Grotemson hat geschrieben:Mir ist das immer noch unklar. So wie ich es sehe, ist diese Aussage auf zwei Arten zu lesen.
1. Trivial. Was du damit ja eigentlich nur sagst, ist, dass alles existiert. … Es gibt nichts, was außerhalb des ominösen MERZ liegen könnte. Und es gibt- außer einer Sonderposition- auch keine "Supernaturalistische" Position, die das leugnen würde. Auch die Naturgeister von Südseevölkern sind in die kausalen Zusammenhang dieses Universums eingebunden. Sie bringen Vulkane zum Ausbruch. Sie lassen die Sonne auf- und untergehen. Auch die geistigen Entitäten, die von Dualisten postuliert werden, sind in die energetischen-kausalen Zusammenhänge involviert. Sie wirken sich auf Hirn und Körper aus. Sie steuern uns durch die Welt. Sogar semantische Referenzrelationen sind kein Problem mehr, solange sie nur mit kausaler Wirksamkeit erklärt werden können, was unbestrittenerweise funktioniert.
(Wenn man "Alles existiert" als "Alles Existente existiert" liest, dann ist es tautologisch wahr; aber wenn unter "alles" auch alle intentionalen Objekte fallen, dann ist es falsch, denn nicht alle intentionalen Objekte sind existent.)
Fangen wir noch mal mit der Raumzeitwelt an. Dem Naturalismus nach ist diese die ganze Welt, außerhalb deren nichts existiert:
RZ-Welt = Welt. Nun kommt es also entscheidend darauf an, was innerhalb der Raumzeitwelt vorkommt oder geschieht. Ist die materiell-energetische, physische Teilraumzeitwelt mit ihrem produktiven Potenzial und ihren aktuellen Produkten (Emergenzphänomenen) mit der ganzen Raumzeitwelt identisch oder nicht? Der (materialistische) Naturalismus sagt ja:
MERZ-Welt = RZ-Welt. Insgesamt haben wir also:
Metaphysischer Naturalismus: Welt = RZ-Welt = MERZ-Welt Das ist eine metaphysische These und keine Definition! Das heißt, aus "ist Teil der RZ-Welt" folgt nicht per definitionem "ist Teil der MERZ-Welt". Mit anderen Worten, nicht alles, was
innerhalb der RZ-Welt vorkommt oder geschieht, ist allein deshalb Teil der MERZ-Welt. Ein Fisch, der im Wasser schwimmt, ist nicht Teil des Wassers. In der RZ-Welt herumspukende Geister, darin geschehende Wunder, oder darin ausgeübte übernatürliche Fähigkeiten wären nicht Teil der MERZ-Welt, und zwar auch dann nicht, wenn Übernatürliches mit Natürlichem interagieren würde.
Grotemson hat geschrieben:2. Materialistisch. Dass nur physische Entitäten zu MERZ gehören, unterstellst du in deinem Zitat einfach. Wenn aber nur physische Entitäten zu MERZ gehören können, dann behauptest du, dass letztlich alles auf Materielles reduzibel ist. Und zwar ontologisch reduzibel.
Ich habe "übernatürliche Entität" als "hyperphysische Entität" und dies wiederum als "physische Entität oder von physischen Entitäten ontisch und genetisch abhängige Entität" definiert. Wenn die MERZ-Welt imstande ist, aus sich heraus psychische oder gar abstrakte Entitäten hervorzubringen, die davon seinsabhängig sind und bleiben, dann betrachte ich diese als natürliche Entitäten. Derartige psychische Entitäten sind psychophysische Entitäten, d.i. physische Entitäten mit einer subjektiven, phänomenellen Dimension, deren Realität kein Naturalist bestreiten sollte. Ich frage mich aber, wie ein physischer oder psychophysischer Prozess irgendwelche abstrakten Entitäten produzieren könnte. Darauf habe ich noch keine verständliche Antwort gefunden, denn es erscheint metaphysisch unmöglich, dass Produkte einer fundamental, radikal anderen ontologischen Kategorie angehören als ihre Produzenten. Andererseits sehe ich gewisse Gründe, zumindest die Existenz
kultureller Abstrakta anzuerkennen. Dabei geht es um linguistische oder semiotische Typen, d.h. um Zeichentypen, und Kulturprodukte wie literarische Texte, musikalische Kompositionen oder Spiele (z.B. Schach), bei denen zwischen einem abstrakten Typ und konkreten Exemplaren unterschieden werden kann.
