Abschied vom Darwinismus

Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 12. Nov 2009, 17:36

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: welche weltanschaulichen Grabenkämpfe werden in der Schule auf der Grundlage der Evolutionstheorie behandelt?

Na das übliche Ballyhoo aus keinen Schöpfer mehr, dann Sozialdarwinismus, Eugenik, Hitler, hat Juden vergast als Sozialdarwinist, aber Darwinismus haben nix damit zu tun, höchstens der Lamarckismus, denn bei Darwin Evolution sein ohne Ziel bla bla bla.

kann es sein, dass es schon lange her ist, dass Du eine Schule von innen gesehen hast?
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 17:41

smalonius hat geschrieben:Wird man dann gefragt, wen die mit "Populationsgenetiker" meinen, muß man passen. :pfeif:


Weil das ja dermaßen was von uninteressant ist ...

smalonius hat geschrieben:Präzisiert wird seitdem ständig. Was ist mit synthetischer Evolutionstheorie? Was ist mit Haldane, Wright, Fisher, Hamilton, Maynard Smith?


Ach tatsächlich? Kann die Synthetische Evolutionstheorie Sozialstaaten abdecken? Wo kann ich ihre Prinzipien (speziell das Selektionsprinzip) klar beschrieben nachlesen, ohne dass sich Menschen mit Hintergrundwissen in Logik der Magen umdreht? Oder muss man deine Logiksprünge dafür beherrschen. Ich erinnere an deine sonderbaren Ableitungen.

Wie wäre es mit dieser Beschreibung, die von einem Evolutionsbiologen im Rundfunk gegeben wurde:
"Vielleicht sollte man vorausschicken, wie Darwins Evolutionsmechanismus aussieht. Der ist unglaublich elegant und einfach. Darwin nahm an, dass es in jeder Population Unterschiede gibt in Bezug auf Eigenschaften, die das Überleben beeinflussen. Stellen Sie sich eine Gazellenpopulation vor. Die können nicht alle gleich schnell laufen. Es gibt einige schnellere und einige langsamere. Da muss man annehmen, dass das schnell und langsam laufen können eine genetische Grundlage hat. Und jetzt nimmt Darwin an, dass dazu irgendein Selektionsfaktor kommen muss, der die eine Eigenschaft der Gazellen vor den anderen begünstigt. Und dann gibt es einfach einen Wettkampf. Die schlagen sich nicht, die sind freundlich zueinander, die Gazellen, aber sie laufen gelegentlich um die Wette. Und die, die aus genetischen Gründen etwas schneller läuft, die hat gewonnen, und zwar deswegen, weil hinter ihnen der Gepard läuft, und der hat Hunger. Und die, die langsamer läuft, die wird er zuerst bekommen und fressen. Und man sieht sehr leicht, dass auf diese Art und Weise die eine Mutation, die dieses eine Individuum hatte, wodurch es schneller laufen konnte, jetzt durch das bessere Überleben und die erhöhte Nachkommenzahl in viel mehr Kopien in die nächste Generation geht, als die Eigenschaft für schlecht laufen können. Die ist weg."

Ist nett. Aber so läuft Evolution nicht.

smalonius hat geschrieben:Wer gegen die Evolutionstheorie anstinken will, muß sich mit deren Ideen auseinandersetzen, statt sich an Wikipedia-Formulierung abzuarbeiten.


Dann nenn eine wasserdichte Referenz. Die gibt es leider nicht. Wikipedia ist in der Hinsicht nicht schlechter als die Fachliteratur.

smalonius hat geschrieben:Wie auch immer. Jedenfalls ist die Argumentation von Mersch unzulässig weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Richtiger weise geht man so vor, wenn man Fitness messen will:

Ausgangszustand: 2 Individuen mit der Eigenschaft O und 2 mit der Eigenschaft U.
Endzustand: 3 Individuen mit der Eigenschaft O und 4 Individuen mit der Eigenschaft U.

Also sind U doppelt so fit wie O.


