Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Gernot Back » Sa 17. Okt 2009, 08:39

Hallo Mark!

Mark hat geschrieben:imho hat der Mensch den grössten Schritt weg vom "Tier" getan als er das Zeitalter der Aufklärung begonnen hat (und das ist ja wohl hoffentlich noch nicht vorrüber)
Ökonomisch ging es ja auch erst dann steil bergauf, als die Menschenrechte geschmiedet wurden. Unveräusserliche Grundrechte sind das A und O für eine florierende Gesellschaft !


Ich reagiere etwas spät auf deine Antwort, der ich inhaltlich voll zustimme. Die interessante Frage, die ich dabei durchaus überdenkenswert fände, ist: Wohin geht die Reise noch?
Was passiert, wenn wir auch nicht-menschlichen Individuen Grundrechte zubilligen? Machen wir dann auch einen Quantensprung zum allseitigen Nutzen der gesamten (ich nenne es jetzt mal altmodisch, aber alle wissen ja dass ich so etwas nur im übertragenen Sinne meine:) Schöpfung?

Immerhin ist Deutschland als erstes Land der EU den Schritt gegangen, den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu definieren.

Sollte es, wenn wir von Grundrechten für Lebewesen allgemein sprechen, nicht aber doch auch Prioritäten (Privilegien) geben, je nachdem, welcher Gattung man angehört?
Andererseits: Warum sollte es ausgerechnet von der Spezies abhängen, ob ein Grundrecht (etwa das Recht auf Leben) bei einem Individuum höher zu bewerten ist als bei einem Individuum, das einer anderen Gattung angehört?
Sollte es nicht stattdessen nach Intelligenz gehen? Was ist dann mit geistig behinderten Menschen, hätten die dann nicht geringer zu bewertende Rechte als manch ein intelligentes Tier?

Dürfen wir solche Fragen überhaupt auch nur denken? Wo kommen wir denn da hin?

Ist das nicht der eigentliche der Grund, warum sich so viele Menschen gegen den Gedanken sträuben, sie könnten nichts weiter als eine Spezies unter vielen und nicht die Krönung der Schöpfung sein?

Gruß Gernot
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Atanar » Mo 19. Okt 2009, 20:56

Ich denke man sollte bei diesem Problem nicht erst über das "ob" und "wie" diskutieren wenn man nicht das "warum" geklärt hat.
Was gibt es also für Gründe anderen Arten Rechte zuzugestehen?
Weil es einen Nutzen hat bestimmt nicht. Ich habe keinen materiellen Vorteil davon wenn man Legebatterien für Unrechtmäßig erklärt.
Ich denke das ernstzunehmendste Argument ist jedoch, das Tiere, da sie uns gleichen und ebenso Schmerz empfinden können, auch geschützt werden müssten.
Ich persönlich lehne dies ab, da sämtliche Rechtsgrundlagen aufgrund von markanten Eigenschaften erarbeitet werden konnten, die uns gerade "menschlich"macht. "Tierrechten" fehlt dieser elementare Bestandteil. Auch macht es keine Sinn jemandem Rechte einzugestehen die dieser nie begreifen kann, die also nur eine Privelegierung sind. Gleichheitsprinziepien beruhen auf einen gleichmäßigem Anspruch, man kann also Pottwahlen nicht die gleichwertige Gesundheitsversorgung anbieten wie Eintagsfliegen. Außerdem wirft die Problematik der "Tierrechte" die Frage nach der praktischen Überprüfbarkeit auf. So weit ich weiß kann man nicht nachprüfen ob eine Mücke einen Menschen misshandelt hat etc. Der Ausweg, nur "bestimmte" Tiere in ein Rechtssystem einzubinden, wiederspricht dem Rechtsbegriff in sich.
Privilegien, besonders für den Artenschutz, kann ich allerdings beführworten, da es in meinem Interesse liegt.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Twilight » Di 20. Okt 2009, 05:03

Atanar hat geschrieben:Was gibt es also für Gründe anderen Arten Rechte zuzugestehen?
Weil es einen Nutzen hat bestimmt nicht. Ich habe keinen materiellen Vorteil davon wenn man Legebatterien für Unrechtmäßig erklärt.

