Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Sa 27. Jun 2009, 10:47

Hallo!

Annahme: A hält nichts von (Welt-)Religionen, Esoterik, Geisterglaube, Okkultismus und anderem Unsinn. Mit dem personalen Gott des Monotheismus kann er absolut nichts anfangen. Den Antichristen hat er gelesen :-). Die Institution "Kirche" ist für ihn ein schädlicher Machtapparat. Überhaupt lehnt er jede Ideologie ab. A ist weiters von den Erfolgen der neuzeitlichen Wissenschaft sehr begeistert. A mag Albert, Popper, Hume u.a.

Aber: A glaubt nicht an eine kausal geschlossene Welt. Anders formuliert: Er glaubt nicht, dass alles in der Welt messbar ist und durch die Naturwissenschaft erklärt werden kann. Es gibt für A Dinge, die sich einer naturalistischen Beschreibung und Erklärung entziehen (Qualia-Problem, Intentionalität etc.). Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, das kann er nicht beantworten (weder widerlegen noch beweisen).

Ist A also ein Antinaturalist? Oder ist er ein gemäßigter, anspruchsvoller Naturalist? Oder ist er, weil er nicht glaubt, dass alles Natur ist, ein Supernaturalist? Und falls er Supernaturalist ist, ist er dann automatisch Theist (was A aber nicht sein will)?

Bitte helft A mal aus dem Begriffsdschungel ...

Maverick
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Aeternitas » Sa 27. Jun 2009, 11:05

Myron kann da bestimmt mehr zu sagen, aber was ich dir schon sagen kann ist das A kein Theist ist, Theist von Theós=Gott
Naturalist oder Supernaturalist, entscheidet sich nicht dadurch ob er glaubt das alles erklärbar ist sondern ob er annimmt das es übernatürlich Kräfte gibt.
Afaik ist aber der glaube die Welt wäre nicht kausal geschlossen ein recht guter Indikator dafür das er wohl eher ein Super ist.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Sa 27. Jun 2009, 11:26

Aber muss ein Antinaturalist zwangsläufig ein Supernaturalist sein? Nur weil A glaubt, dass die Welt kausal nicht geschlossen ist (bzw. es sein könnte, dass die Welt nicht kausal geschlossen ist), ist er dann schon automatisch Supernaturalist und glaubt an Dämonen, Geister etc.?

Anders formuliert: Muss ein Naturalist an die kausale Geschlossenheit der Welt glauben oder nicht?

PS: Mit kausaler Geschlossenheit meine ich, dass jedes Ereignis eine (natürliche) Ursache haben muss. Wenn ich z.B. an den nicht von Naturgesetzen bestimmten, freien Willen glaube, dann muss ich die kausale Geschlossenheit ablehnen.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Aeternitas » Sa 27. Jun 2009, 12:00

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Wenn ich z.B. an den nicht von Naturgesetzen bestimmten, freien Willen glaube, dann muss ich die kausale Geschlossenheit ablehnen.


Wenn du Substanz Dualist bist bist du ein Super, Super heißt ja nicht das man automatisch an Dämonen, Geister, etc. glaubt.
Es bedeutet lediglich das man davon ausgeht das es Dinge gibt die nicht Natürlich sind also Übernatürlich.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Sa 27. Jun 2009, 15:59

Entscheidend ist damit wohl, wie man den Supernaturalismus definiert. Supernaturalismus wird doch immer mit Theismus gleichgesetzt, oder täusche ich mich da?