Ein ganz ähnliches Beispiel nennt Kutschera in seinem Evolutionsbiologie-Buch. Merschs Anmerkung dazu in seinem Buch ist schon fast als böse zu bezeichnen. Dann folgen bei ihm noch Computerbeispiele, mit denen er zeigt, wie diese Art Fitness zum Aussterben führt.

smalonius hat geschrieben:Jetzt kommt Mersch und sagt: sei O die Oberschicht und U die Unterschicht. Nach seinem subjektiven Tauglichkeitsbegriff ist O tauglicher als U. Das darf seinem persönlichen Begriffsverständnis nach nicht sein. Folgerung: Darwin muß weg, jetzt kommt die systemische Evolutionstheorie!


Das ist Quatsch. Sein Einwand über die vergessene Variable Reproduktionsinteresse ist mehr als seriös, zumal darüber Altruismus viel unmittelbarer erklärbar wird.

smalonius hat geschrieben:Wenn er sich vorher ein bißchen in die Materie eingelesen hätte, wäre ihm aufgefallen, daß das Problem, das er vermeintlich gefunden hat, schon länger bekannt ist.


Eindeutig nein.

smalonius hat geschrieben:Man kann Haldane erwähnen, der 1932 schreibt: "eine nützliche Anpassung für das Individuum muß nicht unbedingt den Erfolg der Gesamtbevölkerung steigern".


Ach wie aufregend. Diese Erkenntnis haut mich jetzt um.

smalonius hat geschrieben:Man kann "das Problem der Allmende" erwähnen. Dann bleibt man auch auf der seriösen Seite der Wissenschaft.


Merschs Bücher wimmeln immer von der Tragik der Allmende (bzw. Tragic of the Commons). Hat damit aber rein gar nichts zu tun.

smalonius hat geschrieben:Wer Politik machen will, soll Politik machen. Aber keine Pseudowissenschaft.


Die Darwinsche Evolutionstheorie ist Pseudowissenschaft. Nicht einmal den Fitnessbegriff hat man sauber definieren können.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 18:26

smalonius hat geschrieben:Wer gegen die Evolutionstheorie anstinken will, muß sich mit deren Ideen auseinandersetzen, statt sich an Wikipedia-Formulierung abzuarbeiten.

Wie auch immer. Jedenfalls ist die Argumentation von Mersch unzulässig weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Richtiger weise geht man so vor, wenn man Fitness messen will:

Ausgangszustand: 2 Individuen mit der Eigenschaft O und 2 mit der Eigenschaft U.
Endzustand: 3 Individuen mit der Eigenschaft O und 4 Individuen mit der Eigenschaft U.

Also sind U doppelt so fit wie O.


Na dann fangen wir doch einfach mal an. Zu den Dogmen der Darwinschen Evolutionstheorie gehört: Der Reproduktionserfolg eines Individuums hängt maßgeblich von dessen erblicher Ausstattung ab. Durch die differenzielle Reproduktion (unterschiedliche Fitness in deinem Sinne) kommt es zu einer Verschiebung von Genhäufigkeiten in der Population und damit zur Evolution. Ferner: Evolution ist angeblich fortschrittsblind.

Betrachten wir jetzt einmal drei menschliche Sozialstaaten A, B und C, deren Wirtschaft so wie bei uns läuft. Anfangs gehen alle Kinder zur Schule und suchen sich dann einen Job. Bei der Einstellung prüfen die Arbeitgeber natürlich die Qualifikationen der Bewerber.

Die Sozialstaaten unterscheiden sich jedoch in den folgenden Punkten:

A) In A gehen üblicherweise beide Geschlechter arbeiten. Sie müssen ihre Kinder selbst finanzieren, allerdings erhalten sie für jedes Kind 25 Jahre lang 600 Euro Kindergeld vom Staat. Wer kein ausreichendes Einkommen hat bzw. arbeitslos ist, der bekommt Sozialhilfe.

B) B ist wie A organisiert, allerdings mit den folgenden Unterschieden: 1. Die 600 Euro Kindergeld gibt es nur noch für die ersten beiden Kinder. 2. Es gibt einen Beruf für Familienarbeit, der FamilienmanagerInnen für das Aufziehen ihrer eigenen (bis 7 Stück) Kinder bezahlt. Voraussetzung für eine Einstellung ist eine freie Stelle und eine Ausbildung zur/m FamilienmanagerIn. 3. Kinderlose zahlen 25 Jahre lang (ab 35) Unterhalt für ein Kind. Damit wird der Familienberuf finanziert.

