Ich möchte eingangs darauf hinweisen, dass ich auch bereits dabei bin, die anderen Beiträge dieses Threads zu lesen. Trotzdem möchte ich sie chronologisch beantworten.
Myron hat geschrieben:Natürlich ist, was Teil der Natur ist; und die Natur ist das Materie-Energie-Raum-Zeit-System (MERZ) mit all seinen autonom produzierten Phänomenen.
Das heißt, was weder physisch noch von physischen Entitäten ontisch und genetisch abhängig ist, ist nicht natürlich
Mir ist das immer noch unklar. So wie ich es sehe, ist diese Aussage auf zwei Arten zu lesen.
1. Trivial. Was du damit ja eigentlich nur sagst, ist, dass alles existiert. Und das ist so ungefähr der "analytischte" Satz den ich kenne(
A curios thing about the ontological problem is its simplicity. It can be put in two anglo-sachson monosyllables: What is there? It can be answered moreover, in a word: Everything.--Quine, On what there is, zitiert aus Gedächtnis). Es gibt nichts, was außerhalb des ominösen MERZ liegen könnte. Und es gibt- außer einer Sonderposition- auch keine "Supernaturalistische" Position, die das leugnen würde. Auch die Naturgeister von Südseevölkern sind in die kausalen Zusammenhang dieses Universums eingebunden. Sie bringen Vulkane zum Ausbruch. Sie lassen die Sonne auf- und untergehen. Auch die geistigen Entitäten, die von Dualisten postuliert werden, sind in die energetischen-kausalen Zusammenhänge involviert. Sie wirken sich auf Hirn und Körper aus. Sie steuern uns durch die Welt. Sogar semantische Referenzrelationen sind kein Problem mehr, solange sie nur mit kausaler Wirksamkeit erklärt werden können, was unbestrittenerweise funktioniert.
In dieser Lesart gibt es tatsächlich nur eine Position, die nicht naturalistisch ist: Jener Theismus, der von einem extramundanen Gott ausgeht. Und selbst da bin ich skeptisch: Denn wie weit ersteckt sich denn MERZ? Welches sind die Kriterien, die etwas "nicht MERZ" machen? Ist MERZ nicht eigentlich so konstruiert, dass wirklich ALLES irgendwie hinein passt?
Die Problematik, was es gibt, persistiert in dieser Forumlierung natürlich. Dass MERZ alles ist, ist klar. Worüber wir uns ja streiten, ist, was alles zu MERZ gehört. Da uns viele Dinge, die in MERZ angenommen werden können, epistemisch nicht zugänglich sind, ist die Frage, wie wir sie am besten interpretieren.
Natürlich ist genau das, nämlich, dass plötzlich alles naturalistisch ist, das, was der Naturalist nicht will. Daraus ergit sich für mich Lesart 2:
2. Materialistisch. Dass nur physische Entitäten zu MERZ gehören, unterstellst du in deinem Zitat einfach. Wenn aber nur physische Entitäten zu MERZ gehören können, dann behauptest du, dass letztlich alles auf Materielles reduzibel ist. Und zwar ontologisch reduzibel. Der Materialismus aber, sieht sich nicht nur von philosophischer Seite mit einigen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es mittlerweile sehr plausible Ansätze in der Quantenmechanik gibt, die die Konsequenz ziehen, dass es gar keine Materie gibt.
Vielleicht bin ich wirklich nur zu blöd, um zu verstehen, was mit Naturalismus gemeint ist. Wenn dem so ist, entschuldige ich mich. Aber ich brauche da einfach Erläuterung.
Myron hat geschrieben:Wenn ich es richtig sehe, dann leugnet der Antirealist aber nicht, dass erfolgreiche technische Anwendbarkeit zumindest empirische Angemessenheit voraussetzt; und wenn es um die beobachteten bzw. beobachtbaren Erscheinungen geht, decken sich Angemessenheit und Wahrheit:
"The distinction between truth and empirical adequacy, and hence between realism and constructive empiricism, is a subtle one. For theories about the observable, truth and empirical adequacy coincide. For theories about the unobservable, truth entails empirical adequacy but not vice versa: such a theory may be empirically adequate yet false."
(Musgrave, Alan. Essays on Realism and Rationalism. Amsterdam: Rodopi, 1999. p. 107)
"Empirical adequacy: Property of theories in virtue of which they save the phenomena. A theory is empirically adequate if and only if all of its observational consequences are true."
