Die Existenz-Argumente für Gott

Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 13:53

laie hat geschrieben:Entschuldige, das sind Spitzfindigkeiten und Worthülsen. Auweia!


Wer mit Worthülsen um sich wirft soll Worthülsen ernten oder so ähnlich. ;-)

Ich zitiere mal eben deine kurze Erklärung, was es mit "Liebe deinen nächsten" auf sich hat:

Feind ist nicht einfach das Gegenteil von Freund, sondern immer derjenige, der uns nicht gefällt. Nicht gefallen tut uns am anderen so manches. Und was uns am einen nicht gefällt, das mögen wir am anderen. Aber so ist der Mensch - mit Ecken und Kanten. So ist der Nächste. Das Gebot der Feindesliebe ist also nicht das ins Absurde gesteigerte Gebot der Nächstenliebe. Es fügt der Nächstenliebe nichts hinzu.

Lieben kann einmal wohlgefallen bedeuten. Der Feind soll mir also gefallen, ist es das? Das kann es nicht sein, denn es steht nicht in meinem Willen, ob mir jemand gefällt oder nicht. Geschmack ist launenhaft. Soll ich dem Feind gefallen? Das ist Masochismus.

Die andere Bedeutung von Lieben ist wohlwollen. Wenn ich den Nächsten liebe, will ich sein Wohl. Ich will, daß es ihm gut geht. Das ist zwar schön, aber nicht genug. Christliche Nächstenliebe besteht nicht darin, den anderen in seinen Launen zu unterstützen. Sondern darin, zu wollen, daß der Nächste gut ist.

Was bedeutet das? "Gut" ist ein relativer Begriff. Gut nenne ich etwas, das einer Neigung, einem Streben folgt. Habe ich Lust auf italienisch essen, und man setzt mir einen Teller Pasta vor, dann finde ich die Pasta gut, weil sie meiner Neigung entspricht. Vielleicht ist das Essen nicht gut für meine Gesundheit, dazu müsste ich wieder eine andere Neigung haben, nämlich die, auf meine Gesundheit zu achten. Und so geht es weiter. Was wir hier gut nennen, finden wir dort schon gar nicht mehr gut.

Jetzt hat der Mensch nicht nur Neigungen und Strebungen, sondern er ist selbst eine. Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Und darin soll man ihn unterstützen. Das ist christliche Nächstenliebe. Nichts andres. Nicht die Launen des anderen hofieren - sondern ihn in seiner Existenz, in seinre Persönlichkeit unterstützen.



Also wenn man problemlos obigen Text in diese einfache Zeile "Liebe deinen Nächsten" hineinbasteln kann, dann ist der Satz wertlos, weil sich jeder alles hineinbasteln kann. Eben ganz nach persönlicher Meinung und Auslegung. Welchen Nutzen hat der Satz dann? Keinen. Oder woher weißt du denn, dass "Liebe deinen Nächsten" genau das von dir geschriebene bedeutet, und nicht etwas völlig anderes? Hättest nicht du mir geantwortet, sondern vielleicht stine, dann hätte stine vielleicht etwas völlig anderes da hinein interpretiert. So ist es einfach nur deine Auslegung des Satzes. Ich lege ihn wiederum völlig anders aus. Und mein Nachbar legt ihn wieder anders aus. Nutzlos. :/
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mo 13. Sep 2010, 13:55

stimmt, jeder kann und sollte sich mit diesem Gebot auseinandersetzen. Wie legst du denn den Satz "Liebe Deinen Nächsten" aus?
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 14:09

Für mich ergibt der Satz überhaupt keinen Sinn. Es gibt Leute, die mir sympathisch sind und die ich mag - die behandle ich möglichst gut. Dann kommt der große Teil der Leute, mit denen ich fast nix zu tun habe oder die mir egal sind - um die mache ich mir überhaupt keinen Kopf. Und dann gibt's die Leute, die ich nicht mag, und die meide ich, so gut es geht.

Irgendwie ... brauche ich den Satz nicht, um mein Leben glücklich und zufrieden zu führen. Weil er halt auch nix aussagt für mich. =)
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mo 13. Sep 2010, 14:15

Arathas hat geschrieben:Für mich ergibt der Satz überhaupt keinen Sinn. Es gibt Leute, die mir sympathisch sind und die ich mag - die behandle ich möglichst gut. Dann kommt der große Teil der Leute, mit denen ich fast nix zu tun habe oder die mir egal sind - um die mache ich mir überhaupt keinen Kopf. Und dann gibt's die Leute, die ich nicht mag, und die meide ich, so gut es geht.