Es hat einen Nutzen, aber keinen materiellen: Der Mensch verfügt seit Jahrmillionen über die Fähigkeit, sich in Artgenossen hineinzuversetzen, also im begrenzten Maße zu fühlen, was die anderen fühlen und zu erahnen, was die anderen denken. Nur dank der dafür verantwortlichen Spiegelneuronen konnten sich starke soziale Netzwerke bilden, die zur heutigen Dominanz auf diesem Planeten führten.
Aber wie so viele Ergebnisse der Evolution ist auch diese Fähigkeit nicht perfekt. Viele Menschen "können" nämlich auch Mitgefühl mit anderen Spezies empfinden. Ein solcher Mensch, der Hühner in Legebatterien sieht, fühlt sich schlecht. Wenn er dann aber Freiland- oder gar Ökohaltung unterstützt fühlt er sich besser. Das ist der Nutzen.
(Nur so eine Theorie von mir, auf die Schnelle zusammengeschustert.)
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » Mi 21. Okt 2009, 14:44

Atanar hat geschrieben:Was gibt es also für Gründe anderen Arten Rechte zuzugestehen?

Mir stellt sich die Frage ob es richtig ist, ihnen willkürlich keine Rechte zu geben. Meiner Meinung nach liegt die 'Beweislast' dafür, dass es moralisch richtig ist anderen Arten keine zu geben, bei den Speziesisten.

Atanar hat geschrieben:Ich habe keinen materiellen Vorteil davon wenn man Legebatterien für Unrechtmäßig erklärt.

Ich habe keinen materiellen Vorteil davon Franzosen nicht als Arbeitssklaven zu halten.

Atanar hat geschrieben:Ich denke das ernstzunehmendste Argument ist jedoch, das Tiere, da sie uns gleichen und ebenso Schmerz empfinden können, auch geschützt werden müssten.

Ernstzunehmende Argumente findest du auch in "Die Frage nach den Tieren" von Paola Cavalieri. Habe leider keine Zeit das ganze Buch abzutippen. ;)

Atanar hat geschrieben:Ich persönlich lehne dies ab, da sämtliche Rechtsgrundlagen aufgrund von markanten Eigenschaften erarbeitet werden konnten, die uns gerade "menschlich"macht. "Tierrechten" fehlt dieser elementare Bestandteil.

Was macht uns menschlich und inwiefern ist genau das ausschlaggebend bezüglich der Bestimmung der moralischen Relevanz?

Atanar hat geschrieben:Auch macht es keine Sinn jemandem Rechte einzugestehen die dieser nie begreifen kann, die also nur eine Privelegierung sind.

Grenzfallargument: Gilt das auch für kleine Kinder und geistig Behinderte?

Atanar hat geschrieben:Gleichheitsprinziepien beruhen auf einen gleichmäßigem Anspruch, man kann also Pottwahlen nicht die gleichwertige Gesundheitsversorgung anbieten wie Eintagsfliegen.

Fordert auch niemand. Das Gleichheitsprinzip fordert nur die gleiche Berücksichtigung von gleichen Interessen, dazu müssen diese natürlich erstmal vorhanden sein.

Atanar hat geschrieben:Der Ausweg, nur "bestimmte" Tiere in ein Rechtssystem einzubinden, wiederspricht dem Rechtsbegriff in sich.

Fällt dir was auf?