C) In C gehen nur die Männer arbeiten. Frauen dürfen nur Hausfrau und Mutter werden. Männer müssen ihre Frauen und Kinder selbst finanzieren. Heiraten darf nur der, der einen Beruf mit ausreichendem Einkommen nachweisen kann. Wer kein ausreichendes Einkommen hat bzw. arbeitslos ist, der bekommt Sozialhilfe. Das gilt auch für unverheiratete Frauen. Ferner hilft der Staat bei gewissen Härtefällen. Einen umfassenden Wohlfahrtsstaat gibt es jedoch nicht.

Fragen:

a) Würden sich die Gen-Pools der drei Gesellschaften nach 100 Jahren substanziell unterscheiden?
b) Würden die drei Gesellschaften nach 100 Jahren unterschiedliche mittlere IQs und Bildungsniveaus haben?
c) Wenn ja: Bei welcher Gesellschaft wären der IQ und das Bildungsniveau vermutlich besonders niedrig?
d) Kann man die zu erwartenden Effekte mit der Synthetischen Evolutionstheorie erklären?
e) Ist Evolution folglich fortschrittsblind?

Hier meine Antworten:
a) Ja
b) Ja
c) A
d) Nein
e) Nein
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon Zappa » Do 12. Nov 2009, 20:04

Dazu (http://www.scienceblogs.de/weitergen/20 ... teilen.php) viel mir irgendwie u.a. diese Diskussion hier ein.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 20:54

Zappa hat geschrieben:Dazu (http://www.scienceblogs.de/weitergen/20 ... teilen.php) viel mir irgendwie u.a. diese Diskussion hier ein.


Mir "vällt" zum 1. Punkt des bloggenden Wissenschaftlers vor allem Thomas S. Kuhn (S. 155) ein:

Jede neue Auslegung der Natur, sei es eine Entdeckung oder eine Theorie, taucht zuerst im Geiste eines oder einiger weniger Individuen auf. Sie sind die ersten, die die Wissenschaft oder die Welt anders sehen lernen, und ihre Fähigkeit, den Übergang zu finden, wird durch zwei Umstände begünstigt, die für die meisten anderen Mitglieder ihres Fachgebiets nicht beide zutreffen. Stets war ihre Aufmerksamkeit stark auf die krisenauslösenden Probleme konzentriert, und außerdem handelt es sich gewöhnlich um Männer, die so jung oder auf dem von der Krise befallenen Gebiet so neu sind, dass ihre Arbeit sie weniger tief als die meisten ihrer Zeitgenossen an die durch das alte Paradigma bestimmten Weltauffassungen und Regeln gebunden hat.

Und dann (S. 162):

Die Übertragung der Bindung von einem Paradigma auf ein anderes ist eine Konversation, die nicht erzwungen werden kann. Lebenslanger Widerstand, besonders von solchen, deren produktive Laufbahn sie einer älteren Tradition normaler Wissenschaft verpflichtet hat, ist keine Verletzung wissenschaftlicher Normen, sondern ein Hinweis auf das Wesen der wissenschaftlichen Forschung selbst.

Sehr treffend!
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon Zappa » Do 12. Nov 2009, 20:59

@jackle: Nur zur Info: Ich sehe nur noch, dass Du was geschrieben hast, nicht mehr was. Hab die Blockierfunktion gefunden :applaus:
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon folgsam » Do 12. Nov 2009, 21:05

Tja, Mersch der große Paradigmenwechsler und Zeitenwender.
Wenn es dann in ca. ~20 Jahren soweit ist (dürfte ich noch frisch miterleben), mach ich mir die Mühe und ziehe vor ihm persönlich meinen Hut. Ist doch ein faires Angebot, find ich.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 22:09

smalonius hat geschrieben: Wie auch immer. Jedenfalls ist die Argumentation von Mersch unzulässig weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Richtiger weise geht man so vor, wenn man Fitness messen will:

Ausgangszustand: 2 Individuen mit der Eigenschaft O und 2 mit der Eigenschaft U.
Endzustand: 3 Individuen mit der Eigenschaft O und 4 Individuen mit der Eigenschaft U.

Also sind U doppelt so fit wie O.


