Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Entität » Do 1. Jul 2010, 22:24

In Bayern ( damit hätte keiner gerechnet :kopfwand: ) ist nun der erste Fall einer Zensur eines Schulbuch aus "Ehrfurcht vor Gott" durchgekommen.
Quelle:http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,703688,00.html
Spiegelonline hat geschrieben:"Ehrfurcht vor Gott" gilt in Bayern als hehres Bildungsziel. Das nehmen evangelikale Christen wörtlich: Sie beschwerten sich über einen religionskritischen Text in einem neuen Schulbuch - mit Erfolg.
[...]
Susan Jacobys Meinungsstück über die evangelikale Bewegung in den USA ist ein Auszug aus ihrem Buch "The Age of American Unreason". Der Kommentar zeigt genüsslich auf, dass die Bibeltreue dort am üppigsten blüht, wo das Bildungsniveau am tiefsten liegt,[...]


Zweitquelle:http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/06/zensur-in-der-schule-bayern-lasst-antievangelikale-passagen-in-schulbuchern-streichen.php

Auszug Artikel 131 Landesverfassung Bayern hat geschrieben:
"(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.

Den wiederum zwischen "alles Wahre" und "Gott" lass ich mal so dahingestellt. :kg:

Eine gute Chance für die Brights als Organisation Stellung zu beziehen , durch die starke Polarisation des Themas könnte sich dadurch eine große Öffentlichkeitswirkung entfalten.
In meinen Augen ist Einmischung der Religion in Bildungsfragen untragbar, was meint ihr?

Vielleicht ist das nur der erste Streich der Rechristianisierung die Ratzinger ausgerufen hat. http://www.independent.co.uk/news/world/europe/pope-launches-mission-to-reevangelise-the-west-2014051.html
independent.co.uk hat geschrieben:The Pope has made no secret of his dislike for secularism and has been determined to persuade Western countries to rediscover their Catholic roots. He has frequently railed against some of the key pillars of secular liberalism such as the acceptance of homosexuality and abortion rights and the use of contraception.
[...]
The 83-year-old pontiff admitted that while there were many areas of the world that were still ripe for missionaries, Europe and North America have suffered from an "eclipse of a sense of God" and needed to be re-evangelised.


Ich denke gerade das radikale auf "ihre" Werte pochen der Kirche, weckt viele Menschen auf, kritisch über den Begriff "christliche Werte" nachzudenken.
Eine weitere Chance für die Brights eine vernünftige Alternative zu längst überholten Systemen anzubieten. Wie sollte man vorgehen?
Passiv bleiben und darauf setzen, dass die Menschen sich selbst für unsere erkämpfte Säkularisierung einsetzen oder aktiv die kulturelle Diskussion suchen und Vorkämpfer für die Säkularisierung der Moderne eintreten?

greets Entität
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Nanna » Do 1. Jul 2010, 23:30

Ich bin an einem bayerischen Kleinstadtgymnasium zur Schule gegangen (noch nicht soo lange her). Als der Religionslehrer in der 10. Klasse mal herumfragte, wer eigentlich daran glaube, dass es Gott wirklich gebe, solle sich melden: Eine Hand war oben und die Person ist heute durch und durch Naturalist, wie ich weiß. Das nur zur Aufmunterung, es steht nicht ganz so schlimm um das Thema. ;-)

Meine Erfahrung hat mir bisher gezeigt, dass Dinge, die man nicht selber anpackt von niemandem gemacht werden, weil in der Masse eben jeder darauf setzt, dass es schon einer anpacken wird. Entweder wir werden also aktiv oder wir verschenken wieder mal eine Chance auf Öffentlichkeit. Das Problem ist, dass wir im Moment niemanden haben, der dem Protest von unsere Seite ein Gesicht geben könnte, eine Art inoffizieller deutscher Brights-Sprecher.