Hint: Der Mensch ist auch ein Tier. ;)
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon spacetime » Do 22. Okt 2009, 00:02

Der Mensch ist das einzige Tier, welches sich anmaßt, anderen Tieren Rechte zu geben oder ihnen vorzuenthalten. Er ist so intelligent, dass Rechte nicht mehr nur auf intuitiver Ebene ausgedrückt werden, sondern sogar auf rationaler Ebene festgehalten (z.B. Menschenrechte etc.) werden können. Damit macht diese Tierart den Schritt, den noch keine andere Tierart vor ihr gemacht hat. Die Ausdrucks- und Eindrucksform des Menschen ist ein digital verschlüsseltes Signal, welches auch Sprache oder allg. Logos genannt wird... Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass der Mensch demnach kein Recht hätte, Rechte auf andere Tierarten zu übertragen, wenn diese es nicht auf alogische Kommunikationsarten fordern oder ihr Einverständnis erklären. Da dies als unmöglich gilt, ist der Mensch in der Ausnahmeposition, für alle Tierarten vertretend, das Wort zu ergreifen. Es liegt also bei uns, auf welche Weise wir die Interessen anderer Tierarten in die Sprache der Vernunft transkriptieren und daraus ein artenübergreifendes Rechtssystem schaffen. Gleichzeitig ist aber klar, dass hier niemals Nutzen und Kosten in einem realistischen Verhältnis stehen würden. Die eigene Art muss immer (selbst wenn dies evolutionäre Ursachen hat) an erster Stelle stehen, was eine Gleichberechtigung der Arten meines Erachtens von vornherein ausschließt.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Nanna » Do 22. Okt 2009, 00:35

Eine Gleichberechtigung halte ich auch für unnötig, utopisch und inkonsequent. Dass die eigene Art vorgehen muss ergibt sich ja schon aus den Gegebenheiten der Evolution. Ich denke aber, solange wir es uns leisten können, Leid in der Welt zu reduzieren, sollten wir das auch tun.

Vielleicht sollte man eher so herum überlegen: Wir können schon rein praktisch Tieren keine garantierten Rechte auf körperliche Unversehrtheit geben. Das ist praktisch unmachbar und würde das ökologische System völlig zerstören. Was aber gibt uns das Recht, Tiere grausam zu behandeln und zu töten? Die Frage ist also nicht, haben Tiere ein von uns verliehenes Recht auf Leben, sondern haben wir, die Menschen, überhaupt das Recht Tiere zu töten? Wenn die Frage mit Nein beantwortet wird, können wir die Tierwelt in Ruhe und sich selbst überlassen, ohne einem, wie manche es sehen, rechtsunfähigen Wesen ein Recht zugestehen zu müssen. Nicht das Tier erhält ein Recht, sondern uns wird ein vermeintliches Recht aberkannt - selber Effekt.

Man kann meiner Meinung nach das Töten eines Lebewesens, zumindest eines neuronal höherentwickelten, aufgrund der Schwere der Handlung nur durch die Notwendigkeit für das eigene Überleben rechtfertigen. Das war bis vor einigen Jahrhunderten oftmals der Fall und ist es in Teilen der Welt vielleicht auch noch, in den Industriestaaten aber definitiv nicht. Im Gegenteil, die Viehwirtschaft ist ressourcenverschwenderisch und schädigt damit auch Menschen direkt! Tiere töten zum Zweck des Überlebens ja, wenn es für die Gesundheit unausweichlich wäre auch ja, zum Zweck des Luxus allein aber nein. Genau das dürfte aber in mehr als 95% des westlichen Fleischkonsums der Fall sein.

Ich würde zwei Maximen vorschlagen:
1. Wir müssen immer so ethisch sein, wie möglich. Wenn wir uns in einer historischen Situation auch das Schonen von Tieren erlauben können, das müssen wir es tun, weil für das Töten keine Notwendigkeit besteht.
2. Ein Lebenwesen ist umso schützenswerter, je höher sein neuronales System entwickelt ist, es sollte also eine graduelle Abstufung vorgenommen werden.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon ujmp » Do 22. Okt 2009, 07:56

Nanna hat geschrieben: Was aber gibt uns das Recht, Tiere grausam zu behandeln und zu töten? Die Frage ist also nicht, haben Tiere ein von uns verliehenes Recht auf Leben, sondern haben wir, die Menschen, überhaupt das Recht Tiere zu töten? [...] Wir müssen immer so ethisch sein, wie möglich.


