Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » So 20. Jun 2010, 22:06

darwin upheaval hat geschrieben:Zum letzten Mal, der Wissensbegriff ist nach Bunges Definition nicht an den Begriff der Wahrheit geknüpft.


Ich kritisiere ja ebendiese Definition.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » So 20. Jun 2010, 22:17

darwin upheaval hat geschrieben:Wir sprechen über das Wissen der faktischen Wissenschaften. Da gibt es den Begriff der partiellen Wahrheit. Damit ist gemeint, dass die Theorie mit einigen Fakten korrespondiert, mit anderen nicht. Die Newtonsche Theorie ist wahr, wenn sie makroskopische Objekte beschreibt und falsch, wenn sie Quantenobjekte beschreiben soll. Da also Theorien weder absolut wahr (1) noch absolut falsch (0) sind, noch beides zugleich sein können, liegt folglich der Wahrheitsgehalt irgendwo zwischen 0 und 1. Daran sehe ich überhaupt nichts Problematisches, im Gegenteil.


Auch wenn es nur ein einheitliches Gesamtsein gibt, gibt es unterschiedliche Beschreibungs- und Erklärungsebenen. Eine Theorie, die makroskopische Objekte richtig beschreibt und erklärt, beschreibt und erklärt nicht unbedingt richtig die mikroskopischen Objekte, aus denen die makroskopischen Objekte bestehen. Das hat aber schlicht damit zu tun, dass nicht alle Eigenschaften von Ganzheiten zugleich Eigenschaften ihrer Bestandteile sein müssen.
Mir leuchtet aber überhaupt nicht ein, wieso der Wahrheitswert einer solchen Theorie irgendwo im Intervall ]0,1[ liegen soll. Denn auf der makroskopischen Ebene kommt ihr doch der Wahrheitswert 1 zu.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Mo 21. Jun 2010, 01:50

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Zur Information, ich habe Deine Position argumentativ ins Wanken gebracht. Du wollstest das "Wissen" der Newtonschen Theorie durch die Einführung des Begriffs der "Wahrheitsnähe" retten.

Das ist zunächst nicht mehr als "handwaving" meinerseits, also eine oberflächliche Überlegung.


Wenn zum Beispiel ein 1,90m großer Mann eine Tankstelle überfällt und die Polizei danach zum einen die Zeugenaussage aufnimmt, dass der Täter 1,80m groß sei, und zum anderen die Zeugenaussage, dass er 1,70m groß sei, dann ist erstere für die Fahndung nützlicher als letztere, obwohl beide falsch sind. Aber nichtsdestoweniger weiß die Polizei nicht, dass der Täter 1,80m groß ist, da er ja in Wahrheit 1,90m groß ist.
Du scheinst "Wissen" wie folgt definieren zu wollen:

X weiß, dass A, genau dann, wenn (i) X glaubt, dass A, (ii) der Glaube von X, dass A, gerechtfertigt ist, und (iii) A entweder der Wahrheitswert 1 oder ein Wahrheitswert aus dem Intervall [N > 0,5;1[ zukommt.

Wenn Wahrheitswerte für Wahrheitsnähe stehen, wie hoch muss dann der Wert 0,5 < N < 1 sein, um Wissen zu ermöglichen? 0,75? 0,9? 0,99? Darauf kann man wohl nur eine willkürliche Antwort geben. Überhaupt erscheint mir eine solche Wissensdefinition nicht adäquat, denn, wie gesagt, knapp daneben ist auch vorbei. Man könnte im Fall eines falschen gerechtfertigten Glaubens, der der Wahrheit sehr nahe steht, höchstens von "Fastwissen" oder "Beinahewissen" sprechen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Mo 21. Jun 2010, 05:56

"Ausgehend von einem Stück Wissen (z.B. einem Gedanken)…"

(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 65)

Das verstehe ich immer noch nicht. Inwiefern ist ein Gedanke ein "Stück Wissen"?
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon stine » Mo 21. Jun 2010, 06:59

Myron hat geschrieben:X weiß, dass A, genau dann, wenn (i) X glaubt, dass A, (ii) der Glaube von X, dass A, gerechtfertigt ist, und (iii) A entweder der Wahrheitswert 1 oder ein Wahrheitswert aus dem Intervall [N > 0,5;1[ zukommt.

Mensch Myron, was machst du nachts sonst noch?

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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Mo 21. Jun 2010, 07:30

Myron hat geschrieben:"Ausgehend von einem Stück Wissen (z.B. einem Gedanken)…"

(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 65)

Das verstehe ich immer noch nicht. Inwiefern ist ein Gedanke ein "Stück Wissen"?

auf S. 61 steht Definition 3.3.

Das Wissen (oder die Erkenntnis) eines Tieres zu einer bestimmten Zeit ist die Menge aller(i) sensomotorischen Fähigkeiten oder (ii) perzeptiven Fähigkeiten und Wahrnehmungen oder (iii) Begriffe und Aussagen, die es bis dahin gelernt und behalten hat.

Das hat mit dem, was Du unter 'Wissen' verstehst, vermutlich nicht viel gemein.

