Humanismus contra Religion

Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon ganimed » Fr 4. Jun 2010, 19:52

stine hat geschrieben:Wenn wir wissen, dass Religionen die Menschen auf der Basis der Freiwilligkeit wegweisen können, überzeugender sogar als staatliche Programme das je tun könnten, dann sollten wir religiöses Denken nicht ausradieren, sondern der neuen Welt anpassen. Der Naturalismus eignet sich als Weltsicht philosophisch betrachtet ganz besonders dazu.

Nichts gegen dich, stine, es fällt mir nur zufällig an diesem Zitat wieder was auf, aber so reden hier auch viele andere. Formuliert wird für mein Gefühl zu oft so, als würde es hier darum gehen, eine neue Gesellschaft zu bauen, tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen zu planen und eine bessere Ordnung zu schaffen. Ich kratze mich gerade am Kopf und überlege, ob wir Feierabend-Hobby-Amateur-Philosophen uns da nicht tendenziell im Ton vergreifen und für viel zu wichtig nehmen.

Immerhin sind wir doch auch nur kleine Rädchen im Getriebe dieser Gesellschaft. Wir übernehmen ebenfalls ständig vorgekaute Meinungen und Stimmungen (siehe z.B. die letzte Ausgabe von Gehirn&Geist : "Soziale Gemeinschaften prägen wie wir denken und fühlen" http://www.gehirn-und-geist.de/). Wir sind auch nur das Ergebnis von Weltsichten und -bildern, die von anderen Leuten aus unserer Umgebung und aus den uns in die Hände gedrückten Büchern stammen. Machen wir lieber keine Pläne damit, außer für uns selbst.

Ansonsten bin ich in der Sache bei Nanna (wie eigentlich fast immer). Religion als Machtintstrument, als gezielte Menschenbeeinflussung, das kann man wohl nur für die paar Prozent Profis so sehen. Also Prediger, Priester, Würdenträger etc. Für die große Menge der religiösen Menschen ist das natürlich keine Politik, sondern nur höchst persönliche Weltbilder. Den Menschen bewusste Irreführung, Verschlagenheit und Machtkalküle zu unterstellen klingt für mich eher wie banale Paranoia.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon Bionic » So 6. Jun 2010, 14:20

stine hat geschrieben:Natürlich kann Religion nicht alle Menschen zum Besseren bekehren, aber sie startet wenigstens den Versuch!

Macht sie das den wirlich? Teilweise sicher, aber im Großen?
stine hat geschrieben:Wer nicht an Götter glaubt, muss sich der menschlichen Politik unterordnen. Einen wirklich freien Menschen gibt es nicht.

Das ist Blödsinn. Dass es keine wirklich freien Menschen gibt, stimmt aber.
Nanna hat geschrieben:Um das klarzustellen: Mir geht es in erster Linie darum, diejenigen Gläubigen, die an den Glauben glauben und tatsächlich redliche Absichten haben, in Schutz zu nehmen gegenüber dem von atheistischer Seite manchmal etwas reflexhaft geäußerten Verdacht, dass alle Religiösen in Wahrheit heimliche Machtinteressen verfolgen würden und, noch schlimmer, sich dessen auch voll bewusst seien.

Das sehe ich auch so. Jedoch sollte man auch nicht annehmen, dass Religionen nur das Gute wollen.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon Zappa » So 6. Jun 2010, 14:33

ganimed hat geschrieben:Ich kratze mich gerade am Kopf und überlege, ob wir Feierabend-Hobby-Amateur-Philosophen uns da nicht tendenziell im Ton vergreifen und für viel zu wichtig nehmen.


Naja, ich halte uns hier eher für die obern 10.000 unserer Gesellschaft (Polis) und damit für die geborenen Politiker :kg:

Ich denke man sollte seinen eigenen Standpunkt und die Argumente dafür zumindest so wichtig nehmen, dass man es auf eine Anwendung ankommen ließe, oder?
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon xander1 » So 6. Jun 2010, 15:06

Wenn man nicht wenigstens versucht in die Poltik zu kommen oder anderweitig WIRKLICH Einfluss zu nehmen, dann ist das alles nichts wert.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon ganimed » So 6. Jun 2010, 16:48

Zappa hat geschrieben:Ich denke man sollte seinen eigenen Standpunkt und die Argumente dafür zumindest so wichtig nehmen, dass man es auf eine Anwendung ankommen ließe, oder?

Man sollte seine Grenzen schon kennen und sich selbst für so fehlerhaft nehmen, dass man es auf eine Anwendung nicht ankommen ließe. Wer von uns würde im Ernst die Verantwortung für das Fiasko tragen wollen, wenn unsere stammtischähnlichen, "ganz einfachen" Lösungen für die Welt wirklich Anwendung fänden?

xander1 hat geschrieben:Wenn man nicht wenigstens versucht in die Poltik zu kommen oder anderweitig WIRKLICH Einfluss zu nehmen, dann ist das alles nichts wert.

