Philo hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Auch an dich: Lies Jared Diamond [...]
Nö, warum sollte ich mich einem trivialkulturellen Gedankengut ergeben, wie das von Jared Diamond und ähnlich Gesinnte, die das Gestrige als Zukunftsurteil begreifen.
Diamond betont, soweit ich mich erinnere, gleich im Vorwort zu "Kollaps", dass die Betrachtung der Vergangenheit keine Rückschlüsse auf die Zukunft zulässt. Trotzdem ist es klug, sich den Verlauf früherer Ereignisse genau anzusehen, weil er Rückschlüsse auf prinzipielle Abläufe zulässt. Analogien zu bilden ist vielleicht doch etwas ergiebiger als Wunschträume so zusammenzudichten, dass sie für einen selbst Sinn zu machen scheinen.
Philo hat geschrieben:Das menschliche Bewusstsein ist ein gelerntes Bewusstsein und dominiert nicht selten entgegen natürlicher und tiergleicher Triebe wie bspw. Sexualität u.v.m. - siehe Zölibat und ähnlich gelernte schitzophrene Verhaltensmuster in allerlei Kulturen.
Als Naturalist muss ich eine Sichtweise, die behauptet, ein Verhalten wäre nicht natürlich, schon aus Prinzip ablehnen. Auch der menschliche kulturelle Lernprozess findet innerhalb der Grenzen der Physis und auch der Evolution im weiteren Sinne statt. Der Zölibat kann, wenn man konkurrierende Gruppen betrachtet, durchaus Sinn machen, etwa, weil er mit einer strikteren Kultur mit allen ihren Begleiterscheinungen wie stärkerer sozialer Kontrolle, Zusammengehörigkeitsgefühl, Überlegenheitsgefühl dank spiritueller Reinheit etc. einhergeht. Das menschliche Bewusstsein unterscheidet sich hier lediglich durch Komplexität von tierischem Bewusstsein, nicht dadurch, dass es prinzipiell anderen Gesetzen unterworfen wird. Auch in menschlichen Gesellschaften überleben letztlich nur Gedanken, die sich bezogen auf den jeweiligen historischen Kontext irgendwie "rentieren".
Philo hat geschrieben:So haben auch keine Tiere evolutionsbedingt politische Systeme erzwungen und überhaupt fusst jedes Herden- sowie Rudelverhalten auf völlig anderen Bewusstseinsformen, als die, die wir Menschen im stande sind zu leisten.
Ich bezweifle, dass der Mensch prinzipiell andere Formen des Zusammenlebens pflegt als Gesellschaften höherer Tiere, lediglich sind die Grade der Kooperation und Komplexität weitaus höher. Die Grundbausteine sozialer Interaktion existieren bei Tieren aber genauso, auch dort gibt es Altruismus, Handel oder Konkurrenzkämpfe um begrenzte Ressourcen. Politische Systeme im weitesten Sinne gibt es dort in gewisser Weise auch, so sind viele Rudel auf archaische Weise monarchisch regiert. Dass der Komplexitäts- und Reflexionsgrad um ein Vielfaches geringer ist, ändert nichts daran, dass diese Organisationsformen existieren.
Philo hat geschrieben:Schon allein das Gedankengut zum Venus-Projekt beweist, zu was der Mensch fähig ist.
Vergangene Utopien haben uns gezeigt, dass die Fähigkeit, ein idealisiertes System unter der Annahme ebenso idealisierter Grundvoraussetzungen zu erdenken, ziemlich eingeschränkte Ergebnisse geliefert haben. Selbst da, wo es verdammt gut gelaufen ist, in der Geschichte der Demokratie beispielsweise, sehen wir, dass die Realität weit hinter den Ansprüchen der ursprünglichen Utopie zurückfällt, einfach, weil Wunschannahmen mangels Wille oder Fähigkeit zur Überprüfung unhinterfragt übernommen wurden. Genau diese Gefahr sehe ich beim Venusprojekt: Man geht von gewissen Zielvorstellungen aus und von gewissen Features, die der Weg dahin haben muss, platt gesagt sind das im Falle des Venusprojektes weiß gekachelte Städte mit fliegenden Autos. Das Venusprojekt ist leider ganz besonders featurelastig, richtet also den Blick nicht primär auf die erwünschte Gesellschaftsform (deren Skizzierung tatsächlich unheimlich schwammig bleibt), sondern auf einzelne Mittel, die man gerne einsetzen möchte. So wird viel über Dinge wie Technik oder Nacktheit in der Öffentlichkeit fabuliert, ohne zu reflektieren, ob diese Dinge notwendige und gar wichtige Voraussetzungen einer "besseren" Gesellschaft sind. Überhaupt finde ich keinerlei philosphisch geprägte Auseinandersetzung mit der Frage, wodurch sich eine bessere Gesellschaft auszeichnen würde. Alles was ich sehe ist eine zusammengewürfelte Zukunftsvision, ein Wunschkonzert der Einzelfeatures, das entgegen markiger Worte kein stimmiges Gesamtbild ergibt, sondern genau da, wo es interessant würde, den Rückzug auf nebulöse Allgemeinplätze antritt. Das Venusprojekt erzählt uns im wesentlichen nochmal neu und mt bunten Bildchen, was wir auch täglich in der Zeitung lesen können, nämlich, dass Nachhaltigkeit, Effizienz und saubere Energiequellen eine feine Sache für den Planeten sind und ein bisschen gutes Design dem Auge ja auch nicht schaden kann. Danke, Herr Fresco, das ist nett, aber nicht neu, und die Ankündigung einer besseren, nur leider in ihrer Überlegenheit nicht näher spezifizierten Gesellschaft, ist nicht visionär, sondern einfach nur Ausgeburt schwärmerischen Deliriums. Wenn das das ist, wozu "der Mensch fähig ist", also sich in einem Größen- und Reinheitswahn zu suhlen, dann muss ich auch dazu etwas trocken anmerken, dass das auch schon die alten Griechen konnten und die Konzepte über gutes Zusammenleben seitdem auch nicht so übermäßig bahnbrechend weiterentwickelt wurden, schon gar nicht von den Venusjüngern.