Es ist keine Frage des Rechtes, sondern des Geschmackes. Wir müssen gar nichts (ansonsten läuft es auf eine religiöse Begründung hinaus). Es ist die Frage, wie wir mit Tieren umgehen wollen. Die meisten Menschen lehnen Tierquälerei ab. Wir haben am meisten Mitleid mit Tieren, mit denen wir uns positiv identifizieren können, d.h. deren Gefühle wir meinen nachempfinden zu können. Ein Mücke, die in der Nacht nervt, erfährt da wenig Mitgefühl.

Ansonsten stimme ich Nannas ökologischem Argument zu. Die Tiere sind so wie sie sind letzlich deshalb, weil sie Fressfeinde haben und auch andere fressen. Man könnte sagen, Gefressenwerden ist ein natürlicher Tod.

Hier ein menschliches Tier:



Wem gilt euer Mitgefühl: Der Antilope? Dem Krokodil? Den Geiern? Dem Nilpferd?
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » Do 22. Okt 2009, 09:05

Nanna hat geschrieben:Dass die eigene Art vorgehen muss ergibt sich ja schon aus den Gegebenheiten der Evolution.

Ich weiß zwar nicht was hinter dieser Aussage steckt, ich hoffe aber, dass es kein naturalistischer Fehlschluss ist.

Nanna hat geschrieben:Vielleicht sollte man eher so herum überlegen: Wir können schon rein praktisch Tieren keine garantierten Rechte auf körperliche Unversehrtheit geben.

Daher unterscheidet man zwischen negativen und positiven Rechten, also in diesem Fall zwischen dem Recht nicht getötet zu werden (von einem moralisch Handelndem) und dem Recht vor einem drohenden Tod gerettet zu werden, einem Anspruch auf Sozialhilfe etc.

Ich habe noch nicht fertig, aber gerade keine Zeit mehr... :)
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Atanar » Do 22. Okt 2009, 11:19

Julia hat geschrieben:
Atanar hat geschrieben:Ich habe keinen materiellen Vorteil davon wenn man Legebatterien für Unrechtmäßig erklärt.

Ich habe keinen materiellen Vorteil davon Franzosen nicht als Arbeitssklaven zu halten.

Eben nicht, da nämlich sonst die Menschenwürde im allgemeinen infrage gestellt würde.

Julia hat geschrieben:
Atanar hat geschrieben:Was gibt es also für Gründe anderen Arten Rechte zuzugestehen?

Mir stellt sich die Frage ob es richtig ist, ihnen willkürlich keine Rechte zu geben. Meiner Meinung nach liegt die 'Beweislast' dafür, dass es moralisch richtig ist anderen Arten keine zu geben, bei den Speziesisten.

Liegt die Beweislast nicht immer bei dem, der etwas behauptet? Du verdrehst bloß die Fragestellung, keiner ist Spezizist aus Überzeugung.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » Fr 23. Okt 2009, 10:13

Atanar hat geschrieben:Eben nicht, da nämlich sonst die Menschenwürde im allgemeinen infrage gestellt würde.

Ich bedarf dieser genauso wenig wie du der Primatenwürde, der Würde der Wirbeltiere, der Tierwürde etc.
Solange ich kein würdeloser "Franzose" bin.

Atanar hat geschrieben:Liegt die Beweislast nicht immer bei dem, der etwas behauptet?

Die Beweislast liegt bei dem der Tiere einsperrt, quält und tötet oder all das befürwortet und unterstützt, imho.

Atanar hat geschrieben:keiner ist Spezizist aus Überzeugung.

Viele nur aus Gewohnheit und Bequemlichkeit? ;)

ujmp hat geschrieben:Es ist die Frage, wie wir mit Tieren umgehen wollen.