Vgl. C.S. Lewis: Supernaturalist zu sein bedeutet, ...

daß die Dinge in zwei Klassen fallen. In der ersten Klasse finden wir entweder Dinge oder (wahrscheinlicher) Ein Ding, das zugrunde liegt und ursprünglich ist, das von sich selbst aus existiert. In der zweiten finden wir Dinge, die sich bloß von jenem Einen Ding herleiten. Das eine fundamentale Ding hat alle anderen Dinge verursacht. Es existiert von selbst; die anderen sind da, weil es da ist. Sie werden aufhören zu sein, wenn es jemals aufhört, sie in Existenz zu halten; sie werden sich verändern, wenn es sie ändern sollte. (Lewis 1947, Wunder, 18)


Für Lewis gilt also: SN = Theismus

Bleibt die Frage offen: Ist jemand, der nicht an das closure principle glaubt, automatisch ein Supernaturalist? Oder ist er ein gemäßigter Naturalist? Oder ist er Antinaturalist? Oder ist er schon Supernaturalist? :irre:
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Twilight » Sa 27. Jun 2009, 17:11

Ich bezweifle, dass Supernaturalismus mit dem Glauben an Schöpfergötter gleichgesetzt werden kann. Theismus ist nur eine Untermenge des Supernaturalismus'. Wie nennt man es also, wenn Götter aus- aber andere nicht-materielle Entitäten und Kräfte (also Geister, Seelen, Magie o.ä.) eingeschlossen werden? Antimaterialismus vielleicht?
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » Sa 27. Jun 2009, 21:31

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Aber: A glaubt nicht an eine kausal geschlossene Welt. Anders formuliert: Er glaubt nicht, dass alles in der Welt messbar ist und durch die Naturwissenschaft erklärt werden kann. Es gibt für A Dinge, die sich einer naturalistischen Beschreibung und Erklärung entziehen (Qualia-Problem, Intentionalität etc.). Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, das kann er nicht beantworten (weder widerlegen noch beweisen).
Ist A also ein Antinaturalist? Oder ist er ein gemäßigter, anspruchsvoller Naturalist? Oder ist er, weil er nicht glaubt, dass alles Natur ist, ein Supernaturalist? Und falls er Supernaturalist ist, ist er dann automatisch Theist (was A aber nicht sein will)?
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Zunächst zum Prinzip der kausalen Geschlossenheit, wie es sich in der Fachliteratur findet:

"[There is] the principle that the physical world constitutes a causally closed domain. For our purposes we may state it as follows:

The causal closure of the physical domain. If a physical event has a cause at t, then it has a physical cause at t.

There is also an explanatory analogue of this principle (but we will make no explicit use of it here): If a physical event has a causal explanation (in terms of an event occurring at t), it has a physical causal explanation (in terms of a physical event at t). According to this principle, physics is causally and explanatorily self-sufficient: there is no need to go outside the physical domain to find a cause, or a causal explanation, of a physical event. It is plain that physical causal closure is entirely consistent with mind-body dualism and does not beg the question against dualism as such; it does not say that physical events and entities are all that there are in this world, or that physical causation is all the causation that there is. As far as physical closure goes, there may be well be entities and events outside the physical domain, and causal relations might hold between these nonphysical items. There could even be sciences that investigate these nonphysical things and events. Physical causal closure, therefore, does not rule out mind-body dualism—in fact, not even substance dualism; for all it cares, there might be immaterial souls outside the spacetime physical world. If there were such things, the only constraint that the closure principle lays down is that they not causally meddle with physical events—that is, there can be no causal influences injected into the physical domain from outside. Descartes's interactionist dualism, therefore, is precluded by physical causal closure; however, Leibniz's doctrine of preestablished harmony and mind-body parallelism, like Spinoza's double-aspect theory, are perfectly consistent with it. Notice that neither the mental nor the biological domain is causally closed; there are mental and biological events whose causes are not themselves mental or biological events. A trauma to the head can cause the loss of consciousness and exposure to intense radiation can cause cells to mutate.
Moreover, physical causal closure does not by itself exclude nonphysical causes, or causal explanations, of physical events. As we will see, however, such causes and explanations could be ruled out when an exclusion principle like the following is adopted:

Principle of causal exclusion. If an event e has a sufficient cause c at t, no event at t distinct from c can be a cause of e (unless this is a genuine case of causal overdetermination)."