Ich habe wegen Fitness noch einmal mit Mersch gemailt. Es gibt noch einen ganz anderen Grund, weswegen er nichts mit deinem Fitness-Begriff anfangen kann: Er funktioniert nur bei Evolutionen, deren Individuen sterben und sich fortpflanzen müssen.

Vielzeller müssen sterben, da ihre Zellen alle den gleichen genetischen Code besitzen (müssen). Sie können nicht einzelne Zellen gegen andere mit einem verbesserten genetischen Code austauschen. Also kann eine fortlaufende genetische Anpassung nur dadurch geschehen, dass sich der Vielzeller regelmäßig fortpflanzt und dann zugrunde geht. Sterben und Fortpflanzen ist folglich keine evolutive Notwendigkeit, sondern ein Verfahren, was aufgrund der technischen Limitationen von Vielzellern (alle Zellen haben den gleichen Code) erforderlich wurde.

Mersch betrachtet aber auch die Evolution von Unternehmen (die in ihren Lebenräumen - den Märkten - evolvieren), denn er möchte nicht nur die biologische Evolution, sondern auch die kulturellen Evolutionen (als Ersatz zur Memetik) erklären. Unternehmen können im Grunde beliebig lange leben, da sie ihre Gene (ihre Mitarbeiter) regelmäßig austauschen können: ein Mitarbeiter geht in Rente und wird duch einen jüngeren - mit einem veränderten genetischen Code - ersetzt. Unternehmen können sich folglich ohne Sterben/Fortpflanzen anpassen.

Dann ist aber deine Fitness nicht mehr berechenbar. Gemäß Mersch greifen dann die Fitness-Indikatoren, die man aus der Unternehmensbewertung, der Aktenbewertung, dem Rating etc. her kennt. Für ihn gilt das entsprechend auch für die Fitness von Menschen oder anderen Lebewesen.

Sehr ähnlich äußert sich Manfred Eigen ("Stufen zum Leben", 1987, Seite 59 f.):
Die Vermutung, dass es sich bei Darwins Prinzip in der Formulierung von "survival of the fittest" um eine Tautologie handeln könnte, ist damit endgültig ad absurdum geführt. "Survival" ist eine Gegebenheit, die sich durch relative Populationszahlen ausdrückt und im Experiment messen lässt. "Fittest" ist durch eine Wertfunktion bestimmt. Sie basiert auf dynamischen Parametern, die unabhängig von Populationszahlen messbar sind.

Und Bernd-Olaf Küppers ("Der Ursprung biologischer Information", 1990, Seite 221 f.):
Das Selektionsprinzip würde genau dann eine Tautologie darstellen, wenn es zwischen dem Populationsraum ("survival") und dem Werteraum ("fittest") immer nur eine triviale Zuordnung gäbe (…).

Deine Zuordnung ist trivial. Du hast aus dem Selektionsprinzip eine Tautologie gemacht. Dass dies einfacher ist, als die saubere Vorgehensweise von Mersch, sollte klar sein.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 12. Nov 2009, 22:40

jackle hat geschrieben:Mersch betrachtet aber auch die Evolution von Unternehmen (die in ihren Lebenräumen - den Märkten - evolvieren), denn er möchte nicht nur die biologische Evolution, sondern auch die kulturellen Evolutionen (als Ersatz zur Memetik) erklären. Unternehmen können im Grunde beliebig lange leben, da sie ihre Gene (ihre Mitarbeiter) regelmäßig austauschen können: ein Mitarbeiter geht in Rente und wird duch einen jüngeren - mit einem veränderten genetischen Code - ersetzt. Unternehmen können sich folglich ohne Sterben/Fortpflanzen anpassen.

spätestens jetzt sollte doch das Problem klar sein: Man redet aneinander vorbei.

Mersch 'von oben', indem er das, was für Unternehmen seiner Meinung nach gilt, weiter unten als Erklärung einsetzen möchte. Das ist dann in etwa so, als wolle ich aus der Funktion der Pleuelstange Erklärungen für die Radikal-Ketten-Mechanismen bei der Verbrennung ableiten.

