Ich lege immer Wert darauf, nicht denselben Fehler zu machen wie so mancher religiöse Eiferer und die Dinge eher nüchtern zu betrachten, deshalb habe ich ein Anmerkungen zu dem, was du geschrieben hast, weil mir manches doch zu überspitzt formuliert ist.
BerndL hat geschrieben:Die Diskussion ist rege und interessant, allerdings sollten wir folgende Fakten nicht vergessen:
"Fakten" ist ein starkes Wort, wenn es um einen Standpunkt geht, der zwangsläufig eine Menge Meinung enthält.
BerndL hat geschrieben:1. Der Gott des alten Testaments war ein rachsüchtiges, eifersüchtiges, zum Kindermord aufrufendes und im höchsten Maße unsympathisches Kerlchen (es gibt viele Belege dafür in der Bibel, wer will bekommt gern von mir die entsprechenden Stellen geliefert, bin jetzt nur zu faul nachzuschauen;)). Wie man daraus Regeln für ein geordnetes, friedliches nebeneinander ableiten kann ist mir schleierhaft. Es sind wohl eher Humanismus und Aufklärung die unsere Gesellschaft so geformt hat wie sie heute ist.
Dass diese Dinge in der Bibel stehen, ist unstrittig. Es wäre aber dann doch viel zu sehr im Stil textvernarrter Fundamentalisten argumentiert, dass eine Religionsgemeinschaft, die sich im Rahmen eines Kults unter anderem auf diese Schriften bezieht, der Gesellschaft nichts zu sagen hätte. Leichen haben alle im Keller, auch die Wissenschaft, die Philosophie, die Humanisten. Wenn ein Christ sich aber explizit auf die Liebe als zentrale Botschaft beruft, kann ich ihn nicht dadurch neutralisieren, dass ich ihm aus dem Alten Testament vorlese, das er möglicherweise an bestimmten Stellen genauso abstoßend findet wie ich.
Dass Regeln für unser Miteinander aus bestimmten Ideologien folgen würden, ist mir auch bei Weitem zu holzschnittartig skizziert. Weder sind die heutigen gesellschaftlichen Regeln Produkte des Christentums im Allgemeinen oder des Bibeltextes im Besonderen und dasselbe gilt aber auch für die Aufklärung. Vielmehr sind diese Weltbilder Produkt einer langen gesellschaftlichen Entwicklung, in der neben vielen anderen Einflüssen auch Gedankengut aus dem nahöstlichen Monotheismus eine Rolle gespielt hat. Inwiefern Christentum, Humanismus, Aufklärung überhaupt primäre Triebfedern waren/sind oder ob sie nicht eher Reflexion gesellschaftlicher Realitäten waren/sind, wäre eine ganz eigene Frage.
BerndL hat geschrieben:2. Wenn ein geordnetes Sozialverhalten ohne Religion nicht möglich ist, wie kann es dann sein, daß Tierherden friedlich zusammen leben obwohl sie, zumindest nach meinem Kenntnisstand, keiner Religion nacheifern?
Mal davon abgesehen, dass hier erstmal geklärt werden müsste, was unter dem Begriff "Religion" eigentlich zu verstehen sei, halte ich, wie du, Supernaturalismus nicht für eine Bedingung eines geordneten Sozialverhaltens. Nun muss ich dir aber trotzdem mehrfach widersprechen:
Es ist erstens nicht wahr, dass Tierherden samt und sonders friedlich zusammenleben. Rangkämpfe und Futterneid gibt es fast überall, wo Tiere in Gruppen zusammenleben, vielleicht mit Ausnahme von Insektenkolonien, wo es aber dafür für unsere Sicht recht totalitär zugeht - was ist eine Bienenkönigin viel anderes als eine Göttin für ihr Volk? Zweitens gibt es Hinweise für abergläubisches Verhalten bei vielen höheren Tieren bis hin zu psychosomatischen Beschwerden. Protoreligiöse Rituale (z.B. primitive Sonnenverehrung) wurden bei Affen eventuell schon beobachtet. Im Grunde ist das aber alles irrelevant, da die komplexen Gesellschaften der Menschheit mit den primitiven Kommunikations- und Problemlösestrategien von Tieren ohnehin nicht lebensfähig wären. Du vergleichst da Äpfel mit Birnen - so als würde ich sagen, Autos mit Benzin anzutreiben sei grundsätzlich verkehrt, Pferdekutschen fuhren schließlich auch mit Wasser und Heu.
Es sind eben gerade die viel höher entwickelten kognitiven und insbesondere sozialen Fähigkeiten, die den Menschen herausheben und es ihm überhaupt erst ermöglicht haben, religiöse Kulte beachtlicher Ausmaße zu erdenken. Würde man deiner Argumentation folgen, könnte man auch das Strafgesetzbuch oder den von dir verteidigten Humanismus anzweifeln, weil Tiere ja ebenfalls keine schriftlich dargelegten Regelwerke zum friedlichen Zusammenleben benötigen. Ich will damit nicht die Religion gut reden, ich halte ihre Mitwirkung am gesellschaftspolitischen Diskurs nicht für prinzipiell notwendig. Ich denke nur, dass das Verhalten von Tierkolonien kein belastbares Argument für die Entbehrlichkeit von Offenbarungswissen für die Rechtsprechung hat - was übrigens in der Realität ohnehin der Fall ist.
BerndL hat geschrieben:3. Die Trennung von Kirche und Staat existiert bei uns bestenfalls bedingt. Oder wie sonst kann es sein, daß Kirchenfunktionäre (zumindest der katholischen Kirche) außerhalb des Gesetzes stehen? Oder warum muss man beim Amtgericht (!) seinen Kirchenaustritt vollziehen? Oder mit welchem Recht treibt der Staat als willfähriger Erfüllungsgehilfe die Kirchensteuern ein?
Der Grundthese stimme ich zu, Deutschland ist ein säkulärer Staat, aber kein laizistischer. Ich finde das auch ärgerlich, möchte aber auch feststellen, dass wir eines der dereligiosiertesten Länder der Welt sind und das Problem sich in diesem Teil der Welt doch halbwegs in Grenzen hält. Die Macht der Kirchen wird hierzulande auf Dauer durch simplen Mitgliederschwund gebrochen werden.
Bei den Details stimmen aber ein paar Details dann doch nicht so ganz:
- Kirchenfunktionäre stehen nicht außerhalb des Gesetzes, sondern unterstehen in bestimmten Bereichen wie Arbeitsrecht (in der katholischen Kirche auch im Eherecht) gesonderten Gesetzen. Insbesondere im Bereich des Strafrechts unterstehen Kirchenfunktionäre aber ausnahmslos der weltlichen Gerichtsbarkeit.
- Den Kirchenaustritt vollzieht man je nach Bundesland auch beim Standesamt, nicht zwangsläufig beim Amtsgericht. Ärgerlich ist hierbei aber eher die in vielen Bundesländern anfallende Austrittsgebühr.
- Mit welchem Recht der Staat die Kirchensteuern einzieht? Art. 140 GG + Art. 137 Weimarer Reichsverfassung. Ließe sich bei entsprechendem politischen Willen auch anders regeln und sollte auch getan werden, denn die Verwaltungskosten dafür betragen rund eine Milliarde Euro, das erhält die Kirche quasi geschenkt.