(Psillos, Stathis. Philosophy of Science A–Z. Edinburgh: Edinburgh University Press, 2007. p. 76)
Der Antirealist leugnet den Zusammenhang zwischen empirischen Erfolg(Anwendbarkeit, große explanatorische Kraft, sowohl was Vorhersage, als auch was die Erklärung bereits existierender Phänomene betrifft) und Wahrheit der Theorie. Es stimmt auch, dass das meistens aus rein epistemologischen Gründen geschieht: Bei Theorien über Unbeobachtbares, Unbeobachtetes oder nur mittelbar zu Beobachtendes läuten skeptische Alarmglocken, wenn es darum geht, einer Theorie darüber Wahrheit zuzusprechen. Ich schätze, dass dem meist gleichzeitig ein sehr realistisches Wahrheitsverständnis zugrunde liegt und eine Abneigung gegen jedwede "Epistemisierung" der Wahrheit in Form von Kohärenz, Verfikation etc. Bei mir zumindest ist das ganz klar so.
Du hast Recht, dass der Antirealist bei Theorien über
direkt Beobachtbares ins evtl. Schwitzen gerät. Es gibt ein Argument gegen den Antirealismus, das ihm Selektion vorwirft, indem es versucht, die Grenze zwischen Beobachtbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit verwischt. Ich glaube, man kann dieses Argument auch umdrehen: Gerade weil man nicht genau weiß, ab wann Etwas tatsächlich beobachtbar ist, könnte man gegenüber allen Theorien eine skeptische Haltung einnehmen, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft.
Ich weise aber daraufhin, dass dieser Angriff gegen den Antirealismus für das Argument für den Naturalismus nichts bringt. Der Antirealismus unterminiert das Argument hier ja insofern, als er die Prämisse des empirischen Erfolgs der Theorien und den Schluss auf deren Wahrheit angreift. Diese Prämisse wiederum ist eingebunden in die Behauptung, dass Naturalismus "Alles" wahr beschreibt. Zumindest aber bei Theorien über unbeobachtete Dinge- und die wirklich großen Theorien- handeln über Unbeobachtbares- lassen sich Wahrheit und empirischer Erfolg klar trennen. Das naturalistische Argument muss also wirklich auf alle Theorien Wahrheitsanspruch erheben, und zumindest eine Teilmenge davon, kann der ntirealismus klar leugnen.(Wie es mit den Theorien über Beobachtbares aussieht, wäre eine längere Diskussion).
Myron hat geschrieben:Wenn ich es richtig sehe, dann verpflichtet einen eine angemessene = wahre Theorie über Beobachtbares durchaus zum Glauben an die Wirklichkeit ihrer Setzungen. Das heißt, wenn z.B. eine beobachtungsangemessene biologische Theorie die Existenz einer bestimmten (beobachtbaren) Tierart impliziert, dann darf und soll man daran glauben, dass es diese wirklich gibt.
Wie gesagt: Längere Diskussion, aber generell: Ja. Nur ergibt sich ja hier gar nicht die Problematik der epistemischen Zugänglichkeit, die bei Unbeobactbarem zu der Trennung von Wahrheit und emp. Erfolg führt.
Myron hat geschrieben:Ich bin kein Wissenschaftshistoriker oder -theoretiker, aber jene strenggenommen falschen Theorien müsste man sich im Einzelnen ansehen, um beurteilen zu können, ob es nicht doch ihre Wahrheitsnähe oder -ähnlichkeit ist, die ihre technologische Nützlichkeit erklärt. Zwar ist knapp vorbei auch daneben, aber falsche Theorien unterscheiden sich schon darin, wie weit sie von der Wirklichkeit entfernt sind.
Fast alle Wissenschaftsrealisten sind Fallibilisten, und sie differenzieren sehr wohl zwischen wahren, wahrscheinlichen und wahrheitsnahen (annäherungsweise wahren) Theorien; und wenn die Beweislage allzu schwach und uneindeutig ist, dann bleiben sie (vorübergehend) neutral. Aber sie sind insofern Optimisten, als sie aus der Tatsache, dass selbst die bestbestätigten Theorien fehlbar sind und sich bereits eine Reihe von Theorien im Nachhinein als falsch erwiesen haben, nicht folgern, dass von der tatsächlichen Falschheit aller gegenwärtigen Theorien auszugehen ist.
Ich weiß nicht, was ich von "Wahrheitsnähe" halten soll. Ich bin in dieser Hinsicht recht konservativ und möchte mich nicht von meinem Bivalenzprinzip trennen, was, wie es mir vorkommt, die Konsequenz der Akzeptanz des Begriffes von "Wahrheitsnähe" wäre. Man könnte aber evtl. sagen, dass Wahrheitsnähe definiert wird, durch die Anzahl der konjunkten Terme im Allquantor der Theorie, die wahr sind. Nur so ein Gedanke.