Sich selbst Gedanken zu machen, in Diskussionen was dazu zu lernen, neue Argumente zu hören und eigene Argumente übungsweise zu schärfen, das alles soll nichts wert sein? Ich finde, das ist eine schöne Form der Erwachsenenbildung, deren Mindestwert man möglicherweise sehr gut mit den Gebühren für Volkshochschulkurse abschätzen kann.
Die Politik überlasse ich den übergeschnappten Größenwahnsinnigen, die wirklich glauben, helfen zu können oder sogar unentbehrlich zu sein.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon Nanna » So 6. Jun 2010, 19:43

ganimed hat geschrieben:Die Politik überlasse ich den übergeschnappten Größenwahnsinnigen, die wirklich glauben, helfen zu können oder sogar unentbehrlich zu sein.

In einer Demokratie sollte man den eigenen Einfluss nicht unterschätzen. Man schaue nach Tschechien, eigentlich kein Musterland der demokratischen Tradition, wo der Wähler vor kurzem ein deutliches Votum gegen populistischen Blödsinn abgegeben hat. Es ist schon richtig, sich selbst möglichst viele Gedanken zu machen und zu versuchen, diese zu artikulieren, ansonsten würden wir zu einem Volk passiver BILD-Konsumenten degenerieren und das täte unserer Kultur und damit der Prosperität in jeglicher Hinsicht sicherlich nicht gut.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon ganimed » So 6. Jun 2010, 20:25

Alle Tschechen, die für den populistischen Blödsinn gestimmt haben, werden mir aber recht geben. Ihre Stimme hat nichts genutzt.

Aber im Ernst: wenn ich in dieser genannten Stelle (Artikel in Gehirn&Geist) lese, dass meine eigenen Stimmungen und Gedanken teilweise von meiner Umgebung abhängen, dann finde ich meinen Beitrag zur Demokratie irgendwie noch weniger originär und noch weniger wichtig als ohnehin schon. Ich bin mir sicher, dass ich Lena nicht deswegen gut finde, weil ich sie wirklich gut finde, sondern nur, weil ich vom Hype ein wenig mit angesteckt wurde. Aber gut ist sie. Oder?
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon stine » Mo 7. Jun 2010, 07:00

Nicht besser als viele andere. Aber gut vermarktet.
Finde ich.

LG stine
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon Nanna » Mo 7. Jun 2010, 13:57

ganimed, wenn es so ist, dass unsere Umgebung uns so stark beeinflusst (wovon ich persönlich ebenfalls überzeugt bin; ich finde es z.B. immer wieder interessant, wenn eine Studie bestätigt, dass die Ästhetik des Umfelds oder andersherum der Grad der Verwahrlosung hohe Korrelationen mit Arbeitsproduktivität und kriminellem Verhalten aufweisen), dann sollte es ziemlich wahrscheinlich sein, dass auch die Mächtigen derart beeinflusst sind. Das würde bedeuten, dass ein schlechtes Wahlergebnis oder schon sinkende Umfragewerte tatsächliche Auswirkungen haben. Der Drang vieler Politiker zum Populismus scheinst diese Vermutung zu bestätigen. Anders gesagt: Diese Forschungsergebnisse bestätigen doch eher noch die Wirksamkeit des gesellschaftlichen Diskurses (der in einer Demokratie überhaupt erst möglich ist!). Vielleicht überschätzen wir alle unsere individuellen Möglichkeiten ein wenig, andererseits weiß man aus der Analyse von Vogelschwärmen, dass es oftmals Individuen sind, die den ganzen Schwarm zum Abdrehen bringen und dass die in der Mitte fliegenden Tiere Tempo und Richtung am ehesten beeinflussen können, nicht die an der Spitze.
Demokratie ist ja außerdem eigentlich eine extrem kollektivistische Herrschaftsform, auch wenn sie in unseren Köpfen immer sehr stark mit Individualismus in Verbindung gebracht wird, weil sie diesen im Normalfall eben auch (!) ermöglicht. Insofern müssen wir den demokratischen Souverän vielleicht in der Tat auch als eine Art Schwarmintelligenz ansehen und entsprechend analysieren. Dass das Individuum dabei nicht glänzend wegkommt, mag sein, aber diese Funktion ist eigentlich in der demokratischen Ideologie auch gar nicht angelegt.
Es ist ein bisschen wie mit dem Energiesparen: Der Beitrag des Einzelnen ist tatsächlich äußerst unspektakulär und irrelevant. Der Beitrag vieler Einzelner verändert dagegen signifikant den Lauf der Geschichte. Und manchmal, wie kürzlich in NRW, machen 6.000 Stimmen den Unterschied zwischen der stärksten und zweitstärksten Partei aus, wobei erstere im Zweifel eher den Ministerpräsidenten stellt und welcher Charakter da an die Macht kommt, das hat dann tatsächlich klare Auswirkungen. Ich wäre vorsichtig, zwischen den Extremen des unbewegten Bewegers, der alle Entscheidungen komplett autonom trifft und dem des willenlosen Automaten, der der Massenbewegung gehorcht, hin und her zu pendeln. Die Wahrheit liegt, wie so oft, wohl mal wieder in der Mitte.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon Denker » Mo 7. Jun 2010, 18:29

ganimed hat geschrieben: Wer von uns würde im Ernst die Verantwortung für das Fiasko tragen wollen, wenn unsere stammtischähnlichen, "ganz einfachen" Lösungen für die Welt wirklich Anwendung fänden?.

