ujmp hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Wenn die Eltern sich ein Designerbaby zusammenbauen, dann muss das Kind lebenslang mit dem Wissen leben, dass es nicht einfach auf herkömmlichem, reichlich zufälligen Wege entstanden ist, sondern dass es von Menschen nach deren Vorstellungen geformt wurde. Die psychische Belastung und das Abhängigkeitsverhältnis, das in diesem Fall weit über das hinausgeht, was zwischen Eltern und Kindern ohnehin besteht, sind nicht zu unterschätzen.
Nach meinen Gefühl überschätzt du dieses Problem. Dies würde nämlich den Gedanken beinhalten, jemand anders sein zu können - der gelingt keinem Menschen. Außerdem machen ein paar Gene keine Person. Eineiige Zwillinge haben kein Problem damit, die Kopie ihrer Geschwister zu sein. Sie fühlen sich nicht als Klone und sind es auch nicht.
Eineiige Zwillinge sind zufällig so entstanden, nicht, weil die Eltern es explizit so wollten. Es ist daher auch keine Erwartungshaltung der Eltern daran geknüpft.
Ich bin sehr sensibel, was die Erwartungshaltung von Eltern angeht, ihre Kinder zu perfekten Produkten ihrer Vorstellung machen zu können, weil ich das aus eigener Anschauung kenne (ich hab eine Karriere im Leistungssport abgebrochen, wo ich beinahe täglich Leuten über den Weg gelaufen bin, die solche als Eltern getarnten Generäle zum Vormund hatten. Psychisch unauffällig war keine(r) von denen). Ich will gar nicht wissen, was passiert, wenn Eltern besonders muskulöse Kinder "zeugen" können und diesen dann die Erwartung, ein berühmter Sportler zu werden, geradezu in die Wiege legen. Entzieh dich mal als emotional abhängiges Wesen der Begründung "Wir haben so viel Geld und Sorgfalt darauf verwendet, dass du ein noch besserer Sportler als Papa wirst und du willst partout Informatik studieren. Warum tust du nicht, wozu du geformt wurdest und was deine wahre Bestimmung ist?".
ujmp hat geschrieben:Dann ist es doch auch so, dass Partnerwahl letzlich dem "Design" der Nachkommen dient. Der selbe Instinkt wirkt eben in den "Designentwürfen" von den Eltern solcher Kinder. Ich sehe darin kein Problem.
Warum lassen wir es nicht erstmal dabei, wie Mutter Natur es uns in Jahrmillionen Evolution beigebracht hat? Man setzt auch keinen Affen an den Computer, um einen BMW zu designen. Ein im evolutionären Sinne erfolgreicher Nachwuchs besitzt nicht nur eine modisch ansprechende Augenfarbe, sondern hat auch ein robustes Immunsystem (weshalb wir besonders auf Menschen mit anderem Immunsystem als dem eigenen anspringen) und trägt eine vielleicht momentan nutzlos erscheinende Mutation mit sich herum, die in der nächsten Umweltkatastrophe oder Pandemie unerwarteterweise lebensrettend ist. Das alles bastelt der Kollege Zufall zusammen und ich finde, wir sollten ihm diese Arbeit schon wegen der psychischen Komponente nicht abnehmen. Es ist einfacher, eine autonome Persönlichkeit zu entwickeln, wenn man weiß, dass man eben nicht von gestaltungsgeilen Eltern geplant wurde, sondern einfach Glück in der Lotterie hatte. Das macht einen zu einem gewissen Grad unabhängiger von den Eltern. Im anderen Fall ist man immer ein Produkt, das in einer kapitalistischen Welt eben gefälligst zu funktionieren hat. Ich für meinen Teil will kein Produkt sein.
(Und ich sehe schon die ersten Klagen gegen Eltern losrollen, in denen Kinder Schadensersatz für schlechtes Design fordern.
)
ujmp hat geschrieben:Man könnte auch mal darüber nachdenken, ob das, was du da sagst, nicht eine Art Diskriminierung von "Designerbabys" darstellt: "sie sind nicht normal, sie sind bloß zusammengebaut, sie haben ein Problem"
Designerbabys werden das Glück haben, dass Ihnen keiner ansieht, dass sie zu einem gewissen Teil geplant wurden, daher lassen sie sich im Alltag schlecht direkt diskriminieren. Ich behaupte auch nicht, dass jedes Designerkind ein Problem haben wird, schon gar nicht, wenn es nur um Haar- und Augenfarbe geht, aber ich sehe ein Potential dafür, dass Eltern ihre Kinder als Eigentum ansehen und als Produkt, das die Erwartungen zu erfüllen hat. Es ist ein gewaltiger Unterschied in der grundsätzlichen Geisteshaltung zu Kindern generell, wenn man ein Kind bekommt und es annimmt und liebt, egal, wie es nun aussieht, oder ob man nur ein Kind akzeptiert, das zum Teppich passt.
ujmp hat geschrieben:Der Ausdruck "Design" ist übrigens völlig überzogen. Man kann beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und Technik bestenfalls Zellen aussortieren, dir irgendwelche Gene haben oder auch nicht. Das ist nichtweiter, als eine Selektion. Keine Frau kann ihre Hunderttausend Eizellen zu Kindern austragen, von den Samenschwärmen der Männer ganz zu schweigen. Da findet auch eine Selektion statt. So, jetzt haben wir also 5 befruchtete Eizellen in einer Petrischale und es kommt zu einer finalen Selektion, die vom zufälligen Geschmack der Eltern abhängt. Was ist dabei?
Dabei ist relativ wenig. Ich warne aber vor einem Dammbruch. Der gegenwärtige Zustand ist schon morgen der verganene Zustand und irgendwann ist die Technik auch soweit, dass man Kinder zusammenbauen kann. Mr. Venter legt heute die Grundlagen und in 50 Jahren ist es vielleicht so weit. Wir sollten uns möglichst vorher darauf einigen, ob nicht vielleicht ein Menschenrecht auf Unabhängigkeit von Genexperimenten formuliert werden sollte, denn klar ist: Ein einmal geborener Designmensch ist Zeit seines Lebens in psychischer Abhängigkeit von seinem Schöpfer. Ist nicht gerade da das Unterwerfungsdenken der Religion unter einen allmächtigen Erschaffer abschreckendes Beispiel genug - nur, dass er hier nachgewiesenermaßen nicht eingebildet ist?
Ich will jedenfalls, dass Menschen ihre Autonomie so weit erhalten können, dass sie selbst entscheiden können, ob sie sich mit irgendwelchen Produkten aufmotzen (und ich meine hier keine Brillen oder Krücken, sondern Anabolika oder vielleicht eines Tages künstliche Muskeln) oder eben es eben bleiben lassen. Das darf auf keinen Fall vorbestimmt werden. Und wohlgemerkt, es geht nicht um das Verhindern von extremen Gesundheitsschäden, sondern um das Aufrüsten und Spezialisieren eines zukünftigen Menschen, der damit bereits vor seiner Geburt einem bestimmten Zweck zugewiesen wird.