'Darwin' hingegen 'von unten', falls überhaupt. Hier ist dann die Frage, ob man aus der Evolution von nicht-bewusst handelnden Aktoren, die ihre Replikatoren in die nächste Generation bringen, etwas über menschliche Gesellschaften aussagen kann. Das wäre dann so, als würde die Pleuelstange aus den Vorgängen im Kolben ableitbar sein.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 22:55

El Schwalmo hat geschrieben: spätestens jetzt sollte doch das Problem klar sein: Man redet aneinander vorbei.

Mersch 'von oben', indem (...). 'Darwin' hingegen 'von unten', falls überhaupt. Hier ist dann die Frage, ob man aus der Evolution von nicht-bewusst handelnden Aktoren, die ihre Replikatoren in die nächste Generation bringen, etwas über menschliche Gesellschaften aussagen kann. (...)


Nein. Alle Ordnungsprozesse auf dieser Erde entstehen durch Evolution. Und sie sind alle unbewusst. Das Bewusste ist nur eine Illusion. Bücher wie "Jenseits von Gut und Böse" von MSS oder "Darwins Kosmos: Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt" von Franz Wuketits gehen genau davon aus. Alles andere erscheint auch wenig sinnvoll, da man sonst wieder sehr schnell beim Schöpfer ist. Also stellt sich die Frage: Gibt es allgemeine Prinzipien, die diesen Prozess erklären können, und die für alle diese Evolutionen gelten? Dies ist eine algorithmische Problemstellung, bei der man aber von oben beginnen muss. Man muss zunächst die allgemeinste Situation betrachten. Sterben/Fortpflanzen ist nur ein Spezialfall unter vielen. Den muss eine allgemeine Evolutionstheorie abdecken können, aber er darf sie nicht beherrschen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich - angefangen von der Gehirnforschung - manches in den Vorstellungen über unsere Welt verändert. Mersch ist der erste, die die Konsequenzen gezogen hat. Die Darwinsche Evolutionstheorie ist nicht mehr zeitgemäß.

Wie problematisch übrigens das Bottum-Up-Denken in der Hinsicht ist, hat Dawkins vorgeführt. Der hat die Genetik auf die Kultur übertragen, indem er die Meme postuliert hat. Die Biologen scheinen mir für die jetzt anstehenden Fragestellungen bzgl. Evolution die falschen Ansprechpartner zu sein. Die können sich nicht von ihren Genen lösen. Die begreifen nicht, dass Gene nur ganz bestimmte Kompetenzen (Anpassungen) repräsentieren, mehr aber auch nicht.

Unabhängig davon: Die Fitness-Definition gemäß Smalonius ist für Evolutionstheoretiker definitiv unbrauchbar.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 12. Nov 2009, 23:08

jackle hat geschrieben:Die Biologen scheinen mir für die jetzt anstehenden Fragestellungen bzgl. Evolution die falschen Ansprechpartner zu sein.

und umgekehrt. Denn das, was Mersch unter 'Evolution' vesteht, hat mit dem, was Biologen unter 'Evolution' verstehen, nichts mehr zu tun.

Umso problematischer, wenn Menschen dann Geschlechterrollen mit Biologie begründen wollen.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 23:14

folgsam hat geschrieben:Tja, Mersch der große Paradigmenwechsler und Zeitenwender.
Wenn es dann in ca. ~20 Jahren soweit ist (dürfte ich noch frisch miterleben), mach ich mir die Mühe und ziehe vor ihm persönlich meinen Hut. Ist doch ein faires Angebot, find ich.