———
"Es gibt das Prinzip, dass die physische Welt einen kausal geschlossenen Bereich bildet. Für unsere Zwecke können wir es wie folgt formulieren:

Die kausale Geschlossenheit des physischen Bereichs. Wenn ein physisches Ereignis zum Zeitpunkt t eine Ursache hat, dann hat es zu t eine physische Ursache.

Es gibt auch ein entsprechendes Erklärungsprinzip (wovon wir hier aber keinen ausdrücklichen Gebrauch machen werden): Wenn ein physisches Ereignis eine kausale Erklärung hat (bezogen auf ein zu t vorkommendes Ereignis), dann hat es eine physikalische Ursachenerklärung (bezogen auf ein physisches Ereignis zu t). Diesem Prinzip zufolge ist die Physik im Hinblick auf Ursachen und Erklärungen selbstgenügsam: Es ist nicht erforderlich, den physischen Bereich zu verlassen, um eine Ursache oder eine Ursachenerklärung eines physischen Ereignisses zu finden. Es ist klar, dass das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen [PKGP] mit dem Geist-Körper-Dualismus gänzlich vereinbar ist und gegenüber dem Dualismus als solchem keine 'petitio principii' darstellt; es besagt nicht, dass physische Ereignisse und Entitäten alles sind, was es in dieser Welt gibt, oder dass es keine andere Art von Verursachung gibt als physische Verursachung. Was das PKGP angeht, so könnte es sein, dass es außerhalb des physischen Bereichs Entitäten und Ereignisse gibt, und dass zwischen diesen nichtphysischen Sachen kausale Beziehungen bestehen. Es könnte sogar Wissenschaften geben, die diese nichtphysischen Dinge und Ereignisse erforschen. Das PKGP schließt den Geist-Körper-Dualismus folglich nicht aus—ja nicht einmal den Substanzdualismus; denn es ist nicht gegen die Möglichkeit der Existenz immaterieller Seelen außerhalb der physischen Raumzeitwelt gerichtet. Wenn es solche Dinge gäbe, dann besteht die einzige Einschränkung, die das Geschlossenheitsprinzip festlegt, darin, dass sie sich nicht kausal in physische Ereignisse einmischen—das heißt, es kann keine kausalen Einflüsse geben, die von außen in den physischen Bereich eindringen. Der interaktionistische Dualismus Descartes' wird demnach vom PKGP ausgeschlossen. Dagegen ist Leibniz' Lehre von der prästabilierten Harmonie und dem Geist-Körper-Parallelismus, genauso wie Spinozas Doppelaspekt-Theorie, damit problemlos vereinbar. Man beachte, dass weder der psychische noch der biotische Bereich kausal geschlossen sind. Es gibt psychische und biotische Ereignisse, deren Ursachen nicht selbst psychische oder biotische Ereignisse sind. Ein Kopftrauma kann eine Ohnmacht auslösen und Zellen können mutieren, wenn sie starker Strahlung ausgesetzt sind.
Überdies schließt das PKGP nicht per se nichtphysische Ursachen oder Ursachenerklärungen physischer Ereignisse aus. Wie wir allerdings sehen werden, können solche Ursachen und Erklärungen durch das Annehmen eines Ausschlussprinzips wie dem folgenden ausgeschlossen werden:

Prinzip des kausalen Ausschlusses. Wenn ein Ereignis e zu t eine hinreichende Ursache c hat, dann kann zu t kein von c verschiedenes Ereignis eine Ursache von e sein (es sei denn, es handelt sich um einen echten Fall kausaler Überbestimmung)."
[© meine Übers.]

(Kim, Jaegwon. Physicalism or Something Near Enough. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2005. p. 15-7)

(Ein typisches Beispiel einer echten kausalen Überbestimmung: Ein Soldat wird im Krieg gleichzeitig von zwei Kugeln getroffen und getötet, wobei bereits eine der beiden Kugeln ausgereicht hätte, um ihn zu töten.)