Das Thema ist in der Tat auch vor dem Hintergrund des Kruzifixstreits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte interessant. Ich denke, da kommt insgesamt was auf uns zu dieses Jahr. Die Kirchen sind momentan durch gewisse Skandale in Aufruhr, gerade die katholische in Bayern. Man hat gesehen, dass die Öffentlichkeitsarbeit, die Vatikan und Bischöfe so abliefern, eher kontraproduktiv für deren Anliegen waren, vielleicht haben wir ja - strategisch gesprochen - nochmal Glück und die Kirche bringt sich durch schrille Töne ins Gerede. Falls die taktische Klugheit dort eingesetzt hat und man versucht, die Sache totlaufen zu lassen, dann wird es schwierig für uns, weil wir derzeit noch zu wenige sind, um von uns aus genug öffentliche Aufmerksamkeit zu aquirieren.

Neben der allgemeinen Feststellung, dass diese wissenschafts- und damit bildungsfeindliche Aktion für ein Bundesland, das so gerne auf allen möglichen Gebieten führend sein möchte, ein Schildbürgerstreich ist, gibt es zwei Widersprüche, die als Hebelpunkt und Argumentationslinie dienen könnten:

1. Man könnte mit Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art 9. der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 4 GG (welcher im Zweifel die bayerische Landesverfassung brechen würde) gegen die Bayerische Verfassung als solche argumentieren und den Satzteil des o.g. Art. 131 Abs. 2 "Ehrfurcht vor Gott" für menschenrechtswidrig erklären, weil er gegen die negative Religionsfreiheit (also die Freiheit VON Religion) verstößt. Der Verstoß ist insbesondere deshalb vorhanden, weil man sich von diesem Obersten Bildungsziel auch durch Fernbleiben vom Religionsunterricht nicht entziehen kann.

2. Ich wurde während meiner 13 Schuljahre in Bayern nicht in Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft (bestimmte Bastelarbeiten und ein bisschen Nähunterricht ausgenommen) unterrichtet. Der Unterricht an bayerischen Schulen ist demnach verfassungswidrig. Würde man Abs. 4 flächendeckend einklagen und hätte man Erfolg, dann würde das die Regierung in erhebliche Erklärungsnot bezüglich dieses Absatzes und möglicherweise bezüglich des gesamten Art. 131 bringen. Es ist sowieso völlig irrational, einen religionskritischen Text auf Basis des sehr allgemeinen Art. 2 zu verbieten und den im Vergleich äußerst präzisen Art. 4 in den Lehrplänen munter zu ignorieren.

Trotzdem ist beides natürlich kaum ein gangbarer Weg, falls keiner von euch ein streitbarer Anwalt ist. Wir könnten aber Protestschreiben an die zuständigen Behörden, den Landtag und die Regierung, sowie Leserbriefe an Zeitungen richten.
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Arathas » Fr 2. Jul 2010, 06:14

Gut wäre ein medial bekanntes Gesicht, das sich mit der Sache der Brights identifizieren würde/könnte. Ein Schauspieler zum Beispiel (muss ja nicht gleich ein total berühmter sein), ein Musiker, etc. Irgendwer, der im öffentlichen Leben steht und dort auch wahrgenommen wird. Und bei dem im besten Fall natürlich sogar Zeitungen ein Interesse daran hätten, seine Meinung zu drucken.

Mir fällt momentan niemand ein ... aber gut wär's, so jemand zu haben. :mg:
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon stine » Fr 2. Jul 2010, 07:18

Die Absage und das vernichtende Urteil gegenüber religiöser Erziehung und der Manifestierung moralischer Werte im Kindes- und Schulalter kommt mir so vor, als würde man als Erwachsener sagen: Jetzt bin ich groß - ich brauche keine Kinderstube mehr!
Klar, WIR sind groß, aber die Generationen nach uns müssen auch noch groß werden!
Ich kenne niemanden, der in Bayern zur Schule gegangen ist und nicht die Religion in Frage gestellt hätte; nach oder noch während der Schulzeit. Es ist auch völlig egal, ob man zweifelt oder gar ganz austritt - es ist einzig und allein die Kraft des Guten, das Urvertrauen, das später in Erinnerung bleibt und das bei Bedarf ausgegraben werden kann.

So wie der atheistisch erzogene Landesteil auch immer wieder gerne seinen linken Sozialismus ausgräbt. :mg:

"(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.

Ist doch gut so, wie es formuliert ist.
WAS schlußendlich in den Schulheften steht und verbal rüberkommt, liegt immer noch am Lehrpersonal!