Das ist trivial und gilt auch für Menschen...

spacetime hat geschrieben:Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass der Mensch demnach kein Recht hätte, Rechte auf andere Tierarten zu übertragen, wenn diese es nicht auf alogische Kommunikationsarten fordern oder ihr Einverständnis erklären.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, aber was ist mit Menschen, die ihre Interessen nicht einfordern können? Wieso gelten die Menschenrechte für alle Menschen?
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Nanna » Fr 23. Okt 2009, 21:48

ujmp hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Was aber gibt uns das Recht, Tiere grausam zu behandeln und zu töten? Die Frage ist also nicht, haben Tiere ein von uns verliehenes Recht auf Leben, sondern haben wir, die Menschen, überhaupt das Recht Tiere zu töten? [...] Wir müssen immer so ethisch sein, wie möglich.


Es ist keine Frage des Rechtes, sondern des Geschmackes. Wir müssen gar nichts (ansonsten läuft es auf eine religiöse Begründung hinaus). Es ist die Frage, wie wir mit Tieren umgehen wollen. Die meisten Menschen lehnen Tierquälerei ab. Wir haben am meisten Mitleid mit Tieren, mit denen wir uns positiv identifizieren können, d.h. deren Gefühle wir meinen nachempfinden zu können. Ein Mücke, die in der Nacht nervt, erfährt da wenig Mitgefühl.


Du hast natürlich insofern sowieso Recht, als dass es sowieso keine Letztbegründung für normative Aussagen gibt. Insofern ist ethisches Verhalten immer eine Geschmacksfrage, wenn man jetzt mal von der funktionalen Ebene von sozialen Regeln absieht. Ich halte es, auch aus funktionalen Gründen, wie beispielsweise der Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Sicherheit, wofür der Tötungsverzicht höherer Tierarten sicherlich ein positives Signal zur allgemeinen Friedfertigkeit wäre, allerdings für sinnvoll, sich auf die Regel zu einigen, möglichst immer so ethisch zu handeln, wie es die ökonomischen Umstände eines Zeitalters erlauben. Auch wenn das sicherlich auch ein Geschmacksargument ist, aber alles andere halte ich für barbarisch. Man führe sich vor Augen, was man für ein Signal aussendet, wenn man zwar ethischer Handeln könnte, es aber aus Eigensucht nicht tut (zur Erinnerung: Altruistischere Gruppen sind höchstwahrscheinlich Verbänden aus Egoisten überlegener, auch wenn das die Überlebenschancen des Einzelnen schmälert. siehe auch). In diesem Sinne wäre mir eine gesamtgesellschaftliche Mentalität, die auf gegenseitige Achtung und Unterstützung mehr Wert legt als auf brutalen Verdrängungswettbewerb nicht nur lieber, sie hätte wohl auch die größeren Überlebenschancen. In so einer Gesellschaft hat ein harter Speziezismus aber meiner Meinung nach keinen Platz oder sollte zumindest einen sehr schweren Stand haben.

Julia hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Dass die eigene Art vorgehen muss ergibt sich ja schon aus den Gegebenheiten der Evolution.

Ich weiß zwar nicht was hinter dieser Aussage steckt, ich hoffe aber, dass es kein naturalistischer Fehlschluss ist.


Vielleicht ist es einer. Falls das Überleben meiner eigenen Art auf dem Spiel, ist mir das aber herzlich egal. Ich halte das Töten, auch von Menschen, als ultima ratio für das eigene Überleben für ethisch vertretbar (Notwehr, Verteidigungskrieg, Verteilungskriege um überlebenswichtige, nicht in ausreichendem Maße vorhandene Ressourcen), aber eben wirklich nur im Angesicht absoluter Alternativlosigkeit. Dabei kommt natürlich ein mir nahestehendes Kollektiv, also je nach Situation Familie, Nation, Kulturkreis, Spezies vor einem anderen, schließlich werde ich in diesem Umfeld die besseren Überlebenschancen haben. Bitte nicht vergessen: Ich spreche hier über eine Extremsituation, die lediglich die Alternativen Töten und Sterben bereithält.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » So 25. Okt 2009, 09:40

spacetime hat geschrieben:Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass der Mensch demnach kein Recht hätte, Rechte auf andere Tierarten zu übertragen, wenn diese es nicht auf alogische Kommunikationsarten fordern oder ihr Einverständnis erklären.