Wie du siehst, ist das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen an sich gar nicht reduktionistisch im ontologischen Sinn. Kausaler Reduktionismus ist nicht gleich ontologischer Reduktionismus!
Was ersteren betrifft, so erhalten wir erst durch die Kombination mit dem Ausschlussprinzip ein "totalitäres" Geschlossenheitsprinzip, welches die innerraumzeitliche Wirksamkeit nichtphysischer, insbesondere rein psychischer Dinge und Eigenschaften verneint. Das dazu erforderliche, zusätzliche Ausschlusskriterium lässt sich übrigens ganz einfach in das PKGP einbauen:

(PKGP*) Die kausale Geschlossenheit des physischen Bereichs. Wenn ein physisches Ereignis zum Zeitpunkt t eine Ursache hat, dann hat es zu t ausschließlich eine physische Ursache.

Man beachte aber, dass selbst damit physikalisch irreduzible Dinge (Seelen, Geister) und Eigenschaften noch nicht ontologisch ausgeschlossen sind! Das Prinzip besagt nur, dass wenn es solche Sachen gäbe, sie keinerlei kausalen Einfluss auf das Naturgeschehen ausübten bzw. ausüben könnten.
Ich denke, es ist hinreichend klar, dass der Substanzdualismus keine Position ist, die ein Naturalist akzeptieren kann, sodass er höchstens den Eigenschaftsdualismus vertreten kann. Der bekannteste Verfechter eines naturalistischen Eigenschaftsdualismus ist David Chalmers, für den Qualia nichtphysische und physikalisch irreduzible, aber nichtsdestoweniger völlig natürliche Phänomene sind.
Der Glaube an die Existenz nichtphysischer Qualia ist mit dem Naturalismus durchaus vereinbar. Heikel wird es jedoch, sobald es um die Frage der kausalen Relevanz von Qualia beziehungsweise von psychischen Phänomenen im Allgemeinen geht. Wer das PKGP anerkennt, aber das Ausschlussprinzip ablehnt, der kann behaupten, dass manche physischen Ereignisse sowohl eine physische als auch eine rein psychische Ursache haben.
Diese Lehre von den Doppelursachen, d.h. von einer systematischen kausalen Überbestimmung physischer Ereignisse, wird jedoch von fast allen naturalistischen Philosophen entschieden abgelehnt.
Es scheint, dass das strenge PKGP eine notwendige Bedingung fürs Naturalistsein ist, sodass man als Naturalist letztendlich mit der folgenden Alternative konfrontiert ist:

1. Psychische Phänomene (Qualia) existieren und sie sind kausal relevant, weil sie ontologisch auf physische Phänomene reduzierbar sind.

2. Psychische Phänomene (Qualia) existieren und sie sind kausal irrelevant, weil sie ontologisch nicht auf physische Phänomene reduzierbar sind.

Kurzum: Entweder Reduktionismus plus Antiepiphänomenalismus oder Antireduktionismus plus Epiphänomenalismus!

Der nichtreduktionistische Physikalismus wollte beides haben: Antireduktionismus plus Antiepiphänomenalismus; aber der Versuch, die kausale Effektivität des Psychischen als Psychischem zu retten, muss wohl als gescheitert betrachtet werden. Ich will aber nicht verschweigen, dass es immer noch einige Philosophen gibt, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. (Aber selbst David Chalmers muss nolens volens einräumen, dass sein naturalistischer Dualismus wohl auf den epiphänomenalistischen Antireduktionismus hinausläuft.)

Links:

viewtopic.php?p=45634#p45634

http://plato.stanford.edu/entries/mental-causation
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » Sa 27. Jun 2009, 23:02

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Aber: A glaubt nicht an eine kausal geschlossene Welt. Anders formuliert: Er glaubt nicht, dass alles in der Welt messbar ist und durch die Naturwissenschaft erklärt werden kann. Es gibt für A Dinge, die sich einer naturalistischen Beschreibung und Erklärung entziehen (Qualia-Problem, Intentionalität etc.).