Irgendwie ... brauche ich den Satz nicht, um mein Leben glücklich und zufrieden zu führen. Weil er halt auch nix aussagt für mich. =)


hmm. Da will ich gar nicht dagegen reden. Ich tue jetzt mal so, als ob du ein Bright wärst. Die Brightbewegung sagt ja, es muss unbedingt etwas dafür getan werden, dass das naturalistische Denken in der Gesellschaft mehr vertreten ist . Wenn ich dann Sätze lese von Brights: "Für mich ergibt der Satz 'Liebe deinen Nächsten' überhaupt keinen Sinn", warum sollte dann der Gläubige seinen ethischen Gehalt dieser Aufforderung ("Liebe Deinen Nächsten") gegen etwas eintauschen, das anscheinend keinen Sinn hat? Ist das deine ganze Ethik? Den magst du, den nicht? Du bist deinen Launen unterworfen, mehr nicht.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 14:24

laie hat geschrieben:Ist das deine ganze Ethik?


Gewiss nicht. Ich würde konkrete Wörter und Sätze benutzen, um meine Ethik zu beschreiben. Zum Beispiel:

Erlaubt ist alles, was niemand anderem Schaden zufügt oder (falls es jemandem Schaden zufügt) was der andere auch will. Das ist so ziemlich die Quintessenz meiner Ethik. ;-)
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon gavagai » Mo 13. Sep 2010, 14:41

laie hat geschrieben:Kannst du auch mal ernst bleiben?
Steinung ist blutig ernst.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon stine » Mo 13. Sep 2010, 14:43

Arathas hat geschrieben:Erlaubt ist alles, was niemand anderem Schaden zufügt oder (falls es jemandem Schaden zufügt) was der andere auch will.
Das ist doch genau das gleiche, wie "liebe deinen Nächsten".
Das Wort Liebe ist vielleicht auch falsch übersetzt worden. Vielleicht stand da "verehre" oder "behüte" deinen Nächsten oder tu ihm Gutes. Das wissen nur die Schriftgelehrten, die Einsicht in den Urtext hatten oder der Übersetzer Martin Luther. Man müsste vielleicht auch sämtliche Übersetzungen dahingehend durchforsten, wahrscheinlich steht das auch irgendwo ein wenig anders formuliert.

Wenn man pragmatisch darüber nachdenkt, wird man zugeben müssen, dass Entgegenkommen ganz häufig der richtige Türöffner ist. Wenn ich jemanden nicht besonders mag, kann ich durchaus auch noch höflich bleiben oder wenn ich will, dass mir jemand wohlgesonnen ist, dann werde ich ihn nicht angreifen.
Ich finde, dass das neue Testament schon sehr gute Hinweise auf ein entspanntes menschliches Zusammenleben gibt. Die Frage ist halt immer, inwieweit will ich das akzeptieren, was sich meine Vorväter schon darüber ausgedacht haben. Mit einigen ihrer Überlegungen haben sie so recht, dass man direkt von göttlicher Eingebung sprechen könnte. :mg: Der christliche Glaube ist eben auch der jüngste und deswegen unserer Kultur am nächsten. (Mal vom Koran abgesehen, der zwar jünger ist, aber eher wieder restriktiver.)

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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 15:20

stine hat geschrieben:Das ist doch genau das gleiche, wie "liebe deinen Nächsten"


Tja, dann gibt es eigentlich nur eine treffende Bemerkung dafür, die ich in nettem Internetslang wiedergeben möchte: Religion fail. ;-)

Denn ganz offensichtlich hat "Liebe deinen Nächsten" in der Bedeutung, die du dem Satz gerade zu Teil werden lässt, über 2.000 Jahre hinweg nicht funktioniert. Normalerweise werden Sachen, die nicht funktionieren, nach ein paar Jahren abgeschafft. Spätestens nach einer Generation.

Aber dass man einen Satz 2.000 Jahre in der Bibel stehen lässt, ihn als einen der Grundpfeiler der Religion bezeichnet und ihn dann nicht entfernt (oder besser: Durch etwas Funktionierendes ersetzt), weil sich über Jahrtausende niemand dran hält - das kriegt auch nur die Religion hin. :applaus:
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mo 13. Sep 2010, 15:30

stine hat geschrieben:
Arathas hat geschrieben:Erlaubt ist alles, was niemand anderem Schaden zufügt oder (falls es jemandem Schaden zufügt) was der andere auch will.
Das ist doch genau das gleiche, wie "liebe deinen Nächsten".