Manchmal ist es erstaunlich, auf welche Lösungen man in den Wissenschaften nicht kommt. Von Mersch ist bekanntlich das Familienmanager-Konzept, dass er zeitlich deutlich vor seiner Systemischen Evolutionstheorie vorschlug. Er beschäftigte sich erst mit der Demografie und dem demografischen Wandel, stieß bald auf das demografisch-ökonomische Problem, und versuchte eine Lösung für die Probleme des demografischen Wandels zu finden. Im Internet schreibt er irgendwo, dass er damals sicher war, dass schon 1.000 andere Leute vor ihm das Familienmanager-Konzept vorgeschlagen hatten, dass dies aber aus irgendwelchen zwingenden Gründen verworfen worden sei. Er schickte sein Manuskript fast verschämt an den damals bekanntesten Familiensoziologen Prof. Kaufmann. Der antwortete überraschenderweise relativ zügig und schrieb zurück, dass dies ein völlig neuer familienpolitischer Vorschlag sei. Seitdem steht ein Kaufmann-Spruch auf der Rückseite seines Familienmanagerin-Buches. Erst danach entdeckte er dann, dass man das demografisch-ökonomische Paradoxon auch in der Evolutionstheorie kennt, dass Darwin seine Evolutionstheorie aus der Demografie entnahm, und dass sich die Demografie mit den gleichen Themen beschäftigt, wie die Evolutionstheorie. Also machte er sich an die dortigen offenen Probleme. Es ist genau die Situation, die Kuhn beschreibt: Ein völliger Außenseiter konzentriert sich auf die zentrale Ungereimtheit einer Wissenschaftsdisziplin: Wieso behauptet Darwin, Evolution finde dadurch statt, dass die besser angepassten Individuen mehr Nachkommen hinterlassen, während das in menschlichen Gesellschaften definitiv nicht der Fall ist? Wieso wird behauptet, dass alle Lebenwesen ihre Gene möglichst oft verbreiten wollen, während der Mensch dies offenkundig nicht will? Es ist die klassische Kuhn-Situation.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Do 12. Nov 2009, 23:20

El Schwalmo hat geschrieben: und umgekehrt. Denn das, was Mersch unter 'Evolution' vesteht, hat mit dem, was Biologen unter 'Evolution' verstehen, nichts mehr zu tun.


Das überrascht, wo doch Darwin für solitär lebende Arten aus seiner Systemischen Evolutionstheorie ableitbar ist. Das klingt fast so wie der Satz: "Was Einstein unter Raum versteht, hat mit dem hier auf der Erde nichts mehr zu tun."

El Schwalmo hat geschrieben:Umso problematischer, wenn Menschen dann Geschlechterrollen mit Biologie begründen wollen.


Wer außer Menschen könnte das tun?
Dir ist aber vielleicht schon aufgefallen, dass Mersch dabei ist, das Soziale in die Biologie einzuführen? Nur deshalb funktioniert seine Evolutionstheorie ja auch für Sozialstaaten.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 12. Nov 2009, 23:55

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: und umgekehrt. Denn das, was Mersch unter 'Evolution' vesteht, hat mit dem, was Biologen unter 'Evolution' verstehen, nichts mehr zu tun.

Das überrascht, wo doch Darwin für solitär lebende Arten aus seiner Systemischen Evolutionstheorie ableitbar ist. Das klingt fast so wie der Satz: "Was Einstein unter Raum versteht, hat mit dem hier auf der Erde nichts mehr zu tun."

das klingt eher so: was juckt es mich, was im Bereich hoher Geschwindigkeiten abläuft, wenn ich die nie erreiche?

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Umso problematischer, wenn Menschen dann Geschlechterrollen mit Biologie begründen wollen.

Wer außer Menschen könnte das tun?
Dir ist aber vielleicht schon aufgefallen, dass Mersch dabei ist, das Soziale in die Biologie einzuführen? Nur deshalb funktioniert seine Evolutionstheorie ja auch für Sozialstaaten.

Vielleicht ist das in der Biologe ein Kategorienfehler?
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Fr 13. Nov 2009, 00:17

El Schwalmo hat geschrieben:Vielleicht ist das in der Biologe ein Kategorienfehler?


Schubladen in der Natur?

Nachtigall zur Biene: "Und nun komm nur ja nicht auf die Idee, einen Sozialstaat zu bauen. Das wäre ein Kategorienfehler."
Biene zur Nachtigall: "Dann hör du mit deinem nervigen Geträller auf."
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Fr 13. Nov 2009, 07:07

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Vielleicht ist das in der Biologe ein Kategorienfehler?

Schubladen in der Natur?

nein, aber sinnvolle Abgrenzungen.