1. Als Naturalist muss man nicht glauben, dass sich alle philosophischen und wissenschaftlichen Fragestellungen allein mittels naturwissenschaftlicher Begriffe ausdrücken und behandeln lassen. Das heißt, man muss kein Befürworter einer totalen Vernaturwissenschaftlichung der Philosophie und der Sozialwissenschaften sein. Als Naturalist kann man einen Begriffspluralismus gutheißen.

2. Als Naturalist muss man nicht glauben, dass alle sozialwissenschaftlichen (soziologischen, psychologischen, ökonomischen, historischen) Erklärungen bloße Scheinerklärungen sind.
Es gibt in diesem Zusammenhang allerdings sehr wohl eine Reihe grundlegender wissenschaftstheoretischer Probleme, z.B. die Frage, inwieweit Gründe fürs Handeln als wirkliche Ursachen des Handelns gelten können, und vor allem die allgemeine Frage nach der ursächlichen Wirksamkeit psychischer Phänomene.
Man darf sich als Naturalist auf jeden Fall nicht einbilden, dass die psycho-soziale Wirklichkeit von der physischen Wirklichkeit kausal und ontisch unabhängig ist. Wer an eine "freischwebende" hyperphysische Kausalität glaubt, der kann sicher nicht mehr als Naturalist gelten.

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, das kann er nicht beantworten (weder widerlegen noch beweisen).


Man kann sich bei dieser Frage zwar agnostisch verhalten, aber eigentlich gibt es für einen Naturalisten keinen vernünftigen Grund, sie nicht eindeutig zu verneinen.
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » Sa 27. Jun 2009, 23:26

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Ist A also ein Antinaturalist? Oder ist er ein gemäßigter, anspruchsvoller Naturalist? Oder ist er, weil er nicht glaubt, dass alles Natur ist, ein Supernaturalist? Und falls er Supernaturalist ist, ist er dann automatisch Theist (was A aber nicht sein will)?


Das Gegenteil des Naturalismus ist der Nonnaturalismus (Antinaturalismus).
Aber wenn man begrifflich zwischen Nonnaturalismus (Antinaturalismus) und Supernaturalismus unterscheidet, dann ist Nonnaturalismus nicht gleich Supernaturalismus. Entsprechend würde ich einen Platonisten, d.i. jemand der an die Realität abstrakter Entitäten glaubt, lieber als Nonnaturalisten denn als Supernaturalisten bezeichnen.
Einfach ausgedrückt:

1. Naturalismus: Alles ist natürlich.

2. Nonnaturalismus (Antinaturalismus): Nicht alles ist natürlich.

3. Supernaturalismus: Nicht alles ist natürlich, und einiges Nichtnatürliche ist wirkungsfähig, d.h. imstande, einen ursächlichen Einfluss auf das natürliche oder nichtnatürliche Weltgeschehen auszuüben.

Abstrakte Entitäten wie Zahlen oder Mengen sind dementsprechend zwar nichtnatürlich, aber nicht übernatürlich, weil es sich dabei nicht um Agentia (Agenzien), d.h. um aktiv-effektive Entitäten, handelt.
Übernatürlich sind also spirituelle Substanzen (Seelen, Geister) und spirituelle Attribute, die ihren materiellen oder immateriellen Besitzern rein spirituelle, d.i. hyperphysische, Kräfte verleihen.
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 01:59

Myron hat geschrieben:2. Als Naturalist muss man nicht glauben, dass alle sozialwissenschaftlichen (soziologischen, psychologischen, ökonomischen, historischen) Erklärungen bloße Scheinerklärungen sind.
Es gibt in diesem Zusammenhang allerdings sehr wohl eine Reihe grundlegender wissenschaftstheoretischer Probleme, z.B. die Frage, inwieweit Gründe fürs Handeln als wirkliche Ursachen des Handelns gelten können, und vor allem die allgemeine Frage nach der ursächlichen Wirksamkeit psychischer Phänomene.
Man darf sich als Naturalist auf jeden Fall nicht einbilden, dass die psycho-soziale Wirklichkeit von der physischen Wirklichkeit kausal und ontisch unabhängig ist. Wer an eine "freischwebende" hyperphysische Kausalität glaubt, der kann sicher nicht mehr als Naturalist gelten.