Nein. Hier geht es nur um die Frage, unter welchen Bedingungen man etwas tun darf. In Arathas "Bekenntnis" kann ich das Wohlwollen am Nächsten nicht sehen. Im Grunde geht es ihm nur darum, wann er seine Handlungen "durchdrücken" kann und wann es damit eventuell Schwierigkeiten gibt. Da mogelt sich einer durch. Na gut. Halt die grossen Humanisten. Interessant ist jetzt nur, daß er diese Haltung jetzt dem Christentum unterschieben möchte:

Arathas hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Das ist doch genau das gleiche, wie "liebe deinen Nächsten"


Tja, dann gibt es eigentlich nur eine treffende Bemerkung dafür, die ich in nettem Internetslang wiedergeben möchte: Religion fail. ;-)

Denn ganz offensichtlich hat "Liebe deinen Nächsten" in der Bedeutung, die du dem Satz gerade zu Teil werden lässt, über 2.000 Jahre hinweg nicht funktioniert. Normalerweise werden Sachen, die nicht funktionieren, nach ein paar Jahren abgeschafft. Spätestens nach einer Generation.

Aber dass man einen Satz 2.000 Jahre in der Bibel stehen lässt, ihn als einen der Grundpfeiler der Religion bezeichnet und ihn dann nicht entfernt (oder besser: Durch etwas Funktionierendes ersetzt), weil sich über Jahrtausende niemand dran hält - das kriegt auch nur die Religion hin. :applaus:


Da ist jemand nicht so, wie er es vorgibt zu sein.
Zuletzt geändert von laie am Mo 13. Sep 2010, 16:03, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Atanar » Mo 13. Sep 2010, 15:31

Ihr seid auf dem Holzweg. "Liebe deinen Nächsten" ist nicht allgemein gemeint. Es heißt eher liebe deinen nächsten Juden", denn wer sich mal in der Bibel umguckt, wird feststellen, das man Feinde nicht lieben soll.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mo 13. Sep 2010, 15:33

Ganz toll :up:
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 16:49

laie hat geschrieben:Interessant ist jetzt nur, daß er diese Haltung jetzt dem Christentum unterschieben möchte


Wenn du die vorigen Posts aufmerksamer liest, wirst du sehen, dass ich sie dem Christentum nicht unterschieben wollte. Erst auf die Behauptung hin, dass meine Ansichten sich decken würden mit der Bedeutung des Satzes "Liebe deinen Nächsten", habe ich dem Christentum das "untergeschoben".

Nachdem sich Leute, die an "Liebe deinen Nächsten" glauben, in dessen Bedeutung innerhalb von 5 Postings selbst bereits widersprechen, zeigt sich nur wieder: Eine schwammige Formulierung nützt einfach nicht wirklich etwas. Genausogut könnte man's auch lassen. Ich sage ja nicht, dass der Satz (oder die Religion an sich) schlecht ist. Er ist einfach nur überflüssig, weil nichtssagend.

In Arathas "Bekenntnis" kann ich das Wohlwollen am Nächsten nicht sehen.


Richtig. Ich unterstelle mir selbst auch kein gesteigertes Wohlwollen am Nächsten. An denen, die ich mag, durchaus. Das Wohlwollen des Rests der Welt tangiert mich eher weniger. Und ich vermute, dass viele Menschen so denken. Und das ist doch recht harmlos.

Nach dem zu urteilen, was die enorme Zurschaustellung von Unfällen und Katastrophen in den Medien anbelangt, gehe ich eher davon aus, dass ein anderer Großteil der Bevölkerung eine befriedigende Lust daran empfindet, das Leid anderer Menschen zu sehen. Ich kann mir nicht anders erklären, dass (angeblich) jeder siebte Deutsche die BILD liest. Oder was für Menschentrauben an Schaulustigen sich immer um Unfälle bilden, wo's (oft nur vermeintlich, aber was soll's) was "zu sehen" gibt.

Ich geb ja zu, dass ich ein Egoist bin, aber ich versuche, die Dinge wenigstens nicht noch schlimmer zu machen, das ist doch auch was wert. Und ich weiß nicht, ob ich an die Unterstellung von echter Nächstenliebe so recht glauben kann. Man hilft anderen ja nicht nur, um ihnen zu helfen, man tut es meistens ja im Grunde für sich selbst. Nimm mich als Beispiel: Ich hab ein Patenkind in Afrika, das monatlich Geld kriegt, und ich spende auch sonst gerne für Projekte, die ich gut finde. Das mach ich
a) weil ich genug Geld auf dem Konto habe um was zu spenden und
b) weil ich mich gut fühle, wenn ich spende, da ich die globale Geldverteilung unfair finde, was wiederum direkt mit meinen oben angeführten Ansichten zusammenhängt
und
c) ich mich schlecht fühlen würde, wenn ich Geld, das ich locker spenden könnte, für Blödsinn ausgäbe.