Wie gesagt, Ihr Beide redet schlicht und ergreifend aneinander vorbei, wobei mir nicht klar ist, ob Ihr jeweils den Ansatz der anderen Seite versteht. Ich vermute, dass der Hauptunterschied ist, dass im Bereich der Naturwissenschaften auf 'Wahrheit' in dem Sinn, wie Du den Begriff verwendest, schlicht und ergreifend verzichtet werden kann. Daher ist in diesem Bereich auch der Zusammenhang zwischen 'Wahrheit' und 'Wissen' irrelevant.

Die vielen Autoren, die Du zitierst und auf deren Konsens Du Dich berufst, ist von Darwin Upheavals Sicht aus gesehen wenig relevant. Er kann zwar nur eine sehr restringierte Position darstellen, aber das ist seine (und meine) Welt, in der die Probleme, die Philosophen wie Du haben, keine Rolle spielen. Die spannende Frage ist nur, wer nun die Deutungshoheit im Diskurs hat. Du, weil Du ein breiteres Spektrum betrachtest, oder Darwin Upheaval, weil seine Baustelle relevanter ist als Deine.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Mo 21. Jun 2010, 09:53

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:"Ausgehend von einem Stück Wissen (z.B. einem Gedanken)…"
(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 65)
Das verstehe ich immer noch nicht. Inwiefern ist ein Gedanke ein "Stück Wissen"?

auf S. 61 steht Definition 3.3.:
"Das Wissen (oder die Erkenntnis) eines Tieres zu einer bestimmten Zeit ist die Menge aller(i) sensomotorischen Fähigkeiten oder (ii) perzeptiven Fähigkeiten und Wahrnehmungen oder (iii) Begriffe und Aussagen, die es bis dahin gelernt und behalten hat."
Das hat mit dem, was Du unter 'Wissen' verstehst, vermutlich nicht viel gemein.


Ein Gedanke als eine gedachte Aussage ist also ein "Stück Wissen", wenn man sie kennt, d.h. wenn man sie kennengelernt und sich gemerkt hat.
Das M&B'sche "Stück Wissen" ist also eigentlich nur ein "Stück Kenntnis", d.h. kein Tatsachenwissen, sondern "Bekanntschaftswissen" ("knowledge by acquaintance").
Zwischen "X kennt die Aussage A" und "X weiß, dass die Aussage A wahr ist" besteht natürlich ein Unterschied. Daraus, dass man eine Aussage (bzw. deren Inhalt) kennt, folgt nicht, dass man glaubt oder weiß, dass sie wahr ist.

El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, Ihr Beide redet schlicht und ergreifend aneinander vorbei, wobei mir nicht klar ist, ob Ihr jeweils den Ansatz der anderen Seite versteht. …
Die vielen Autoren, die Du zitierst und auf deren Konsens Du Dich berufst, ist von Darwin Upheavals Sicht aus gesehen wenig relevant.


Der Nebel lichtet sich allmählich!
Oben habe ich geschrieben:

"Du scheinst "Wissen" wie folgt definieren zu wollen:

X weiß, dass A, genau dann, wenn (i) X glaubt, dass A, (ii) der Glaube von X, dass A, gerechtfertigt ist, und (iii) A entweder der Wahrheitswert 1 oder ein Wahrheitswert aus dem Intervall [N > 0,5;1[ zukommt.

Wenn Wahrheitswerte für Wahrheitsnähe stehen, wie hoch muss dann der Wert 0,5 < N < 1 sein, um Wissen zu ermöglichen? 0,75? 0,9? 0,99? Darauf kann man wohl nur eine willkürliche Antwort geben. Überhaupt erscheint mir eine solche Wissensdefinition nicht adäquat, denn, wie gesagt, knapp daneben ist auch vorbei. Man könnte im Fall eines falschen gerechtfertigten Glaubens, der der Wahrheit sehr nahe steht, höchstens von 'Fastwissen' oder 'Beinahewissen' sprechen."


Ich zitiere nun einen Autor, auf den ich erst danach heute Nacht im Zuge meiner Literaturrecherche gestoßen bin und den Darwin ziemlich relevant finden dürfte:

"According to the classical definition of propositional knowledge,

(1) X knows that h iff
(a) X believes that h
(b) h is true
(c) X has justification for h.

An infallibilist interprets condition (c) in the strong sense where justification implies certainty:

(c1) X is certain that h.

Here (c1) not only says that X is subjectively certain, or fully convinced, that h, but that in some objective sense X is absolutely certain about the truth of h, i.e. X is in a situation where he cannot be wrong about h.
……
The weak fallibilist thus retains conditions (a) and (b), but replaces (c1) by something like

(c2) h is more probable or more acceptable than its rivals on the available evidence.
……
While the weak fallibilist retains the condition (1)(b), or at least allows that many uncertain conjectures are in fact true or at least possibly true (.), a strong fallibilist recognizes that even the best claims of science are normally inexact, approximate, or idealized, i.e. they are not true in a strict sense. Therefore, (b) should be replaced by a condition that requires h to be truthlike or approximately true (.). Then the first condition can also be changed, since the strong fallibilist does not believe that even his best hypotheses are strictly true. Thus, the strong fallibilist suggests that the classical definition (1) is replaced by

(2) X knows that h iff
(a') X believes that h is truthlike
(b') h is truthlike
(c') X has reason to claim that h is more truthlike than its rivals on available evidence.

