von Nanna » Sa 14. Nov 2009, 19:24
Gerade in den Geisteswissenschaften werden viele Leute herangezüchtet, deren Qualifikation sich nicht so ohne weiteres auf "kann Medikamente entwickeln" oder "kann Roboter konstruieren" herunterbrechen lässt. Von geisteswissenschaftlichen Quereinsteigern in die Wirtschaft habe ich schon desöfteren gehört, dass ihnen ihre im Studium antrainierte Fähigkeit zum Hinterfragen und Überblicksdenken sehr zugute gekommen ist und dass sie weniger als ihre Mainstream-BWL-Kollegen dazu tendieren, blind einem Standardschema zu vertrauen. Ich weiß nicht, ob sich das generell übertragen lässt, kann es mir aber gut vorstellen. Interessant ist auch, in welchen Studiengängen außer Theologie die Dichte an Kreationsimusgläubigen besonders hoch ist: In den Ingenieurswissenschaften nämlich, weil man dort aus eigener Anschauung dauernd echten Kreationismus erlebt. Der entsprechende erhöhte Prozentsatz an kreationistischen Ingenieuren und Maschinenbauern mag zwar ökonomisch genauso gewichtig sein, wie ihre evolutionsüberzeugten Kollegen, zeigt aber auch, dass die Entwicklung reiner Produktivfähigkeiten in einer Gesellschaft noch lange nicht genug ist. Zumindest ein kleiner Rest von dem Ideal, dass die Universitäten zur Erweiterung des Horizonts der Menschen da sind und nicht nur zur Grundlagenforschung für Konsumgüter, sollte schon erhalten bleiben. Dazu gehört für mich, dass jeder, der ausreichende geistige Fähigkeiten hat, ein Recht auf einen Universitätsbesuch haben sollte.
Eigentlich sollte es doch mittlerweile allgemein bekannt ist, dass der Preis und der Wert einer Sache weder quantitativ noch qualitativ dasselbe sind. Die rein ökonomistische Betrachtung legt nahe, dass nur derjenige für die Gesellschaft etwas leistet, der auch gut verdient. Alle Leute, die zwar viel vom Arbeitspensum her viel leisten, auch und gerade für die Gesellschaft und im zwischenmenschlichen Bereich, damit aber wenig oder nichts verdienen, sind infolgedessen gar keine richtigen Leistungsträger.
Ich sage damit nicht, dass jeder, der ein Orchideenstudium beginnen will, aufgrund dieses Entschlusses für immer durchgefüttert werden soll, ich wehre mich nur dagegen, dass diese Studiengänge irgendwie mit dem Etikett "wertlos" versehen werden und Studenten durch die Bank weg als Sozialschmarotzer gelten, ungeachtet dessen, wie wichtig ihre Ausbildung für die Gesellschaft ist.
Ein Stipendiensystem wirkt zwar einerseits gerechter (wer viel leistet, wird gefördert, wer wenig leistet, muss selber blechen), krankt aber an dem Grundproblem, dass Leistung nicht überall besonders effektiv zu quantifizieren ist, ich denke hier beispielsweise an künstlerische Studiengänge. Ich erlebe aber auch selber, dass ein Professor in der Vorlesung groß ankündigt, dass er darauf Wert legt, dass die Antworten durchblicken lassen, dass der Stoff verstanden wurde, seltsamerweise bekommen hinterher aber Studenten mit dem Ruf eher durchschnittlich intelligent und sture Auswendiglerner zu sein besonders gute Noten. Sicherlich haben diese Studenten viel geleistet im Sinne davon, dass sie viel unreflektiert in ihren Kopf gepresst haben, aber sind das die Leute, die wir später in den höheren Positionen sitzen haben wollen? Oder wollen wir arme Stipendiaten, die, weil sie auf das Stipendium angewiesen sind, auf jegliches außeruniversitäre Engagement verzichten (müssen), damit sie die Anforderungen halten können?
Ich habe nichts grundsätzlich gegen ein solches System, aber es muss für jeden Abiturienten unkompliziert sein, ein Studium zu finanzieren, d.h. keine aufwändige Bürokratie, kein übermäßiger finanzieller Druck schon am Beginn des Studiums, denn viele Leute müssen auch einfach mal reinschnuppern und sich evtl. auch umentscheiden können, ohne, dass ihnen das das halbe Leben versaut.
@El Schwalmo:
Das ist durchaus ein zentraler Punkt, was du ansprichst. Ich sehe zwei Probleme: Keiner weiß, wie viele Akademiker wir brauchen (werden) bzw. wie viele wir uns leisten können und der andere Punkt wäre, wie man dann das Zugangssystem gestaltet: Lässt man die Leute studieren und hinterher scheitern oder baut man lieber gleich zu Beginn große Hürden auf, z.B. durch starke NCs?