Wir entfernen uns aber von der Haltbarkeit des Naturalismus. Bzw von Agumenten gegen oder für ihn. Meine These war: Es gibt Theorien, die empirisch adequat waren, aber mit fortschreitender Ausarbeitung von Logik und Experiment falsifiziert wurden. Larry Lauden nennt unter anderem:
-the crystalline spheres of ancient and medieval astronomy;
-the humoral theory of medicine;
- the effluvial theory of static electricity;
-'catastrophist' geology, with its commitment to a universal
(Noachian) deluge;
- the phlogiston theory of chemistry;
-the caloric theory of heat;
-the vibratory theory of heat;
-the vital force theories of physiology;
-the electromagnetic aether;
-the optical aether;
-the theory of circular inertia;
-theories of spontaneous generation.(Larry Laudan, A confutation of Convergent Realism, Philosophy of science, Vol. 48, No 1(1981), S. 33)
Myron hat geschrieben:Eine Wirklichkeitsbeschreibung ist aber nur dann gut, wenn sie die Wirklichkeit zutreffend oder zumindest annäherungsweise zutreffend beschreibt.
Ich bezog mich hier auf die "empirische Wirklichkeit", also die Phänomene, die uns gegeben sind, und von denen wir dann auf unbeobachtbare(oder mittelbar) Vorgänge im Mikro, Nano oder Astro-Bereich schließen.
Myron hat geschrieben:Die Tatsache, dass der theoretische und praktische Erfolg keiner einzigen erfolgreichen wissenschaftlichen Theorie – egal ob man sie nur als angemessen oder auch als wahr bezeichnet – von der Setzung irgendwelcher übernatürlicher Akteure abhängt, die das Naturgeschehen als verborgene, unbeobachtbare Ursachen beeinflussen, spricht zwar zunächst nur für die Annahme, dass es keine innerhalb der beobachtbaren Natur aktiven übernatürlichen Wesen gibt, aber sie erhöht auch die Glaubwürdigkeit der weiteren Annahme, dass der Grund ihrer Inaktivität ihre Inexistenz ist.
Das ist aber eben keine Tatsache. Viele der oben genannten Theorien gehen zum Beispiel sehr wohl von Annahmen aus, die du wahrscheinlich übernatürlich nennen würdest. Außerdem argumentierst du jetzt wieder für einen rein negativ bestimmten Naturalismus, auf dessen Probleme ich bereits hingewiesen habe. Vielleicht erhöht ja der praktische Erfolg wissenschaftlicher Theorien wirklich die "Glaubwürdigkeit" eines negativ bestimmten Nat.. Aber weder zeigt es, dass der Nat. wahr ist, noch, dass der Theismus falsch ist. Ich würde dir aber natürlich so weit zustimmen zu sagen, dass man evtl. keine theistischen Annahmen zur adequaten Beschreibung der empirischen Realität
benötigt, aber das ist kein Kriterium für Existenz oder Nichtexistenz oder Wahrheit des Nat.
Myron hat geschrieben:Gut, zu jeder beobachtungsangemessenen Theorie lassen sich x-beliebige übernatürliche Faktoren hinzudichten. Ich könnte z.B. zu einer physikalischen Theorie der Stabilität von Atomen die supernaturalistische Annahme hinzufügen, dass die natürlichen Bindungskräfte nicht ausreichen, um Atome zusammenzuhalten, und es deshalb zusätzlich erforderlich ist, dass es zu jedem Atom einen Engel gibt, der rund um die Uhr an es denkt, weil Atome sofort auseinandergerissen werden, wenn kein Engel an sie denkt.
Es wäre aber absurd, dieses Szenario allein deshalb ernsthaft in Betracht zu ziehen, weil es nicht rein logisch ausgeschlossen werden kann.
Ja, das stimmt und ich würde dir da auch zustimmen. Aber im Moment geht es nicht darum, ob die Anreicherung naturwissenschaftlicher Theorien mit Annahmen "übernatürlicher" Akteure Sinn macht. Es geht um die Wahrheit des Nat. Mit der Textpassage, auf die sich dein Zitat bezieht, wollte ich den Gedankengang des Antirealisten plausibel machen, dass es im Prinzip auch keine Atome geben könnte, sondern irgendwelche anderen Entitäten oder Kräfte, mit denen man die Phänomene, die jetzt mit Atomen erklärt werden, auch anders erklären kann. Eventuell wäre es tatsächlich absurd, derartige Annahmen in Betracht zu ziehen, nur weil es nicht logisch ausgeschlossen ist. Genauso absurd wäre es jedoch, einfach die Wahrheit der jeweiligen Theorien und damit die des Naturalismus anzunehmen, nur weil die Alternativen absurd anmuten und man im Moment die empirische Wirklichkeit ganz gut damit beschreiben kann.