Was ich noch anmerken wollte ist, dass man wohl keinen großen Fehler macht, wenn man davon ausgeht, dass ein leidensfähiges Wesen das Interesse hat Leid zu vermeiden, ob es das jetzt hier im Forum verkündet, an Kirchentüren nagelt und so weiter oder nicht spielt dabei keine Rolle.
Und was Tieren Leid verursacht ist der Empirie zugänglich.

Nanna hat geschrieben:Ich halte das Töten, auch von Menschen, als ultima ratio für das eigene Überleben für ethisch vertretbar

Ja, Moral hin oder her, in Extremsituationen würde ich dich wohl auch essen... ;)
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon smalonius » So 25. Okt 2009, 17:17

Nanna hat geschrieben:Bitte nicht vergessen: Ich spreche hier über eine Extremsituation, die lediglich die Alternativen Töten und Sterben bereithält.
Julia hat geschrieben:Ja, Moral hin oder her, in Extremsituationen würde ich dich wohl auch essen... ;)

Mit anderen Worten: wenn man den Lack der Zivilisation abkratzt, kommt ein haarloser und wilder Affe zum Vorschein?
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » So 25. Okt 2009, 17:38

smalonius hat geschrieben:Mit anderen Worten: wenn man den Lack der Zivilisation abkratzt, kommt ein haarloser und wilder Affe zum Vorschein?

Ja, ein hungriger Affe, da garantiere ich für nichts!
Ich stelle mir gerade vor wie Nanna und ich uns in einer Extremsituation gegenüberstehen, jeder einen schweren Gegenstand hinter dem Rücken versteckt, den wir uns bei Gelegenheit über den Schädel ziehen würden, jeder die kleinste Bewegung des anderen argwöhnisch beobachtend... :mg:
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon smalonius » So 25. Okt 2009, 18:19

Sportlich, sportlich. Auf rohe Gewalt würde ich mich nie einlassen, wie barbarisch! Pfeil und Bogen wären da eleganter. :pfeif:


Ein Freund von mir sagt immer: stell dir vor, die Versorgung einer Millionenstadt würde für längere Zeit zusammenbrechen. Was würde dann passieren?

Pessimisten sagen, wir könnten das noch erleben. Die Weltgetreidereserven sind 2007 auf 61 Tage Reichweite geschrumpft. Wenn der Trend anhält, werden sich ärmere Länder bald ihr täglich Brot nicht mehr leisten können, weil ihnen die Reichen das Getreide wegkaufen, um es in der Tiermast einzusetzen. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, die Nahrungsproduktion linear, falls überhaupt. Lange geht sowas nicht gut. Mag sein, daß wir Universitäten bauen und zum Mond fliegen - aber manchmal verhält sich die Menschheit genau so instinktsicher wie die Lemminge vor der Klippe.

Daß der Mensch dem Tiere überlegen ist, zeigt sich darin, daß nur der Mensch so klug ist, eben mal ein paar hundert Milliarden locker zu machen, um die Finanzkrise abzuwenden. *räusper* Seltsam, daß die internationale Politik nie so entschlossen agiert, wenn's um's Klima oder die Welternährung geht.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon ujmp » So 25. Okt 2009, 20:53

smalonius hat geschrieben:Sportlich, sportlich. Auf rohe Gewalt würde ich mich nie einlassen, wie barbarisch! Pfeil und Bogen wären da eleganter. :pfeif:


Ein Freund von mir sagt immer: stell dir vor, die Versorgung einer Millionenstadt würde für längere Zeit zusammenbrechen. Was würde dann passieren?