ganimed hat geschrieben:Die Politik überlasse ich den übergeschnappten Größenwahnsinnigen, die wirklich glauben, helfen zu können oder sogar unentbehrlich zu sein.

Eine hübsche contradictio in adjecto... Das zweite Zitat ist ja wohl genau das: eine >>stammtischähnliche, "ganz einfache" Lösung<<. Heißt das, dass man auf "Politiker" verzichten kann?? Oder was ist gemeint??
Oder war es nur ein kleiner unüberlegter Wutausbruch...?
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon ganimed » Mo 7. Jun 2010, 20:00

Nanna hat geschrieben:Diese Forschungsergebnisse bestätigen doch eher noch die Wirksamkeit des gesellschaftlichen Diskurses ... andererseits weiß man aus der Analyse von Vogelschwärmen, dass es oftmals Individuen sind, die den ganzen Schwarm zum Abdrehen bringen und dass die in der Mitte fliegenden Tiere Tempo und Richtung am ehesten beeinflussen können, nicht die an der Spitze.

Ein gutes Argument, muss ich zugeben. Man ist nicht allmächtig und man ist nicht völlig ohnmächtig, sondern irgendwas dazwischen. Aber nicht in der Mitte dazwischen. Bei 80 Millionen Flugenten ist mein persönliches Stuerungspotenzial eher am unteren Ende, irgendwo recht nahe bei Ohnmacht angesiedelt. Ich kann nur ahnen, wievielen Leuten ich wegen der Streichungspläne schimpfend ins Ohr fallen müsste, um einen spürbaren Gegenruck auszulösen. Und schließlich ist Frau Merkel die Mitte und wo sie ist ist die Mitte (so ähnlich redete sie glaube ich mal auf einem Parteitag). Aber zugegeben, gehe ich eben weiter zur Wahl und tröste mich, dass meine politische Macht > 0 ist.

Denker hat geschrieben:Das zweite Zitat ist ja wohl genau das: eine >>stammtischähnliche, "ganz einfache" Lösung<<. Heißt das, dass man auf "Politiker" verzichten kann?? Oder was ist gemeint?? Oder war es nur ein kleiner unüberlegter Wutausbruch...?

Stimmt wohl, sich völlig aus der Politik rauszuhalten ist eine simple Stammtisch Lösung. Und ich würde mir vor Angst in die Hose machen, wenn jemand diese Lösung wirklich ernsthaft und breitenwirksam in die Tat umsetzte. Zum Glück hört aber niemand auf mich und somit bleibt mir jede Verantwortung erspart, wenn nur ich das tue.
Ich meine, dass man auf Politiker natürlich nicht verzichten kann. Aber deshalb muss ich sie noch lange nicht leiden können. Und ich muss den Politikern ihren Dienst am Gemeinwesen auch nicht dankbar anrechnen. Sie krakelen schließlich aus letztlich egoistischen Gründen. Man braucht sie, viele von ihnen sind schlecht und inkompetent aber ohne sie wäre es natürlich noch schlimmer. Und ich mache den Job auf keinen Fall, weil ich dazu gänzlich ungeeignet wäre. Aber in nicht ganz ernstgemeinter und etwas unbekümmert formulierter Wut über sie schimpfen wird man ja wohl noch dürfen.
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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon stine » Mo 7. Jun 2010, 20:07

ganimed hat geschrieben:Und ich mache den Job auf keinen Fall, weil ich dazu gänzlich ungeeignet wäre.
Woher willst du das wissen?
Du hast es noch nie versucht. Bei den personellen Prblemen die die Politik heute hat, kann frisches Blut nicht schaden. :mg:

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Re: Humanismus contra Religion

Beitragvon ganimed » Mo 7. Jun 2010, 20:39

Mir fehlt jeglicher Funke an Überzeugungskraft. Meine Frau zum Beispiel glaubt mir grundsätzlich erstmal gar nichts. Und bringt mich damit recht schnell in Zweifel, ob ich denn nicht vielleicht wirklich Unsinn rede. Im kleinen, zwischenmenschlichen Rahmen habe ich also durchaus schon jede Menge Versuche hinter mir.

Der Job als Krediteintreiber und Knochenbrecher bei der Mafia macht mir Spaß, wird gut bezahlt und entspricht meinen Neigungen. Bernd Schuster, bleib bei deinen Leisten.
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