Außerdem gibt es andere Bereiche, die viel umstrittenen Neurowissenschaften zum Beispiel, in deren Erklärungsschemata ein immaterieller Akteur durchaus Sinn machen würde, um die immer noch immensen explanatorischen Lücken sinnvoll zu füllen.
Engel als Beispiel zu nehmen ist natürlich eine kluge rhetorische Strategie, um derlei Hypothesen generell absurd klingen zu lassen. Die Frage ist, ob das Postulat von Atomen, Quanten und schließlich niemals beobachtbaren Strings nicht genauso absurd ist, wie z.B die Annahme einer bisher nicht feststellbaren subatomaren Lebensform(Ich argumentiere nicht FÜR eine solche Annahme, nur dafür, dass aus ihrer scheinbaren Verrücktheit nicht automatisch die Wahrheit der Gegenseite folgt).
Myron hat geschrieben:Wenn ich dich richtig verstehe, dann argumentierst du nicht als Supernaturalist, sondern als Neutralist/Agnostiker, der die Meinung vertritt, dass keine erfahrungswissenschaftliche Erkenntnis das Wahrscheinlichkeitsverhältnis zwischen Naturalismus und Supernaturalismus zugunsten des Ersteren verschieben könne, und dass die Berufung der Naturalisten auf die Naturwissenschaft zur Untermauerung ihrer Ansicht somit ungerechtfertigt sei.
Erwischt! Das tut aber an meiner Argumentation gegen den Naturalismus, gegen dessen Wahrheit, keinen Abbruch.
Myron hat geschrieben:Fehlende Konsistenz ist auf jeden Fall ein zwingendes Falschheitskriterium.
Nein! Sehr wohl aber ein starkes Kriterium für die Entscheidung, einen Satz oder eine Theorie als nicht arbeitsfähig fallenzulassen. Der Grund dafür, dass Inkonsistenz als Auswahlkriterium angenommen wird, ist nicht der Schluss auf Falschheit der Theorie, sondern in gewisser Weise sogar dessen Gegenteil: Das Ex falso Prinzip. Aus einem Widerspruch lässt sich alles, also jeder beliebige wahre Satz ableiten. Deswegen kann mit einer Theorie, die einen Widerspruch enthält, nicht gearbeitet werden. Konsistenz ist also sehr wohl auch ein metatheoretisches Kriterium!
Myron hat geschrieben:Ich will nicht ausweichen, aber das ist eine sehr komplexe und komplizierte Thematik. Wir müssten uns jetzt eigentlich alle in Frage kommenden metatheoretischen Kriterium einzeln ansehen und fragen, ob sie als Wahrheits-, Wahrscheinlichkeits- oder Wahrheitsähnlichkeitskriterium gelten dürfen oder nicht.
Naja, so schwierig ist es jetzt auch nicht, auch wenn du natürlich Recht damit hast, dass es ein komplexes Thema ist. Die drei meistgenannten Kriterien sind Konsistenz, Kohärenz und Einfachheit.
Ich habe bereits gesagt, dass Konsistenz aufgrund des ex falso Prinzips, nicht aufgrund seiner direkten Relation zu Wahrheit als Kriterium verwendet wird. Ich gebe allerdings zu, dass es hier natürlich eine gigantische Debatte gibt, vor allem rund um intuitionistische und parakonsistente Logiken.
Einfachheit wurde ja bereits ergiebig besprochen. Und Kohärenz besteht aus Konsistenz plus X(Man füge hier wechselnd verrückte und komplexe mathematische Theorien ein, von denen ich drei Viertel nicht verstehe). Wenn man das als direktes Wahrheitskriterium annimmt, dann ist man halt einfach bei einer Kohärenztheorie der Wahrheit. Und damit hat man- konträr zu der Intuition, die man als wissenschaftl. Realist ja vertritt, den Begriff der Wahrheit epistemisiert. Ich schätze zusammen mit einem realistischen Verständnis wissenschaftlicher Theorie führt das schnell zu Widersprüchen.
Aber gut, das Thema ist wirklich komplexer als diese Zusammenfassung.
Myron hat geschrieben:But there is no proof of the empirical equivalence thesis, though a number of cases have been suggested ranging from Descartes's 'evil demon' hypothesis to the hypothesis that for every theory T there is an empirically equivalent rival asserting that T is empirically adequate-yet-false, or that the world is as if T were true. One can argue that these rival hypotheses have only philosophical value and drive only an abstract philosophical scepticism."
There is clear formal-mathematical proof in the sense that the unterdetermination can be constructed in formal languages. With respect to the history of science, there are a number of cases of clear empirical underdetermination the most important one being the case of the lorentzian aether against the theory of relativity. And anyway: That something has "only" philosophical value does not mean it can be ignored as a problem.