Condition (c') guarantees here that X cannot at the same time know two mutually contradictory hypotheses.
……
To summarize, realism in epistemology should employ the fallibilist conceptions of probable, conjectural, and truthlike knowledge—and thereby avoid the Scylla of infallibilism and the Charybdis of scepticism."


(Niiniluoto, Ilkka. Critical Scientific Realism. Oxford: Oxford University Press, 1999. pp. 80-85)

Der Unterschied zwischen dem schwachen und starken Fallibilismus war mir bislang unbekannt. Die starken Fallibilisten ersetzen also im Gegensatz zu den schwachen Fallibilisten die Wahrheitsbedingung durch eine Wahrheitsähnlichkeitsbedingung, d.h. der Wissende muss nicht glauben, dass A wahr ist, sondern nur, dass A wahrheitsähnlich ist. Entsprechend folgt aus dem Wissen, dass A, nicht, dass A wahr ist, sondern nur, dass A wahrheitsähnlich ist.

Was ich mich allerdings frage, ist, wie man feststellen kann, wie wahrheitsähnlich oder wahrheitsnah eine Aussage ist, wenn man die entsprechende wahre Aussage nicht kennt und auch nicht kennen kann.
Wenn Peter nicht weiß, wo Fritz sich befindet, wie kann er dann wissen, wie weit er von ihm entfernt ist?
Oder wenn Peter nicht weiß, wie Fritz aussieht, wie kann er dann wissen, wie ähnlich er ihm sieht?
Wie kann man also auf sinnvolle, d.h. auf nichtbeliebige, nichtwillkürliche Weise einen Wahrheitswert aus dem Intervall [0,1] auswählen und ihn der betreffenden Aussage zuordnen?
Fragen über Fragen… =)
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 10:34

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zum letzten Mal: Die Herausnahme des Merkmals der Wahrheit aus dem Wissensbegriff ist sinnentstellend.

Bestimmst Du das jetzt per Order de mufti? Wo sind denn Deine Argumente?


Ich habe das Folgende bereits zitiert, aber ich zitiere es noch einmal, weil es ein entscheidender Punkt ist:

"[Y]ou can only speak of 'knowledge' if the thing said to be known is in fact the case. If it is not the case, then it is a semantic rule of English that the cognitive attitude involved is not to be called 'knowledge'. The word has a demand for truth built into its meaning, just as 'vixen' has a demand for female nature built into its meaning."

(Armstrong, D. M. Belief, Truth and Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1973. p. 138)


Nochmal, Armstrong repetiert gebetsmühlenartig eine Konvention, bringt aber kein Argument.

Wenn es partiell falsche Theorien gibt, wie Newtons Mechanik, dann gibt es auch partiell falsches Wissen, wenn man den Naturwissenschaften überhaupt Wissen zugesteht. Wenn man eine Definition gebraucht wie Armstrong, dann gibt es per definitionem kein Newtonsches Wissen. Dann gibt es vermutlich so gut wie gar kein Wissen, außer ein paar niederrangige Beschreibungstatsachen wie "Schwäne sind weiß", "Flammen sind heiß", "Metalle dehnen sich in der Wärme aus" usw. Das kann man natürlich behaupten, braucht sich aber nicht zu wundern, wenn das niemand ernst nimmt.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Zur Information, ich habe Deine Position argumentativ ins Wanken gebracht. Du wollstest das "Wissen" der Newtonschen Theorie durch die Einführung des Begriffs der "Wahrheitsnähe" retten.


Das ist zunächst nicht mehr als "handwaving" meinerseits, also eine oberflächliche Überlegung.


Das war ja immerhin schon mal eine, die in die richtige Richtung geht. Leider ziehst Du daraus nicht die Konsequenzen, die erforderlich wären.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
Dann habe ich gezeigt, dass daraus folgen würde, dass es dann auch partiell falsches Wissen gäbe. Damit wäre Deine Definition obsolet. Oder Du stimmst mir zu, dass Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" liefert wie die Hohlwelttheorie. Du hast die Wahl.


Eine falsche Theorie bleibt falsch, auch wenn sie "der Wahrheit näher steht" als andere falsche Theorien.


Es scheint mir nicht zu gelingen, Dir klarzumachen, dass es in der Welt nicht nur "schwarz" und "weiß" gibt, sondern zumindest Grauabstufungen. Die binäre Logik taugt nicht, um ein so komplexes Aussagengebilde wie eine wissenschaftliche Theorie korrekt zu beschreiben. Es gibt eben nicht nur "wahre Theorien" und "falsche Theorien", sondern Theorien, die wahrer sind als andere.


Myron hat geschrieben:Wenn es der falschen Newton'schen Theorie nach wahr ist, dass A, dann wissen wir nicht, dass A.
Wenn man nun sagt, sie sei zwar nicht wahr, aber doch wahrheitsnah und damit besser als andere falsche Theorien, dann stellt sich allerdings in der Tat die Frage, inwiefern eine unwahre Theorie dennoch als eine gute und nützliche Theorie gelten kann.


