicht weniger.

Unterlasse also deine Provokationen!


Gibt es denn solche Leute hier? Ich habe eher den Eindruck, dass man hier ein naturalistisches Weltbild für einen naturalistischen Fehlschluss hält.
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Re: Ist der Evolutionsglaube eine Religion?

Beitragvon folgsam » Sa 20. Jun 2009, 20:53

Dass du nicht verstehst was ein naturalistischer Fehlschluss ist, das hast du bisher in jedem einzelnen Beitrag in dem du dich damit befasst hast zu genüge gezeigt!

Im Übrigen wird das nicht weiter diskutiert: Benutzt du ein weiteres Mal den Begriff "Bright" in einer Form, die dazu geneigt ist deine Gastgeber hier zu provozieren, wird das Moderatorenteam über weitere Schritte beraten.
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