Letztlich geht es um Kultur vs. Natur. Der Mensch als Kulturwesen hat zwar noch den Körper, der in der biologischen Evolution entstanden ist, und möglicherweise kommt Verhaltensmustern, die dort eine Rolle spielten, auch heute noch eine Bedeutung zu. Untersuchungen in der Richtung sind okay. Umgekehrt ist es etwas anders: Ob die Sicht eines Unternehmensberaters die Biologie befruchten kann, scheint mir weniger plausibel als umgekehrt.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Fr 13. Nov 2009, 09:39

El Schwalmo hat geschrieben: Letztlich geht es um Kultur vs. Natur. Der Mensch als Kulturwesen hat zwar noch den Körper, der in der biologischen Evolution entstanden ist, und möglicherweise kommt Verhaltensmustern, die dort eine Rolle spielten, auch heute noch eine Bedeutung zu. Untersuchungen in der Richtung sind okay. Umgekehrt ist es etwas anders: Ob die Sicht eines Unternehmensberaters die Biologie befruchten kann, scheint mir weniger plausibel als umgekehrt.


Na ja, früher hat man das wohl gedacht, denn es war der Demograf Malthus, der den Biologen Darwin befruchtete. Warum sollte das mit der modernen Demografie nicht möglich sein?

Außerdem meine ich, dass man die Biologen bei ökonomischen Fragen nicht allein lassen kann, da sie sonst ihre eigenen Ökonomien entwickeln, die sich manchmal etwas komisch anhören (von Gould, das Modell wird auch bei MSS zitiert):

Meine Schwester hat die Hälfte der Gene mit mir gemeinsam, und das bedeutet nach darwinistischer Rechnung, dass sie die Hälfte von mir ist. Nun nehme ich an, ich gehe mit drei Schwestern die Straße entlang. Es nähert sich ein Monstrum mit eindeutig mörderischer Absicht. Meine Schwestern sehen es nicht. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich gehe auf das Ungeheuer zu, unter Ausstoßung von Verbalinjurien, wodurch ich mein eigenes Schicksal besiegele; oder ich verstecke mich und schaue zu, wie sich das Ungeheuer über meine Schwestern hermacht. Was sollte ich als geübter Spieler des Darwinschen Spiels tun? Die Antwort muss sein: weitergehen und schimpfen – denn dann habe nur ich mich selbst verloren, während meine drei Schwestern mich anderthalbfach repräsentieren. Es ist besser, wenn sie weiterleben und 150 Prozent meiner Gene fortpflanzen. Mein scheinbar altruistischer Akt ist genetisch "selbstsüchtig", denn er maximiert den Beitrag meiner Gene in der nächsten Generation.

Die Menschheit konnte nur deshalb überleben, weil in ihr frühzeitig Unternehmensberater auftauchten, die etwas anders gerechnet haben.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon smalonius » Fr 13. Nov 2009, 10:19

Das ist nicht von Gould. (Wer ist MSS?)

Die Idee geht zurück auf J.B.S. Haldane. Formalisiert wurde sie von Hamilton unter dem Namen Verwandtenselektion.

Der Begriff ist in letzter Zeit öfter gefallen. Ich hätte jetzt erwartet, daß man zwischen Beispiel und Formalisierung umschalten kann. Vor allem aber hätte ich erwartet, es sei selbstverständlich, daß ein Mensch nicht nur aus genetischen Motiven handelt.

Das ist genau, was ich oben sage. Gegen Evolutionstheorie wettern, aber die Details nicht kennen.
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon El Schwalmo » Fr 13. Nov 2009, 10:39

jackle hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben: Letztlich geht es um Kultur vs. Natur. Der Mensch als Kulturwesen hat zwar noch den Körper, der in der biologischen Evolution entstanden ist, und möglicherweise kommt Verhaltensmustern, die dort eine Rolle spielten, auch heute noch eine Bedeutung zu. Untersuchungen in der Richtung sind okay. Umgekehrt ist es etwas anders: Ob die Sicht eines Unternehmensberaters die Biologie befruchten kann, scheint mir weniger plausibel als umgekehrt.

Na ja, früher hat man das wohl gedacht, denn es war der Demograf Malthus, der den Biologen Darwin befruchtete. Warum sollte das mit der modernen Demografie nicht möglich sein?

Malthus war Unternehmensberater, oder war Mersch Demograph oder was willst Du uns mit diesen Worten sagen?
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Re: Abschied vom Darwinismus

Beitragvon jackle » Fr 13. Nov 2009, 11:06

smalonius hat geschrieben:Das ist nicht von Gould. (Wer ist MSS?)