Das ist keine Frage, weil Newtons Theorie, so wie überhaupt jede naturwissenschaftliche Theorie, partiell wahr und partiell falsch ist. Daraus folgt, dass der Wahrheitsgehalt naturwissenschaftliches Wissen 0 (völlig falsch) und 1 (völlig wahr) ansiedelt. Daraus folgt wiederum, dass Armstrongs Wissensdefinition in den Naturwissenschaften unbrauchbar ist.


Myron hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Okay, Du hisst die weiße Flagge. Das kann man natürlich machen. Aber bitte das "general agreement" nicht mit einem Argument verwechseln.


Wenn die darwinistische Evolutionstheorie angegriffen wird, berufst du dich dann etwa nicht u.a. auf ein "general agreement" oder einen "nearly universal consent" unter den Biologen?


Selbstverständlich nicht! Wenn Du einem Kreationsten sagst, die Evolutionstheorie sei wahr, weil die Wissenschaftsgemeinde annimmt, dass sie wahr sei und weil so viele Menschen unmöglich irren können, dann lacht der Dich (zurecht) nur aus. Das Autoritätsargument wird als Fehlschluss eingestuft und war somit noch nie überzeugend.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Mo 21. Jun 2010, 10:42

Myron hat geschrieben:Was ich mich allerdings frage, ist, wie man feststellen kann, wie wahrheitsähnlich oder wahrheitsnah eine Aussage ist, wenn man die entsprechende wahre Aussage nicht kennt und auch nicht kennen kann.

das hängt vom System ab. In meinem Physik-Praktikum war eine der ersten Übungen das Erstellen einer Messreihe und eine statistische Untersuchung der Ergebnisse. Man kann so recht genau sagen, wo der 'wahre Wert' liegt, selbst wenn man ihn nicht kennt. Die Aussage 'x wiegt y', gemessen mit einer ungenauen Waage kann doch, genügend Messungen und Kenntnis möglicher Störungen vorausgesetzt, einen durchaus 'wahrheitsnahen' Wert ergeben (prüfbar besispielswiese mit einer empfindlicheren Waage oder auch vollkommen anderen Methoden). Mit dem Wert will ich arbeiten, ob er 'wahr' ist, interessiert mich nicht unbedingt.

Myron hat geschrieben:Wenn Peter nicht weiß, wo Fritz sich befindet, wie kann er dann wissen, wie weit er von ihm entfernt ist?

Gar nicht, er kann nur Grenzen angeben, innerhalb derer sich Fritz vermutlich befindet.

Myron hat geschrieben:Oder wenn Peter nicht weiß, wie Fritz aussieht, wie kann er dann wissen, wie ähnlich er ihm sieht?

Auch nicht. Ist übrigens in der Evolutionsbiologie durchaus eine Frage: wenn x ein Vorfahr von y ist, wie muss x dann aussehen?

Myron hat geschrieben:Wie kann man also auf sinnvolle, d.h. auf nichtbeliebige, nichtwillkürliche Weise einen Wahrheitswert aus dem Intervall [0,1] auswählen und ihn der betreffenden Aussage zuordnen?
Fragen über Fragen… =)

Bei konkreten Messungen möglicherweise durch eine Statistik.

Ich vermute aber, dass der gesamte Ansatz, den Du vertrittst, in den Naturwissenschaften nicht unbedingt Sinn macht. Die Frage ist eher, ob der Ansatz, der in den Naturwissenschasften vertreten wird, im Bereich der Philosophie Sinn macht.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 10:52

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wir sprechen über das Wissen der faktischen Wissenschaften. Da gibt es den Begriff der partiellen Wahrheit. Damit ist gemeint, dass die Theorie mit einigen Fakten korrespondiert, mit anderen nicht. Die Newtonsche Theorie ist wahr, wenn sie makroskopische Objekte beschreibt und falsch, wenn sie Quantenobjekte beschreiben soll. Da also Theorien weder absolut wahr (1) noch absolut falsch (0) sind, noch beides zugleich sein können, liegt folglich der Wahrheitsgehalt irgendwo zwischen 0 und 1. Daran sehe ich überhaupt nichts Problematisches, im Gegenteil.


Auch wenn es nur ein einheitliches Gesamtsein gibt, gibt es unterschiedliche Beschreibungs- und Erklärungsebenen. Eine Theorie, die makroskopische Objekte richtig beschreibt und erklärt, beschreibt und erklärt nicht unbedingt richtig die mikroskopischen Objekte, aus denen die makroskopischen Objekte bestehen. Das hat aber schlicht damit zu tun, dass nicht alle Eigenschaften von Ganzheiten zugleich Eigenschaften ihrer Bestandteile sein müssen.
Mir leuchtet aber überhaupt nicht ein, wieso der Wahrheitswert einer solchen Theorie irgendwo im Intervall ]0,1[ liegen soll. Denn auf der makroskopischen Ebene kommt ihr doch der Wahrheitswert 1 zu.


Auch nicht unbedingt, denk an Mehrkörpersysteme oder an die Perihelbewegung des Merkurs.