Grotemson hat geschrieben:Der Materialismus aber, sieht sich nicht nur von philosophischer Seite mit einigen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es mittlerweile sehr plausible Ansätze in der Quantenmechanik gibt, die die Konsequenz ziehen, dass es gar keine Materie gibt.
Ich bin zwar kein Physiker, aber davon habe ich noch nicht gehört. Beispiel? (Reduktion von Materie auf abstrakte Information?)
Grotemson hat geschrieben:Vielleicht bin ich wirklich nur zu blöd, um zu verstehen, was mit Naturalismus gemeint ist. Wenn dem so ist, entschuldige ich mich. Aber ich brauche da einfach Erläuterung.
Eine allgemeinverbindliche offizielle Definition gibt es nicht. Was genau der Naturalismus ist und beinhaltet bzw. sein und beinhalten soll, ist letztlich selbst eine philosophische Frage, die wie alle philosophischen Fragen kontrovers diskutiert wird. Zusätzlich erschwert wird die Diskussion durch die Unterscheidung von ontologischen, epistemologischen und methodologischen Formen von Naturalismus.
Von daher kann ich nicht umhin, dir hier meine eigene Sicht der Dinge zu präsentieren, die ich nicht mit päpstlicher Autorität zur alleingültigen erklären kann. Es gibt gewiss auch etliche Naturalisten und Brights, denen meine Auffassung zu materialistisch ist.
Grotemson hat geschrieben:Der Antirealist leugnet den Zusammenhang zwischen empirischen Erfolg(Anwendbarkeit, große explanatorische Kraft, sowohl was Vorhersage, als auch was die Erklärung bereits existierender Phänomene betrifft) und Wahrheit der Theorie. Es stimmt auch, dass das meistens aus rein epistemologischen Gründen geschieht: Bei Theorien über Unbeobachtbares, Unbeobachtetes oder nur mittelbar zu Beobachtendes läuten skeptische Alarmglocken, wenn es darum geht, einer Theorie darüber Wahrheit zuzusprechen.
Eigentlich ist "wissenschaftlicher Skeptizismus" eine treffendere Bezeichnung als "wissenschaftlicher Antirealismus", findest du nicht?
Grotemson hat geschrieben:Ich schätze, dass dem meist gleichzeitig ein sehr realistisches Wahrheitsverständnis zugrunde liegt und eine Abneigung gegen jedwede "Epistemisierung" der Wahrheit in Form von Kohärenz, Verfikation etc. Bei mir zumindest ist das ganz klar so.
Mein Wahrheitsverständnis ist das korrespondenztheoretische. Und ich akzeptiere das Wahrmacher-Prinzip: Wenn ein Satz wahr ist, dann gibt es etwas in der Wirklichkeit, das ihn wahr macht (im nichtkausalen Sinn).
Grotemson hat geschrieben:Du hast Recht, dass der Antirealist bei Theorien über direkt Beobachtbares ins evtl. Schwitzen gerät. Es gibt ein Argument gegen den Antirealismus, das ihm Selektion vorwirft, indem es versucht, die Grenze zwischen Beobachtbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit verwischt.
Die scheint auch nicht klar definierbar zu sein, oder?
Grotemson hat geschrieben:Ich glaube, man kann dieses Argument auch umdrehen: Gerade weil man nicht genau weiß, ab wann Etwas tatsächlich beobachtbar ist, könnte man gegenüber allen Theorien eine skeptische Haltung einnehmen, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft.
Ein radikaler Skeptiker müsste aber eigentlich selbst die Angemessenheit wissenschaftlicher Theorien anzweifeln; denn woher will er wissen, dass sich eine angemessene Theorie nicht irgendwann im Lichte neuer Beobachtungen als unangemessen erweisen wird?
Grotemson hat geschrieben:Ich weise aber daraufhin, dass dieser Angriff gegen den Antirealismus für das Argument für den Naturalismus nichts bringt. Der Antirealismus unterminiert das Argument hier ja insofern, als er die Prämisse des empirischen Erfolgs der Theorien und den Schluss auf deren Wahrheit angreift.
Ich habe inzwischen das Gefühl, wir sind unnötigerweise schon zu tief in den Sumpf der Realismus-Antirealismus-Debatte eingesunken.
Die Ausgangsfrage kann nämlich auch ohne realistische Voraussetzungen gestellt werden:
Ist die Wahrscheinlichkeit des ontologischen Naturalismus unter der Bedingung, dass nur der methodologische Naturalismus zu angemessenen und sehr erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat, höher als dessen Wahrscheinlichkeit ohne diese Bedingung?Ich sage ja, zumal es ja keinen methodologischen Supernaturalismus als Konkurrenten gibt, der zu gleichermaßen angemessenen und erfolgreichen Theorien geführt hat.