Der Text wird vom Michael Schmidt-Salomon (MSS) in „Jenseits von Gut und Böse“ auf S. 53 zitiert und mit Stephen J. Gould: „Darwin nach Darwin“, 1984, S. 323, referenziert.

smalonius hat geschrieben:Die Idee geht zurück auf J.B.S. Haldane. Formalisiert wurde sie von Hamilton unter dem Namen Verwandtenselektion.


Ja ja, und sie wurde von Richard Dawkins unter dem Namen „Theorie der egoistischen Gene“ popularisiert.

smalonius hat geschrieben:Vor allem aber hätte ich erwartet, es sei selbstverständlich, daß ein Mensch nicht nur aus genetischen Motiven handelt.


Warum sollte das so sein? Nur weil es behauptet wird? Der Grundgedanke der Verwandtenselektion/Theorie der egoistischen Gene ist, dass Lebewesen einem „genetischen Eigennutz“ folgen, und der wurde in der Hamilton-Regel sogar quantifiziert. Dass aber vielleicht auch Tiere – und nicht nur Menschen – sich mit einem Eigennutz bzgl. Selbsterhalt zufrieden geben können, schließt die Verwandtenselektion kategorisch aus. Sie erklärt genetischen Altruismus rein aus den Genen heraus: Wenn sich schon jemand in Bezug auf den eigenen Nachwuchs zurückhält, dann nur, um engen Verwandten dabei zu helfen, mehr eigene Gene durchzubekommen. Auf diese Weise erklären die Humansoziobiologen dann z. B. auch, weswegen Stiefeltern Stiefkinder stiefmütterlicher behandeln als ihre leiblichen Kinder. Und wie das Geschenkverhalten zu Weihnachten zu erklären ist (konnte man wieder alles in Büchern der Biologen zum Darwinjahr nachlesen). In der Hinsicht sind die Biologen nämlich gnadenlos. Einerseits behaupten sie, dass der Mensch nicht nur ein Gefangener seiner Gene ist, sodass ihre Theorien auf menschliches Verhalten nicht anwendbar sind, doch wenn man sich umdreht, tun sie es einfach doch!

Mersch zeigt dagegen auf, dass Eusozialität in weiblichen Sozialstaaten eine organisatorische Notwendigkeit darstellt, weil dieser sonst an den Opportunitätskosten für Nachkommen zugrunde gehen würde. Egoistisches Verhalten würde nämlich reproduktiv belohnt werden. Am Ende würde der Sozialstaat aus so vielen reproduktiven Trittbrettfahrern bestehen, dass es zur Auflösung käme.

Er verabschiedet sich damit von einigen Darwinistischen Dogmen, insbesondere der ausschließlichen Gen-Sicht, die von den Biologen – aus nicht näher erklärten Gründen – beim Menschen wieder aufgegeben wurde. Aber vielleicht ist das auch nur deren Taktik. Sie wollen halt gut klingen. Hierdurch kann man sich wieder gut fühlen: Der Mensch ist einzigartig! Er ist aus der biologischen Evolution ausgetreten! Hallelujah!

Mersch behauptet dagegen, dass sich soziales Verhalten auch dann ausbilden kann, wenn es für die Evolution der sozialen Gemeinschaft einen Vorteil darstellt. Für die Individuen kann es dabei ausreichend sein, ein angenehmes Leben zu führen (der Selbsterhalt wird gewährleistet bzw. gegenüber einem solitären Leben ggf. sogar verbessert). Sie müssen dabei keinen genetischen Eigennutz anstreben. Sie können sich in der Fortpflanzung altruistisch verhalten, und zwar aus sozialen Gründen. Und dieses altruistische Verhalten muss nicht einmal eine genetische Ursache besitzen, sondern kann Teil der ihnen zugewiesenen oder von ihnen angenommenen sozialen Rolle sein. Wenn das kein Paradigmenwechsel ist, was dann?

All das kann er im Grunde aus der Price-Gleichung ableiten, die ja Aussagen darüber macht, unter welchen Bedingungen in der Gesamtpopulation ein Kompetenzerhalt (bzw. Kompetenzzuwachs) zu verzeichnen ist.

smalonius hat geschrieben:Das ist genau, was ich oben sage. Gegen Evolutionstheorie wettern, aber die Details nicht kennen.


Mir scheint es eher so zu sein, dass du die Details nicht kennst.
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