Wo der Wahrheitswert einer Theorie liegt, lässt sich wahrscheinlich nur statistisch ermitteln. In wieviel Prozent der Fälle, die in den Anwendungsbereich der Newtonschen Theorie fallen, liefert die Theorie (innerhalb der Messungenauigkeit) korrekte Ergebnisse? Eine solche Bestimmung lässt sich natürlich nicht wirklich durchführen. Aber es sollte deutlich werden, dass Theorien mit einigen Fakten übereinstimmen, mit anderen nicht, und daher weder absolut wahr noch absolut falsch sein können. Das ist eine Folge der Korrespondenztheorie der Wahrheit: Korrespondiert eine Aussage mit einem Faktum, ist sie wahr, wenn nicht, dann ist sie falsch. Nun kann man, wenn man Newtons Gleichungen spezifiziert, aber unzählig viele Modelle und Folgerungen aus Newtons Theorie entwickeln, denn es gibt praktisch unendlich viele "Fälle", auf die Newtons Theorie angewendet werden kann. Alle Folgerungen können entweder richtig oder falsch sein. Die Theorie als Ganzes kann aber weder richtig noch falsch zugleich sein, folglich muss die Wahrheit (genauer: der Wahrheitswert) irgendwo dazwischen liegen.

Es kann natürlich auch immer wieder mal der Fall eintreten, dass eine Randbedingung falsch ist und man den Fehler irrtümlicherweise der Theorie anlastet (z. B. wurde die Bahn des Uranus falsch berechnet, als man Neptun noch nicht kannte), aber die Komplikationen wollen wir mal außer Acht lassen. Trotzdem zeigt das Beispiel, dass Theorien so komplexe Aussagengebilde sind, dass man nicht einfach sagen kann, sie ist richtig oder falsch. Bei einzelnen Aussagen geht das, bei Theorien nicht. Und je allgemeiner eine Theorie ist, desto komplexer wird die (Test-) Situation.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 11:27

Myron hat geschrieben:Der Unterschied zwischen dem schwachen und starken Fallibilismus war mir bislang unbekannt. Die starken Fallibilisten ersetzen also im Gegensatz zu den schwachen Fallibilisten die Wahrheitsbedingung durch eine Wahrheitsähnlichkeitsbedingung, d.h. der Wissende muss nicht glauben, dass A wahr ist, sondern nur, dass A wahrheitsähnlich ist. Entsprechend folgt aus dem Wissen, dass A, nicht, dass A wahr ist, sondern nur, dass A wahrheitsähnlich ist.


Der Begriff der "Wahrheitsähnlichkeit" entspricht dem Konzept der partiellen Wahrheit (bzw. partiellen Falschheit). Denn eine "wahrheitsähnliche Theorie" ist immer in bestimmten Bereichen wahr und in anderen Bereichen falsch, wie könnte es anders sein?


Myron hat geschrieben:Wie kann man also auf sinnvolle, d.h. auf nichtbeliebige, nichtwillkürliche Weise einen Wahrheitswert aus dem Intervall [0,1] auswählen und ihn der betreffenden Aussage zuordnen?
Fragen über Fragen… =)


Um den Wahrheitswert einer Theorie approximativ zu bestimmen, könnte man z. B. aus der Theorie n abhängige Modelle generieren {M1, M2, M3,... Mn}, mit denen die Systeme 1, 2, 3,..., n beschrieben werden. Würde man die Modelle formalisieren, könnte man von jedem Modell die Axiome {A11, A12, A13,..., Ann} sowie die Folgerungen {F11, F12, F13,..., Fnn} aufschreiben. Jeder dieser Folgeaussagen wird dann, nach der empirischen Überprüfung, ein Wahrheitswert (0 oder 1) zugewiesen. Die Gesamtheit der Wahrheitswerte ließe sich dann in einer Matrix darstellen und auszählen...

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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 11:45

El Schwalmo hat geschrieben:Ich vermute aber, dass der gesamte Ansatz, den Du vertrittst, in den Naturwissenschaften nicht unbedingt Sinn macht. Die Frage ist eher, ob der Ansatz, der in den Naturwissenschasften vertreten wird, im Bereich der Philosophie Sinn macht.


Die spannende Frage ist, ob Myrons Ansatz in der Wissenschaftsphilosophie einen Sinn ergibt. Wenn man Philosphie und Naturwissenschaft als inkommensurable "Sprachbilder" versteht, dann interessiert es selbstverständlich niemanden, der in den Naturwissenschaften arbeitet, was die Philosophie vertritt (und vice versa). Dann gäbe es auch keine "Philosophie der Biologie", sondern nur abgedrehte Metaphysikerhirne, die in Elfenbeintürmen über die Engel auf der Nadelspitze philosophieren. Anders gesagt: Eine Philosphie, die sich von den Naturwissenschaften isoliert, hat keine Substanz (und vice versa).
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Mo 21. Jun 2010, 12:17

darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Ich vermute aber, dass der gesamte Ansatz, den Du vertrittst, in den Naturwissenschaften nicht unbedingt Sinn macht. Die Frage ist eher, ob der Ansatz, der in den Naturwissenschasften vertreten wird, im Bereich der Philosophie Sinn macht.

Die spannende Frage ist, ob Myrons Ansatz in der Wissenschaftsphilosophie einen Sinn ergibt.

die Frage ist, ob 'Wissenschaftsphilosophie' sich auf die Philosophie der Naturwissenschaften beschränkt.