Philo hat geschrieben:Leute wie Jared Diamond nutzen ihre Kompetenz, um sich innerhalb des aktuellen Zeitgeistes zu behaupten und übersieht dabei (vermutlich absichtlich) Leute, wie Jaque Fresco.
Ja, ich denke auch, dass Mr. Diamond einen Großteil seiner Arbeitszeit auf die Klärung der Frage verwendet, wie er sich diesen lästigen M. Fresco und dessen verblüffend geniale Vision vom Leibe halten kann.
Philo hat geschrieben:Zudem; niemand spricht von paradiesischen Zuständen, sondern von einer Optimierung menschlicher Fähigkeiten aufgrund des endlos erweiterbaren Bewusstseins des kritisch rationalen und logischen Denkens.
Wenn ich mir die Seite des Venusprojektes und das schwärmerische Besäufnis an der Größe der eigenen Idee da durchlese, kann ich beim besten Willen den Eindruck nicht verscheuchen, dass es sehr wohl um die Schaffung idealer Zustände geht. Selbst wenn es aber "nur" um die Optimierung menschlicher Fähigkeiten ginge, dann würde ich mich fragen, was an dem prinzipiellen Gedanken neu ist ("Komm, lass uns doch mal anfangen, uns selbst zu optimieren." - "Mensch, das ist ja 'ne geniale Idee, hat ja echt noch gar keiner drangedacht, dass wir das mal machen könnten.") und wieso ausgerechnet das Venusprojekt dafür prädestiniert sein sollte, die entsprechenden Zustände zu schaffen. Die entsprechende Begründung bleibt nämlich jeder, der diese Vision in irgendeiner Form verteidigt, schuldig. Alles, was ich sehe, sind theoretisch vielleicht (!) mögliche Optimierungen unter der Annahme irrsinnig vieler Faktoren, die genauso zusammenkommen und -wirken müssten, wie die Venusvisionäre sich das in ihren Träumen ausmalen, wofür der Ausdruck "unwahrscheinlich" schon stark euphemistisch ist.
Philo hat geschrieben:Unmöglichkeitserklärer behielten noch nie recht und gehören zu jenen extrem frustrierten Menschen, die nur ihre Resignation als gleichsam Schwäche zu vertuschen versuchen.
Allein die Tatsache, wie Menschen den Begriff "Macht" im Sinne von "Unterdrückung" definieren, zeigt auf, wie extrem man versucht ist, Unwissenheiten durch aggressive Verhaltensmuster zu ersetzen.
Und das, liebe Nanna, gilt auch für Dich.
Was du alles weißt.
Philo hat geschrieben:Klaus hat geschrieben:Das Venus-Projekt ist eine unwissenschaftliche Utopie und hat für mich schon esoterische Züge.
Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorneherein ausgeschlossen erscheint. [Albert Einstein]
Zudem:
Es ist schwieriger, ein Vorurteil zu zertrümmern, als ein Atom. [Albert Einstein]
...und nicht zu vergessen der hier:
"Es ist viel leichter einen schlauen und irgendwie überlegen klingenden Spruch anzubringen, den eine berühmte Person so oder ähnlich mal in einem völlig anderen Kontext abgegeben hat, als ein tatsächliches Argument anzubringen, für das man seine diffuse Meinung auch noch unzumutbarerweise reflektieren und nachvollziehbar darstellen müsste." [irgendwie von mir]