Pessimisten sagen, wir könnten das noch erleben. Die Weltgetreidereserven sind 2007 auf 61 Tage Reichweite geschrumpft. Wenn der Trend anhält, werden sich ärmere Länder bald ihr täglich Brot nicht mehr leisten können, weil ihnen die Reichen das Getreide wegkaufen, um es in der Tiermast einzusetzen. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, die Nahrungsproduktion linear, falls überhaupt. Lange geht sowas nicht gut. Mag sein, daß wir Universitäten bauen und zum Mond fliegen - aber manchmal verhält sich die Menschheit genau so instinktsicher wie die Lemminge vor der Klippe.

Daß der Mensch dem Tiere überlegen ist, zeigt sich darin, daß nur der Mensch so klug ist, eben mal ein paar hundert Milliarden locker zu machen, um die Finanzkrise abzuwenden. *räusper* Seltsam, daß die internationale Politik nie so entschlossen agiert, wenn's um's Klima oder die Welternährung geht.


Kanibalismus ist beim Menschen scheinbar nur eine Frage der Umstände.

Dass die Weltbevölkerung exponentiell wächst liegt nicht an den Staaten, die das Geld haben. Ich würde sagen, da müssen einige Länder aufhören, Kinder zu kriegen, wenn sie sie nicht ernähren können.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Nanna » Mo 26. Okt 2009, 02:03

Ich weiß nicht, ob ich auf einer einsamen Insel jemanden töten würde, um ihn zu verspeisen, vielleicht/wahrscheinlich würde ich es dann doch lieber vorziehen in Würde zu sterben. Wäre ich aber Soldat in einem Verteidigungskrieg oder Kombattant in einem Kampf um die letzten Ressourcen nach einem teilweisen oder vollständigen Zusammenbruch der Zivilisation, würde ich wohl ziemlich sicher für mich bzw. "meine" Seite/Gruppe kämpfen und töten. Inuitiv macht es für mich dabei einen Unterschied, ob ich in einer zivilisierten Welt durch ein Unglück sterbe (Stranden auf einer einsamen Insel mit anderen, friedfertigen Personen; da fiele mir das Töten wohl ziemlich sicher zu schwer), oder ob ich gegen einen aggressiven Gegner antrete, der mich und meine Gruppe (Familie, Staat, Kulturraum) unterjochen oder gar auslöschen will. Ich muss nicht um jeden Preis weiterleben, wenn mein genetisches und/oder kulturelles ("memetisches") Erbe überleben kann. Erst, wenn auch das bedroht wird, fühle ich mich wirklich zur Gewalt legitimiert, zu Kannibalismus in einer Hungersituation eher weniger.
Selbst für den Fall, dass ich aber den friedlichen bzw. wohl eher schicksalsergebenen Weg wählen würde, wäre es aber eine evolutionäre Notwendigkeit, dass derjenige überlebt, der dem anderen eins mit dem dicken Prügel überzieht. In dem Fall kann ich dann eben entscheiden, ob ich derjenige sein will oder ob ich anderen den Vortritt überlasse.

Was das Szenario mit der Millionenstadt angeht, reicht ein Blick auf die Ereignisse nach Katrina in New Orleans, wo innerhalb von Stunden die Zivilisation zusammenbrach und Gewalt und Plünderungen in großem Maße auftraten. Im Grunde ist das kein Wunder. Wir haben 95% unserer Entwicklungszeit als Mensch in der Steinzeit in kleinen Gruppen verbracht, wo die Bedrohung von außen (wilde Tiere, andere Stämme, sonstige Gefahren der Natur) zu Kooperation innerhalb der Gruppe und Aggression nach außen führte (dazu gibt es diese Woche einen interessanten Teil in der ZEIT). Die Zeit, in der großflächige Kooperation bis hin zu einem global einheitlichen Handeln nötig geworden ist, war bislang so kurz, dass keine nennenswerte genetische Disposition dafür vorhanden ist, sondern die Kultur den größten Teil davon richten muss, wichtige Stichworte wären hierbei das staatliche Gewaltmonopol, kodifiziertes Recht und die Menschenrechtsbewegung.