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn man Philosphie und Naturwissenschaft als inkommensurable "Sprachbilder" versteht,

Was ist der Unterschied zwischen Sprachbild und Sprachspiel?

darwin upheaval hat geschrieben:dann interessiert es selbstverständlich niemanden, der in den Naturwissenschaften arbeitet, was die Philosophie vertritt (und vice versa).

Eben. Aber, wie gesagt, es könnte auch sein, dass das, was Naturwissenschaftler interessiert, in anderen Wissenschaftsdisziplinen nicht so relevant ist.

darwin upheaval hat geschrieben:Dann gäbe es auch keine "Philosophie der Biologie", sondern nur abgedrehte Metaphysikerhirne, die in Elfenbeintürmen über die Engel auf der Nadelspitze philosophieren. Anders gesagt: Eine Philosphie, die sich von den Naturwissenschaften isoliert, hat keine Substanz (und vice versa).

Das ist eben die Frage. Vergiss nicht, dass sich Naturwissenschaftler, wenn sie nicht mehr weiter wissen, durchaus Philosophen holen. Naturwissenschaftler sind ein pragmatisches Pack. Als Philosophen taugen die oft nicht viel.

Daher gibt es die vielen Bindestrich-Philosophien. Die Frage, die zwischen Dir und Myron strittig ist, ist der Zusammenhang zwischen den philosophischen Grundlagen der Biologie und Disziplinen wie Ontologie, Epistemologie und so weiter. Ich weiß nicht, ob Du Berlins hübschen Unterschied zwischen hedgehog und fox kennst. Du gehörst zu den 'hedgehogs', hast Dein Spezialgebiet, und kennst Dich darin aus. Die Breite ist eher nicht Deine Stärke. Myron ist eher ein 'fox', aber in dem Bereich, in dem Du Dich besonders gut auskennst, muss er sich noch ein wenig informieren. Jeder von Euch wendet das Verständnis der Begriffe, die Ihr verwendet, auf den jeweils anderen Bereich an. Das sieht dann leicht nach Gebetsmühle aus, wenn auf einem bestimmten Verständnis bestanden wird.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 14:44

Myron hat geschrieben:Wenn zum Beispiel ein 1,90m großer Mann eine Tankstelle überfällt und die Polizei danach zum einen die Zeugenaussage aufnimmt, dass der Täter 1,80m groß sei, und zum anderen die Zeugenaussage, dass er 1,70m groß sei, dann ist erstere für die Fahndung nützlicher als letztere, obwohl beide falsch sind. Aber nichtsdestoweniger weiß die Polizei nicht, dass der Täter 1,80m groß ist, da er ja in Wahrheit 1,90m groß ist.


Wenn der Täter nun nicht 1,90, sondern zur Tatzeit genau 1,90234 m groß war, was dann? :^^:

Genau das ist das Problem Deiner Wissensdefinition: "Wissen" ist nach Deinen Vorstellungen streng genommen nur ein infinitesimal kleiner Teil dessen, was wir tatsächlich an Wissen angehäuft haben. Liegt eine Theorie auch nur einen Millimeter neben der Realität, dann bricht ihr Wissen in sich zusammen. In Deinem Beispiel kann man den Millimeter durchaus wörtlich nehmen. Selbst wenn ein Pfeil ins Schwarze trifft, hat der Schütze nach Deinen Begriffen noch vorbei gezielt, wenn er das Zentrum um einen Zehntel Nanometer verfehlt. Und wenn eine Theorie 999 richtige Folgerungen liefert und eine falsche, dann ist die Theorie falsch und liefert schon kein Wissen mehr. Wie absurd.


Myron hat geschrieben:Du scheinst "Wissen" wie folgt definieren zu wollen:

X weiß, dass A, genau dann, wenn (i) X glaubt, dass A, (ii) der Glaube von X, dass A, gerechtfertigt ist, und (iii) A entweder der Wahrheitswert 1 oder ein Wahrheitswert aus dem Intervall [N > 0,5;1[ zukommt.


Nein. Wie kommst Du denn darauf? E.S. hat doch die Bungesche Wissens-Definition zitiert. Wissen ist Lerninhalt. Für ihn (bzw. mich) kann der Wahrheitswert von Wissen auch Null sein. Wissen muss auch weder geglaubt werden noch gerechtfertigt sein. Ich verfüge z. B. über das Wissen der biblischen 6-Tage-Schöpfung, ohne auch nur ein Wort davon zu glauben.


Myron hat geschrieben:Wenn Wahrheitswerte für Wahrheitsnähe stehen, wie hoch muss dann der Wert 0,5 < N < 1 sein, um Wissen zu ermöglichen? 0,75? 0,9? 0,99? Darauf kann man wohl nur eine willkürliche Antwort geben.


Du kannst darauf nur eine willkürliche Antwort geben, um Wissen zuzulassen, nach meiner Definition ist das gar kein Problem. Dein Wissensbegriff wirft hier doch das Problem auf, Wahrheitsnähe quantitativ so zu fassen, dass die Newtonsche Theorie noch als "Wissen" durchgeht. Oder sehe ich da etwas falsch?

Myron hat geschrieben: Überhaupt erscheint mir eine solche Wissensdefinition nicht adäquat, denn, wie gesagt, knapp daneben ist auch vorbei.