Ein wichtiger Punkt: Explanatorische Irreduzibilität ist nicht gleich ontologische Irreduzibilität!
Das heißt, daraus, dass sich sozialwissenschaftliche Erklärungen nicht auf naturwissenschaftliche Erklärungen reduzieren lassen, folgt nicht, dass diejenigen Gegenstände, Eigenschaften und Beziehungen, wovon die sozialwissenschaftlichen Erklärungen handeln, ontologisch irreduzible Entitäten sind.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:31

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Anders formuliert: Muss ein Naturalist an die kausale Geschlossenheit der Welt glauben oder nicht?


"The causal/explanatory closure of the spacetime world: the cause of any entity or event in the spacetime world is itself within the spacetime world: there is no causal intervention from outside the spacetime world. An no explanation of an event in the spacetime world need invoke any phenomenon or agency outside the spacetime world."
———
"Die kausale/explanatorische Geschlossenheit der Raumzeitwelt: Die Ursache jedes Gegenstandes und jedes Ereignisses in der Raumzeitwelt befindet sich selbst innerhalb der Raumzeitwelt: Es gibt keine kausalen Eingriffe von außerhalb der Raumzeitwelt. Und keine Erklärung eines Ereignisses in der Raumzeitwelt muss irgendein Phänomen oder Agens ins Spiel bringen, das sich nicht innerhalb der Raumzeitwelt befindet." [© meine Übers.]

(Kim, Jaegwon. "The American Origins of Philosophical Naturalism." Journal of Philosophical Research, the APA Centennial Volume (2003): 83-98. p. 91. <http://www.pdcnet.org/pdf/7Kim.pdf>.)

Dieses Geschlossenheitsprinzip ist von jedem Naturalisten zu akzeptieren, wenngleich es noch sehr schwach ist, weil es u.a. mit dem Deismus vereinbar ist.
Ich denke, der Glaube an die Nichtexistenz immaterieller/nichtphysischer Agenzien (Seelen, Geister, Geisteskräfte) ist eine notwendige Bedingung fürs Naturalistsein. Daraus ergibt sich dann unmittelbar die Annahme des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:39

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Aber muss ein Antinaturalist zwangsläufig ein Supernaturalist sein? Nur weil A glaubt, dass die Welt kausal nicht geschlossen ist (bzw. es sein könnte, dass die Welt nicht kausal geschlossen ist), ist er dann schon automatisch Supernaturalist und glaubt an Dämonen, Geister etc.?


Das physische Universum ist selbst dann nicht in sich kausal geschlossen, wenn es keine nichtphysischen Substanzen (Seelen, Geister), aber dafür nichtphysische Formen von Energie oder nichtphysische Attribute gibt, die ihren physischen Trägern hyperphysische Kräfte verleihen, vermöge deren sie das physische Weltgeschehen beeinflussen können.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:44

Aeternitas hat geschrieben:Wenn du Substanz Dualist bist bist du ein Super, Super heißt ja nicht das man automatisch an Dämonen, Geister, etc. glaubt.
Es bedeutet lediglich das man davon ausgeht das es Dinge gibt die nicht Natürlich sind also Übernatürlich.


Der Supernaturalismus besteht im Wesentlichen im Glauben an hyperphysische Agenzien, wie sie vom Substanz- und Energiedualismus postuliert werden.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:47

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Für Lewis gilt also: SN = Theismus


Diese Gleichsetzung ist falsch!
Alle Theisten sind Supernaturalisten, aber nicht alle Supernaturalisten sind Theisten.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:48

Twilight hat geschrieben:Ich bezweifle, dass Supernaturalismus mit dem Glauben an Schöpfergötter gleichgesetzt werden kann. Theismus ist nur eine Untermenge des Supernaturalismus'. Wie nennt man es also, wenn Götter aus- aber andere nicht-materielle Entitäten und Kräfte (also Geister, Seelen, Magie o.ä.) eingeschlossen werden? Antimaterialismus vielleicht?