Dennoch ist das keine Nächstenliebe, es ist immer noch Egoismus. Ich fühle mich besser dadurch, und deswegen tue ich es. Wenn ich aber nen schlecht bezahlten Job hätte und mir nur grad so leisten könnte, was ich brauche, dann glaub aber nicht, dass ich für irgendjemand Unbekanntes auf der Welt etwas spenden würde. Ich würd mir keinesfalls was vom Mund absparen, um jemandem zu helfen, der mir nicht in irgendeiner Weise nahe geht. Aber ich wünsche auch niemandem was Schlimmes ... selbst dann nicht, wenn sich meine Ansichten von seinen unterscheiden. :mg:
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mo 13. Sep 2010, 17:09

Na siehst du, jetzt haben wir doch schon einiges gehört. Genauso ist es, wie Du es beschreibst, unser Alltag ist so. Wir sind alle keine Heiligen. Wir sind kleinlich. Wir rechnen: "Was springt für mich dabei raus?" "Was habe ich davon?" "Wer gibt denn mir?" Mal mehr, mal weniger. Aber das kann kein Handlungsmaßstab sein. Der Maßstab ist für mich das Gebot der Nächstenliebe, in dem Sinn, dem ich ihm oben gab. Und es gilt dabei: ultra posse nemo tenetur
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mo 13. Sep 2010, 17:26

laie hat geschrieben:Aber das kann kein Handlungsmaßstab sein.


Tjo, doch. Ich bin eben Pragmatiker, auch in dieser Hinsicht. ;-)


Bitte immer die Ziatquelle nennen, selbst wenn es aus dem Vorbeitrag stammt. Danke. Nachgetragen durch 1v6,5M
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon laie » Mi 15. Sep 2010, 07:40

Da jetzt die Frage nach der Existenz Gottes geklärt ist (es ist ein Scheinproblem) und besser durch die Frage "Was ist Glaube?" ersetzt werden sollte, möchte ich noch einmal kurz meine Sicht des Verhältnisses von Glaube und Wissenschaft, Ideal und Alltag darlegen:

Glaube besteht aus zwei Teilen, einem öffentlichen, das ist die Nächstenliebe, das Wohlwollen mit der Persönlichkeit des Nächsten, einerlei, ob dieser Mensch mir passt oder nicht. Der andere Teil ist privat, Kontemplation, Gebet, Meditation, Sich-Verlassen, "Gottesschau". Und dann gibt es da noch Wissen und Wissenschaft.

Der öffentliche Glaube setzt zunächst einmal Wissen und Wissenschaft voraus: ich kann mich dem Wissen der Welt nicht verschließen, wenn ich wirklich am anderen interessiert bin. Wenn beispielsweise religiöse Fanatiker in Amerika sagen, sie gehen nicht zum Arzt, wenn sie oder einer ihrer Glaubensgenossen von einer Schlange gebissen werden, dann haben diese Menschen etwas mißverstanden. Wissenschaft und Technik sind Mittel, und wer sie versteht, hat damit eine Gabe verliehen bekommen und damit die Aufgabe, sie zum Wohl der Menschen einzusetzen.

Der öffentliche Glaube setzt aber noch wichtiger den privaten Glauben voraus; es gibt keine Nächstenliebe in diesem Verständnis, wenn ich in meiner Ich-Bezogenheit verhaftet bleibe. "Ohne Warum", in diesem Geist sollten die Werke der Nächstenliebe vollbracht werden, von Menschen "ohne Eigenschaften", d.h. ohne Ich-Bezogenheit.

Man kann sich fragen, ob dieses Ziel, intentionslose Nächstenliebe, nicht zu hochgesteckt sind. Ist es natürlich. Es ist ein Ideal. Daher machen wir alle im Alltag Kompromisse und verfahren pragmatisch.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon gavagai » Mi 15. Sep 2010, 12:07

