platon hat geschrieben:Und? Woher weißt Du, dass der Kollaps nicht zwangsweise eingebaut ist? Alle Menschenarten bis auf den Homo sapiens sind von diesem Planeten wieder verschwunden. Das Scheitern ist immanenter Teil der Evolution. Ich würde mich an Deiner Stelle nicht darauf verlassen, dass wir einen unwiderstehlichen Drang zur Friedfertigkeit haben.
Da gebe ich dir recht, frage mich allerdings, ob eine so kollapsgefährdete Zivilisation je auch nur in die Nähe der Möglichkeit gelangen könnte, uns gefährlich zu werden. Ich nehme an, eine Zivilisation ist entweder komplex genug um die gewaltige ingenieurstechnische Leistung des Überfalls eines anderen Planeten zu meistern - und damit der Annahme nach friedfertiger, im mindesten nach innen - oder eben nicht, dann aber für uns irrelevant ist. Wir selbst sind zum derzeitigen Zeitpunkt eine dieser irrelevanten Zivilisationen, weil der Grad der globalen Kooperation nicht ausreicht, um einen anderen Planeten zu besiedeln, nichtmal den Mond haben wir bislang geknackt.
Dissidenkt hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Ich halte es jedenfalls für unwahrscheinlich, dass wir die Schlussfolgerungen einer uns überlegenen Intelligenz vorhersagen können.
In einem gewissen Rahmen können wir das schon, denn bestimmte Verhaltensweisen würden die Entstehung oder den Bestand einer solchen Zivilisation unmöglich machen.
Nun, das ist ja etwas, worauf ich selber auch hinauswill.
Ich denke, die Frage, ob eine fremde Zivilisation uns nun zum Fressen gern hätte oder einfach links liegen ließe, lässt sich aber kaum über eine Analyse ihres simulierten Charakters erreichen, da halte ich die simple Rechnung "Erde klein und unbedeutend + Weg weit und spritfressend + massive atomare Mehrschlagsfähigkeit = Essig mit Angriff" für wesentlich aussagekräftiger, um die Unwahrscheinlichkeit von Alienattacken zu unterstreichen.
ganimed hat geschrieben:Außerirdische werden also doch expandieren und andere Planeten erobern, weil sie von bakterieähnlichen Lebewesen abstammen, und Bakterien ohne Bewusstsein nunmal expandieren?
Gibt es im All Raumschiffbauer, die das unbewusst, also ohne Motivation machen? Einfach nur, weil es zufällig gerade geht?
Nein, die Bakterien waren nur als Verbildlichung gedacht.
Die Frage ist, ob die Motivation der Bakterien sich so grundlegend von der der Raumschiffbauer unterscheidet. Beide werden, wenn es ihren jeweiligen Zielen entspricht, expandieren.
Es gibt ja den berühmten Affen, den man vor die Schreibmaschine setzt und Jahrtausende wartet, bis irgendwann mal zufällig Shakespeare herausfällt. Eine Zivilisation hat, wie ich gegenüber platon schon angeführt habe, zwei triviale Möglichkeiten: Weiterleben oder Aussterben (oder auf ein vorindustrielles Niveau zurückfallen, was für uns dasselbe Ergebnis bringt). Wenn die Zivilisation weiterlebt und sich auch weiterentwickelt, was sie aufgrund sich in diesem Universum immer verändernder Umweltbedingungen tun MUSS, dann passiert es irgendwann, dass irgendwer oder irgendwas die Ressourcen der Zivilisation aus irgendwelchen Gründen zum Verlassen des Planeten nutzt, aus Verzweiflung, Gewinnstreben, Neugierde, Langeweile... wenn der Zeitraum ausreichend lang ist, reicht es völlig aus, dass die Wahrscheinlichkeit dafür 0,00000001% oder noch weniger beträgt. Trifft der galaktische Reisende auf eine neue Umwelt, die Ressourcen bereithält, wird er dort bis ans verträgliche Limit expandieren, das lehrt das Beispiel neuentstandener Vulkaninseln, wo wenige anfliegende Samen ausreichen um den Grundstein eines eigenen Ökosystems zu legen. In diesem Modell ist die alleinentscheidende Größe die Zeit: Wenn man es lang und oft genug probiert, klappt es irgendwann und wenn man extrem große Zeiträume hat, dann probiert man es auch lang und oft genug.