@smalonius:
Ich glaube nicht, dass die Zivilisation nur Lack ist. Der Mensch hat auf jeden Fall einen Hang zur Organisation. Historisch relativ neu ist lediglich die Anzahl der beteiligten Personen und damit die Schwierigkeit des Interessenausgleichs. Auch ist der Mensch natürlich (noch) damit überfordert, in einer Gemeinschaft von 6,8 Mia. seinen sozialen Platz zu finden, weil er nur eine begrenzte Anzahl von sozialen Kontakten verarbeiten kann (ich glaube so richtig intensiv nur ungefähr um die 70). Trotz dieser Probleme hat die Zivilisation sich unter'm Strich aber als zu robust und vorteilhaft erwiesen, als einfach nur Lack zu sein. Auch in den failed states wie Somalia suchen die Menschen trotz aller Barbarei verzweifelt nach einer staatlichen Ordnungsmacht. Für Extremsituationen gilt natürlich immer, dass einfache und schnelle Lösungen bevorzugt werden, weshalb diese Gegenden auch so schwer aus diesen Teufelskreisen herauskommen.
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon ujmp » Mo 26. Okt 2009, 07:38

Nanna hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob ich auf einer einsamen Insel jemanden töten würde, um ihn zu verspeisen, vielleicht/wahrscheinlich würde ich es dann doch lieber vorziehen in Würde zu sterben.

Mir scheint erstmal, das ist auch gar nicht so schwer. In meiner religiösen Zeit habe ich ein paar Mal "gefastet", auch mal fünf Tage. Nach einer Weile stellt der Körper seine Ernährung auf Fettresourcen um und das Hungergefühl lässt nach. Ich fühlte mich sogar prima dabei und hinterher wurde mir bewusst, wie gut ganz simple Dinge schmecken. Natürlich hat man bei solchen Luxus-Aktionen keine Todespanik, weil man sie jederzeit aus freier Entscheidung abbrechen kann. Ansonsten würde sich irgendwann der Todesmut evtl. in Aggressivität gegen Artgenossen verwandeln. Das Hungergefühl gilt, so viel ich weiß, als stärkster Trieb im Menschen. "Erstens kommt das Fressen und zweitens die Moral".

Übrigens: Es ist gar nicht so schlimm, wenn man mal die Würde verliert - man findet sie meist wieder! :mg:
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Julia » Mo 26. Okt 2009, 12:24

Nanna hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob ich auf einer einsamen Insel jemanden töten würde, um ihn zu verspeisen, vielleicht/wahrscheinlich würde ich es dann doch lieber vorziehen in Würde zu sterben.

Du meinst es wäre würdevoll von mir einen Stein auf den Schädel zu kriegen? ;)

Ach ja, das Sterben wäre gar nicht so schlimm und unter normalen Umständen täte ich keiner Fliege etwas zu Leide, aber Hunger ist etwas fieses.


(Nicht, dass ich wirklich schon mal Hunger gelitten hätte, aber im Rahmen meines PMS habe ich auch manchmal das Bedürfnis ein Wildschwein zu essen und bin froh, dass keines da ist... ;) )
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Re: Wann wäre der Mensch kein Tier mehr?

Beitragvon Nanna » Mo 26. Okt 2009, 13:42

In der letzten Zeit war in den Medien des öfteren von einer Studie in einem schottischen Gefängnis zu hören, in dem durch eine verbesserte Ernährung die Gewaltbereitschaft unter den Insassen deutlich gesenkt werden konnte. Es kann natürlich gut sein, dass ich im Hungerwahn meine Persönlichkeit recht stark verändern würde, aber aus meiner jetzigen Position heraus kann ich mir Kannibalismus eigentlich kaum vorstellen.

Wenn du, Julia, mich mit einem dicken Stein angreifen würdest, wäre das wohl schon etwas anderes. In dem Fall wäre es Notwehr, mich gegen dich zu wehren. Würdevoll oder etwas altmodischer gesagt, ehrenhaft, wäre es, wenn wir beide entscheiden würden, zu verhungern und nicht gegeneinander aggressiv zu werden.
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