Ein nichttheistischer Spiritualismus ist durchaus möglich.
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Myron » So 28. Jun 2009, 04:49

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Entscheidend ist damit wohl, wie man den Supernaturalismus definiert.


Das ist die 1.000.000€-Frage!
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Re: Ist A Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Twilight » So 28. Jun 2009, 07:57

Myron hat geschrieben:Spiritualismus

DAS Wort habe ich gesucht! :up:
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Mo 29. Jun 2009, 08:18

Hallo Myron!

Danke für deine informative Stellungnahme. Ich habe noch eine kurze Verständnisfrage. Du schreibst:

1. Naturalismus: Alles ist natürlich.

2. Nonnaturalismus (Antinaturalismus): Nicht alles ist natürlich.

3. Supernaturalismus: Nicht alles ist natürlich, und einiges Nichtnatürliche ist wirkungsfähig, d.h. imstande, einen ursächlichen Einfluss auf das natürliche oder nichtnatürliche Weltgeschehen auszuüben.


Für den Antinaturalisten ist nicht alles natürlich (= kontradiktorisch zum Naturalisten). Vom Supernaturalisten unterscheidet ihn, dass er nicht an wirkungsfähige übernatürliche Entitäten glaubt. Wie hält es der Antinaturalist dann aber mit dem Übernatürlichen? Kann man sagen: "Für den Antinaturalisten gibt es Übernatürliches. Dieses Übernatürliche hat für ihn aber keinen kausalen Einfluss auf das Natürliche (also unsere Welt)"? Das Konzept der Agenskausalität würde der Antinaturalist deshalb ablehnen, oder wie?
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon HF******* » Mo 29. Jun 2009, 13:14

Maverik hat geschrieben:…Nur weil A glaubt, dass die Welt kausal nicht geschlossen ist …

Es gibt zahlreiche Indeterministen, die sich dennoch als Naturalisten bezeichnen. Sie berufen sich hierbei meistens auf einzelne Wissenschaftler. Es gab hierzu auch eine Umfrage mit geringer Beteiligung, die etwas provokant gemeint war, aber anscheinend nicht so ankam:

Meiner Meinung nach sollte man Menschen, die grundsätzlich eine naturalistische Herangehensweise haben, die aber Einzelpunkte vielleicht einfach nicht richtig durchdacht haben, nicht gleich vom Begriff des Naturalismus ausschließen.

Anders ist das, wenn jemand die grundsätzliche Erklärbarkeit der Welt anzweifelt. Gemeint ist nicht die faktische Erklärbarkeit durch den Menschen, das wissen wir auch, dass man faktisch nicht alles erklären kann, sondern die grundsätzliche Unerklärbarkeit als objektive Beschaffenheit der Welt. Ein solcher Agnostizismus hinsichtlich des Naturalismus wäre dann hinsichtlich des Supernaturalismus komplett offen. (Super = Über, der Supernaturalismus als Weltbild enthält Übernatürliches).
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Re: Naturalist, Antinaturalist oder Supernaturalist?

Beitragvon Aeternitas » Mo 29. Jun 2009, 13:27

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Das Konzept der Agenskausalität würde der Antinaturalist deshalb ablehnen, oder wie?


Ja, denn afaik nimmt sie Einfluss auf die "natürliche" Wirklichkeit, ist also wirkungsfähig, ist aber selbst nicht Natürlich.

Nonnaturalist und Nonnaturalist geht nur wenn die nicht natürlichen Elemente keine, wie Myron sie nennt aktiv-effektive Entitäten sind.
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