Die einzige Gefahr ist, dass die Zivilisation ausstirbt, bevor sie weitere Planeten besiedelt hat, aber wir haben ja noch einige Milliarden Jahre Zeit, bevor im Universum die Lichtre ausgehen, also nur Geduld. Irgendwer schafft es irgendwann.
ganimed hat geschrieben:Ein interstellares Raumschiff baut man aber nicht aus einem unmotivierten, unbewussten, ziellosen Wachstumsreflex heraus.
Bakterien und Zivilisationen, beide überleben oder gehen unter, mit dem Unterschied, dass die Zivilisation gewisse Möglichkeiten hat, aktiv in das Geschehen einzugreifen. Über, wie schon ausgeführt, ausreichend lange Zeiträume betrachtet wird aber jede Zivilisation an Punkte kommen, wo ein Verlassen des Planeten opportun erscheint, spätestens dann, wenn der hauseigene Stern schlappmacht und das ist dann nichts, was sich im Verhandlungsbereich des jeweiligen zivilisatorischen Charakters befindet, sofern die Zivilisation untergehen nicht als Option sieht (was unwahrscheinlich ist, weil man so die Evolution nicht lange genug überlebt, um eine industrielle Zivilisation zu erschaffen).
Ich sage ja gar nicht, dass das oft passiert. Ich sage nur, dass nach den Gesetzen der Statistik die Wahrscheinlichkeit der interstellaren Raumfahrt umso größer wird, je länger die Zivilisation besteht und je fortgeschrittener ihre Technologie ist.
Du kannst Columbus' Fahrten auch aus zwei Perspektiven beleuchten, der subjektiven, die seine Motivationen und die seiner Zeitgenossen in den Fokus stellt und die systematische, die sich auf den sozioökonomischen Druck im Spanien des 15. Jahrhunderts konzentriert. Beide dürften ihre Berechtigung haben, wobei die zweitere zeigt, dass es für den unwahrscheinlichen Fall eines wagemutigen Seemannes und das entsprechende politische Klima gewisse Determinanten für Expansion gab, die nur zufällig zusammenfallen mussten. Wäre Columbus nicht gewesen, wäre aber höchstwahrscheinlich im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte ein anderer Kapitän auf die Reise gegangen, zumal ja die Schiffstechnik laufend besser wurde. Irgendwann kommen einfach ökonomischer Druck, ausreichende Technik und ein Quäntchen Zufall zusammen und es klappt. Eine solche Systematik halte ich auch bei interstellaren Expeditionen von postindustriellen Zivilisationen für wahrscheinlich.
ganimed hat geschrieben:Und meine Überlegung wäre, dass bevor man fähig ist, ein funktionierendes Interstellarraumschiff zu bauen, man bestimmt auch die Fähigkeit erlangt, seine eigenen Ziele festzulegen. Und wenn man das Zielfestlegen zuerst kann, welcher Grund bleibt dann noch für das Raumschiffbauen?
Wie wird das ablaufen? Was, wenn Teile der Zivilisation unterschiedliche Ziele finden und eine Evolution der Ziele stattfindet, wobei die aggressiveren Vertreter die Oberhand behalten? Was, wenn es durch physikalische Unwägbarkeiten zu Mutationen dieser statischen Daseinsweise kommt oder äußere Einflüsse Änderungen erzwingen? Nochmal: Über lange Zeiträume ist statisches Dasein äußerst unvorteilhaft, weil irgendwann irgendwer an einem vorbeievolutioniert, höchstwahrscheinlich ein äußerst unwahrscheinlicher Zeitgenosse aus den eigenen Reihen, was aber irgendwann aus statistischer Notwendigkeit heraus geschehen wird.