Das scheint für einzelne Aussagen zu gelten, die entweder wahr oder falsch sind. Für Theorien musst Du genau genommen eine Matrix erstellen (s.o.).

Myron hat geschrieben: Man könnte im Fall eines falschen gerechtfertigten Glaubens, der der Wahrheit sehr nahe steht, höchstens von "Fastwissen" oder "Beinahewissen" sprechen.


Du meine Güte. Das wird ja immer abenteuerlicher :rollsmilie3:

Wie unterscheidest Du "Beinahewissen" von "Nichtwissen"? Wo liegt die Grenze?
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon smalonius » Mo 21. Jun 2010, 17:21

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:RE: ALTER DER ERDE
Es sieht also aus, als sei die Erde bis zu 150 Mio. Jahre älter als gedacht.

Meines Wissens eher jünger.

Richtig. Mein Fehler.

El Schwalmo hat geschrieben:Schau Dir das aktuelle Beispiel an. Da ging es nicht um eine Stelle hinter dem Komma, sondern darum, dass man nun etwas weiß, was man vorher nicht wusste.

Auch richtig. Jetzt "weiß" man, daß sich Gesteinsschmelzen anders durchmischen, als bisher angenommen.

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Demnach wäre die Aussage, die Erde ist 4,3 Mrd. Jahre alt, immer noch richtig. Wer das Alter der Erde übereifrig mit 4,357 Mrd. Jahren angegeben hat, sieht jetzt alt aus.

Woher hast Du die Angabe 4,3 Mia a?

Hatte ich so im Kopf, ist aber ebenfalls falsch. Richtig wäre: 4,5 Mrd Jahre - 0,15 Mrd. Jahre.

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Myron sagte: "Wenn ich weiß, dass p falsch ist, dann weiß ich zugleich, dass ~p wahr ist."
Ich sagte: p = "Parallelen schneiden sich nie"
Offensichtlich ist mein p wahr. Mein -p ist auch wahr.
Damit ist Myrons Aussage durch Gegenbeispiel widerlegt.

Ich vermute, dass Du Dir das noch einmal genauer durch den Kopf gehen lassen solltest, vor allem unter dem Aspekt, den Myron angesprochen hat ('Platonismus').

Die Vermutung gebe ich zurück. Argument folgt.

PS: Mit Platonismus habe ich nichts am Hut. :ka:

Myron hat geschrieben:??? Wenn sowohl p als auch ~p wahr ist, dann ist (p & ~p) wahr, was nicht sein kann. Folglich ist es nicht der Fall, dass sowohl p als auch ~p wahr ist.

2000 Jahre lang dachte man, daß sich Parallelen nicht schneiden. Bis es jemandem dämmerte, hey, da gibt es auch Gegenbeispiele: Parallelen schneiden sich. Damit hatte man die paradoxe Situation, daß

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 p  = "Parallelen schneiden sich nicht." = wahr
-p = "Parallelen schneiden sich"        = wahr

Was kann man tun, um den Widerspruch aufzulösen? Zwei Möglichkeiten fallen mir ein:

a) Man erklärt - Parallelen schneiden sich 0-mal, 1-mal oder unendlich oft - zu jeweils einem Axiom und baut darüber drei verschiedene Geometrien auf.
b) Man führt einen Krümmungsradius ein und vereinheitlicht damit die drei Geometrien. Dann kann man sagen: euklidische Geometrie ist als Spezialfall in der gekrümmten Geometrie enthalten. Plötzlich geht das, was vorher ein unbeweisbares Axiom war, ganz zwanglos aus einem umfassenderen Verständnis der Sache hervor.

In diesem Sinn ist Mathematik quasi-empirisch.

Die Situation ist analog zu Newton und Einstein. Auch hier ist es so, daß Newton als Spezialfall für kleine Massen und kleine Geschwindigkeiten im Einsteinschen Modell enthalten ist. Was für die Mathematik die Axiome sind, ist für den Naturwissenschaftler das Modell: beides unbeweisbare Grundannahmen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 18:18

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Demnach wäre die Aussage, die Erde ist 4,3 Mrd. Jahre alt, immer noch richtig. Wer das Alter der Erde übereifrig mit 4,357 Mrd. Jahren angegeben hat, sieht jetzt alt aus.

Woher hast Du die Angabe 4,3 Mia a?

Hatte ich so im Kopf, ist aber ebenfalls falsch. Richtig wäre: 4,5 Mrd Jahre - 0,15 Mrd. Jahre.


Wie kommst Du darauf, dass die Erde 4,5 - 0,15 Mrd. Jahre alt ist? Wo kann man die Zahl nachlesen? M.W. beträgt das allgemein akzeptierte Erdalter 4,55 +/- 0,05 Mrd. Jahre.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon smalonius » Mo 21. Jun 2010, 18:42

Das ging vor einer Weile durch die einschlägigen Blogs.