laie hat geschrieben:Der öffentliche Glaube setzt zunächst einmal Wissen und Wissenschaft voraus: ich kann mich dem Wissen der Welt nicht verschließen, wenn ich wirklich am anderen interessiert bin. Wenn beispielsweise religiöse Fanatiker in Amerika sagen, sie gehen nicht zum Arzt, wenn sie oder einer ihrer Glaubensgenossen von einer Schlange gebissen werden, dann haben diese Menschen etwas mißverstanden. Wissenschaft und Technik sind Mittel, und wer sie versteht, hat damit eine Gabe verliehen bekommen und damit die Aufgabe, sie zum Wohl der Menschen einzusetzen.
Zu dieser bemerkenswerten Erklärung des "öffentlichen Glaubens" könnte man vieles sagen und einwenden. Ich möchte nur auf 3 Punkte hinweisen:
1) Die meisten, wenn nicht alle religiös Glaubende verhalten sich nach dieser Erklärung tadelswert. Die einen lehnen Bluttransfusionen ab, die anderen lehnen Abtreibungen ab.
2) Viele Religiöse haben unterschiedliche Auffassungen vom "Wohl der Menschen". Meistens gehört dazu, dass man die anderen zum eigenen Verständnis des Wohles zwingen will (Missionierung; Missachtung der Selbstbestimmung am Ende des Lebens zugunsten von dem, was technisch möglich ist, usw.).
3) Viele Religiöse geben außerdem im Zweifelsfall ihren Offenbarungen, heiligen Büchern, Schamanen und Priestern etc. Vorrang vor Wissenschaft und Technik.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon stine » Mi 15. Sep 2010, 12:17

gavagai hat geschrieben:Viele Religiöse haben unterschiedliche Auffassungen vom "Wohl der Menschen". Meistens gehört dazu, dass man die anderen zum eigenen Verständnis des Wohles zwingen will ...
Das ist die Masche der Sektierer. Im Urchristentum war es wohl so, dass sich die Leute freiwillig anschlossen, weil sie selbst merkten, wie sie die Botschaft Jesus aufrüttelte und zufrieden machte, sie wollten das aus eigenem Interesse.
Alles was unter Zwang passieren muss ist nicht von Gott (nach christlicher Auslegung).

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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon Arathas » Mi 15. Sep 2010, 12:20

laie hat geschrieben:Da jetzt die Frage nach der Existenz Gottes geklärt ist (es ist ein Scheinproblem)


Für dich mag sie geklärt sein - zumindest, was deine Person und deinen Glauben betrifft. Aber geklärt ist dennoch nicht, wieso dann so viele Menschen zu Gott beten, und das auch mit echten Worten tun, an eine "echte Person" gerichtet. Also im Stil von "Lieber Gott, bitte mach dies und das ...". Diese (doch recht große) Gruppe von Gläubigen fällt aus deinem Erklärschema heraus.

Und dann gibt's noch die, die behaupten, Gott habe zu ihnen gesprochen. Manch einer von denen war sogar in relativ mächtigen Positionen zu finden, Präsident der USA beispielsweise. Und dem gegenüber stehen dann sehr, sehr viele Menschen, die demjenigen auch noch glauben, der behauptet, Gott habe zu ihm gesprochen.

Für all jene Menschen trifft deine Erklärung des Scheinproblems nicht zu. Diese Leute glauben tatsächlich an etwas Personifiziertes. Und das sind nicht wenige.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon gavagai » Mi 15. Sep 2010, 13:35

stine hat geschrieben:Alles was unter Zwang passieren muss ist nicht von Gott (nach christlicher Auslegung).

Ich denke eher, das ist deine Auslegung, den Christen unterlegt.
Vom Kirchenlehrer Augustinus (Kirchenvater der christlichen Theologie) stammt die Formel „cogite intrare“, also: „zwingt sie, einzutreten“. Damit wurden dann die Indios Südamerikas zu ihrem Heil gezwungen, d.h. nahzu ausgerottet.
Auch heute werden die meisten Menschen Christen durch die Zwangstaufe, ein paar Tage nach der Geburt. Nur wenige checken es und treten später aus.
Auch Angestellte in kirchlichen Einrichtungen werden zu mancherlei gezwungen, wenn sie den Job behalten wollen.
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Re: Die Existenz-Argumente für Gott

Beitragvon stine » Mi 15. Sep 2010, 13:52

gavagai hat geschrieben:...Kirchenlehrer...
Ja, ja, das alte Lied: Die Kirchen und Gott!
Hat mal einer gesagt, auf die Feststellung des Pfarrers hin, der meinte, er stünde zwischen ihm und Gott, dann stünde er, der Pfarrer, im Weg! :mg:

Auch die Kirchen huldigen nur einem Abbild Gottes. Obwohl die meisten Theologen wahrscheinlich verstanden haben, was ihre Lehre eigentlich sein soll, kommen sie nicht darum herum, das alte Lied weiter zu singen und den Kirchen die Treue zu halten. Ein nicht greifbarer Gott ist eben kein Zugmittel für eine Heilslehre.

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