LG stine
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Arathas » Fr 2. Jul 2010, 07:58

Auf der einen Seite sagst du, dass mit der religiösen Erziehung im Kindes- und Schulalter eine Manifestierung moralischer Werte einhergeht:

stine hat geschrieben:und das vernichtende Urteil gegenüber religiöser Erziehung und der Manifestierung moralischer Werte im Kindes- und Schulalter kommt mir so vor, als würde man als Erwachsener sagen: Jetzt bin ich groß - ich brauche keine Kinderstube mehr!


Und direkt danach sagst du, dass es den Lehrern immer noch selbst überlassen sei, was sie unterrichten:

stine hat geschrieben:WAS schlußendlich in den Schulheften steht und verbal rüberkommt, liegt immer noch am Lehrpersonal!



Was ist denn nun deine Meinung? Das eine oder das andere? Denn entweder gibt es eine "moralische Werteausbildung", aber die müsste ja irgendwie auch durch- und umgesetzt werden und worden sein, oder es ist dem Lehrpersonal selbst überlassen, aber dann kann man keine Aussagen darüber treffen, was Kinder aus dem Reli-Unterricht mitnehmen werden ...


Ich würde sagen, dass dein zweiter Satz stimmt. Denn ich hatte das große Glück, dass meine katholischen Eltern mich katholisch taufen ließen und ich schulzeitlebens den RK-Reli-Unterricht besuchen musste. In der Zeit zwischen meinem elften und fünfzehnten Lebensjahr hatte ich das noch größere Glück, dass unser Reli-Lehrer der Pfarrer der örtlichen Kirche war. Und der sah es als Festigung moralischer Werte an, mir immer wieder Strafaufgaben zu geben, weil ich mit meinen atheistischen Bemerkungen nicht hinter'm Berg gehalten habe. Das hat mich, als rebellierenden Jugendlichen, natürlich immer nur weiter angestachelt und mich mit jeder Strafarbeit mehr gegen ihn und die Kirche aufgebracht.

Soviel zu moralischen Werten, die von der Kirche bei jungen Menschen erzeugt werden. ;-) Noch dümmer als dieser Pfarrer hätte man mit einem atheistischen Jugendlichen wirklich nicht umgehen können, sage ich jetzt mal so im Nachhinein.

Der einzige moralische Mehrwert, den ich aus meiner religiös geprägten Schulzeit mitgenommen habe, war der, dass religiöse Leute so verbohrt sind, dass sie Kindern Strafarbeiten geben, nur, weil diese eine andere Einstellung zum Thema Gott haben. Top! :2thumbs:
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Atanar » Fr 2. Jul 2010, 16:23

Was soll man zu dem Urteil noch sagen? Religionsfreiheit heißt in Deutschland nun mal nicht "Frei Religion wählen können" ( was meiner Meinung nach schon mit dem Eintragen der Konfession in die Geburtsurkunde gebrochen wird wenn man nicht ausdrücklich was dagegen sagt) sondern "macht was dir passt und verkauf es als Religion". Und Zensur passt denen eben in den Kram.
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Re: Nun auch christliche Zensur in Deutschland

Beitragvon Dissidenkt » Fr 2. Jul 2010, 19:00

Ich denke, der Fall ist weniger ein Beispiel für Zensur, als ein schöner Hinweis auf die Defensive, in der die Christen geraten sind und wegen der sie sich jetzt zusammenrotten und versuchen zu retten, was zu retten ist :mg:
Man müste die Buchseiten schon komplett lesen, um beurteilen zu können, ob der Artikel nicht tatsächlich zu einseitig und denunziatorisch für ein Schulbuch ist. Wenn am Ende der Unterrichtsstunde hängen bleibt: "Gläubige sind dümmer!" fände ich das auch nicht in Ordnung.

Nanna hat geschrieben:Das Thema ist in der Tat auch vor dem Hintergrund des Kruzifixstreits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte interessant.


Das wird in der Tat ein interessantes Urteil. Ich denke, der EUGH wird den Frömmlern irgendein Hintertürchen offen lassen. Für ein vernünftiges Urteil haben die nicht die Eier .... vermutlich würden Polen, Italiener und andere sonst eine eigene "christliche" EU abspalten :lachtot:
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