Grotemson hat geschrieben:Ich weiß nicht, was ich von "Wahrheitsnähe" halten soll. Ich bin in dieser Hinsicht recht konservativ und möchte mich nicht von meinem Bivalenzprinzip trennen, was, wie es mir vorkommt, die Konsequenz der Akzeptanz des Begriffes von "Wahrheitsnähe" wäre.
Zugegeben, der Begriff der Wahrheitsnähe ist schwer zu präzisieren, und der Popper'sche Ansatz hat sich wohl als fehlerhaft entpuppt. Es gibt aber neuere und bessere Ansätze. Ich finde jedenfalls nicht, dass sich dieser Begriff einem intuitiven Grundverständnis entzieht. Wenn z.B. jemand sagt, dass 2+2=5, und jemand anderer, dass 2+2=500, dann versteht doch jedermann die Aussage, dass der eine näher an der Wahrheit dran ist als der andere, obwohl beide Rechnungen falsch sind.
Siehe:
http://plato.stanford.edu/entries/truthlikenessGrotemson hat geschrieben:Das ist aber eben keine Tatsache.
Ich behaupte nicht, dass die Wahrheit des ontologischen Naturalismus eine logische Konsequenz der Tatsache ist, dass der methodologische Naturalismus
mindestens zu vielen angemessenen und höchst erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat, sondern nur, dass ihn diese
ceteris paribus erheblich glaubwürdiger macht als den Supernaturalismus.
Grotemson hat geschrieben:Viele der oben genannten Theorien gehen zum Beispiel sehr wohl von Annahmen aus, die du wahrscheinlich übernatürlich nennen würdest.
Beispiel?
Grotemson hat geschrieben:Außerdem argumentierst du jetzt wieder für einen rein negativ bestimmten Naturalismus, auf dessen Probleme ich bereits hingewiesen habe. Vielleicht erhöht ja der praktische Erfolg wissenschaftlicher Theorien wirklich die "Glaubwürdigkeit" eines negativ bestimmten Nat..
Denke an die Äquivalenz von "Es gibt nichts Nichtnatürliches" und "Alles, was es gibt, ist natürlich"!
Die negative Bestimmung entspricht also einer positiven Bestimmung.
Grotemson hat geschrieben:Mit der Textpassage, auf die sich dein Zitat bezieht, wollte ich den Gedankengang des Antirealisten plausibel machen, dass es im Prinzip auch keine Atome geben könnte, sondern irgendwelche anderen Entitäten oder Kräfte, mit denen man die Phänomene, die jetzt mit Atomen erklärt werden, auch anders erklären kann. Eventuell wäre es tatsächlich absurd, derartige Annahmen in Betracht zu ziehen, nur weil es nicht logisch ausgeschlossen ist.
Es gibt, wie gesagt, ja gar keinen methodologischen Supernaturalismus, der zu irgendwelchen angemessen und erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat. Der methodologische Naturalismus ist praktisch konkurrenzlos.
Grotemson hat geschrieben:Ich habe bereits gesagt, dass Konsistenz aufgrund des ex falso Prinzips, nicht aufgrund seiner direkten Relation zu Wahrheit als Kriterium verwendet wird.
Aus Konsistenz allein folgt natürlich nicht Wahrheit, aber aus Inkonsistenz folgt doch notwendige Falschheit.
Grotemson hat geschrieben:Einfachheit wurde ja bereits ergiebig besprochen.
Witzigerweise führen auch tonangebende theistische Philosophen wie Richard Swinburne die angebliche Einfachheit der theistischen Welterklärung als Wahrheitskriterium ins Feld.
Grotemson hat geschrieben:Und Kohärenz besteht aus Konsistenz plus X(Man füge hier wechselnd verrückte und komplexe mathematische Theorien ein, von denen ich drei Viertel nicht verstehe).
Dumm gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Kohärenz und Konsistenz?
Grotemson hat geschrieben:There is clear formal-mathematical proof in the sense that the unterdetermination can be constructed in formal languages.
Wenn die Antirealisten von mir erwarten, dass ich nicht an die Wahrheit der darwinistischen Evolutionstheorie glaube, nur weil sich eine aus der abstrakten Luft gegriffene empirisch äquivalente formale Theorie konstruieren lässt, die ihr widerspricht, dann mache ich da schlichtweg nicht mit – dann bin ich gerne wissenschaftsgläubig.