von Nanna » Mi 27. Jan 2010, 00:25
Das liegt vermutlich daran, dass diese Leute noch sehr stark vom Krieg geprägt waren und ganz genau wussten, mit welchem Feuer sie spielen, wenn sie nicht aufpassen, das hat viel stärkere Konflikte über das richtige Vorgehen provoziert, weil ja jeder Fehltritt viel gefährlicher war. Jemand, der während der Nazizeit sozialisiert wurde, hat einfach ein ganz anderes Gefühl für Verantwortung und für das, was bei politischen Entscheidungen auf dem Spiel steht. Dieses Verständnis von Politik ist aber über die Jahre verlorengegangen und zwar umso mehr, je mehr Freiheiten bereits errungen waren, die den Leuten dann auch sehr schnell als selbstverständlich erschienen. Wenn ernsthafte Anlässe fehlen, dann wird politischer Streit an Kleinigkeiten aufgehängt und mehr inszeniert als geführt. Den absoluten Exzess der Realitätsferne hat ja dann bekanntlich die FDP mit ihrer Selbstinszenierung als Spaßpartei geleistet.
Sowohl Brandt und Strauß als auch die FDP-Spaßparteiler haben aber sicherlich gemein, dass sie aus ihrer jeweiligen Situation auch das Beste für sich persönlich (!) herausholen wollten, nur eben unter komplett anderen Vorzeichen. Brandt wollte nie wieder eine menschenverachtende Diktatur auf deutschem Boden haben, Strauß wollte seine Vorstellung traditioneller Lebensart (insbesondere in Bayern) bewahren und die FDP-Leute der 90er Jahre wollten vor allem gewählt werden und wahrscheinlich auch selber Spaß haben (man muss ja mal zurückdenken in die 90er, als nicht wenige dachten, das Ende der Geschichte sei gekommen und alle wesentlichen kulturellen und sozialen Kämpfe seien ausgefochten; da kann man schon mal auf die Idee kommen, dass Kasperletheater nun das adäquate Surrogat für ernsthafte Inhalte wäre). Neben der allgemeinen politischen Agenda, zu der jeder Politiker einer gewissen politischen Gruppe sich pro forma bekennen muss sind das also sicherlich auch persönliche Ziele der Einzelpersonen gewesen. Dass Politik ein Geschäft ist, heißt ja nicht unbedingt, dass es nur um wirtschaftliche bzw. monetäre Interessen gehen muss, sondern jeder Politiker sucht bestimmt stets auch das, worin er einen eigenen Vorteil ausmachen kann, und wenn es eben "nur" die Durchsetzung des eigenen Weltbildes ist, wie es Brandt und Strauß sicherlich mehr am Herzen lag als den indifferenten Spaßparteilern, denen es wohl wirklich vor allem um politische Macht ging (etwas anderes, wichtigeres schien ja auch gar nicht mehr erreichbar).
Wo ich eher zustimmen kann, ist, dass die kantigen Persönlichkeiten, die die Kriegszeit hervorgebracht hatte, Adenauer, Strauß, Brandt, Schmidt, sicherlich wesentlich gefestigter in ihrer persönlichen Agenda waren, während Politiker heute eher Fähnchen im Wind sind. Die politische Situation ist heute aber auch eine ganz andere, die Politiker von heute sind in einem freien Land sozialisiert worden, wo man sich eine ganze Menge erlauben kann, ohne das ernsthafte Konsequenzen drohen. Damit geht natürlich auch das Gefühl für Bedrohungen verloren, der demokratische Staat wird selbstverständlicher, man ha das Gefühl sich so bescheuert benehmen zu können, wie man will und trotzdem nichts ernsthaft kaputtmachen zu können. Wenn es nicht mehr laufend darum geht, um jeden Preis die eigene Freiheit gegen Faschisten oder den Ostblock zu verteidigen, dann färbt diese Sorglosigkeit und Indifferenz natürlich auch irgendwann auf die politische Kultur ab und man kann es sich eher erlauben, die eigene Karriere in den Vordergrund zu stellen.