Earth and Moon Formed Later Than Previously Thought, New Research Suggests
ScienceDaily (June 7, 2010)

— Astronomers have theorized that the planet Earth and the Moon were created as the result of a giant collision between two planets the size of Mars and Venus. Until now, the collision was thought to have happened when the solar system was 30 million years old, or approximately 4,537 million years ago. But new research shows that Earth and the Moon must have formed much later -- perhaps up to 150 million years after the formation of the solar system.

http://www.sciencedaily.com/releases/20 ... 111310.htm
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Mo 21. Jun 2010, 20:07

smalonius hat geschrieben:2000 Jahre lang dachte man, daß sich Parallelen nicht schneiden. Bis es jemandem dämmerte, hey, da gibt es auch Gegenbeispiele: Parallelen schneiden sich. Damit hatte man die paradoxe Situation, daß

ich habe mich mit Mathematik nicht besonders beschäftigt. Falls ich einen groben Schnitzer mache, sorry.

Was meinst Du mit 'Parallelen schneiden sich'? Hat man erstmals Parallelen beobachtet, die sich schneiden? Oder hat man einfach anders modelliert? Warum schneiden die sich dann mal, und mal nicht?

Warum ist es ein Widerspruch, wenn man ein System anders modelliert? Ist das, was man im einen System 'Parallele' nennt, im anderen auch eine 'Parallele'?

Vielleicht ein wenig Platonismus. Es könnte 'Parallelen' geben. Dann wäre ein Modell eine Repräsentation. Oder eben nicht, dann ist 'Parallele' ein Konstrukt. Das ist ontisch gesehen ein großer Unterschied. Auch 'Widerspruch' hat dann eine vollkommen andere Bedeutung.

smalonius hat geschrieben:Die Situation ist analog zu Newton und Einstein. Auch hier ist es so, daß Newton als Spezialfall für kleine Massen und kleine Geschwindigkeiten im Einsteinschen Modell enthalten ist.

Das muss nicht zutreffen. Wenn im einen Modell der Raum und die Zeit konstant sind, im anderen relativ, dann ist das kein Spezialfall mehr, wenn man so eine an sich seiende Welt beschreibt.

smalonius hat geschrieben: Was für die Mathematik die Axiome sind, ist für den Naturwissenschaftler das Modell: beides unbeweisbare Grundannahmen.

Aber dann kommt der himmelweite Unterschied (Vico-Axiom!): im einen Fall haben wir ein Konstrukt, im anderen eine Repräsentation. Im ersten Fall ist nur interne Konsistenz prüfbar, im zweiten Fall etwas real Seiendes als 'Wirk'lichkeit in dem Sinn, dass sie mit uns wechselwirkt und Modelle scheitern lässt.

Das kann so weit gehen, dass wir erkennen, dass wir ein Problem haben. 'Ist' ein Elektron eine Welle oder ein Teilchen? Wie sieht ein Molekül 'in Wirklichkeit' aus, wenn man mesomere Grenzformen angibt? Wie war das mit den Kantschen Antinomien? Kant 'bewies', dass das Universum einen Anfang hat, und auch, dass es keinen hat.

Das mit dem Platonismus ist gar nicht unbedingt soooo daneben. Dann hätte man in der Mathematik ein Äquivalent zur 'Wirk'lichkeit, die die Physiker untersuchen.

[edit: 'Kohärenz' durch 'Konsistenz' ersetzt]
Zuletzt geändert von El Schwalmo am Mo 21. Jun 2010, 20:15, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Mo 21. Jun 2010, 20:13

darwin upheaval hat geschrieben:Wie kommst Du darauf, dass die Erde 4,5 - 0,15 Mrd. Jahre alt ist? Wo kann man die Zahl nachlesen? M.W. beträgt das allgemein akzeptierte Erdalter 4,55 +/- 0,05 Mrd. Jahre.

nun kannst Du mit Myron hübsch darüber diskutieren, ob Du gewusst hast, wie alt die Erde vor den Befunden, auf die ich angespielt habe, angeblich war. Du hast etwas gelernt und mit Anspruch auf Geltung vertreten, das inzwischen überholt ist. War das nun Wissen? Es gab sogar einen Zeitraum in der Wissenschaftsgeschichte, in der Du nicht das gewusst hast, was andere wussten. Und in fünf Jahren ändert sich das möglicherweise wieder. Ist doch schön, wenn man sich als Wissender fühlen kann, ohne dass das gleich wahr sein muss.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Mo 21. Jun 2010, 20:16

smalonius hat geschrieben:Das ging vor einer Weile durch die einschlägigen Blogs.

Earth and Moon Formed Later Than Previously Thought, New Research Suggests
ScienceDaily (June 7, 2010)

— Astronomers have theorized that the planet Earth and the Moon were created as the result of a giant collision between two planets the size of Mars and Venus. Until now, the collision was thought to have happened when the solar system was 30 million years old, or approximately 4,537 million years ago. But new research shows that Earth and the Moon must have formed much later -- perhaps up to 150 million years after the formation of the solar system.

http://www.sciencedaily.com/releases/20 ... 111310.htm


Ups, da ist mir wahrhaft was entgangen.

Aber kann mir mal jemand erklären, wie man vom Ausbleiben einer Durchmischung von metallischem Erdkern und Mantelgestein und dem radioaktiven Zerfall des Hafniums-182 zu Wolfram-182, das nun irgendwie im Erdmantel verbleibt, darauf kommt, dass Mond und Erde erst 150 Mio. Jahre später kollidierten als angenommen?
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